Schweitzer Fachinformationen
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Ich denke an die Eintagsfliegen, daran, wie sie auf- und abstiegen und jede im Licht der Abendsonne deutlich zu sehen war, jede einzeln auf ihrer Bahn, einen Meter hoch und wieder einen Meter runter. Hoch und runter, das Licht fiel in den Streifen zwischen Ufer und Stall, in der Sauna knisterte das Feuer, die Finger rochen nach Rauch, und durchs Gras führte ein Ameisenpfad, der Höhepunkt des Sommers, auch des Lebens, aber das wusste ich da noch nicht. Seid dankbar für das, was ihr kriegt, sagt man, aber das kann ich nicht, denn ich kann nie mehr in die abendliche Stunde zurück, in der du neben mir auf der Treppe vor dem Haus saßt, ich deine leichten Atemzüge hörte und schon selbstsicher genug war, um dich anzusehen. Nie wieder werde ich deine Beine und deine gebräunten Zehen neben meinen fühlen, deinen nackten Arm dicht an meinem, dich ansehen und ein Lächeln zur Antwort kriegen, das sagt: So ist es gut. Die Erinnerung lässt mich sehen, was immerhin noch da ist: die Eintagsfliegen, die Schwalben, den Rauch über dem Saunaschornstein. Ohne das geht der Mensch kaputt.
Hier liege ich, unterm Kopf der Rucksack und unterm Rücken Fichtenzweige, über mir ein Gitter aus Ästen, an denen graue und grüne Bartflechten wachsen, dahinter das Blau des späten Sommers. Mühelos würde ich von hier über die Kämme und Moore ans Ufer finden, das früher mein Zuhause war, unser Zuhause, natürlich würde ich das, an einem einzigen Tag könnte ich hingehen, aber ich tue es nicht. Gestern bin ich vom Westrand des Trockenmoors hergewandert, letzte Woche überhaupt die ersten Kilometer. Jeder Meter ist hart, jeder Schritt. Ständig werde ich langsamer und überlege: Soll ich hierbleiben? Und nicht gehen?
Nichts war langsam und nichts schwierig, als es begann. Ich brauchte Salz und weiße Farbe für die Fensterrahmen und konnte im Auto bis in den Ort mitfahren, schon das ein schöner Zufall. Wir sahen uns die Gebäude der Deutschen an, Johannes Heikkilä und ich, und irgendetwas, vielleicht das Licht an diesem Vormittag oder der Geruch von frisch gesägtem Holz oder die überraschend warme Luft - ich wollte am liebsten die Handschuhe ausziehen und die Jacke aufmachen, dazu die Vögel und die blubbernden Regenrinnen -?, irgendein Gefühl von Neuanfang ließ mich fragen: Wie heißt denn die Tochter des Ladenbesitzers? Ich wusste es nicht, da wird man ja wohl fragen dürfen, und schon deshalb musste ich lächeln. Du senktest den Kopf, gucktest durch deine Wimpern und sagtest leise, mit Grübchen in den Wangen: Lempi.
Lempi, das heißt ja Liebe, dachte ich, und hörte genau das in deiner Stimme. Willst du deine Fenster streichen?, fragtest du und hobst den Kopf, blicktest mich geradeaus an. Nee, das Holz, antwortete ich, und du strahltest übers ganze Gesicht - dass es so ein Lächeln überhaupt geben kann -?, und fast schon mit einem richtigen Lachen sagtest du: Ah, den ganzen Wald willst du streichen, wie groß ist der denn?, und dann flüstertest du deiner Schwester etwas ins Ohr, und die prustete los und flüsterte zurück: Ich hab's ja gesagt, sowas in der Art, als hättet ihr eben noch über mich geredet. Du kommst doch wieder?, fragtest du, als du mir das Paket mit dem Einkauf gabst, deine Finger berührten meine, draußen tropfte das Wasser von den Eiszapfen. Wenn ich darum gebeten werde, sagte ich, irgendwie konnte ich bei dem flotten Geplänkel mitmachen, und du legtest gleich nach: Na, dann muss ich wohl bitten! - Aber recht freundlich. - Ach, auch noch freundlich?, und schon waren sie da, deine Lippen auf meiner Wange. So ging das.
Es begann ganz plötzlich über den Tresen hinweg, du hast dich auf die Hände gestützt und zu mir vorgebeugt, deine Hacken lösten sich dabei bestimmt vom Boden, sonst wärst du nicht hoch genug gekommen, und draußen sangen die ersten Vögel. Ich wurde rot und sah dich an, deine Füße kehrten auf den Boden zurück, deine Hände lösten sich vom Tresen, aber unsere Augen sich nicht voneinander, und da war niemand mehr außer dir und mir, uns.
Dass es so gehen kann, ich hätte das nie geglaubt. Natürlich kannte ich euch Schwestern, alle kannten euch, manche hatten sogar ein bisschen Angst vor euch und witzelten über die eigensinnigen Abiturientinnen, ich habe das alles gut im Ohr, und bis zu dem Tag hätte ich es nie gewagt, dich anzuschauen. Ich erinnere mich bis heute an die Einkaufstouren, bei denen ich draußen auf Vater wartete und du mit den Händen in den Hüften die rumlungernden alten Männer vertrieben hast, an deine bösen Blicke, wenn einer dir ungefragt Honig ums Maul schmieren wollte, und erst heute wird mir klar, wie jung du da noch warst, erst zehn oder elf, und doch schon ernst zu nehmen. Als Mutter frisch unter der Erde lag, waren Vater und ich im Laden Bücher abholen, wir mussten, Mutter hatte sie noch bestellt, ich wartete draußen und sah dich die Treppe fegen, so zackig, dass dein langer Zopf wütend hin und her flog, und die alte Bäuerin von Nuolioja, die mit ins Dorf gekommen war, weil sie zum Arzt musste, brummte: Das Mädel hat ein Temperament, so hitzig, das kriegt keiner gezähmt.
Das stimmte. Und das war auch nicht nötig. Du hast mich gewählt, wobei ich nicht sicher bin, ob du mich schon länger beobachtet hattest, das habe ich vergessen zu fragen. Ich hätte mich das nie getraut, dich anzusprechen, ich war zu scheu, das wäre unmöglich gewesen. Nicht mal im Traum wär's mir eingefallen, aber dann ging die Ladenklingel, ich hörte sie deutlich irgendwo hinter mir, in der linken Hand hielt ich die Handschuhe, draußen schmolz der Schnee, und nur wenige Augenblicke später fühlte ich deine Lippen auf der Wange, ganz weich, schnell wie ein Blitz und trotzdem ewig, und als ich dich anguckte, standst du einfach vor mir, und ich konnte den Blick nicht mehr lösen, meine Augen waren in deinen festgehakt. Der Laden roch nach Mädchen, was für ein Geruch das auch immer ist, woher soll ich das wissen. Süßlich, sauber, anders als bei Männern, kommt vielleicht von den Haaren und der Haut, den Atemzügen. Ihr wart zu zweit, doch ich sah nur eine. Damit fing es an. Du wandtest den Blick nicht mehr ab, und ich auch nicht. Es ging schnell. Zwei Briefe, schon wolltest du die Frau an meiner Seite werden.
Ich legte deinen Brief so auf den Nachttisch, dass ich ihn immer sofort sah. Der Umschlag war unschön aufgerissen, so eilig hatte ich es gehabt beim Aufmachen, wegen der fremden Frauenhandschrift, mein Name vollkommen richtig geschrieben, wie gemalt in nach rechts geneigten, runden Buchstaben, und ich wusste schon am Briefkasten: Das bist du. Das dünne Papier fühlte sich weich an, auf dem Umschlag prangte neben der Briefmarke ein kleiner Fleck, auch den guckte ich genau an und stellte mir deinen Mund vor. Jedes Wort lernte ich auswendig. Das wichtigste war kurz, hatte nur drei Buchstaben. Vielleicht sehen wir einander wieder? Ich weiß genau, wie ich am Tisch saß, immer noch unsicher, und aus dem W, dem I und dem R die Bedeutung herauszulesen versuchte, die die Buchstaben dann bald bekamen, als sie zu diesem Wir wurden.
Zum Glück wusste ich, was für ein Mädchen ich mir ins Haus holte. Du warst mutig und flink, das war mir bekannt, aber auch an elektrisches Licht gewöhnt, hattest jahrelang die Schule besucht und trugst die weiße Abiturientenmütze. Ich konnte dir mein Bauernhaus und das Seeufer bieten, ich weiß noch, wie ich da stand, alles betrachtete und mir vorstellte, wie du mit mir unterm gleichen Dach wohnst, der Wollteppich an der Wand, im Regal die wenigen Bücher, ein paar Kühe, der Hofhund und die Katze Miisu. In deinem Zuhause gab es eine Haushälterin, die euch bekochte und für euch wirtschaftete, damit ihr Mädchen zur Schule gehen konntet, und ganz bestimmt hatte dein Vater sich was anderes für dich vorgestellt als meinen bescheidenen Hof.
Geld hatte ich noch von meinen Eltern, und ich überlegte, dass ich gegen einen kleinen Lohn eine Magd ins Haus holen könnte, zu deiner Unterstützung. Alles regelte sich schnell und mühelos. Sollte der alte Heikkilä doch lachen, dass dem Viljami eine Braut allein nicht reicht - in mir pochten Mut und Selbstvertrauen, und ich wusste, so und nicht anders.
Man kann sehr ruhig sein, wenn Gewaltiges passiert. Das habe ich später an der Front gemerkt, und schon damals war es so. Ich klopfte die Teppiche, schrubbte die Fußböden und im Stall die Wände, fuhr ins Kirchdorf und bestellte beim Fotografen ein Hochzeitsfoto und im Gasthaus den Kaffeetisch und vereinbarte den Lohn für die Magd. Abends schlief ich erschöpft ein, morgens wachte ich mit einer langen Liste im Kopf wieder auf, und beim Aufstehen sah ich sofort deinen Brief an der Teekanne. Das war vielleicht eine Zeit. Und ich sicher und unsicher, ruhig und unruhig zugleich.
Einen Strauß trugst du nicht, dafür die Brosche deiner Mutter. Der Pastor gab uns an der Kirchentür die Hand, ein alter Mann, ich kannte ihn nicht. Die Aussegnung meiner Eltern hatte Joutsijärvi gemacht, der mir bei Vaters Beerdigung die Hand auf die Schulter gelegt und versichert hatte, dass der Herr auf seine Schafe aufpasse und ich als Waise nun bei Gott ein Zuhause hätte. Darauf wusste ich nichts zu sagen und nickte nur; ich war noch ein Junge, fast ein Kind. Als ich mit dir an derselben Tür stand und wir vor den Altar traten, war ich ein Anderer, ein Neuer.
Deine Haare waren im Nacken zusammengerollt, kein langer Zopf mehr über deinem Rücken, der Unterschied fiel mir sofort auf, und deine gebogenen Augenbrauen hoben sich, als du ja sagtest. Die Kirche war kalt, aber deine Hand warm, und die einzigen Zeugen waren deine Schwester Sisko und dein Vater, als du dich vor Gott mit mir vermähltest. Was zitterten mir die Glieder, wie einem Küken, einem Rentierkalb....
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