Schweitzer Fachinformationen
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Jahre bevor ich mich hier in Umbrien niederließ, hatte dieses Wort in mir die Vorstellung einer fremdartigen, wilden, von Gegensätzen bestimmten Gegend heraufbeschworen. Obwohl ich das italienische Festland oft von Norden nach Süden und von Osten nach Westen bereist und dabei alle Arterien passiert hatte, die das Eisenbahnnetz mir vorschrieb, war ich nie bis zur Lunge vorgedrungen: den wilden Wäldern Umbriens. Ich hatte gehört, in Umbrien gäbe es Bären und Wölfe und Verstecke im Wald, wo Entführungsopfer von ihren sardischen Kidnappern gefangen gehalten würden. Es war angeblich eine arme, unfruchtbare Gegend und das Leben hart für die contadini. Sie schindeten sich für ihre Feudalherren, und die waren sämtlich Söhne von Kardinälen und Päpsten.
Meine Familie und ich suchten in Italien ein Haus. Wir hielten bereits seit drei Jahren nach einer passend baufälligen Villa Ausschau. Angesichts einer so schwierigen Aufgabe hatten wir keine Zeit für Sightseeing, und so blieb der ehemalige Kirchenstaat unbekanntes Terrain am Rande unserer halbherzigen Suche. Halbherzig deswegen, weil wir selten ein Haus, eine Villa, einen Turm oder einen Bauernhof besichtigten. Unsere Anstrengungen konzentrierten sich im wesentlichen auf Bars, wo wir herumsaßen und diskutierten, wonach wir suchten. Jeden Winter kehrte dieses Traumhaus mit uns in das schlechtbeheizte gemietete Heim zurück, in dem wir gerade wohnten, und half, die spärlichen Flammen des Feuers zu entfachen, um das wir kauerten.
Ich besaß eine Vorstellung von meinem Traumhaus, die ich seit meinen Schultagen wie ein Gepäckstück mit mir herumgetragen hatte. Sie war in Venezuela und auf dem Rückweg in der Karibik gewesen. Sie war mit mir nach Nordamerika und Kanada, im Süden bis nach Patagonien gereist. Ich trug sie in Europa von einer Grenze zur anderen. Ich wollte ein so riesiges Haus, daß ich von einem leeren Raum in den nächsten gehen konnte, ohne jemanden zu stören. Der Plan des Hauses war unbeständig wie die meisten jungen Lieben, Aussehen und Grundriß veränderten sich ständig. Die einzigen Konstanten meines Phantasiebildes bildeten eine säulenbestandene Loggia, ein steinerner Rundbogen, eine Terrakotta-Balustrade und eine Reihe Wache stehender Zypressen.
Ein weiteres Detail dieser wunderschönen Villa war, daß sie ungefähr zu meinem Bankkonto passen und daher für weniger zu haben sein müßte als eine schlichte Vierzimmerwohnung auf dem Land. Dafür unterhielt ich ein Sparschwein, das ich unablässig plünderte und wieder auffüllte. Aber die Jahre der Jagd nach dem grandiosen palazzo griffen schließlich meine Ersparnisse dermaßen an, daß dessen Baufälligkeit proportional zu den schwindenden Finanzen zunehmen mußte. Keine der Villen oder großen und kleinen Häuser, die eifrige Makler präsentierten, kamen auch nur entfernt in Betracht, es sei denn, wir hätten uns dem populären italienischen Zeitvertreib des Banküberfalls angeschlossen.
Einer der großen blauen Koffer, die mit mir von einer Station zur nächsten meinem Familienzirkus nachreisten und dabei Dellen und Aufkleber sammelten, war ausschließlich unbeantworteten Briefen und Papieren der unterschiedlichsten Art vorbehalten. Dazu gehörte eine Mappe mit Prospekten von Immobilien, die in Umbrien zum Verkauf standen. Keines der angebotenen Häuser schien je so passend (oder billig), daß wir es uns angesehen hätten, aber ich behielt die Angebote dennoch mit allem anderen Kram, den ich aufbewahrte und zum Ersatz für die Vertrautheit eines Zuhauses mitschleppte. Die interessanteste dieser Immobilien war ein Schloß aus dem zwölften Jahrhundert, in dem ein Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gelebt hatte. Mit der Zeit besaß ich ein Dossier über dieses Schloß. Ich hatte alles außer einem Foto. Drei Jahre vergingen, und es gab immer noch kein besseres Bild als eine verschwommene Fotokopie von etwas, das wie eine lange Reihe gemauerter Schweineställe mit einem Bogen in der Mitte aussah. Dies, erfuhr ich, sei die Rückseite; die Vorderseite sei viele Stockwerke hoch und biete einen atemberaubenden Anblick. Es gab (angeblich) ein römisches Amphitheater, eine großartige Eingangshalle, einen Innenhof, Stallungen mit Kreuzgewölbe und einen unterirdischen Tunnel – dies und einiges mehr praktisch umsonst. Eigentlich hatte das Schloß alles, um unsere Phantasie zu entzünden, außer einem Foto; aber irgendwie kamen wir nie dazu, hinzufahren, um es uns anzusehen.
Da wir kein Haus fanden, zogen mein Mann, Robbie Duff-Scott, und ich mit meiner halbwüchsigen Tochter, Kind Iseult genannt, und meinem kleinen Sohn Allie nach Venedig. Eine geräumige Villa war nicht mehr so dringend, daher wurde die Suche zeitweilig ausgesetzt. Meinen Traum von einem italienischen Garten lebte ich auf den acht Fenstersimsen unserer Wohnung aus, um die ich mich mit einigen kränklichen und inkontinenten Tauben stritt. Zum ersten Mal seit vier Jahren hatten wir ein eigenes Heim. Wir lebten beengt, aber glücklich. Robbie ist Maler großformatiger Gemälde und braucht viel Atelierraum. Und ich habe das Zeug zu einer Obdachlosen mit zahllosen Plastiktüten, denn ich neige zum Horten. Die Kinder nahmen, wie gute Venezianer, für ihre Bedürfnisse die übrige Stadt in Besitz, aber unsere Wohnung war mit Möbeln und Krimskrams so vollgestellt, daß wir uns kaum bewegen konnten. Dinge, die ein dutzendmal verpackt und transportiert worden waren, wurden schließlich ausgepackt und gesichtet, und so tauchte auch das Heilige Römische Bauwerk in Umbrien wieder auf.
Venedig erwies sich als idealer Ort, um unser schwindendes Familienvermögen durchzubringen. Wir requirierten einen Ecktisch im caffè Florian, wo wir dann ganze Nachmittage mit Blick über den Markusplatz saßen und beobachteten, wie Treibgut und haute couture Europas vorbeiflanierten. Als ich so viele unterschiedliche Gruppen bemüht sah, ihr Reisepensum zu absolvieren, mußte ich an mein Hab und Gut denken, das wie die Samen einer Pusteblume über Großbritannien und Italien verstreut war. Das Schlößchen in England aus meiner vorigen Ehe war verkauft, mein Teil der Inneneinrichtung verschwand in einem Schuppen in Norfolk langsam unter Vogelkot. Durch die gesprungenen und unbenutzten Kamine der Jagdhütte im äußersten Norden Schottlands (gekauft für einen Spottpreis und dann aufgegeben) ächzten noch immer Klagelieder. Ich liebte diese schottische Narretei, aber meine Familie mochte die Abgeschiedenheit nicht; und so lagerten wir angeknackste Eßservices, Manuskripte und Bücherkisten in den einsamen Zimmern und unter den Betten und in den Besenschränken von Freunden und Verwandten.
Meine Leidenschaft für das Sammeln von Nippes hatte bei den Aylsham-Sales ihre Erfüllung gefunden, einer Auktion in East Anglia mit reicher Beutemöglichkeit für Hortende. Jeden Montag stand ein solches Überangebot an Gegenständen so wenigen Bietenden gegenüber, daß ich Möbel und Kerschel für zahllose Zimmer erwarb. Bis ich ein palastartiges Haus haben würde, um alles unterzubringen, fühlte ich mich durch die Einrichtung dafür getröstet. Einer meiner engsten Freunde war ein ortsansässiger Spediteur, der die Lastwagenladungen mit dem Zeug nicht nur transportierte, sondern auch lagerte. Ein weiterer regelmäßiger Besucher dieser Auktionen war der Tenpenny Man, der jedes unverkaufte Stück für 10 Pence kaufte. Im Vergleich dazu bewegte ich mich in finanziellen Stratosphären, denn ich bot zwei Pfund für jedes Möbelstück, fünfzig Pence für alles andere.
Jedesmal wenn ich von England nach Italien fuhr, nahm ich in meinen Koffern einiges davon mit. Über die Jahre schaffte ich es, einige hundert Dinge unterschiedlichster Größe zu transportieren, wobei sich allerdings an Möbeln nur Stühle und Klapptische in Schrankkoffer quetschen ließen. So kam es, daß ich in Italien in der Provinz Genua, nur fünfzig Bus-Minuten von der Küste entfernt, ein Haus voll mit Gegenständen, Papieren und Strandutensilien hatte. Der Vermieter hatte das alles weggesperrt und requiriert und drohte, mich vor Gericht zu bringen. Für ihn war Streit das reine Lebenselixier, und wie eine Figur in Bleak House nahm er die Aufregung des Gerichtssaals als Medizin gegen das Leben. Vier Jahre später wartete ich immer noch darauf, daß er Vernunft annehmen und mir meine Sachen zurückgeben würde.
Weiter südlich, Richtung Toskana und näher an der Küste, lag »Raguggia« – eine schöne Ruine landeinwärts ohne nennenswerte sanitäre Anlagen und ohne jeden modernen Schnickschnack, aber mit einer wunderbaren Aussicht. Auch »Raguggia« war voller Bücher, Papiere, Leinzeug, Teppiche und viel gekonnt geklebtem Porzellan. Zu einer Zeit, als Robbie und ich keine andere Wohnung hatten, war es unser erstes italienisches Liebesnest gewesen, und wir hatten die schweren Kastanienholzmöbel des Vermieters, unsere eigenen Koffer und das Spielzeug der Kinder über einen steilen Ziegenpfad getragen, den einzigen Zugang.
Aufgrund verschiedener Umstände und sehr viel Trägheit schafften wir es nie, das Haus wieder leerzuräumen. Wir zogen nach Siena, und zwar vor allem, weil Allie und Iseult auf ihrem täglichen Schulweg den Schnee auf dem Ziegenpfad nicht bewältigen konnten. Wir wollten allerdings zum Sommer zurück sein. Aber Venedig kam dazwischen; und dann, ohne jede Vorwarnung, fanden wir San Orsola.
Unser erster Besuch in Umbrien war eine weitere Runde der Villenjagd. Er sollte nur bestätigen, daß die Heilige Römische Schloßruine als Sommerhaus für uns gänzlich ungeeignet war. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf und...
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