Schweitzer Fachinformationen
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Juni 2020
Der herbe Duft von frischem Brot hing in der Backstube. Er vermischte sich mit dem der traditionellen schwedischen Vaniljhjärtan, die eine der Konditorinnen in diesem Moment auf dem Blech aus dem Ofen zog. Britt warf einen kurzen Blick auf die Vanilleherzen und nickte zufrieden. Die Teigdeckel der mürben Gebäckstücke hatten sich in der Mitte leicht nach oben gewölbt und waren nur an den Rändern gebräunt, die Herzen sahen perfekt aus. Nun mussten sie einen Moment abkühlen, bevor sie vorsichtig aus den Förmchen gelöst und mit Puderzucker bestäubt werden konnten. Kurz darauf würden sie schon verkauft sein. Sie war sich sicher, dass am Ende des Tages keines mehr in der Auslage der Verkaufstheke liegen würde.
Die kleinen Gebäckteilchen mit der aromatischen Cremefüllung gehörten zu den absoluten Lieblingen der Gäste. Seit über achtzig Jahren wurden sie nach demselben Rezept gebacken, das eine besondere Bedeutung für die Familie hatte. Die süßen Herzen waren die Lieblingsleckerei ihrer Oma Ingrid gewesen, die sich stets wie im Himmel fühlte, wenn sie eins der Herzen auf der Zunge zergehen ließ. So war das Café damals zu seinem Namen gekommen: Söta Himlen - Süßer Himmel.
Britt hingegen mochte es auch mal herzhaft und freute sich auf die Scheibe Roggenbrot, großzügig mit Butter bestrichen und mit einer Prise Meersalz bestreut. Heute war so viel zu tun gewesen, dass sie ihre Pause ausfallen lassen und bis auf das Frühstück den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
«Danke», sagte sie, als Camilla ihr den Teller mit dem noch lauwarmen Brot reichte. Der köstliche Duft ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen und weckte alte Kindheitserinnerungen. «So habe ich es früher schon am liebsten gemocht.»
«Für mich konnte das Brot auch nie dick genug geschnitten sein, besonders wenn es ganz frisch gebacken war. Und so ist das auch heute noch. Wurst oder Käse brauche ich dann gar nicht dazu.» Camillas Augen strahlten, und ihre Wangen glühten von der Hitze in der Backstube. «Ich habe etwas Kümmel und Fenchelsamen mit eingebacken. Sag Bescheid, wenn dir der Geschmack zu intensiv ist.»
Britt hielt den Teller etwas höher und schnupperte daran.
«Es riecht himmlisch. Und ich bin mir sicher, dass es auch genauso schmeckt!» Nicht umsonst arbeitete Camilla nun schon seit knapp dreißig Jahren im Söta Himlen, ihre Backkünste waren einmalig. Nach der Ausbildung als Konditorin in der Backstube hatte Britts Mutter sie fest eingestellt. Seitdem war Camilla dem Café treu geblieben. Britt schätzte sie nicht nur als Konditorin. Über die Jahre hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden entwickelt, gemeinsam hatten sie schon den einen oder anderen Schicksalsschlag gemeistert. Sie lächelte ihre Freundin an. «Danke, Camilla. Ich werde es draußen genießen - ganz in Ruhe.»
Britt nahm den Seitenausgang und ging hinter den Birken neben dem Gartencafé entlang, vorbei an den Tischen, die mit hübschen rot-weiß karierten Tüchern eingedeckt waren. Obwohl sie offiziell nur noch zwanzig Minuten geöffnet hatten, war das Gartencafé noch immer sehr gut besucht, alle Plätze waren belegt. Sogar auf der Wiese vor dem neuen Anbau hatten es sich zwei junge Frauen bequem gemacht. Sie saßen im Schneidersitz im Gras, den Rücken an die rot gestrichene Holzwand gelehnt, und tranken Kaffee. Ihre Teller hatten sie auf den Beinen abgestellt. Für richtige Tische ist der schmale Streifen zu schmal, aber vielleicht sollten wir doch ein paar bequeme Sitzkissen anschaffen, überlegte Britt. Ihre Tochter Elin hatte es vorgeschlagen, weil auch schon am letzten Wochenende einige Gäste mit einem Platz auf dem Boden zufrieden gewesen waren.
Ja, das machen wir, entschied Britt. Das würde die ungezwungene Atmosphäre, für die das Café bekannt war, sogar noch unterstreichen. Sie nahm sich vor, Elin später zu bitten, sich darum zu kümmern. Jetzt aber wollte sie erst einmal ihre wohlverdiente Pause genießen.
Die Bank gleich neben dem großen Kräuterbeet gehörte zu ihren Lieblingsplätzen. Für die Gäste war das kleine Fleckchen nicht zugänglich, ein Gartenzaun aus Holz grenzte es vom Rest des Cafés ab. Ein wenig Privatsphäre musste sein.
Sie drückte das Tor auf, atmete tief den würzigen Duft von Thymian, Lavendel und Rosmarin ein, ließ ihre schmerzenden Schultern kreisen und schaute über das Meer. Von hier hatte man einen herrlichen Blick darauf. Das Licht der Abendsonne, die bald hinter dem Kullaberg untergehen würde, ließ die Oberfläche des dunklen Wassers silbrig glitzern. Nur ein paar hundert Meter hinter dem Abhang rollten die Wellen beständig auf das steinige Ufer zu. Wenn sie sich darauf konzentrierte, hörte sie sie rauschen. Heute gelang ihr das jedoch nicht. Das laute Lachen eines Mannes drang zu ihr, gefolgt vom Kichern einer Frau.
Es würde noch eine Weile dauern, bis es still wurde im Café. Seit jeher war der Süße Himmel ein Ort, an dem man sich wohlfühlte. Die Gäste kamen nicht von selbst darauf, sich auf den Weg nach Hause oder in ihre Ferienunterkunft zu begeben. Sie mussten in der Regel darauf hingewiesen werden, dass um siebzehn Uhr dreißig geschlossen wurde. Und wie jeden Abend wurde es fast sieben, bis der letzte Gast sich verabschiedete. So war es schon immer gewesen.
Britt setzte sich, legte ihr Beine auf den kleinen Hocker vor der Bank und biss in die Schnitte, auf der die Butter mittlerweile etwas zerlaufen war.
Auf Camilla war Verlass. Das Brot schmeckte, wie nicht anders erwartet, wundervoll. Es hatte eine krosse Kruste, eine weiche Krume und die perfekte Porung. Fenchel und Kümmel sorgten für etwas Würze, blieben aber dezent im Hintergrund. Sie verputzte es bis auf den letzten Krümel, stellte den Teller auf den Boden, lehnte sich zufrieden zurück und schloss die Augen. Ein paar Minuten nur für mich, dachte sie, eine kleine Auszeit für die Seele.
Doch in den Genuss kam sie nicht lang. Elin beendete ihre Pause.
«Mama! Bist du da?», rief sie.
Ihre Stimme klang etwas höher als sonst, ein unverkennbares Zeichen dafür, dass sie gereizt war.
Aus dem Café kommend, konnte man nicht sehen, ob jemand auf der Bank saß. Britt hatte als Sichtschutz eine Kirschlorbeerhecke gepflanzt, damit man darin die Arbeit für einen Moment komplett vergessen und abschalten konnte.
«Erwischt!», sagte sie laut zu sich selbst, stand auf und verfolgte lächelnd, wie Elin mit schnellen Schritten durch den Garten auf sie zulief. Sie trug, genau wie Britt und auch die anderen Mitarbeiterinnen, eine weiße Bluse, darüber eine rote mit Margeriten bestickte Weste, einen weit schwingenden Rock im gleichen Rotton und eine cremefarbene Schürze.
Vor dem Gartentor blieb Elin stehen und stützte die Hände auf die Hüften.
Obwohl sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren längst erwachsen war, erinnerte sie Britt in diesem Moment an das kleine Mädchen, das sie früher gewesen war. Das lag daran, dass ihre Tochter voller Energie und manchmal ein wenig trotzig war - besonders wenn andere oder sie selbst ungerecht behandelt wurden. Dass irgendwas passiert war, stand Elin ins Gesicht geschrieben. Die steile Falte zwischen ihren Augen war unverkennbar.
«Was ist los?», fragte Britt.
«Mormor Astrid ist da! Und natürlich hat sie sofort die Lachs-Schnitten auf der neuen Speisekarte entdeckt», antwortete Elin. «Ich hatte einen Entwurf ausgedruckt und im Ausgabefach des Druckers vergessen. Mormor hat ihn prompt gefunden. Ich wusste nicht, dass sie heute schon wieder kommt, sonst hätte ich besser aufgepasst. Was macht sie überhaupt hier? Sie war doch gestern erst da.» Elin atmete tief ein und wieder aus. «Ist ja auch egal, jetzt ist es eh zu spät. Klärst du das vielleicht, Mama? Ich habe keine Lust, mich wieder mit ihr zu streiten.»
Britt war klar gewesen, dass ihre Mutter von der Erweiterung der Speisekarte nicht begeistert sein würde. Aber in diesem Fall war sie Elins Anregung gefolgt, weil sie es wichtig fand, dass Elin eigene Entscheidungen treffen konnte. Deswegen hatte sie vorab nicht mit der Mutter darüber gesprochen. Sie seufzte und bückte sich nach dem Teller.
«Tut mir leid, Mama, eigentlich hätte ich damit auch warten können, bis du dich etwas ausgeruht hast.» Elins Stimme klang nun weicher. «Ist wieder sehr viel los heute.»
«Alles gut», erklärte Britt. «Später habe ich noch genug Zeit, um die Beine hochzulegen. Es konnte ja niemand wissen, dass Oma heute noch kommt.»
«Als hätte sie es gerochen!» Ihre Tochter lächelte verschwörerisch. «Hat sie vielleicht auch. Das Brot riecht köstlich.»
«Sie braucht eben ihre Zeit, bis sie sich an Neues gewöhnt», sagte Britt, während sie nebeneinander auf das Haus zugingen. «Du weißt doch, wie sie ist.»
«Klar weiß ich das. Aber du hättest eben mal erleben sollen, wie sie Camilla rundgemacht hat. Das ging so was von gar nicht!» Elin schüttelte den Kopf. «Die Arme wäre bestimmt in ein metertiefes Loch gesprungen, wenn sich eins vor ihr aufgetan hätte, nur um Oma zu entkommen. Dabei kann Milla doch gar nichts dafür. Sie hat das Brot nur gebacken, weil wir ihr das gesagt haben. Das weiß Oma doch. Ich habe gerade an Tisch zwei bedient, als das Gezeter losging. Durch das geöffnete Fenster konnte man jedes Wort hören. Das war mir echt peinlich vor den Gästen. Ich bin sofort rein und habe versucht, Oma zu beruhigen, aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Sie ist stinksauer.»
Britt hakte sich bei ihrer Tochter unter. «Gemeinsam werden wir den Tiger schon bändigen . obwohl Löwin es wohl besser trifft. Deine Oma hat...
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