Schweitzer Fachinformationen
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Für mich stand Marmeladekochen und die Herstellung von Babynahrung auf dem Programm. Die Ernte aus dem Garten war überreichlich, und im Kühlschrank standen fast keine der Portionsgläser mehr, in die ich immer die Babynahrung abfülle. Sam und ich sind uns einig, dass Conor so viel Bio und Selbstgekochtes essen sollte wie nur möglich, deshalb bauen wir das meiste Gemüse eigenhändig an, und ich dämpfe und püriere es, um es in Gläschen abzufüllen, die man einfrieren kann. So viel Arbeit ist das eigentlich gar nicht. Und ich denke, wenn es um unsere Kinder geht, kann man sich gar nicht genug Arbeit machen.
Als wir im vergangenen Jahr hierherkamen, war der Garten fünfzehn Jahre lang vernachlässigt worden und vollkommen überwuchert, auf dem Rasen stand meterhoch das Unkraut, die Bäume waren modrig. Wir fällten die kranken Fichten, gruben die Sträucher mit den knotig verwachsenen Wurzeln aus und jäteten den mit Vogelmiere und Ackerfuchsschwanz übersäten Rasen. Dann kauften wir uns ein paar Bücher über Gartenbau und pflanzten Reihen um Reihen die Setzlinge aus dem Gartencenter. Sam baute eigenhändig aus Backsteinen und Holzrahmen ein Gewächshaus für das Gemüse, um es vor dem strengen Frost zu schützen. Es gab eine Schneckenplage und Pilzbefall, manche Setzlinge wollten einfach nicht treiben, außerdem pflanzten wir einiges auch am falschen Ort oder zur falschen Jahreszeit an. Doch ganz allmählich fanden wir heraus, in welchem Rhythmus man pflanzen und ernten muss, wie lange es dauert, bis der Kohl wächst, und welches der optimale alkalische Gehalt des Bodens ist. Mittlerweile sind wir fast zu Experten geworden, oder zumindest ich. Ebenso wie die Küche ist auch der Garten mein Bereich.
Zu dieser Jahreszeit mangelt es an nichts. Ich bin jeden Morgen draußen und säe an, jäte Unkraut und ernte das Gemüse, das reif ist. In der Luft liegt der schwere Geruch nach Erde, ein Geruch, so gesund und gut. »Zurück zu unseren Ursprüngen«, sagt Sam. Er tut immer so, als würde er den Unterschied schmecken; dann nimmt er eine Gabel voller Salat und rät, ob es selbst angebauter oder gekaufter aus dem Supermarkt ist. Ich sage ihm normalerweise nicht, wenn er falsch liegt. Ich möchte nicht, dass er sich blöd vorkommt.
Wenn ich Babynahrung zubereite, dünste ich das Gemüse mit ein wenig Wasser. Ein Topf für die Karotten, einer für den Brokkoli, einer mit Zucchini. Ich etikettiere die Gläschen, als könnte das Baby schon lesen und würde sich sein Abendessen selbst aussuchen. Sam liebt es, die Kühlschranktür zu öffnen und all die Gläschen aufgereiht zu sehen, wie eine kleine Armee von Soldaten, die nur darauf warten, verfüttert zu werden.
»Wer war denn da heute wieder eine fleißige kleine Hausfrau?«, sagt er dann.
»Na ja, das war dann wohl ich«, erwidere ich und zwinkere ihm zu. Ganz sittsam und artig.
Natürlich bin ich eine fleißige kleine Hausfrau. Das ist die Rolle, für die ich geboren bin, sagt Sam. Er kriegt nicht genug von mir, wenn ich so bin: ganz die gute Ehefrau und Mutter. Vielleicht hat er ja recht, und ich bin dafür geboren. Jedenfalls mache ich meine Sache gut. Ein Naturtalent, könnte man sagen, wenn man nicht wüsste, wie viel Mühe es mich kostet, diesem Bild zu entsprechen.
Aber egal; es ist die Anstrengung wert, oder nicht? Was sonst hätte ich verlangen können? Und was brauche ich mehr? Die Liebe eines Ehemannes, ein Kind als Geschenk. Das ist genug - das ist alles.
Manchmal fühle ich mich in diesem neuen Leben, als wäre ich einer der Siedlerfrauen aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ich baue mein Gemüse an, backe Brot, gehe auf den Wochenmarkt und stelle mir meinen kleinen Karton mit den Sachen zusammen, die ich selbst nicht ziehen kann - Zucchini, Grünkohl, Sellerie. Sam staunt über das Angebot hier - wie frisch der norwegische Lachs ist, wie gut die echte Bauernbutter schmeckt, oder die Eier, fast noch warm von der Henne.
»Wie haben wir es in den Staaten bloß ausgehalten?«, sagt er.
»Kaum nachvollziehbar«, erwidere ich dann.
Das machen wir oft - unser vorheriges Leben und das heutige zu vergleichen; die neue Welt und die alte. Schweden gewinnt immer. Und wir sind uns fast immer einig. Schweden ist Sams Geschenk an mich, an uns. Es ist die Antwort auf alles, und es war die Heilung für alles, das uns vorher zu schaffen gemacht hat. Paradies, sagt er und wartet darauf, dass ich ihm zustimme.
Das tue ich immer. Wie könnte ich auch widersprechen.
Neben dem Marmeladekochen und der Zubereitung der Babynahrung waren an diesem Tag das Badezimmer und die Küche fällig. Ich stelle mein eigenes Scheuermittel aus Essig und Backpulver her - ein Rezept aus einem Blog, den Sam für mich entdeckt hat. Auf der Website gibt es unzählige Haushaltstipps: wie man zum Beispiel Duftkerzen herstellt oder hartnäckigen Schimmel aus den Fugen entfernt. Sam hat mich für den Newsletter angemeldet, damit ich keinen Tipp verpasse.
Sam ergreift gern die Initiative. Ich bewundere diese Eigenschaft an anderen Menschen - die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und sie in die Tat umzusetzen. Ich bin in diesen Dingen nie besonders gut gewesen. Oft frage ich mich, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich es wäre.
Ich lag auf den Knien im Badezimmer und fing mit der Wanne an. Ich schrubbte und wienerte die Armaturen, bis ich mich darin spiegeln konnte, verzerrt und kopfüber, dann holte ich unsere gemeinsamen Haarreste von einer Woche aus dem Abfluss, einen einzigen Klumpen. Als Nächstes nahm ich mir die Toilette vor, eine unangenehme Arbeit, mit dem Kopf in der Schüssel. Was würde meine Mutter sagen, wenn sie mich so sehen könnte? Ich schaute mich im Spiegel an. »Ungepflegt«, hätte meine Mutter gesagt. Oder, was wahrscheinlicher war, »grauenvoll«. Ungewaschen, ungeschminkt, die Haut fettig. Ein dünner Faden Schweiß, der mir über das Gesicht rann. Ich schnüffelte unter meinen Armen.
Dann lächelte ich meinem Spiegelbild zu, breit und strahlend. Öffnete die Arme, als wollte ich jemanden willkommen heißen.
»Schön, dass du hier bist«, sagte ich laut. »Willkommen in unserem Leben!«
Die Frau im Spiegel sah glücklich aus. Überzeugend glücklich.
Früher am Morgen hatte ich einen Anruf von Frank bekommen. Das Klingeln hatte das Baby geweckt.
»Ich komme nach Schweden«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Ich komme euch besuchen!«
Ich hatte es ihr im vergangenen Jahr immer wieder angeboten, am Ende jeder E-Mail und jedes Telefongesprächs. »Du musst uns besuchen kommen, es ist wunderbar; wir würden uns so freuen, wenn du kommen könntest.«
Und jetzt kommt sie wirklich. In ein paar Wochen ist sie hier.
»Deine beste Freundin«, sagte Sam, als ich es ihm erzählte. »Das sind wundervolle Nachrichten.«
»Ja, finde ich auch«, sagte ich und lächelte.
Erst wenige Tage zuvor hatte ich ihr gemailt. Wieder einmal eine Lobeshymne auf unser wundervolles Leben in Schweden, mit den Beweisfotos im Anhang. Das Bild eines frisch gebackenen Kuchens, ein lächelndes Baby, ein Ehemann ohne Hemd. Sie antwortete fast sofort und berichtete von ihrer Beförderung und einem funkelnagelneuen Penthouse in Battersea. Ihr Foto im Anhang zeigte sie selbst im Urlaub auf den Malediven. Frank in einem Bikini mit Ananasmuster, zart gebräunt und geölt, im Hintergrund die sanften Wellen des Indischen Ozeans. Frank mit einem Kokosnuss-Cocktail in der Hand.
Ich frage mich, was sie wohl von alldem hier halten wird. Wie sie mein Leben finden wird, wenn sie es wirklich sieht.
Ich wischte den Spiegel ab und öffnete die Fenster, damit der Essiggeruch verflog. In der Küche räumte ich die Spülmaschine aus und kehrte den Schmutz weg, der sich an der Wand gesammelt hatte. Dann reinigte ich den Ofen von Fett und kletterte die Leiter hoch, um die Oberseite des Kühlschranks abzuwischen. Manchmal mache ich mir einen Spaß daraus, vorher etwas in die Staubschicht zu schreiben. HILFE, habe ich heute Morgen geschrieben, ohne genau zu wissen, warum.
Der Kleine wachte auf und fing an zu weinen, als ich erst halb fertig mit dem eingelegten Gemüse war. Das Einlegen von Gemüse in Salzlake ist auch etwas, das ich erst kürzlich gelernt habe. Es lohnt sich. Ich ging ins Kinderzimmer und schaute in Conors Bettchen.
Er brüllte wie am Spieß, offenbar wütend darüber, dass ich ihn nicht sofort beachtet hatte. Schaumbläschen standen ihm um den Mund. Als er mich sah, runzelte er die Stirn und streckte die Ärmchen aus, wippte auf und ab, versuchte sich selbst aus dem Bettchen zu stemmen.
Ich beobachtete ihn und versuchte mit all meiner Kraft, dieses Gefühl heraufzubeschwören. Bitte, dachte ich, bitte.
Man nennt es Instinkt, etwas Selbstverständliches also, aber für mich ist es weit, weit weg. Irgendwo in mir drinnen begraben, unter zu vielen Schichten, vielleicht ist es auch gar nicht da.
Bitte, drängte ich mich weiter. Aber alles Betteln, alles Flehen nützte nichts, in mir war wie immer nur Leere. Kalt und hohl. Eine große innere Leere.
Ich konnte nur dastehen und ihn anschauen.
Die Schreie des Babys wurden dringlicher, das kleine Gesicht war verzerrt und rot vor Zorn, fast blau. Ich stand hilflos da, wie angewurzelt. Ich wandte mich ab, damit ich seinen flehenden Blick nicht länger sehen musste, sein Betteln um die Linderung seiner Wut. Er war unfähig zu begreifen, dass ich dazu nicht in der Lage war.
Ich schaute mich in seinem Zimmer um, das voller Bücher und Plüschtiere war. An der Wand hing eine Weltkarte, daneben schablonenhafte Zeichnungen von Säugetieren der Arktis. Der Eisbär. Der Elch. Der Fuchs. Der Wolf. Ich hatte die Zeichnungen selbst angefertigt, im letzten Schwangerschaftsmonat, einen...
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