Schweitzer Fachinformationen
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Prolog
Im Vergleich zum Anwesen der Whitings in der Stadt nahm sich das Haus, das Charles Beaumont Whiting ein Jahrzehnt nach seiner Rückkehr nach Maine baute, bescheiden aus. Doch gemessen am ortsüblichen Standard von Empire Falls, wo die gewöhnlichen Einfamilienhäuser in der Regel deutlich unter fünfundsiebzigtausend Dollar kosteten, war es mit seinen fünf Schlafzimmern samt eigenen Bädern und einem separaten Künstleratelier recht luxuriös. C. B. Whiting hatte einige prägende Jahre unten in Mexiko verbracht, und das Haus, das er errichtete, war - allem Anschein zum Trotz - eine im Missionsstil gehaltene Hazienda. Er ließ sogar die Backsteine so anstreichen, dass sie von Farbe und Maserung her wie Lehmziegel aussahen. Nur ein hirnrissiger Idiot konnte sich so ein Haus mitten in Maine hinstellen, meinten die Leute, auch wenn sie es ihm nicht ins Gesicht sagten.
Wie alle Whitings war C. B. ein klein gewachsener Mann, der von dieser Tatsache abzulenken versuchte, und die niedrige spanische Bauweise kam seiner Statur entgegen. Das spärliche Mobiliar erinnerte an jenes von Musterhäusern oder Wohnwagen, wo es darauf ankam, den Eindruck von Geräumigkeit zu erwecken; diese optische Täuschung funktionierte ganz gut, es sei denn, es kamen große Menschen zu Besuch, dann wähnte man sich eher in einem geräumigen Puppenhaus.
Die Hazienda - wie C. B. Whiting sein Haus stets nannte - war auf einem Stück Land errichtet, das schon seit Generationen im Besitz der Familie war. Die ersten Whitings, die im Dexter County siedelten, waren Holzhändler gewesen und hatten nach und nach den Großteil des Landes zu beiden Seiten des Knox River aufgekauft, um ein Auge darauf zu haben, was auf dem Fluss auf seinen letzten gut achtzig Kilometern bis zum südöstlich gelegenen Meer so dahintrieb. Als C. B. Whiting geboren wurde, verfügte Maine bereits über ein Stromnetz, und der unterhalb von Empire Falls bei Fairhaven gestaute Fluss hatte seine einstige Bedeutung größtenteils eingebüßt. Die Holzindustrie war weiter nord- und westwärts gezogen, und die Whitings hatten sich auf verwandte Geschäftszweige verlegt, wie die Textil-, Papier- und Bekleidungsindustrie.
Mochte der Fluss auch nicht mehr wegen seiner Wasserkraft gebraucht werden, so hatte C. B. Whiting noch immer das diffuse Gefühl, er müsse ein Auge auf ihn haben; und so wählte er, als er die Zeit für den Bau eines eigenen Hauses gekommen sah, ein Grundstück direkt oberhalb der Wasserfälle und jenseits der Iron Bridge von Empire Falls, das damals eine florierende Gemeinde war, deren Bewohner, Männer wie Frauen, in den verschiedenen Mühlen und Fabriken des Whiting-Firmenimperiums arbeiteten. Wenn das Grundstück erst einmal gerodet und das Haus errichtet sein würde, würde C. B. im Winter - der in Maine einen Gutteil des Jahres ausmachte - durch die Bäume hindurch auf seine Hemden- und Textilfabriken blicken können. Seine Papiermühle befand sich zwar ein paar Kilometer stromaufwärts, doch die riesigen Rauchschwaden, die der hochaufragende Schornstein in die Luft pustete, waren von seiner hinteren Veranda aus zu sehen.
Indem er auf die andere Flussseite hinüberzog, bekräftigte C. B. Whiting, dass er der Erste in der Dynastie war, der einen Vorteil darin sah, auf Distanz zu jenen Menschen zu gehen, die den Familienreichtum begründet hatten. Der Familienwohnsitz in Empire Falls, ein riesiges Herrenhaus im georgianischen Stil aus dem frühen vorigen Jahrhundert, hatte in jedem seiner Schlafzimmer einen Kamin aus unbehauenen Feldsteinen und verfügte über ein förmliches Esszimmer, an dessen Eichentisch bis zu dreißig Gäste Platz fanden und an dessen Decke ein halbes Dutzend funkelnder Kronleuchter hing, die mit der Eisenbahn aus Boston geliefert worden waren. Das Haus war darauf ausgelegt, den irischen, polnischen und italienischen Immigranten, die von Boston aus nach Norden kamen, und den französischen Kanadiern, die auf der Suche nach Arbeit nach Süden wanderten, Ehrfurcht und ein gewisses Gefühl der Loyalität einzuflößen. Das alte Anwesen der Whitings befand sich genau im Zentrum der Kleinstadt, eine Häuserzeile von der Hemdenmanufaktur und zwei Häuserzeilen von der Textilfabrik entfernt, und war, ob man es nun verstand oder nicht, absichtlich dort errichtet worden, und zwar von Arbeitern der Whitings, die vierzehn Stunden am Tag schufteten: Nachdem sie zum Mittagessen nach Hause gegangen waren, arbeiteten sie in der Fabrik oft bis spät in die Nacht weiter.
Als Junge hatte C. B. gern im Whiting-Herrenhaus gewohnt. Seine Mutter hatte sich hingegen unablässig beklagt, es sei alt, zugig und unvorteilhaft gelegen, wenn man zum Country Club, zum Sommerhaus am See oder zum Highway gelangen wolle, der in südlicher Richtung nach Boston führte, wohin sie gern zum Einkaufen fuhr. Aber für ein Kind war es mit seinem weitläufigen, schattigen Grundstück und den zahlreichen merkwürdig geschnittenen Räumen genau der richtige Ort, um dort aufzuwachsen. Sein Vater, Honus Whiting, liebte ihn ebenfalls, insbesondere, weil er bislang nur von Whitings bewohnt worden war. Honus' Vater, Elijah Whiting, damals bereits Ende achtzig, lebte mit seiner übellaunigen Frau im rückwärtigen Kutschenhaus. Die Whiting-Männer hatten vieles gemeinsam, einschließlich des Umstands, dass sie ausnahmslos Frauen geheiratet hatten, die ihnen das Leben schwer machten. C. B.'s Vater war es in dieser Hinsicht ein bisschen besser ergangen als seinen Vorvätern, wenngleich er es seiner Frau übel nahm, dass sie eine so geringe Meinung von ihm hatte, ebenso wie vom Whiting-Herrenhaus, von Empire Falls und überhaupt von der ganzen Rückständigkeit Maines, in die sie sich, aus Boston stammend, auf grausame Weise verbannt sah. Das hübsche schmiedeeiserne Tor und der Zaun, die den weiten Weg von New York herbeigeschafft worden waren, um das Grundstück zu begrenzen, betrachtete sie als die Mauern ihres Gefängnisses, und wann immer sie dies bekundete, erinnerte Honus sie daran, dass er die Schlüssel dazu habe und sie, wenn sie es wünsche, jederzeit hinausließe. Wenn sie so verdammt gern nach Boston zurückwolle, bitte schön, er würde sie nicht aufhalten. Er sagte dies wohl wissend, dass sie es nicht tun würde, standen die Whiting-Männer doch unter dem besonderen Fluch, dass ihre Frauen aus lauter Gehässigkeit an ihrer Seite ausharrten.
Doch als ihr Sohn geboren wurde, begann Honus Whiting seine Frau zu verstehen und ihre Meinung insgeheim sogar zu teilen, zumindest was Empire Falls betraf. Je mehr sich die Kleinstadt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgebreitet hatte, desto stärker war das Anwesen der Whitings von den Häusern der Fabrikarbeiter umzingelt worden und desto feindseliger schien die Haltung von deren Bewohnern geworden zu sein. Die Whitings hatten seit jeher versucht, ihre Arbeiter im Sommer bei Laune zu halten, indem sie sie zu diversen festlichen Anlässen auf ihrem Anwesen einluden. Doch Honus Whiting hatte das Gefühl, dass sich nicht wenige der Menschen, die diesen Einladungen überhaupt noch folgten, überaus undankbar angesichts der Speisen und Getränke und der Musik zeigten, ja, dass einige das Herrenhaus gar mit finsteren Blicken bedachten, die den Schluss nahelegten, dass es ihnen nicht das Herz brechen würde, sollte es bis auf die Grundmauern abbrennen.
Vielleicht lag es an dieser unausgesprochenen, aber wachsenden Feindseligkeit, dass man C. B. Whiting weggeschickt hatte, zunächst auf eine Privatschule und später dann aufs College. Anschließend verbrachte er fast ein ganzes Jahrzehnt auf Reisen, zunächst mit seiner Mutter in Europa (was deren Geschmack wesentlich mehr entsprach als Maine) und später dann auf eigene Faust in Mexiko (was seinem Geschmack wesentlich mehr entsprach als Europa, wo es ständig etwas zu lernen und zu bestaunen gab). Im Gegensatz zu den europäischen Männern, die ihn zum Großteil überragten, waren die Mexikaner kleiner; und ganz besonders bewunderte C. B. Whiting an ihnen, dass sie Träumer waren, die keinerlei Drang verspürten, ihre Träume in die Tat umzusetzen. Doch eines Tages beschloss sein Vater, der das Weltenbummeln seines Sohnes bezahlte, dass es für seinen Erben an der Zeit sei, nach Hause zu kommen und seinen Teil zur Mehrung des Familienvermögens beizutragen, anstatt es südlich der Landesgrenze zu verprassen. Charles Beaumont Whiting war mittlerweile Ende zwanzig, und sein Vater musste sich allmählich widerstrebend eingestehen, dass das einzige wirkliche Talent seines Sohnes im Geldausgeben lag, wenngleich der junge Mann behauptete, er male und verfasse auch Gedichte. Wie auch immer, es war höchste Zeit, beidem ein Ende zu setzen, fand jedenfalls der alte Mann. Honus Whiting ging stramm auf die sechzig zu, und auch wenn er dankbar dafür war, in der Lage zu sein, den Müßiggang seines Sohnes all die Jahre über zu finanzieren, wurde ihm jetzt klar, dass er die Zügel schon zu lange hatte schleifen lassen und dass er längst damit hätte beginnen müssen, den Jungen in die Leitung der Familienbetriebe einzuführen, die er eines Tages erben würde. Honus hatte seinerzeit in der Hemdenmanufaktur begonnen, war dann in die Textilfabrik gewechselt, um schließlich, als der alte Elijah eines Tages den Verstand verloren hatte und mit einer Schaufel auf seine Frau losgegangen war, die Leitung der Papiermühle ein...
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