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EINEN KOMPROMISS VON UNNÖTIGEM NACHGEBEN UNTERSCHEIDEN LERNEN
Ironischerweise sind die hartnäckigsten, unerschütterlichsten Überzeugungen auch die oberflächlichsten. Eine tiefe innere Überzeugung kann sich immer wandeln.
- LEO TOLSTOI
Im folgenden Kapitel befassen wir uns mit Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft und wie man beide voneinander unterscheidet. Bevor wir diese Begriffe definieren, möchte ich aber zunächst einen weiteren einführen: das Verhandlungsbudget.
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich ist? Viele würden jetzt antworten, das Budget ist das Geld, das man für die Verhandlungen ausgibt. In diesem Sinn könnte man es als Investition ansehen. Aber es lohnt sich, diesen Begriff einmal von einem etwas anderen Blickwinkel aus zu betrachten.
Das Verhandlungsbudget hängt natürlich vom Wert des auszuhandelnden Vertrags und anderen, damit zusammenhängenden Faktoren ab, aber vor allem auch von folgenden vier Faktoren:
Die folgende Gleichung für die Berechnung des Verhandlungsbudgets beruht auf Jim Camps Modell.
Schauen wir uns die vier Faktoren nacheinander an und bewerten dabei jeweils ihren Einfluss auf das Gesamtbudget der Verhandlungen.
Zeit
Jeder kennt den Spruch »Zeit ist Geld«, und er stimmt - Zeit ist wirklich Geld. Aber selbst im Alltag bewertet man seine Zeit oft nicht so hoch, wie man sollte, selbst wenn man sich an diesen Leitspruch erinnert.
Bedenken Sie: Ich vermute, etwa 80 Prozent unseres Arbeitslebens bringen wir mit Nebensächlichkeiten zu, die uns keinen spezifischen Nutzen im Hier und Jetzt bringen. Ungefähr 20 Prozent der Tätigkeiten führen zu einem spezifischen, konkreten Ergebnis. Und bei Verhandlungen verbringt oft 80 Prozent der Zeit am Verhandlungstisch mit der Besprechung von Nebensächlichkeiten, die nicht nur wenig mit dem Verhandlungsprozess selbst zu tun haben, sondern auch wenig - wenn überhaupt etwas - mit der Sache, um die es geht.
Erfahrene Verhandler wissen, wie man die Zeit zu seinem eigenen Vorteil einsetzt. In gewissen Situationen könnte ein Verhandlungsgegner zum Beispiel absichtlich seine Reaktionen verzögern. Das sehen Sie am deutlichsten zum Beispiel an solchen Sätzen: »Wissen Sie, das ist nicht sehr klar formuliert. Ich muss das mit meinen Kollegen besprechen. Wann kann ich Sie zurückrufen? Wie wäre es mit nächster Woche?«
Der Gegenüber spielt damit auf Zeit. Warum? Weil er genau weiß, was das für Ihr Verhandlungsbudget heißt. Aus seiner Perspektive muss er also, um Ihr Verhandlungsbudget unter Druck zu setzen, den Aufwand an diesem speziellen Faktor erhöhen. Das heißt, er verlängert den Zeitaufwand, den der Prozess benötigt.
Was ist diese Komponente wert? Eine Menge. Aber von den vier am Beginn des Kapitels herausgestellten Komponenten ist sie noch die am wenigsten gewichtige: In Jim Camps Gleichung hat sie den Wert 1.
Energie
Diese Komponente steht nach Wichtigkeit und Gewicht pro Einheit an dritter Stelle.
Es ist klar, dass man viel Mühe (Energie) in Verhandlungen investiert - das muss man niemandem beweisen. Aber wohin geht diese Energie? In die Vorbereitungen zu Verhandlungen, in den Verhandlungsprozess selbst, in die Anreise und anderes. In der Frage der Anreise sind wir uns sicher einig, dass solche Fahrten - und ihr Effekt - wichtig sind. Natürlich erfordern Verhandlungen immer Energie, aber es ist etwas ganz anderes, ob Sie derjenige sind, der anreist, insbesondere, wenn Sie in eine andere Stadt oder Region fahren müssen. Stellen Sie sich vor, Sie reisen aus Moskau zu Verhandlungen nach Wladiwostok - das sind 6500 Kilometer. Können Sie sich vorstellen, wie anstrengend Flug, Hotelaufenthalt, Fahrten in der Stadt selbst sind, während Sie zusätzlich Ihre Situation überdenken? Das ist alles eine Frage der Energie. Energie kann sogar während der Verhandlungen selbst entscheidend werden.
Hier ein Beispiel:
Ich flog einmal zu Verhandlungen nach Murmansk. Es war Winter, mitten in der Polarnacht. Ich will gar nicht erst erwähnen, wie ermüdend es für einen Moskauer ist, jenseits des Polarkreises aktiv zu bleiben, wenn es immer dunkel ist. Schon vor dem Abflug nach Murmansk hatten meine Kollegen und ich eine Menge Energie in die Vorbereitung dieser Konferenz gesteckt, die nur mühsam zustande gekommen war. Als ich dann endlich mit meinem Gegenüber zusammentraf, was bekam ich zu hören? »Entschuldigen Sie, aber wir sind momentan nicht in der Position, mit Ihnen zu verhandeln.«
An jenem Tag hat unser Verhandlungsbudget einen Rückschlag einstecken müssen. Beachten Sie auch, wie mein Gegenüber auf zwei Komponenten gleichzeitig einwirkte: Zeit und Energie.
Wir haben ja schon gesehen, dass der Faktor Zeit im Verhandlungsbudget mit 1 gewichtet wird. Energie dagegen wird mit 2 pro Einheit bewertet. Bei Verhandlungen ist Energie also wertvoller. Weil es eine Sache ist, Zeit damit zu verbringen, gemütlich im Büro zu sitzen, Bücher zu lesen, zu telefonieren, vorgeplante Meetings zu absolvieren oder auf einen Termin zu warten, und eine ganz andere, für ein einziges Gespräch eine weite Reise zu unternehmen.
Geld
Eins steht fest: Gewinn zu erwirtschaften ist das Ziel jedes kommerziellen Unternehmens. Und wenn man Geld in Verhandlungen steckt (besonders, wenn man dabei mehr ausgibt als geplant), erhöht man zwangsläufig das Budget jeder Aktivität.
Definieren wir zunächst den Begriff Geld im Verhandlungsprozess. Er fasst eine ganze Menge Ausgaben zusammen: die für Kommunikation (Telefonrechnungen, Reisespesen für die Fahrt zum Kunden), für Werbegeschenke, Informationsmaterial, Versand und Zustellung, ganz zu schweigen vom Arbeitslohn aller Beteiligten. Kurz, diese Komponente umfasst alle Ausgabenposten für den Verhandlungsprozess und währenddessen.
Mitunter kann diese finanzielle Komponente enorm in die Höhe schießen - wenn man zum Beispiel zwischen Moskau und Wladiwostok pendelt oder eine Art Kongress organisiert, um einen vorteilhaften Vorschlag möglichst vielen Interessenten zu unterbreiten - oder auch bloß, wenn mehrere Parteien, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten, zusammenkommen, um sich zu besprechen.
Wenn diese Kosten sehr hoch sind, kann es passieren, dass man nur noch daran denkt, wie viel Geld man gerade ausgibt, weshalb diese Komponente im Gesamtbudget sehr wichtig ist und mit 3 pro Einheit bewertet wird.
Schauen wir uns kurz an, warum diese Komponente höher als die aufgewandte Energie bewertet wird. Schließlich war die Energie im Beispiel der Geschäftsreise nach Murmansk ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Nehmen wir an, ich treffe mein Gegenüber in einem anderen Stadtviertel Moskaus. Die Ausgaben für die Fahrt durch die Stadt sind minimal, ich brauche nur Energie und Zeit. Wenn mein Termin aber auf der Halbinsel Kamtschatka stattfindet und ich von Moskau aus dorthin fliegen muss, kommen alle drei Komponenten ins Spiel: Zeit, Energie und Geld. Unsere Kosten werden bedeutend steigen, unser Verhandlungsbudget also auch. Genauso war es auch bei meinem Flug nach Murmansk, und das ist der Grund, warum Geld pro Einheit höher gewichtet wird: dreimal höher als der Zeitaufwand, doppelt so hoch wie der Energieaufwand.
Emotionen
Die vierte und letzte Komponente des Verhandlungsbudgets sind die Gefühle. Wie Sie jetzt bereits richtig vermuten, werden sie am höchsten bewertet. Warum?
Wenn während des Verhandlungsprozesses Emotionen hochkochen, denkt man nicht länger logisch; man ist nicht mehr imstande, die Kosten zu addieren, einen Nutzen zu bewerten oder Zusammenhänge herzustellen. Wie oft haben Sie bei Verhandlungen schon Bemerkungen wie »Aber ich kann jetzt nicht aufgeben - ich habe schon so viel Mühe investiert!« gehört? Wenn solche Sätze fallen, haben die betreffenden Verhandlungen wahrscheinlich ihr Budget schon überschritten, und insbesondere die emotionale Komponente gerät außer Kontrolle. Kein Wunder also, dass diese emotionale Komponente des Verhandlungsbudgets mit dem höchsten Gewicht pro Einheit bewertet wird: 4.
Kehren wir noch einmal zu meiner Geschäftsreise nach Murmansk zurück. Welches Budget hatten diese Verhandlungen?
Zuerst einmal haben wir Zeit verbraucht, einmal natürlich für die Reise, aber auch für die Vorbereitung, für die Abstimmung untereinander, die Besprechung von...
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