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Zweites Kapitel
»Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landescollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaft) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl, als auch mit angrenzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten, einen Verkehr begünstigt, - eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zu Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden; wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann.«
So begründet Kant 1798 in der Vorrede zu seiner Anthropologie, weshalb er sich Menschen- und Weltkenntnis zutraut, ohne doch größere Reisen unternommen zu haben: Königsberg ist die Welt im Kleinen. Nicht alle Zeitgenossen haben so günstig über die Pregelstadt gedacht. Ihr prominentester Kritiker ist Friedrich der Große. »Müßiggang und Langeweile sind, wenn ich nicht irre, die Schutzgötter von Königsberg, denn die Leute, die man hier sieht, und die Luft, die man hier atmet, scheinen nichts anderes einzuflößen«, schreibt er als Kronprinz und weigert sich später beharrlich, seinen Fuß in die gescholtene Stadt zu setzen. Er konnte der Stadt auch nicht verzeihen, dass sie im Siebenjährigen Krieg die russische Besetzung (1758-1762) schon fast freudig ertrug. Man hatte der Zarin über Gebühr gehuldigt. Königsbergs Musensöhne überboten sich in der Anfertigung von Lobgedichten. Die Schulchöre sangen zum Geburtstag der Zarin. Im Hause des russischen Gouverneurs traf sich alles, was Rang und Namen hatte. Den russischen Offizieren folgten die schönen Kurtisanen aus St. Petersburg und bezauberten die Königsberger Bürgersöhne. Die Galanterie zog ein. Das nüchtern protestantische Königsberg lockert sich. Die Russen bringen den Punsch mit, den Hoffmann so sehr schätzen wird. Die Zahl der Prostituierten und der unehelichen Kinder steigt. Handel und Gewerbe stehen in Blüte, denn das beschwingtere Lebensgefühl schafft neue Bedürfnisse, und die Zollschranken nach Russland sind für eine Zeitlang verschwunden. In diesen Jahren wird Königsberg wirklich weltoffen. Friedrich der Große hätte sich davon überzeugen können, hätte er die Stadt noch einmal aufgesucht.
Doch diese Blütezeit hält nicht an. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts - es ist Hoffmanns Königsberger Zeit - beginnt ein langsamer Abstieg, wirtschaftlich und politisch.
Königsberg ist Residenz der preußischen Könige. Im Mittelpunkt liegt das große Schloss. Ein beträchtlicher Teil der Stadt gehört zur sogenannten »königlichen Freiheit«; dort gibt es Sonderrechte, Sonderabgaben, besondere Verwaltung. Weil die Hohenzollern nur als Könige in Preußen (also nicht in der Mark Brandenburg) gelten durften, hatte die erste Königskrönung 1701 auch in Königsberg stattfinden müssen. Doch zum Mittelpunkt der Dynastie war die Stadt nie ausersehen. Die Königsberger Königswürde war für die Hohenzollern ein Vehikel zur Expansion nach Deutschland hinein. Königsberg blieb ein Stützpunkt am Ostrand; in Berlin zog man sogar seine Verlässlichkeit in Zweifel. Die russische Okkupationszeit immerhin hatte bewiesen, dass es mit der dortigen Anhänglichkeit ans Königshaus nicht weit her war.
Königsberg wird, wie die anderen Städte auch, in die zentralistische Verwaltungshierarchie eingefügt und verliert dabei althergebrachte städtische Selbstverwaltungsrechte. Der Magistrat wird zum ausführenden Organ der königlichen Kriegs- und Domänenkammer. Der Oberbürgermeister ist nicht mehr Repräsentant der Bürgerschaft, sondern königlicher Beamter. Er darf sich (Stadt-)Präsident nennen, wie andere Leiter königlicher Behörden auch.
Besonders hemmend wirkt sich das zentralistische Regime auf das Wirtschaftsleben aus. Handel und Gewerbe können sich in dem merkantilistischen Gestrüpp von Zöllen, Einfuhrverboten, Staatsmonopolen und Verwaltungsvorschriften nicht entfalten. Allein zwischen 1775 und 1780 gehen in Königsberg dreiundvierzig große Handelshäuser bankrott, darunter das bedeutendste, das Haus Saturgus. Die Kaufmannschaft wehrt sich gegen die Bevormundungen und Einschränkungen, worüber man sich in Berlin natürlich ärgert. Friedrich der Große in einem Reskript: »Die Sachen wegen des Preußischen Commerce sind schon öfters vorgewesen und kömt gar nichts damit heraus, als daß die dortigen Kaufleute lieber fremde Tücher und Stoffe als unsere verkauffen wollen. Das gehet aber nicht an, also ist mit den Leuten nichts anzufangen.«
Die Kaufleute ziehen in diesen Auseinandersetzungen zwar ökonomisch den Kürzeren, sie wissen aber die Stadtbevölkerung hinter sich. Ihr Selbstbewusstsein und ihr Ansehen steigen. Zum Beispiel scheut sich Kant, aus Achtung vor den Kaufleuten, seinen Diener Johannes Kauffmann bei seinem Nachnamen zu rufen, um nicht einen Unwürdigen mit einem solchen Ehrentitel in Verbindung bringen zu müssen.
Hoffmann hat dem Ansehen der Kaufmannschaft später auch seine Reverenz erwiesen - im Artushof. Diese Erzählung spielt allerdings in Danzig, das Königsberg inzwischen den Rang als Handelsmetropole abgelaufen hat.
Trotz des wirtschaftlichen Niedergangs wächst die Stadt. Am Ende des 18. Jahrhunderts zählt man ungefähr 50.000 Einwohner. Doch auch die Zahl der Armen nimmt zu. Die Bettelvögte sorgen dafür, dass sich das Elend versteckt hält. Betteln ist verboten. Die Allerärmsten werden aus der Stadt getrieben oder kommen ins Arbeitshaus. Das verrät den Geist der neuen Zeit, in die Hoffmann hineinwächst: Man will mit der alten »Unordnung« aufräumen. Es ist eine Zeit des Umbruchs.
Das Stadtbild verändert sich. Zwei fürchterliche Brandkatastrophen, 1764 und 1769, haben ganze Stadtteile in Schutt und Asche gelegt. Zuerst den Löbenicht, dann die Vorstadt. Der Neuaufbau ist zugleich eine städtebauliche Flurbereinigung. Das Verwinkelte, Ineinander-Geschachtelte des alten Stadtbildes verschwindet. Jetzt wird übersichtlich, gradlinig, schmucklos gebaut. Dem Nutzen, doch nicht dem Schönheitsempfinden wird Genüge getan. Das bemängeln schon die Zeitgenossen. Da man gerade beim Neuaufbau ist, wird auch manche alte, noch erhaltenswerte Bausubstanz zerstört. Die Zeit hat noch kein Verständnis für die Erhaltung alter Bauwerke. Abgerissen werden 1782 das Honigtor und das altstädtische Schmiedetor, 1790 das Holztor und die meisten Türme der Stadtmauer. Verschont wurden alte Gebäude nur dann, wenn der Stadtbaumeister errechnete, dass die Kosten des Abbruchs höher sein würden als der Gewinn, der aus dem Verkauf der Steine zu erzielen ist. Um künftig gegen Brände besser geschützt zu sein, verbietet eine baupolizeiliche Verordnung von 1782 die Verwendung von Fachwerk innerhalb der Stadt. Natürlich dauert es noch lange, bis die Fachwerkhäuser ganz aus dem Straßenbild verschwinden, aber das Todesurteil über sie war damit doch schon gesprochen.
1783 wird auf Antrag Immanuel Kants der erste Blitzableiter installiert. Es ist die Haberberger Kirche, die unter diesen technischen Schutz gestellt wird. Am Pregelufer entstehen neue Getreide- und Salzspeicher, nicht mehr aus Holz, sondern aus massivem Stein. Überall wird gebaut in dieser Zeit des Umbruchs. Doch man kommt nicht so schnell voran, wie man es wünscht. Noch 1792 gibt es 160 wüste Baustellen.
Alles will man »verbessern« - ganz im Geiste jenes aufklärerischen Regimes, das Hoffmann im Klein Zaches karikierte. Gegen den Brand, gegen die Überschwemmungen des Pregel will man bessere Vorkehrungen treffen. Wasser- und brandpolizeiliche Verordnungen füllen Foliobände. Man will Handel und Gewerbe verbessern und setzt dafür eine Kommission ein, die Vorschläge erarbeiten soll. Als diese dann die Abschaffung merkantilistischer...
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