Schweitzer Fachinformationen
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Als Jeff anruft, sind meine Hände mit einer dicken Fettschicht überzogen. Trotz aller Bemühungen ist die Buttercreme zwischen meine Finger gekrochen, hat sich bis zu den Fingerknöcheln hochgeschoben und klebt da jetzt zäh wie Leim. Nur ein kleiner Finger ist verschont geblieben; mit ihm aktiviere ich die Lautsprechfunktion des Telefons.
»Privatdetektei Carpenter und Richards«, sage ich mit dem rauchigen Timbre einer Film-noir-Sekretärin. »Womit kann ich dienen?«
Jeff spielt mit. In rauem Ton, irgendwo zwischen Robert Mitchum und Dana Andrews, knurrt er: »Holen Sie Miss Carpenter an den Apparat, aber pronto. Ich muss mit ihr reden.«
»Miss Carpenter ist mit einem dringenden Fall beschäftigt. Kann ich ihr etwas ausrichten?«
»Ja. Sagen Sie ihr, mein Flug von Chi-Town hat Verspätung.«
Sofort gebe ich das Spiel auf. »Oh Jeff, wirklich?«
»Tut mir leid, Süße. So ist das eben in der Windy City.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Ist noch alles drin - vielleicht zwei Stunden, vielleicht erst nächste Woche? Ich hoffe, es hat wenigstens den Vorteil, dass mir der Beginn des Großen Backwahns erspart bleibt.«
»Keine Chance, Freundchen.«
»Wie läuft's bisher?«
Ich betrachte meine Hände. »Wie geschmiert.«
Großer Backwahn ist Jeffs Bezeichnung für die anstrengende Saison von Anfang Oktober bis Ende Dezember, in der sich ein heillos überzuckerter Feiertag an den anderen reiht. Er spricht das Wort gern mit unheilschwangerer Stimme aus, wobei er die Hände hebt und die Finger krümmt wie Spinnenbeine.
Ironischerweise ist eine Spinne daran schuld, dass meine eigenen Hände gerade mit extradunkler Schoko-Buttercreme überzogen sind. Ihr Leib hängt schwarzglänzend am Rand eines Cupcake, die schwarzen Beine ziehen sich über seine Oberfläche und Seiten. Sobald ich fertig bin, werden die Cupcakes appetitlich arrangiert, fotografiert und in der Halloween-Backideen-Rubrik meiner Website publiziert. Das diesjährige Motto lautet Die Rache des Süßen.
»Wie ist es am Flughafen?«, frage ich.
»Voll. Aber in der Bar werde ich's überleben.«
»Ruf mich an, wenn es sehr viel später wird. Ich erwarte dich heiß und fettig.«
»Leg dich ins Zuckerzeug«, sagt Jeff.
Nach dem Anruf wende ich mich wieder der Buttercremespinne und dem dunklen Cupcake darunter zu. Wenn alles nach Plan gelaufen ist, sollte die rote Kirschfüllung schon beim ersten Bissen herausquellen. Dieser Test kommt später. Im Moment geht es mir vor allem ums Äußere.
Cupcakes zu verzieren ist schwerer, als man glauben sollte. Vor allem, wenn Tausende von Lesern das Ergebnis im Internet sehen können. Da darf nichts verschmiert oder verwischt sein - in der hochauflösenden digitalen Welt sticht jeder Fehler überdeutlich heraus.
Jedes Detail zählt. Das ist eines der zehn Gebote auf meiner Website, gleich nach Der Messbecher ist dein bester Freund und Keine Angst vor Misserfolgen.
Ich vollende den ersten Cupcake und arbeite am zweiten, da klingelt das Telefon erneut. Diesmal habe ich nicht mal mehr einen sauberen kleinen Finger, deshalb muss ich es klingeln lassen. Das Telefon summt und summt und tanzt dabei über die Tischplatte. Schließlich verstummt es, um nach einer Sekunde ein vielsagendes Piep von sich zu geben.
Eine SMS.
Verwundert lege ich die Spritztülle beiseite, wische mir die Hände ab und schaue aufs Display. Die Nachricht ist von Coop.
Wir müssen reden. Live.
Meine Finger schweben wie erstarrt über dem Bildschirm. Coop braucht drei Stunden hierher nach Manhattan, aber diese Fahrt hat er schon oft bereitwillig in Kauf genommen. Wenn es wichtig war.
Wann?, schreibe ich zurück.
Seine Antwort kommt nur Sekunden später. Jetzt. Üblicher Ort.
In meinem Kreuz entsteht ein kleiner Druck. Er ist schon da. Das kann nur eines bedeuten: Irgendwas stimmt nicht.
Hastig treffe ich die üblichen Vorbereitungen für eine Verabredung mit Coop. Zähne putzen. Lipgloss auftragen. Eine Xanax einwerfen und mit einem Schluck Traubensaftschorle direkt aus der Flasche hinunterspülen.
Im Aufzug fällt mir auf, dass ich mich hätte umziehen sollen. Ich bin in Backmontur: schwarze Jeans, ein altes Hemd von Jeff, rote Ballerinas. Alles mehlbestäubt und voller verwaschener Flecken von Lebensmittelfarbe. Auf meinem Handrücken ist noch ein angetrockneter Glasurspritzer - blauschwarz, darunter scheint helle Haut durch. Er sieht aus wie ein blauer Fleck. Ich lecke ihn ab.
Draußen auf der Eighty-Second Street biege ich nach rechts in die Columbus Avenue ein, wo eine Menge Fußgänger unterwegs sind. Beim Anblick der vielen Menschen spannt sich alles in mir an. Ich stoppe und taste mit steifen Fingern in meiner Handtasche nach dem Pfefferspray, das ich dort immer aufbewahre. In der Masse ist man zwar geschützt, aber irgendwie auch schutzlos. Erst nachdem ich das Spray gefunden habe, gehe ich weiter, mein Gesicht zu einer finsteren Lass-mich-bloß-in-Ruhe-Grimasse verzogen.
Obwohl die Sonne scheint, liegt ein Hauch von Frost in der Luft. Typisch für Anfang Oktober in New York, wenn das Wetter wie nach Lust und Laune zwischen heiß und kalt wechselt. Aber der Herbst naht mit großen Schritten. Die Blätter im Theodore-Roosevelt-Park leuchten bereits im Übergang von Grün zu Gold.
Durch die Baumkronen schimmert die Rückseite des American Museum of Natural History, das zu dieser Tageszeit von Schulkindern überlaufen ist. Ihre Stimmen schwirren wie Vögel durch die Zweige. Als eines von ihnen aufkreischt, verstummen die anderen für eine Sekunde. Ich erstarre, nicht wegen des Kreischens, sondern wegen der darauffolgenden Stille. Dann nehmen die Kinder ihr Geschrei wieder auf. Ich entspanne mich und gehe weiter zu dem Café zwei Blocks südlich des Museums.
Unser üblicher Treffpunkt.
Coop erwartet mich an einem Tisch am Fenster. Er sieht aus wie immer. Das scharf geschnittene, zerfurchte Gesicht, das im entspannten Zustand nachdenklich wirkt, so wie jetzt. Die große, kräftige Statur. Große Hände, an der einen ein rubinroter Absolventenring anstelle eines Eherings. Nur seine kurz geschorenen Haare deuten auf Veränderung hin; sie sind bei jedem Treffen ein bisschen grauer als zuvor.
Seine Anwesenheit entgeht keinem der anderen Gäste im Café, alles Kindermädchen und koffeinierte Hipster. Ein Polizist in Uniform sorgt immer für Verunsicherung. Wobei Coop auch ohne Dienstkleidung eine beeindruckende Figur abgäbe, groß und muskulös, wie er ist. Das gestärkte blaue Hemd und die schwarze Hose mit den messerscharfen Bügelfalten unterstreichen seine imposante Erscheinung. Als ich eintrete, hebt er den Kopf. Ich bemerke die Erschöpfung in seinem Blick. Er muss gleich nach der Nachtschicht hierhergefahren sein.
Auf dem Tisch stehen schon zwei Tassen. Für mich Earl Grey mit Milch und extra Zucker. Für Coop Kaffee. Schwarz. Ungesüßt.
»Quincy.« Er nickt mir zu.
So läuft es immer ab. Coops Nicken ist seine Art, mir die Hand zu geben. Wir umarmen uns nie zur Begrüßung. Nicht seit jener Nacht, als ich ihn zum ersten Mal traf und verzweifelt in seinen Armen lag. Egal wie oft wir uns sehen, dieser Moment bleibt immer lebendig und läuft in Endlosschleife vor meinem inneren Auge ab, bis ich ihn mit Gewalt wegschiebe.
Sie sind tot, hatte ich mit erstickter Stimme gekeucht, während ich mich an ihm festklammerte, kaum fähig, die Worte aus meiner Kehle zu würgen. Sie sind alle tot. Und Er ist noch irgendwo da hinten.
Zehn Sekunden später hatte er mir das Leben gerettet.
»Das ist aber eine Überraschung«, sage ich und setze mich. In meiner Stimme ist ein Beben, das ich zu unterdrücken versuche. Warum auch immer Coop mich angerufen hat, wenn es schlechte Neuigkeiten sind, will ich ruhig sein, wenn ich sie höre.
Coop mustert mich besorgt, ein Blick, der mir wohlvertraut ist. »Du siehst gut aus. Aber du hast abgenommen.« Auch in seiner Stimme schwingt die Sorge um mich. Er denkt an die sechs Monate nach Pine Cottage, als mein Appetit mich so vollständig verlassen hatte, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert und zwangsernährt werden musste. Ich weiß noch, wie ich aufwachte und Coop neben dem Bett stand und den Plastikschlauch anstarrte, der in meinem Nasenloch verschwand.
Enttäusche mich nicht, Quincy, hatte er damals gesagt. Du hast diese Nacht nicht überlebt, um jetzt einfach so zu sterben.
»Keine Sorge«, sage ich. »Ich hab endlich begriffen, dass ich nicht alles essen muss, was ich backe.«
»Und wie läuft das? Diese Backgeschichte?«
»Gut. Super. Im letzten Vierteljahr hab ich fünftausend Follower und einen Anzeigenkunden dazugewonnen.«
»Großartig«, sagt Coop. »Freut mich, dass alles so gut klappt. Irgendwann musst du mir auch mal was backen.«
Wie das Nicken gehört auch dieser Satz zum Ritual.
»Was macht Jefferson?«, fragt er.
»Dem geht's auch gut. Er wurde gerade zum Hauptverteidiger in einem großen Fall bestellt.« Ich erwähne nicht, dass sein Mandant beschuldigt wird, bei einer misslungenen Razzia einen Drogenermittler getötet zu haben. Coop hat für Jeffs Job ohnehin nichts übrig. Besser, ich gieße nicht noch mehr Öl in dieses Feuer.
»Schön für ihn«, sagt er.
»Er ist seit zwei Tagen verreist, in Chicago, weil er da Aussagen von Familienangehörigen aufnehmen will. Er meint, die helfen meistens, um die Jury wohlwollender zu stimmen.«
Coop hört gar nicht richtig zu. »Mhm. Einen Antrag hat er dir also noch nicht gemacht?«
Ich schüttle den Kopf. Ich hatte...
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