Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Seit drei Jahren und elf Monaten war ich jetzt in der Firma angestellt.
Wenn es eine Sache gab, die ich während dieser Zeit - die man je nach Perspektive als ziemlich lang oder ziemlich kurz bezeichnen konnte - verfluchte, dann waren es die Tage, an denen ich mit meinem Teamleiter Außendienst zu leisten hatte. Der Außendienst war, wie das mit allem so ist, mal besser, mal schlechter. Und auch mein Teamleiter war nicht immer nervig. Aber immer wenn ich mit ihm im Außendienst war, konnte ich mich darauf verlassen, dass es ganz sicher zu irgendwelchen größeren oder kleineren Zwischenfällen kommen würde.
Als wir vor dem Firmengebäude ins Taxi stiegen, hatte ich nicht den Eindruck, dass wir uns besonders verspätet hätten. Im Gegenteil, wir waren eher einen Tick früher dran als gewöhnlich. Wir befanden uns auf dem Weg zum Hauptgeschäftssitz von J-Mart, einem unserer wichtigsten Kunden, und nach fünf Minuten im Taxi meinte Teamleiter Go, der zu meiner Rechten saß:
»Da-hae, wusstest du eigentlich, dass es gleich neben dem J-Mart-Gebäude ein neues Café gibt? Die sind auf Drip Coffee spezialisiert und haben in Gangnam einen sehr guten Ruf. Das ist die zweite Filiale, aber die soll noch besser sein als die erste. Ich hab gehört, dass die Leute da Schlange stehen, so gut ist der Kaffee.«
Und dann meinte er:
»Ich hab heute extra auf meinen Morgenkaffee verzichtet, damit ich gleich vor dem Meeting da noch kurz einen Kaffee trinken kann.«
Teamleiter Go, leidenschaftlicher Kaffeetrinker, kam jeden Morgen mit einem To-go-Becher ins Büro, immer von einem anderen Café, und trank, ehe er abends nach Hause ging, noch mindestens drei oder vier weitere. Dass er sich heute Morgen seinen ersten Kaffee verkniffen hatte, um ihn stattdessen im neu eröffneten Coffeeshop zu sich zu nehmen, musste für ihn ein außergewöhnlicher Entschluss gewesen sein. Mehr dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Höchstens noch, dass ich, wenn der Kaffee dort so gut war, bei der Gelegenheit vielleicht auch mal einen Schluck dort trinken könnte, wenngleich ich von Kaffee nicht viel Ahnung hatte.
Wir stiegen aus dem Taxi. Das Café, von dem er gesprochen hatte, war kleiner als gedacht und wahrscheinlich war dies auch ein Grund dafür, dass die Schlange der vor dem Laden wartenden Kunden so lang war, obwohl die morgendliche Rushhour längst vorbei war. Leicht schockiert warf ich einen Blick auf die Absperrbänder, die wie in einem Vergnügungspark vor dem Laden aufgestellt waren, und meinte:
»Ganz schön viele Leute .«
»Nicht wahr? Ganz schön viele Leute!«
Obwohl er meine Worte wiederholte, schien er doch etwas ganz anderes zu meinen.
»Mensch, der Kaffee hier muss wirklich ganz fantastisch schmecken - bei dem Andrang! Ich kann's kaum erwarten!«
Er stellte sich ganz ans Ende der Warteschlange. Bis zum Meeting waren es noch 30 Minuten. Zwar befand sich das Gebäude von J-Mart gleich nebenan, aber es sah so aus, als würde die Warteschlange vor uns sich nicht so schnell auflösen. Und selbst wenn wir irgendwann mit Ach und Krach bestellt hätten, die Zubereitung und Ausgabe des Kaffees würde weitere Zeit in Anspruch nehmen. Nachdem ich in der Hoffnung, er würde vielleicht von selbst drauf kommen, eine Weile stillgehalten hatte, öffnete ich schließlich den Mund:
»Wäre es nicht eventuell besser, nach dem Meeting noch mal herzukommen, um den Kaffee zu trinken? Ich habe irgendwie das Gefühl, wir könnten zu spät kommen .«
Er winkte ab.
»Keine Sorge. Das ist doch gleich nebenan. Wir kommen schon rechtzeitig.«
Und dann begann er aus heiterem Himmel zu bekritteln, wie denn jemand, der in einem Süßwarenunternehmen tätig war, derart geringes Interesse für solche Dinge aufbringen könne.
»Da-hae, hast du schon einmal etwas von Komplementärprodukten gehört?«
Ich dachte, ich höre nicht richtig. Meinte der im Ernst, ich wüsste nicht, was das ist? Aber ich sagte nichts. Er fuhr fort, indem er behauptete, die Süßwaren- und die Kaffeeindustrie seien im Grunde ein und dasselbe. Entwicklung, Verkauf, Qualitätskontrolle - der Erfolg beider Branchen beruhe auf denselben Prinzipien, und letztlich sei das, was er hier gerade betreibe, nichts anderes als eine Form von »Benchmarking« und »Marktforschung«. Selbst wenn ich ihm das zugestanden hätte, war jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt dafür? Ich sah auf mein Handy.
10:45 Uhr.
»Hören Sie, es ist Viertel vor. Müssen Sie den Kaffee unbedingt jetzt trinken?«
»Und ob! Wäre doch schade, wenn wir umsonst so lange gewartet hätten. Wir sind schließlich gleich an der Reihe.«
Sosehr ich auch überlegte, mir kam nur ein einziger Gedanke: Das hier war einfach voll daneben.
»Wir können doch nachher wiederkommen.«
Und dann fügte ich noch hinzu: »Wenn wir zu spät kommen, übernehmen Sie dann die Verantwortung?«
Teamleiter Go, der den Blick auf das über dem Tresen angebrachte Menü gerichtet und mir nur mit halbem Ohr zugehört hatte, drehte sich um und sah mich scharf an. Dann schob er den linken Ärmel seines Mantels nach oben, klopfte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine Armbanduhr und sagte:
»Da-hae, hör mal, für mich ist Kaffee eben sehr wichtig. Das weißt du doch, oder? Ich brauche jetzt einen Kaffee. Wir haben beinahe elf Uhr und ich habe noch immer kein Koffein zu mir genommen. Wenn ich jetzt keinen Kaffee bekomme und dann im Meeting bei meiner PowerPoint-Präsentation kein klares Wort hervorbringe, übernimmst du dann die Verantwortung?«
Der Teamleiter war von Dienst wegen in der Verantwortung. Dass er die Verantwortung zu übernehmen hatte, war, streng genommen, der einzige Grund dafür, dass er überhaupt existierte. Und trotzdem sagte er nie, er übernehme für dies oder jenes die Verantwortung. So auch jetzt. Er könne nicht richtig sprechen, wenn er keinen Kaffee getrunken habe? Meeting oder Kaffee, Kaffee oder Meeting - was war wichtiger?
10:47 Uhr. Wir bestellen den Kaffee. 10:51 Uhr. Wir nehmen zwei Becher Kaffee entgegen. 10:52 Uhr. Wir verlassen das Café. 10:53 Uhr. Der Teamleiter ruft: »Los jetzt!« 10:54 Uhr. Plötzlich öffnet sich der Deckel des Pappbechers, den ich in der Hand halte, der heiße Caffè Latte schwappt heraus und ergießt sich über den Ärmel meines cremefarbenen Wollmantels, über die Vorderseite meines beigen Wollpullovers, über die Spitze meiner Wildlederstiefel und über meine gesamte Notebooktasche. Das alles geschieht in Sekundenbruchteilen, mir bleibt nicht einmal Zeit, erschrocken aufzuschreien. 10:55 Uhr. Herr Go greift in seine Jackentasche, holt ein schmuddeliges Taschentuch hervor und beginnt, wie verrückt auf meiner Notebooktasche herumzuwischen. »Das geht schon mit Ihrem Notebook, oder? Tss, tss, dass Ihnen ausgerechnet jetzt auch noch so was passieren muss!« Mir fehlen die Worte, um angemessen darauf zu reagieren. 10:56 Uhr. Am Infodesk des Hauptgeschäftssitzes von J-Mart zeigen wir unsere Personalausweise vor und bekommen Besucherausweise. 10:59 Uhr. Der Fahrstuhl erreicht die 14. Etage. Mir brennt der Hals, ich hätte gern irgendetwas getrunken, aber in meinem Pappbecher ist kein einziger Schluck Kaffee mehr. 11:00 Uhr. Teamleiter Go stößt die Tür zum Konferenzraum auf und brüllt noch im Hineingehen: »Wunderschönen guten Tag! Ich bin Go Dae-yeong, Leiter des Teams >Snackartikel< von Maron Süßwaren!« Wie ein Schlagersänger bei einer großen Gala, der, noch während er dabei ist, die Bühne zu betreten, das Publikum begrüßt.
So betreten wir also den Saal: eine Angestellte, die nach Kondensmilch riecht und mitten auf dem weißen Pullover einen riesigen brauen Fleck zur Schau stellt, und ein Teamleiter, der sich mit großem Getue vorstellt, kaum dass er überhaupt im Raum ist. Glücklicherweise ist unser Managementteam bereits eingetroffen, sonst wäre das Ganze noch wesentlich peinlicher gewesen. Die Präsentation, bei der es um Vorschläge für Ladenauslagen und Verkaufsevents zum bevorstehenden Valentinstag ging, verlief dann ohne Probleme. Vielleicht war das, was mein Teamleiter gesagt hatte, ja wirklich nicht vollkommen verkehrt und er lieferte tatsächlich bessere Präsentationen ab, wenn er vorher einen ordentlichen Kaffee getrunken hatte - versuchte ich mir einzureden. Er war es auch, der im Taxi auf dem Weg zurück als Erster etwas sagte.
»Also, der Kaffee vorhin .« - er schmatzte einmal genüsslich mit den Lippen - »Der war schon echt gut, was? Davon habe ich richtig gute Laune bekommen.«
Ich war sprachlos. Drei Jahre und elf Monate zuvor hätte ich einfach »Jaja« gesagt und die Sache auf sich beruhen lassen. Aber nach drei Jahren und elf Monaten voller »Jajas« war mir schließlich klar geworden, dass man auf diese Weise Gefahr läuft, unter Hochdruck zu geraten wie ein mit Dampf gefüllter, luftdichter Behälter, und dass man ein Loch braucht, durch das man Druck ablassen kann. Besonders groß brauchte dieses Loch gar nicht zu sein. Ein kleiner, feiner Spalt würde schon genügen, um das brodelnde Etwas, das zu heiß war, als dass man es mit der Hand hätte berühren können, entweichen lassen zu können....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.