Schweitzer Fachinformationen
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Von Grafenau zog Arnulf querfeldein ohne einen Zielpunkt. Einfach geradeaus. Irgendwo dort gab es Wölfe und er wollte sie fotografieren. Eine Schnapsidee. Er war kein Förster oder Jäger, sondern ein verschrobener Besserwisser und nicht gerade der Menschenfreund schlechthin und er liebte die absolute Ruhe, diese nur selten vorkommende Abgeschiedenheit, die es im tiefsten Wald gab. Je undurchdringlicher und dunkler, desto besser fühlte er sich. Niemand redete auf ihn ein und nervte ihn. Das hieß natürlich nicht, dass er komplett verschlossen war. Bei weitem nicht. Er war durchaus kommunikativ, aber das spannende Drauflos ohne Orientierung übte einen schwer zu beschreibenden Reiz auf ihn aus. Immer auf der Suche nach unbekannten und wunderschönen Plätzen mitten in der Natur, die natürlich nirgends mehr wirklich unberührt auf ihn wartete. Oft stieß er auf herumliegenden Müll. Auch war nie eine Ortschaft oder eine Straße oder ein Wanderweg weiter als wenige Kilometer entfernt. Das größte Tier , das er bis dato ablichtete, war ein Hirsch. Ein Bär wäre ihm lieber gewesen.
Aber den fand er bisher noch nicht und das war wohl auch besser für seine Gesundheit. Mit Machete und Kampfmesser fühlte er sich unbesiegbar.
Tagelanges Herumirren ohne Zivilisation wie in den großen Ländern der Erde gab es in Bayern ohnehin nicht und gefährlich wie in den Rocky Mountains war es daher kaum. Etwas sehr viel Seltsameres als eines dieser wilden Tiere wartete auf die Entdeckung durch ihn, die schon so manche Menschen vor ihm gemacht hatten. An jenem Tag, genau sein 11. Ausflug in die leidlich unbekannte Wildnis, zog eine dichte Wolkendecke auf und verdeckte Mond und Sonne, an denen er sich gewöhnlich spielend leicht orientieren konnte. Ein paar Wölfe huschten dann tatsächlich irgendwo durch das dichte Grün. Mit der Kamera war er nicht schnell genug. Lautlos hockte er da und drosselte seinen Atem. Absolute Stille breitete sich aus.
Als er sich wieder erhob, war er unschlüssig über die Richtung, in die er gehen sollte. Arnulfs Enthusiasmus verflog, als er weiterwanderte. Schon 5 Uhr nachmittags, stellte er mit dem obligatorischen Blick auf die Armbanduhr fest. Na klar, eine Stunde schnurstracks geradeaus und er landete wieder irgendwo an einer Straße oder einem Acker. Deutschland war überall dicht genug besiedelt, um Gefühle von Einsamkeit im Keim zu ersticken. Und er lief weiter, ließ Geäst knacken und immer wieder mussten seine Hände Zweige teilen und manchmal schlug er das Dickicht mit der Dschungelmachete entzwei. Hier ein Fuchs und dort ein Reh. Und dann blieb er stehen und sah etwas Unwirkliches inmitten des Grüns. Hektisch fingerte er das Opernglas hervor und konnte kaum glauben, was er sah. Ein paar Buden, eine Mischung aus Fachwerkhäusern und Holzbaracken, lagen in der Senke vor ihm. Es gab Gärten, verwachsene Wege und freie Plätze.
Ein Dorf mitten im dichten bayerischen Urwald. Ausgerechnet hier? Arnulf erinnerte sich an Gerüchte über vergessene Dörfer und Bauern, die sehr zurückgezogen lebten. Ihm fiel der kerzengerade Hauptweg auf, der sich konstant durch die Mitte bahnte und dessen Ende bergauf wegen des dichten Bewuchses verborgen war. Wie ein Späher beobachtete er aus einer Entfernung von höchstens fünfzig Metern die gesamte Fläche dieser eigenartigen Siedlung, wenn die Sicht nicht durch das Blattwerk überall wild herumgewachsener Bäume verdeckt war. Immer wieder schloss er die Augen und strengte sich erneut an, denn es sollte ihm nichts entgehen. Ein großer fetter Mann und eine kleine nicht minder füllige Frau mittleren Alters überquerten den Hauptweg und verschwanden dann irgendwo zwischen den kleinen Gebäuden. Dann legte er los und stapfte vorwärts.
Kurz vor Erreichen dieses eigenwilligen Stadtgebietes wurde er süßlichen Duftes gewahr. Schon wieder blieb er stehen und bewegte sich nicht. Eine reflexhafte Drehung um die eigene Achse half nicht dabei, einen Grund für dieses Aroma auf diesem Fleck festzustellen. Er atmete den Duft ein. Da war etwas von Erdbeeren, Kirschen, Lavendel, gemischt zu einem Parfüm, wie es Damen auftrugen und Männer liebten, wenn es sich nicht zu extrem ausbreitete. Arnulf gewöhnte sich rasch an dieses Odeur und inhalierte es bald ein und genoss es. Dazu wurde er hungrig. Er wusste sofort, dass diese Luft ihn zum Essen animierte, ja vielleicht war es die Absicht dahinter.
Wie eine große Schrebergartensiedlung mutete das Dörfchen an. Nichts erinnerte an die Welt außerhalb des Waldes. Fast spürte er ein vorherrschendes Mittelalter. Aber der Schein trügte, denn die Gartengeräte, die er an der Wand der vordersten Hütte angelehnt vorfand, waren zwar nicht gerade elektrisch, dennoch gut gepflegt und stammten aus professioneller Fertigung und nicht aus einer alten Schmiede.
Dann holte er Luft und musste einen kleinen Schreck verarbeiten.
Unbeweglich stand ein grinsender Kerl von 1,80 direkt neben der Werkzeugsammlung und betrachtete den Neuankömmling.
"Hallo mein Freund", begrüßte ihn der vollbärtige Mann in seinem schlichten braunen Handwerkeranzug.
"Auch hallo", grüßte der Waldwanderer zurück und fand den geräumigen Bierbauch, wenn er denn von gebrauter Brühe stammte, unappetitlich.
"Schön, dass mal wieder jemand den Weg zu uns findet."
"Ja, sehr schön. Was ist das hier? Eine Aussteigersiedlung? Sind sie sowas wie die Amischen?" fragte er und löste seine Augen endlich von dem hervorstechenden Wanst. Das Starren auf die Wampe war unhöflich, aber Arnulf hielt grundsätzlich nicht viel von guten Manieren, wenn ihm etwas suspekt war. Und das war es und nichts war eigenartiger, als dieses Dorf mitten im bajuwarischen Urwald.
"Amisch? Nie gehört. Aber seien sie willkommen. Ich freue mich, nein, wir alle hier freuen uns sehr, wenn uns jemand von draußen besucht. Wir sind keine Absteiger."
"Aussteiger! Ich sagte Aussteiger."
Arnulfs barscher Ton erzeugte keine mimische Reaktion des wohlgenährten Herrn.
"Wie auch immer, mein Freund. Wir leben hier schon sehr lange und, ja, wir sind etwas abseits. Vor ein paar hundert Jahren sind unsere Vorfahren aus ihrem Dorf geflohen. 1846 war es, als sie sich hier niedergelassen haben. Sie wollten nicht mehr für einen Hungerlohn arbeiten und haben sich hier etwas aufgebaut. Dass jemand herkommt, ist wirklich selten. Wir sind sehr gastfreundlich, kommen sie."
"Haben sie hier überhaupt nichts Modernes? Leben sie wie im Mittelalter, ohne Strom und...?"
"Nein, das nicht. Wir haben einige neue Dinge. Kommen sie!
Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Rüdiger, der Bürgermeister unseres kleinen Paradieses."
"Arnulf Gräfe", stellte sich auch der Besucher vor, der immer noch ein misstrauisches Gesicht machte und schüttelte dem Besitzer des Häuschens, in das er nun gebeten wurde, die Tatze.
Eine gemütliche und gepflegte Bauernstube hieß ihn willkommen.
"Wir haben Radio und elektrisches Licht durch einen Generator, der den ganzen Ort versorgt. Was in der Welt vor sich geht, wissen wir hier ganz genau...mit Ausnahmen natürlich, und es zeigt uns, dass wir mit unserer Abgeschiedenheit richtig liegen. Manchmal holen wir uns ein paar Sachen aus dem Dorf, das ein paar Kilometer im Süden liegt."
"Sie haben extremes Übergewicht. Entschuldigung, ich möchte nicht unhöflich sein."
Rüdiger nahm die Bemerkung betreffend seiner Körpermasse seinem Gast nicht übel und überhaupt war er enorm gut gelaunt und Arnulf konnte sich nicht erinnern, jemals einen freundlicheren Menschen getroffen zu haben.
In der Regel eckte der hünenhafte Recke bei den meisten Leuten an, denen er begegnete. Trotzdem schätzten viele auch seine Aufrichtigkeit, die Direktheit, denn Lügen gehörte eher selten zu seinem Smalltalkarsenal.
"Das Essen ist hier sehr gut. Man ist permanent hungrig. Den ganzen Tag könnte ich essen und niemals aufhören."
"Ja, merke ich. Seit ich hier bin, habe ich auch Hunger."
"Mein Freund, wir leben in einer Schatzkammer. Sie würden es nicht für möglich halten."
Eigentlich wollte ihm Arnulf zu verstehen geben, dass er nicht sein Freund war, denn er hielt nichts von derartigen Floskeln. Aber diesmal war er ausnahmsweise zurückhaltend.
"Meine Frau kocht unglaublich gut."
"Hier? Ohne Supermarkt?"
"Es gibt alles hier. Gemüse und Obst bauen wir an und halten Tiere, wir sammeln Pilze. Gestern haben wir noch Erdbeeren geerntet."
Es knarrte verdächtig und in die alte Holzstiege gegenüber der Eckbank kam Bewegung. Eine Frau um die vierzig quälte sich die Treppe herunter.
Nur mit Mühe schaffte sie es ohne Sturz nach unten und stöhnte während des Abstiegs. Arnulfs Augen wurden glasig. Er hatte wieder etwas zum Anstarren gefunden, wurde ja auch Zeit. Sie hatte einen langen blonden Zopf und ein zwar nicht mehr ganz junges aber nichtsdestotrotz sehr schönes Antlitz. Arnulf war verzaubert. Auch ihre Oberweite versetzte ihn in Staunen. Da...
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