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Als im Oktober 1485 sieben Frauen in Innsbruck der Prozess gemacht wurde, handelte es sich um den ersten Hexenprozess, der auf österreichischem Boden stattfinden sollte. Richter in diesem denkwürdigen Prozess war der berüchtigte Inquisitor und Dominikanermönch Heinrich Kramer, der heute als einer der ersten "Hexenjäger" gilt und der mit seinen grausamen Vorstellungen über den Umgang mit Weiblichkeit und Frausein in die Geschichte einging.?1 Kramer glaubte, dass "Hexen" Teufelsanbeterinnen wären, die nicht nur ihr Leben Satan widmeten, sondern deren Lebensinhalt auch darin bestünde, Menschen und Tiere zu töten und andere Leute zu verfluchen. Seiner Meinung nach hassten Hexen - also Frauen - in erster Linie Männer und verstanden es als ihre vorrangige Aufgabe, eben jene mit böser Absicht zu täuschen.?2 Die erste Angeklagte, die Kramer in Innsbruck zur Strecke bringen wollte, war Helena Scheuberin - eine junge Frau, die mit einem Kaufmann verheiratet war. Helena Scheuberin führte laut Überlieferung ein nahezu vorbildliches Leben. Es gab nur wenige Dinge, die ihr in dieser Hinsicht zum Verhängnis werden konnten. Doch vor ihrer Hochzeit hatte Helena scheinbar noch einen anderen Verehrer als ihren Ehemann gehabt. Angeblich soll es sich dabei um den Koch des Erzherzogs gehandelt haben. Nachdem Helena ihren Verehrer jedoch abwies, heiratete der enttäuschte Galan zwar daraufhin eine andere Frau, doch gemeinsam mit ihr bezichtigte er einige Jahre später Helena als eine der ersten Frauen in der Gemeinde der Hexerei. Ein Vorwurf, der für Heinrich Kramer wie gerufen kam.
Helena Scheuberin war ihm als Frau bereits vorher negativ aufgefallen. Schon bei seiner Ankunft in Innsbruck äußerte sich Helena negativ über Kramer, sie soll ihm sogar vor die Füße gespuckt haben. Helena hielt nichts von der "Hexenjagd", sie bezweifelte die fragwürdigen theologischen Begründungen dahinter und konnte somit der Ankunft des Inquisitors nichts abgewinnen. Als Kramer, gekränkt durch Helenas sofortige abweisende Reaktion, daraufhin begann, sich über sie zu erkundigen, fand er schnell einige Zeugen, die bereit waren, sie der "Hexerei" zu beschuldigen. Neben ihrem ehemaligen Verehrer gab es auch noch einen Ritter, der in der Vergangenheit angeblich mehr Nähe zu ihr gesucht hatte. Als Helena auch ihn abwies, war er nicht nur am Boden zerstört, sondern verstarb kurze Zeit später. Seine Familie machte schlussendlich Helena für seinen plötzlichen Tod verantwortlich.?3
Kramer warf Helena daraufhin vor, Dutzende Liebhaber gehabt zu haben, hinterhältig zu sein und Männer gezielt verflucht und verzaubert zu haben. Neben Helena fand Kramer auch noch andere Innsbruckerinnen, die er ähnlicher Vergehen beschuldigte. Alle Frauen hatten seinen offensichtlichen Vorstellungen in irgendeiner Form widersprochen und mussten nun einen hohen Preis dafür bezahlen. Schlussendlich konnte er mit Ende seiner Untersuchungen in Innsbruck 63 Beschuldigte ver-zeichnen, von denen er sieben offiziell anklagte. Einundsechzig Beschuldigte waren Frauen, nur zwei davon waren Männer. Angeklagt wurden letztendlich natürlich ausschließlich Frauen.?4 Als Helena am 29. Oktober 1485 tatsächlich der Prozess gemacht wurde, plädierte sie auf unschuldig. Trotz der unangenehmen und drängenden Fragen und der offensichtlich für sie herabwürdigenden Situation widersprach sie Kramer in seiner Befragung vehement und ließ sich nicht von ihm einschüchtern. Darüber hinaus hatte sie schon vorab eine weise Entscheidung getroffen, die ihr das Leben retten sollte: Helena hatte sich einen Anwalt organisiert. Sie wurde von einem Spezialisten für Kirchenrecht vertreten, der Heinrichs Anklage zerpflückte, ihm vorwarf, dem Gesetz zuwiderzuhandeln, und den anwesenden Bischof sogar aufforderte, statt Helena und ihre Mitangeklagten den Inquisitor in Gewahrsam zu nehmen. Kramer wurde schließlich im Laufe des Prozesses selbst des Amtsmissbrauchs bezichtigt.?5 Schlussendlich wurde der Prozess beendet, und alle Frauen wurden freigesprochen.?6
Warum der zuständige Bischof und der Erzherzog dann doch so schnell das Vertrauen in Heinrich Kramer verloren hatten, lässt sich aus heutiger Sicht wohl nicht mehr eindeutig sagen.?7 Es war in jedem Fall auch der Mut der Frauen - allen voran Helenas -, die unter Androhung von Folter und Hinrichtung nicht dazu bereit waren, ihre angeblichen Sünden zu bekennen, und sich wehrten, indem sie einen renommierten Anwalt engagierten, der sie vor Schlimmerem bewahrte. Heinrich Kramer konnte seine in Innsbruck erlittene Schmach jedoch nicht so einfach überwinden. Infolge dieses Prozesses ging er für einige Zeit nach Deutschland, wo er eines der ersten dämonologischen Lehrbücher, den berüchtigten "Hexenhammer", oder auch "Malleus Maleficarum" genannt, verfasste. Dieses unheilvolle Buch sollte später zum "Standardwerk" für "Hexenjäger" werden, in dem es Tipps gab, wie Frauen befragt und gefoltert werden sollen, um ihnen falsche Geständnisse zu entlocken.?8 All diese Grausamkeiten erfolgten nur, weil Frauen angeblich "in allen Kräften der Seele wie des Körpers mangelhaft" waren. Weiter sei "eine boshafte Frau sündhafter als der Mann, von Natur aus lügnerisch und wolle nicht geführt werden."?9
Der "Hexenhammer" wollte in seiner perfiden Argumentation den Beweis dafür liefern, dass Frauen und "Hexerei" zweifelsfrei miteinander verknüpft seien. Helenas Sieg führte dazu, dass Heinrich Kramer davon überzeugt war, dass ein fairer Gerichtsprozess bei "Hexerei" nicht angebracht sei, sondern dass man die verdächtigen Frauen sofort foltern müsse, um ihnen mögliche Geständnisse zu entlocken. Auch wenn Heinrich Kramer nicht der einzige Dämonologe war, so war sein Werk doch ein Grundstein und damit auch Vorbild für die Hexenverfolgung der kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte. Tausende andere Frauen wurden auf Basis dessen später der "Hexerei" bezichtigt und mussten nach oft qualvollen Torturen ihr Leben am Scheiterhaufen lassen.
Heinrich Kramer hörte mit seiner Jagd nicht auf, sondern klagte als Ermittler ab 1474 Hexen in Deutschland, Böhmen und Mähren an.?10 ?11 Auch wenn Helena Scheuberin sich und ihre Mitinhaftierten retten konnte, so stellt ihre Geschichte traurigerweise dennoch den Beginn einer Reihe von unfassbaren Grausamkeiten gegenüber Frauen in Europa dar.
In den folgenden Jahrhunderten sollte es zu Tausenden von "Hexenprozessen" und in ihrem Gefolge zu Hinrichtungen kommen - die alle im Grunde eine Ursache hatten: Im Zentrum standen meist Frauen, die von Menschen in ihrer Umgebung aus den verschiedensten Gründen denunziert wurden - die Vorwürfe reichten von "Wetterzauber" bis zur "Teufelsbuhlschaft", also Sex mit dem Satan. Letztendlich handelte es sich bei etwa 75 bis 90 Prozent der Menschen, die im Rahmen der Hexenverfolgung zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert zu Opfern wurden, um Frauen. Nur in sehr wenigen Fällen wurden Männer der "Hexerei" angeklagt. Dahinter stand die damals weit verbreitete Annahme, dass böse Magie etwas sei, was unbedingt mit Weiblichkeit in Verbindung stehe. Im überwiegend christlichen Europa hatte sich der Glaube verbreitet, dass bereits Eva durch ihren Verrat mit der Schlange dem Satan erlegen sei und Adam damit zur Sünde verführt hätte. Und genau das würden Frauen also seither mit allen Männern machen. Frauen seien daher in der Regel alle gefährlich und unberechenbar.?12 Heute geht man in ganz Europa von etwa 60.000 Opfern aus, die bei Hinrichtungen infolge dieses offen frauenfeindlichen Weltbildes ums Leben kamen.?13
Zweifelsohne handelt es sich dabei um einen dunklen Aspekt in der Geschichte Europas, der zeigt, wie meilenweit entfernt die frühneuzeitliche Gesellschaft von jeder Form der Frauenrechtsbewegung war. Dass eine Frau sich wie Helena Scheuberin in so einem Prozess überhaupt zur Wehr setzen konnte, war mit Sicherheit die Ausnahme und nicht die Regel. Frauen waren damals in vielen Fällen diversen Mythen und absurden Vorstellungen ihrem Geschlecht gegenüber hilflos ausgeliefert. Theologen wie Thomas von Aquin, aber auch der Reformator Martin Luther trugen dazu wesentlich bei. Überraschenderweise war es schließlich eine Frau, die dem schrecklichen Spuk - zumindest in Österreich - ein Ende bereitete. Kaiserin Maria Theresia beschloss ab 1740 schrittweise für ihre habsburgischen Länder ein Verbot der Hexenverfolgung.?14
Als die ersten Hexenprozesse begannen, sah die Welt noch völlig anders aus. Auch die Aufklärung, die uns dazu brachte, einige bis dato sakrosankte Annahmen zu hinterfragen, sollte erst einige hundert Jahre später ihren Lauf nehmen. Heute verstehen wir die Welt in weiten Teilen völlig anders - zumindest beanspruchen wir das in Europa sehr gerne für uns. Doch der moderne Feminismus, der eigentlich für sich definiert, die Stimme der Frauen zu sein, um nach wie vor gegen solche falschen Erzählungen und Märchen gegenüber Frauen aufzutreten, versagt seit einigen Jahrzehnten in einer Reihe von Fällen völlig. Das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe.
Zum einen liegt bei modernen Feministinnen eine glatte Themenverfehlung vor. Auf den Punkt bringt es unter anderem die deutsche Schriftstellerin und Journalistin Barbara Streidl, die schreibt: "Die Frauenbewegung setzt sich (längst) ein gegen Rassismen, für die Rechte von Transpersonen und und und - und...
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