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Manuel Rupprecht
Zusammenfassung
Sie sind zurück: die Zinsen. Nach Jahren der Null- und Negativzinsen leiteten die Zentralbanken Europas im Sommer 2022 eine geldpolitische Wende. Die Leitzinsen stiegen, schnell und kräftig. Infolgedessen stiegen neben den Kredit- vielerorts auch die Guthabenzinsen. Ob via Tagesgeld, Sparbuch oder Termineinlage: Endlich lohnt sich Sparen wieder! Diese Botschaft ist seit der Zinswende zumindest häufig hören. Aber stimmt das auch? Was bedeutet die Rückkehr der Zinsen wirklich? Warum kam es überhaupt dazu und wie sollten sparende Privathaushalte darauf reagieren? Um diese und weitere Fragen geht es im nachfolgenden Beitrag von Manuel Rupprecht. Zu ihrer Beantwortung beschreibt Rupprecht zunächst die Entwicklungen seit Sommer 2022. Dabei erläutert er u.?a., was Leitzinsen überhaupt sind, warum deren Veränderung auch die Bank- und Kapitalmarktzinsen berührt und wieso es überhaupt dazu kam. Letzteres ist aus seiner Sicht nämlich zentral, um zu beurteilen, ob und wie sich das Sparen seit der Zinswende tatsächlich wieder lohnt. Im Ergebnis zeigt sich, dass auch in dieser Hinsicht nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Im Sommer 2022 war es so weit: Nach Jahren der Niedrig-, Null- und Negativzinsen leiteten die Zentralbanken Europas eine geldpolitische Wende ein. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt wurden die Leitzinsen erhöht - und zwar kräftig: Innerhalb von 14 Monaten stiegen sie um 4,5 Prozentpunkte. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Es dauerte nicht lange, bis erste Banken dieser Entwicklung folgten und die Zinsen auf Tagesgeld-, Spar- und Festgeldkonten erhöhten. »Es gibt wieder Zinsen!« oder »Sparen lohnt sich endlich wieder!« ist seitdem häufig zu lesen. Auch an den Kapitalmärkten versuchen Unternehmen und Staaten mit deutlich gestiegenen Zinskupons die Ersparnisse von Haushalten und Investoren anzulocken. Ob Porsche, Katjes oder BASF, viele Firmen zahlen ihren Geldgebern im Winter 2023/2024 wieder 4 % und mehr. Gute Nachrichten für Sparer, oder?
Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Mussten Privathaushalte hierzulande in den Jahren vor 2022 teils sogar »Strafgebühren« zahlen, wenn sie ihr Erspartes bei der Bank parkten, erhalten sie inzwischen wieder Zinsen auf ihre Guthaben. Das ist aus ihrer Sicht zweifellos eine gute Nachricht. Aber stimmt deswegen auch, was seit der Zinswende oft zu lesen ist? Lohnt sich Sparen wirklich wieder?
Das ist die Frage, um die sich der vorliegende Beitrag im Kern dreht. Kapitel 2.2 blickt dafür zunächst in die Vergangenheit zurück und zeigt, wie sich die Zinsen bisher (Dezember 2023) genau entwickelt haben. Dabei wird auch geklärt, was Leitzinsen überhaupt sind und warum die Bank- und Kapitalzinsen steigen, wenn die Leitzinsen steigen. Das dritte Unterkapitel fragt sodann, warum es überhaupt dazu gekommen ist. Um zu beurteilen, ob der Zinsanstieg wirklich eine so gute Nachricht für Sparer ist, wie es bisweilen in der öffentlichen Diskussion behauptet wird, ist es nämlich zentral, die Ursachen dieses Zinsanstiegs zu verstehen. Ist das geklärt, widmet sich Kapitel 2.4 der oben genannten Kernfrage, bevor Kapitel 2.5 die Diskussion mit einem Fazit abschließt.
Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Euroraum in den späten 2000er Jahren kannte die Zinsentwicklung in Europa (und weltweit) im Grunde nur eine Richtung: nach unten. Mit Ausnahme des Jahres 2011 sanken die hiesigen Leitzinsen seit 2008 kontinuierlich, ab 2014 sogar in den negativen Bereich ( Dar.?10). Im Zuge dessen gingen auch die Zinsen von Banken und auf den Kapitalmärkten stetig zurück - unabhängig davon, ob man sich Geld leihen oder anlegen wollte, wer dies vorhatte, wofür es geschah und ob es nur vorübergehend oder längerfristig erfolgen sollte.
Nach über einem Jahrzehnt sinkender Zinsen kam es dann im Sommer 2022 zu einer Wende: Das Eurosystem - also die nationalen Zentralbanken im Euroraum mit der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Spitze - begann mit einer Serie von Zinserhöhungen, deren Umfang und Tempo ihresgleichen sucht. Binnen kürzester Zeit gehörten Null- und Negativzinsen der Vergangenheit an. Bis Ende 2022 stiegen die Leitzinsen um satte 2,5 Prozentpunkte, bevor sie im Spätsommer 2023 - ein gutes Jahr nach Beginn der Zinswende - ein Niveau erreichten, das es seit Einführung des Euro noch nicht gegeben hat.
Vor diesem Hintergrund drehte sich auch die Entwicklung von Bank- und Kapitalmarktzinsen. Erhielten Sparer hierzulande für ihr Tagesgeld Anfang 2022 noch durchschnittlich 0,05 % und damit quasi nichts, stieg der mittlere Zinssatz dieser Anlageform bis zum Winter 2023/2024 auf rund 2,2 % (vgl. Biallo 2023). Das entspricht einem Anstieg von über 4.000 %! Einzelne Institute bieten ihren Kunden sogar 4 % und mehr, zumindest vorübergehend. Auch Spar- und Termineinlagen, umgangssprachlich häufig als Festgeld bezeichnet, werden mit bis zu 4 % mittlerweile wieder deutlich höher verzinst als im Jahrzehnt zuvor.
Neben den Haben- stiegen allerdings auch die Sollzinsen. Hauskredite sind kaum noch unter 3,5 % zu haben, und dies auch nur, wenn die Bonität der Schuldner entsprechend hoch und die Kreditlaufzeit kurz ist. Ende 2021 waren noch Zinssätze von unter 1 % üblich. Auch zweckfreie Ratenkredite kosteten im Winter 2023/2024 im Mittel über 9 % und damit deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Neben den Zinsen erhöhten Banken auch die sogenannten Kreditstandards, also die Bedingungen, zu denen potenzielle Schuldner einen Kredit aufnehmen können (vgl. Deutsche Bundesbank 2023a). Letzteres ist damit nicht nur deutlich teurer als vor wenigen Jahren, es ist auch spürbar schwieriger geworden, Kreditzusagen zu erhalten.
Höhere Leitzinsen ziehen also offenbar höhere Bank- und Kapitalmarktzinsen nach sich, was wiederum Folgen für Sparer (und Schuldner) hat. Doch warum ist das so? Oder anders gefragt: Was sind »Leitzinsen« eigentlich genau?
Hinter diesem umgangssprachlichen Begriff verbergen sich im Euroraum drei Schlüsselzinssätze: die Einlage-, die Hauptrefinanzierungs- und die Spitzenrefinanzierungsfazilität. Was im Einzelnen mit diesen technisch anmutenden Begriffen gemeint ist, wird weiter unten erläutert. Gemeinsam ist allen drei Zinssätzen, dass sie letztlich den Preis für Zentralbankgeld beschreiben. Was Zentralbankgeld wiederum ist, lässt sich vielleicht am eingängigsten anhand eines stark vereinfachenden Beispiels erläutern ( Dar.?11).
Angenommen, ein Haushalt interessiert sich für den Kauf einer Immobilie. Übersteigt der Preis dieser Immobilie die verfügbaren Mittel des Haushalts, benötigt er einen Kredit. Typischer Kreditgeber in solchen Fällen ist eine Bank. Wenn eine Bank dem Haushalt einen Kredit für diesen Zweck gewähren möchte, kann sie das im Rahmen ihrer üblichen Geschäftstätigkeit tun - sofern sie über ausreichend Zentralbankgeld verfügt. Denn: Für jeden Kredit, den eine Bank ihren Kunden gewährt, benötigt sie eine bestimmte Menge an Zentralbankgeld, unabhängig vom Kunden oder dem Verwendungszweck des Kredits. Wie viel das ist, wird von der Zentralbank festgelegt, meist in Form eines Prozentsatzes; Ökonomen sprechen von der sogenannten Mindestreserve.13
Dar. 10:Entwicklung ausgewählter Leitzinsen seit 1999 (in %; Euroraum: Hauptrefinanzierungssatz, USA: Federal Funds Rate, VK: Official Bank Rate; Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2023. Stand: Dezember 2023)
Dar. 11:Zusammenhang zwischen Leit- und Bankzinsen - vereinfachte Darstellung
Liegt der Prozentsatz für die Mindestreserve bspw. bei 10 % und möchte sich der Haushalt 500.000 ? leihen, benötigt die Bank 50.000 ? Zentralbankgeld, um den Kreditwunsch erfüllen zu können. Hat sie kein oder zu wenig Zentralbankgeld, muss sie sich dieses Geld zuvor beschaffen - z.?B. bei der Zentralbank selbst. Die Zentralbank wiederum stellt der Bank dieses Geld in der Regel nicht einfach so zur Verfügung. Sie verlangt dafür zum einen Sicherheiten (z.?B. Staatsanleihen), und zum anderen einen Preis: den Leitzins. Im Jargon des Eurosystems entspricht dieser im Regelfall dem Zinssatz der Hauptrefinanzierungsfazilität. Im September 2023 wurde dieser erstmals auf 4,5 % erhöht. Aus Sicht der Bank sind dies Kosten, die ihr durch die Kreditgewährung an den Haushalt entstehen. Um trotzdem mit dem Kredit Geld zu verdienen, wird die Bank vom Haushalt daher einen höheren Zins verlangen, z.?B. 5,5 %. Die Differenz zwischen beiden Zinssätzen (auch »Zinsmarge«) ist dann die Grundlage für den Gewinn der Bank.
Da Zentralbankgeld allein und ausschließlich von der Zentralbank selbst geschaffen werden kann, hat sie bei der Festlegung des Preis- bzw. Zinsniveaus eine Monopolstellung. Infolgedessen kann sie die Leitzinsen nach eigenem Ermessen verändern, jederzeit. Warum sie dies tun sollte oder könnte, wird in Kapitel 2.3 erläutert. Doch unabhängig davon gilt: Wenn sich die Leitzinsen ändern, ändern sich auch die Kosten der Banken für die Beschaffung von Zentralbankgeld.
Alternativ können sich Banken dieses Zentralbankgeld auch auf dem Kapitalmarkt beschaffen, z.?B. indem sie es sich von anderen Banken leihen. Es kann ja sein, dass eine Bank - nennen wir sie Bank A - über zu viel Zentralbankgeld verfügt, etwa weil sie bei der Kreditvergabe an Hauskäufer wegen einer Wirtschaftskrise vorsichtiger geworden ist. Hat...
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