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Von einem bitterarmen Land entwickelte sich China in nur 30 Jahren nicht nur zum größten Kaviar-Produzenten der Welt, sondern auch zu einer Gesellschaft, in der sich mehr Menschen als in irgendeinem anderen Land leisten konnten, Kaviar zu konsumieren. 2019 überholte China die USA als Land mit den meisten reichen Menschen, 2020 brachte die Region Großchina, zu der auch Taiwan und Hongkong zählen, gemäß der Reichenliste des Shanghaier Hurun-Magazins dreimal so viele neue Milliardäre hervor wie der westliche Konkurrent. Chinas Parteikader agierten in diesen Jahren wie im Rausch. Das Gefühl von Überlegenheit wurde immer größer und war durch internationale Entwicklungen befeuert worden. So etwa von einem Ereignis auf der anderen Seite der Erdkugel: der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der den Amerikanern Glanz und Größe versprach, aber gleichzeitig eine Isolationspolitik ankündigte.
Unter dem Titel »Der Anti-Trump« begrüßten Zeitungen der westlichen Welt wie die Washington Post Chinas Präsidenten Xi Jinping, der wenige Tage vor Trumps Vereidigung im Januar 2017 nach Davos reiste. Ausgerechnet der Chef einer Kommunistischen Partei plädierte vor der Weltgemeinschaft für Globalisierung und freie Märkte. Xi, in blauem Anzug, weinroter Krawatte und ewig sanftem Lächeln, wirkte wie Gegengift zum Unheil, das der Weltwirtschaft aus Richtung USA drohte.
Mehr als Wunschdenken war das freilich nicht. Zu Hause schottete Peking die chinesischen Unternehmen gegen die ausländische Konkurrenz ab, Konzerne wurden zu Partnerschaften mit chinesischen Firmen gezwungen, die eine Mehrheitsbeteiligung hielten, zu Technologietransfer oder der Verpflichtung für weitere Investitionen. In Industrien wie der Medienbranche, der Landwirtschaft und dem Finanzsektor waren ausländische Investitionen limitiert oder vollständig verboten. Doch der Schock, den Trumps Politik bei westlichen Bossen auslöste, saß tief, sie ließen sich gerne täuschen.
»Der Osten steigt auf, der Westen steigt ab«, lautete das Mantra, das Parteichef Xi verkündete. Zehn Jahre zuvor hatten er und seine Mächtigen zugesehen, wie New Yorker Banker mit Kartons unter dem Arm aus der Investmentbank Lehman Brothers gelaufen waren. Für Peking war die internationale Finanzkrise aus mehreren Gründen Schock und Zäsur. Chinas Wirtschaftswunder war zu einem großen Teil durch die globale Konjunktur befeuert worden, nun taumelte sie in Richtung Abgrund. Die Partei hatte alles auf das westliche Wirtschaftsmodell gesetzt, das auf einmal wankte. Ein Kurswechsel musste her.
Anstatt sich weiter in Richtung einer freien Marktwirtschaft zu entwickeln, forcierte die Führungsriege einen anderen Weg: Die alten Instrumente des sozialistischen Staatskapitalismus wurden ausgepackt, auf Kosten von Kleinunternehmen, die bankrottgingen, sprangen Staatsunternehmen ein. China sollte sich wieder auf sich selbst verlassen, eigene Nachfrage und damit Wachstum schaffen.
Die KP warf die Gelddruckmaschinen an und setzte ein Investitionsprogramm auf, wie es das in der Weltwirtschaft noch nicht gegeben hatte: Umgerechnet 460 Milliarden Euro sollten ein beruhigendes Signal an Investoren und das Volk senden. Was mit dem Geld konkret passieren sollte, war hingegen überhaupt nicht klar. Lokalregierungen sollten innerhalb von zwei Wochen Ideen einreichen. Es gab keine Prüfung, wie sinnvoll die jeweiligen Pläne waren, was sie für die Umwelt bedeuten würden. Am Ende hatte Peking eine Liste mit einem Volumen, das mehr als sechs Mal so groß war wie das Konjunkturprogramm.
Es war ein Freifahrtschein für Lokalregierungen zum Schuldenmachen und Investieren, in Infrastruktur, Immobilien und Industrien, die schnell Wachstum generieren würden, so etwa U-Bahnen, Straßen, Flughäfen und Kraftwerke. In seinem Bauwahn verbrauchte China zwischen 2011 und 2013 mehr Beton als die USA im gesamten 20. Jahrhundert: 4,5 Milliarden Tonnen. Bereits 2014 klagten staatliche Experten über »ineffiziente Investments« in Geisterstädte, Stahlwerke und verlassene Straßen, die sich zwischen 2009 und 2013 auf 6,9 Billionen Dollar beliefen. Das ganze Ausmaß würde erst Jahre später deutlich werden.
Zunächst brachte die Politik Stabilität und wurde auch in Deutschland zum Rettungsanker für Exportfirmen. Die Begeisterung war grenzenlos. »Warum China Kapitalismus besser kann als die USA« erklärte das Time-Magazine. Die große Ironie der globalen Rezession sei, dass der Einparteienstaat unter Führung der KP einen besseren Job im Umgang mit der Krise mache als die demokratisch gewählte US-Regierung, schrieb Autor Tony Karon. Während sich die westlichen Demokratien »keuchend« voranschleppten, brumme Chinas Wirtschaft. Und das, nachdem sie gerade erst eine halbe Milliarde Menschen aus der Armut katapultiert hätte.
In diesem Jahr reiste Parteichef Xi Jinping durch die Welt, als würde sie ihm gehören. Beim G-20-Gipfel in Hamburg wirkte er nicht mehr wie einer von 20 mächtigen Staatsführern, sondern wie der G-1-Mann der Zukunft. »Mission Welteroberung« titelten meine Wirtschaftswochen-Kollegen in einem gemeinsamen Stück über den Staatschef. Überall tauchte Xi wie ein Heilsbringer auf, der das Rezept für ewiges Wachstum besaß. Er führte nicht nur Gespräche, sondern machte vor allem Versprechungen. Zwischen 2013 und 2020 bereiste er fast 70 Länder, mehr als jeder chinesische Staatsführer.
Auf dem Weg nach Hamburg hatte Xi sogar noch halt in Moskau gemacht, um den Amerikanern die Leviten zu lesen: Um den Konflikt mit Nordkorea zu entschärfen, müsse Pjöngjang seine Raketentests unterbinden - und Washington seine Militärmanöver mit Südkorea einstellen. Ausgerechnet die konservative Tageszeitung Die Welt räumte ihm vor seinem Staatsbesuch Platz für einen Gastbeitrag ein. Überschrift: »Für eine bessere Welt«. Darin betonte Xi, dass Deutschland und China bereits 70 Dialog- und Kooperations-Formate betrieben, von Luft- und Raumfahrt bis zum Internet. Aus der Einbahnstraße bei der Investitions-Zusammenarbeit sei eine Schnellstraße geworden, auf der Verkehr in beiden Richtungen fließe.
Allerdings bekam man den Eindruck, dass Xi seine Reisen eher nutzte, um die Europäer in ihrer Überforderung zu überrennen. Anstatt eine Euro-Krise oder Flüchtlingsströme zu bewältigen, konnte er sich auf den Ausbau seines globalen Einflusses konzentrieren. Während sich die Amerikaner unter Trump aus der Weltpolitik zurückzogen, baute China seinen Einfluss in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen systematisch aus, stockte dort das Budget auf und platzierte eigene Leute auf strategisch wichtigen Posten.
Regelmäßig traf Xi sich auch mit seiner 16-plus-1-Gruppe, einer Allianz mit osteuropäischen Staaten, die in aller Offenheit versuchte, die Europäische Union zu untergraben. Die Bemühungen trugen politische Früchte: Griechenland, wo Chinas Einflussversuche besonders erfolgreich waren, weigerte sich im Juni 2017, eine EU-Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen in China im UN-Menschenrechtsrat zu unterstützen. Der 2015 gegründeten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank, die unter anderem von China und Indien finanziert wird, gehörten inzwischen mehr als 50 Staaten an, darunter auch EU-Mitglieder wie Deutschland.
Während der Westen vor jedem Tweet des US-Präsidenten Trump zitterte, baute Peking seinen Einfluss offen aus, investierte in Häfen, Kraftwerke und Erdölpipelines quer durch Asien, Afrika bis nach Südamerika.
Nach Angaben des Berliner MERICS-Instituts hatten chinesische Firmen allein 2016 rund 35 Milliarden Euro in der EU investiert, 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Größtes Zielland war Deutschland mit elf Milliarden Euro, bei dem gerade das Kaufangebot für Roboterhersteller Kuka die deutsche Öffentlichkeit schockierte. Nachdem sich Chinas Unternehmen jahrelang still und heimlich in deutsche Firmen eingekauft hatten, ging plötzlich die Angst um. Drohte ein Ausverkauf der deutschen Hightechindustrie und damit ein Ende Deutschlands als Wirtschaftsstandort?
Erst im Mai 2017 hatte Xi hochrangige Vertreter aus mehr als 100 Staaten eingeladen, um die Eröffnung der »Seidenstraßen-Konferenz« zu feiern. Eine pompöse Inszenierung für ein Investitionsprogramm, das laut Xi nicht weniger sein sollte als eine »Straße des Friedens und des Aufschwungs«. Waren dafür eine Milliarde Dollar veranschlagt oder doch eine Billion? »Eine Billion? Ist das kein Übersetzungsfehler?«, fragten mich Redaktionskollegen aus Düsseldorf. Doch Xi ging tatsächlich in die Vollen.
In Peking traf man im Angesicht solcher Dimensionen eher hilflose Europäer. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries wirkte noch kleiner als üblich in der riesigen Konferenzhalle, in der sie versuchte, ein Verständnis vom Umfang der chinesischen Pläne zu gewinnen. Am Ende...
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