Schweitzer Fachinformationen
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Ich plädiere auf nicht schuldig, Herr Richter. Darauf können Sie Gift nehmen!
IMRAN JABBARI (1985-)
Es ist schon sehr lange her - genauer gesagt, achtzehn Monate -, da ist mit dem Schlag eines Richterhammers auf ein furchtbar schwarzes Pult meine Welt auf die Größe einer Mausefalle zusammengeschrumpft. An dem Tag schien die Sonne und zwar so, dass die hellhäutigen Damen sich entschlossen, ihre Sonnenschirme aufzumachen, aber die Leute, die sich vor den Fenstern drängelten, verhinderten so vollständig, dass Licht in den Gerichtssaal fiel, dass es draußen auch ebenso gut hätte regnen können.
Irgendwo in der Nähe gab es - nicht sichtbar - eine Uhr. Diese gab jede halbe Stunde einen Laut von sich - wie ein Löffel, der auf einen Metallteller schlägt - und gemahnte mich an die langen, leeren Jahre, die der Richter - er sah einem berühmten Bühnenkomiker ziemlich ähnlich - mir aufbrummen würde.
Kurz nach Mittag zog sich das Gericht wieder zurück, die Leute machten die Fenster wieder frei, und dann begann für mich die Fahrt ins Gefängnis. Das Ganze dauerte kaum eine Stunde, aber während dieser Zeit stellte ich mir vor, so wie ich es auch damals vor meinem ersten Schulbesuch gemacht hatte, wie mein Bestimmungsort so wäre.
Es war an einem Freitag, und wie an jedem Freitagnachmittag gab es lange Schlangen vor den Kinos und viele Leute, die aus den Moscheen strömten - just die beiden Orte, die ich von nun an so schmerzlich vermissen würde.
Die Uhr oberhalb der blauen Toreinfahrt zeigte zehn nach zwei, als der Transporter sein Ziel erreicht hatte. Von außen betrachtet sah das Gefängnis wie eine Schule aus (auf den ersten Blick war mir damals die Schule wie ein Gefängnis vorgekommen). Die Mauer war leicht mit Moos überzogen, so dass es aussah, als sei sie aus Bronze, über welche der Regen eine erste Patina-Schicht gelegt hätte. Willig-düster ging das Tor auf, und missmutig rollte der Transporter hinein.
Seit diesem Moment, in dem ich durch die hohe Einfahrt fuhr, habe ich mich immer wieder gefragt, ob die Außenmauer während der achtzehn Monate inzwischen dunkelgrün geworden war oder ob die Gefängnisleitung nicht doch die Häftlinge dazu gebracht hatte, sie so lange abzuschrubben, bis sie wie helles Kupfer aussah. Aber während dieser achtzehn Monate hatte ich keine Gelegenheit, die Außenmauer zu inspizieren; für mich hätte sie genauso gut außerirdisch sein können.
Genau wie damals in der Schule gab es auch hier einen Raum mit Regalen voller Verzeichnisse und Urkundenbände, dessen Wände mit Photographien von Verabschiedungsfeiern bedeckt waren, auf welchen nur lauter Reihen von Männern mit ausdruckslosen Gesichtern zu sehen waren. Diejenigen, die in Pension gingen, hatte man hervorgehoben, indem man sie mit überdimensionalen Girlanden geschmückt hatte, deren kunstvolle Enden bis in ihre Schöße hingen und so aussahen, als wüchse aus ihrer Leistengegend ein Origami-Garten.
Ein Wächter in Zivil saß an einem Fenster, dessen Vorhänge wie weibliche Zöpfe geflochten und mit Holzringen zusammengehalten waren, und trug in aller Ruhe in ein Verzeichnis ein, was ich ihm als exakte Wegbeschreibung zu einem Ort diktierte, den ich vielleicht nie mehr wiedersehen würde.
»Vanity Bag1?« fragte er, ohne von seinem Verzeichnis aufzublicken. »Meinen Sie wirklich >Bag<?« Er hatte noch nie zuvor etwas von unserem Stadtviertel gehört, vielleicht aber doch und wollte es nur nicht zugeben, oder er war nicht aus der Gegend.
»Nein, nicht >Bag<. Bagh.« Ich malte ihm, während ich sprach, die passenden Buchstaben in die Luft, weil es mir plötzlich wichtig erschien, auf einer Seite, die man wohl die nächsten sechzehn Jahre kaum noch einmal anschauen würde, einen falsch buchstabierten Namen zu haben. »B-A-G-H. So wie in Mangobagh.«
»Haben wir hier jetzt den Gewinner eines Rechtschreibewettbewerbs?« fragte der Leiter des Gefängnisses, ein ziemlich dürres Männchen mit dem Gesicht eines Pavians, indem er seinen Kopf um die Ecke der Klöntür streckte und mir einen unangenehmen Blick zuwarf. Einen Augenblick lang wussten die Wächter nicht, ob sie salutieren oder lachen sollten. Schließlich entschieden sie sich dafür zu lachen. Sie klatschten in die Hände, ließen ihre Bäuche wippen und lachten. Damals habe ich nicht verstanden, wo da der Witz war, und ich verstehe es immer noch nicht. Vielleicht war das gar nicht so witzig; könnte ja sein, dass eine Regel des Gefängnisses besagt, dass Wächter immer über die Witze des Leiters lachen müssen, selbst wenn es faule Witze sind. Sie haben keine Lizenz zum Töten, aber sie haben alle Freiheiten, einen mit ihrem verqueren Humor zu quälen. Möglicherweise ist das für sie ein Ausgleich dafür, dass sie einem körperlich nicht zu nahe kommen können. Ganz sicher haben sie ab und zu Lust, dir eins überzuziehen, wenn sie mal einen schlechten Tag auf der Arbeit oder einen Streit daheim hatten, aber wenn sie dann in letzter Sekunde an die Folgen denken, ballen sie nur die Fäuste in den Hosentaschen und gehen weg. Durch die neuen Gesetze der Regierung sind die Gefängnisse besser geworden. Jetzt kann man einen Häftling nicht mehr einfach so verprügeln. Auch Beschimpfungen kommen jetzt nicht mehr in Frage. Ebenso wenig, wie einem ins Gesicht zu spucken. Ausdrücke wie Arschloch, Scheißkerl und schwule Sau (für Homos) sind untersagt. Das alles gilt jetzt als grobe Verletzung der Menschenrechte.
Es gibt sogar einen Menschenrechtsbeauftragten, der einmal monatlich ins Gefängnis kommt und sich mit einer aufgeschlagenen Kladde im Schoß unter einen der Stachelbeerbäume setzt. Wenn du dich beschweren möchtest, ist er ganz Ohr. Er notiert dann deine Beschwerde und lässt sie dich zuerst unterschreiben; danach unterschreibt er, bevor er das Ganze dann an die zuständige Abteilung weiterleitet. Aber die Männer erzählen ihm kaum etwas. Immer wenn die doppelseitige Uhr über dem blauen Eingangstor vier schlägt, schüttelt er die gelben Blätter, die der Baum in sein Beschwerdebuch geweht hat, heraus und verlässt das Gefängnis. Einmal marschierten zwei Häftlinge voller Zuversicht zu ihm, während die Wächter gespannt zusahen. Der Keckere der beiden sagte, dass der wöchentliche Fleischcurry viel zu wässrig wäre und wie Viehfutter schmeckte. Aber der Menschenrechtsbeauftragte schüttelte heftig mit dem Kopf und verwarf die Beschwerde als etwas, was man nicht als Menschenrechtsproblem behandeln könnte. Die so Abgewiesenen gingen mit einem schiefen Lächeln wieder zurück, während die Wächter echt ihren Spaß hatten.
Ich hätte zu gerne gewusst, ob der Beamte in Zivil jedes Mal, wenn er einen aus unserem Stadtviertel vor sich hatte, die gleiche Frage stellte: »Bag?«. Alle Schlag lang laufen mir Leute aus Vanity Bagh über den Weg und vermitteln mir heimatliche Gefühle. Und das erste, was ich dann mache, ist schnüffeln. Ich schnüffle so heftig, dass die meinen, ich hätte einen Schnupfen oder würde vom Heimweh überwältigt und würde mich lediglich bemühen, meine Nase am Laufen zu hindern. In Wirklichkeit aber versuche ich, wie ein Hund zu sein und den Geruch unseres Stadtviertels aufzunehmen, den Geruch seiner Straßen und Hinterhöfe, seiner Imbissstände und Blumenläden, seiner Arglist und seiner Unschuld und seiner unzähligen Abwasserrinnen und seines Rosenölladens neben Suleimans homöopathischer Krankenstation. Aber alles Schnüffeln hilft nicht, denn wenn man einmal in der Gefängniskluft steckt, riecht einer wie der andere. Jeder riecht dann nach Verzweiflung und manchmal auch nach Bleichmittel.
Letzten Sommer kam ein kleiner stämmiger Mann mit ruhelosem Blick und nervösen Fingern aus Block D zu mir. Er behauptete, dass wir in der Welt draußen Nachbarn gewesen wären und seine Familie direkt über dem Bata-Laden gewohnt hätte. Ich konnte mich aber nicht daran erinnern, ihn je in der Nähe von Bata oder sonst wo in Vanity Bagh gesehen zu haben. Er wollte von mir Tipps haben, wie er die drei Monate, die man ihm aufgebrummt hatte, überleben könnte. Er war ein typischer Untersuchungshaft-Kunde, das heißt mit unbedeutendem Vergehen und kurzer Haftzeit. Man hatte ihn wegen einer kleineren Gaunerei angeklagt, wie sie auch die meisten Schüler während ihrer Schulzeit mal praktizieren, nur hatte es der arme Teufel bei einer großen Firma versucht, deren Namen zur Hälfte Englisch war und die ein eigenes Logo und ein eingetragenes Warenzeichen hatte. Weil das Untersuchungsgefängnis keine Aufnahmekapazität mehr hatte, war er hier bei uns gelandet. Ich habe ihm gesagt, dass es keine besonderen Tricks gäbe, um im Gefängnis zu überleben. Er solle einfach nur er selbst sein. Das wäre genug. Darauf er: Das wäre genau das, was sein Chef im Büro immer von allen gefordert habe. Selbst sein. Und das hätte er dann ja auch mit dem Geld der Firma gemacht. Wir hatten uns an eine Säule gelehnt und haben uns totgelacht, bis uns wieder einfiel, dass wir ja Häftlinge waren.
Ich habe ihn über Vanity Bagh ausgefragt, so wie man sich nach alten Freunden erkundigt, und er hat darüber erzählt, als wäre er vom Paulus zum Saulus geworden. Das Viertel würde ihn nicht mehr interessieren und - was noch schlimmer wäre - er würde, wenn er erst einmal seine drei Monate hier abgesessen hätte, mit seiner Familie in ein anderes Viertel ziehen. Ich fragte ihn, wie es um das Stadtviertel stünde. Er zuckte nur mit den Schultern. Ich fragte ihn nach den im...
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