Schweitzer Fachinformationen
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Konventionen haben, wie Klischees, die Eigenart, ihre Zweckmäßigkeit zu überleben. Sie werden dann als Landessprachen des Lebens gerechtfertigt oder verteidigt. Für von Geburt oder Natur aus Fremde sind Konventionen Zeichen von Geläufigkeit. Das ist der Grund, warum für jede Frau die Landessprache des Lebens die Ehe ist. Und nicht aus Verachtung gibt sie sie auf, noch aus Gleichgültigkeit, sondern nur, wenn sie gezwungen wird einzugestehen, dass sie nie imstande war, sie akzentfrei zu sprechen, und dass sie fortwährend die gröbsten Verstöße gegen ihre Grammatik begangen hat. Für eine solche Frau bleibt die Ehe eine Fremdsprache, eine fremdartige Landschaft, und sie wählt, da sie nicht eingebürgert werden kann, schließlich das freiwillige Exil.
Evelyn Hall war sechzehn Jahre verheiratet gewesen, bevor sie sich eingestand, eine solche Frau zu sein. Jetzt aber, im Flugzeug, das sie von Oakland, Kalifornien, nach Reno, Nevada, brachte, fühlte sie sich merkwürdig unverändert. Zorn, Schuld, Schmerz und Resignation, die sie jetzt empfand, hatten immer in ihr gestritten. Und dieselben Kleinigkeiten, die die junge Ehefrau in der Öffentlichkeit sich hatten sicher fühlen lassen, hatte sie auch jetzt noch an sich. Es war zwar richtig, dass das »Mrs.«, welches ein Attribut gewesen war, bald nicht mehr als eine Höflichkeit sein würde, und der Ring, den sie niemals als selbstverständlich betrachtet hatte, würde auch nicht mehr selbstverständlich sein. Es war sonderbar, dass sie ihn nicht abnehmen konnte. Bevor sie das Haus verließ, hatte sie es versucht, zunächst eher beiläufig über dem Küchenausguss, dann entschlossen im Badezimmer, aber auch Wasser und Seife ließen den Ring nicht über das in sechzehn Jahren zum Hindernis verdickte Gelenk gleiten. Vermutlich musste er abgekniffen werden. Auch das »Mrs.« abzukneifen war möglich, aber ebenso wenig wie sie dann verheiratet sein würde, würde sie je wieder Junggesellin. Sie würde geschieden sein, eine Konvention, die ihr ebenso fremd sein mochte, wie die Konvention der Ehe es gewesen war.
Vom Flugzeugfenster aus blickte Evelyn hinaus auf die fremdartige Landschaft, die Berge, die sich unter ihr allmählich zum Rande der Wüste hin absenkten, die Stadt an beiden Ufern des Flusses, der in der Meilenweite brennenden Sandes verschwand. Wenn ihr die Landschaft vertraut vorkam, dann nicht, weil sie jemals dort gewesen wäre, sondern weil sie Touristikplakate und Anzeigen gesehen hatte. Mit Widerwillen hatte sie Western gelesen. Und in ihren Träumen hatte sie den eben beginnenden Landeanflug durchgemacht, taumelnde Unsicherheit erdwärts.
Im Warteraum des Flughafens zeigte der Kalender den 27. Juli, und die Zeiger der Wanduhr rückten hier auf vier zu. Obwohl die Handelskammer einige charakteristische Souvenirs und das Syndikat seine Doppelreihe von Spielautomaten aufgestellt hatten, schien die Zeit örtlicher als der Ort. Die Passagiere warteten in allmählich demütigender Hitze. Die Fliegen waren entsetzlich. Sie krabbelten über Boden und Counter. Sie ließen sich mit unparteiischer Intimität auf Haaren und Gesichtern nieder und widersetzten sich jedem Versuch, sie zu verscheuchen. Aber so schmutzig und stickig der Warteraum auch war, er bot doch Schutz vor der direkten Wüstensonne. Nur widerstrebend trat Evelyn auf den Gehweg hinaus, um ihr Gepäck in Empfang zu nehmen. Die plötzliche, brutale Hitze ließ ihr den Schweiß ausbrechen, dass ihr übel zu werden drohte. Sie wartete nicht auf den Kleinbus. Sie winkte einem Taxi - die erste von so vielen kleinen, notwendigen luxuriösen Annehmlichkeiten.
Die Adresse des Gästehauses stand in dem Brief ihres Rechtsanwalts. Er hatte es vorgeschlagen, denn es sei angenehmer und billiger als ein Hotel. Als Evelyn das Taxameter beobachtete, wünschte sie, sie hätte Mrs. Packer vorher nach dem Preis für Unterkunft und Verpflegung gefragt. Aber als Evelyn ihr geschrieben hatte, war ihr diese Frage taktlos erschienen.
Vielleicht war sie schließlich doch dabei, sich zu ändern. Sie war voller Neuanfänge. Sie hatte sich zwei Hüte gekauft und sich auch bemüht, das Rauchen aufzugeben. Und in den letzten paar Tagen hatte sie sich gleich zweimal dabei ertappt, wie sie von George als von »Mr. Hall« sprach.
Schuldgefühl ist nicht nur in seinem Ursprung reaktionär, sondern auch in seinem Ausdruck. Jahrelang hatte sie es in ihrem Hause gehalten, so dumpf, unbestimmt und beständig wie die Gesellschaft einer Katze; jetzt aber, schärfer fixiert, wurde aus ihm allmählich berechtigte Empörung.
Die Plakatwände, die für Restaurants, sündhaft teure Motels und Spielcasinos warben, gingen ihr nur gelinde gegen den Strich, wahrhaft erzürnte sie jedoch die übertriebene Werbung der Juweliere den Wüstenhighway entlang. Riesige Eheringe, groß wie Hula-Hoop-Reifen, durch die der Mond mühelos seine Bahn hätte hindurchziehen können, zum Spielen, zum Durchklettern, zum Hügelabwärtsrollen. Und die Rund-um-die-Uhr-Juweliere nahmen für sich das Tür-an-Tür mit der berühmten Neonkapelle in Anspruch, die ihrerseits in riesigen Blockbuchstaben ihren Vierundzwanzig-Stunden-Service anbot, Priester, Blumen, Fotograf und Trauzeugen inklusive. Vielleicht sprangen sie auch mit Ersatzbräuten und Ersatzbräutigamen ein. Als die Plakatwände zum Stadtrand hin weniger wurden, wurden sie von den eigentlichen Gebäuden, kompakter und noch protziger als ihre Abbildungen, ersetzt. Evelyn war fast dankbar, wenn sie ab und an eine Filiale einer ihr vertrauten Supermarktkette oder den Platz eines Gebrauchtwagenhändlers sah.
Das Taxi bog von der Hauptstraße ab in eine unansehnliche Gegend mit kleineren öffentlichen Gebäuden, die die wenigen älteren Privathäuser nun im Schatten stehen ließen und deren handgemachte Schilder Musikunterricht, Schneiderarbeiten und Tee anboten. Dazwischen eine verlassene Schule, ein hohes Gebäude mit schmalen Fenstern, der Schulhof öde, hart gebrannte Erde. Über die Dächer des nächsten Wohnblocks ragte die Spitze eines Kirchturms wie ein umgedrehtes Ausrufungszeichen. Es war Sonntag.
Als das Taxi an die Bordsteinkante fuhr und hielt, sah Evelyn auf ein großes, vom Straßenrand zurückversetztes Haus, das mit seinen Fensterläden recht albern wirkte. Sie ließ sich ihr Zögern nicht anmerken, stieg aus dem Taxi, bezahlte den Fahrer, nahm ihre Koffer und ging schnell auf das Haus zu.
Frances Packer öffnete die Haustür. Sie war eine kleine rundliche Frau in den Fünfzigern, mit mütterlichem Gesicht, die Eigentümerin. Sie begrüßte Evelyn mit Namen und rief dann ihren Sohn Walter. Er kam aus dem Wohnzimmer in die Diele, ein hochgewachsener Junge mit markanten Schultern und weichem Gesicht, der, die Sonntagscomics noch in der Hand, in das Sonnenlicht blinzelte. Er erinnerte Evelyn an die vielen namenlosen jungen Leute, die sich im Hintergrund ihres Hörsaals irgendwie bequem in den beengenden Sitzbänken rekelten, Tag für Tag und Jahr für Jahr, sich wiederholend und ausbreitend wie Immergrün.
»Zeigst du bitte Mrs. Hall ihr Zimmer, mein Lieber?« Dann wandte sie sich freundlich an Evelyn: »Abendessen gibt's um fünf.«
»Das ist gut. Dann habe ich gerade noch Zeit, mich frischzumachen.«
Der Flur oben roch leicht nach Weihrauch, aber es war kühl. Das Zimmer, in das Walter Evelyn führte, war groß und laubgesprenkelt. Das Doppelbett war modernisiert worden, das Holzteil des Kopfendes war entfernt und durch das des Fußendes ersetzt worden, so dass das Bett behaglich und weniger bedeutungsschwanger seinen Platz einnahm, nicht länger Schauplatz der Zeugung, sondern jetzt einfach ein Ort zum Ausruhen. Den Raum beherrschte der alte Schreibschrank in der Ecke. Kein Sozialpsychologe hätte einen geeigneteren Wohnraum entwerfen können.
»Das Badezimmer ist gleich nebenan. Da müssten auch saubere Handtücher im Wandschrank sein«, sagte Walter, als er einen Koffer auf das Gepäckbord am Fußende des Bettes, den anderen quer über die Armlehnen eines Sessels legte. »Rauchen Sie nicht im Bett. Eine Feuerleiter gibt es nicht. Tun Sie abgeschnittene Zehennägel in den Aschenbecher. Und halten Sie keine Haustiere. Essenszeiten und andere Regeln der Hausordnung stehen in dem gedruckten Faltblatt in der Gideon-Bibel neben dem Bett. Noch Fragen?«
Evelyn lächelte ihn belustigt an, dankbar für seinen Unsinn, ohne jedoch eine passende Antwort parat zu haben. Außerhalb des Hörsaals war sie Heranwachsenden gegenüber nie schlagfertig gewesen.
»Aber ich habe eine Frage«, fuhr er fort. »Wir hatten eine Diskussion. Ich habe meiner Mutter gesagt, sie soll Dr. Hall zu Ihnen sagen. Das ist doch Ihr richtiger Titel?«
»Das spielt keine Rolle«, gab Evelyn zurück. Sie war eine der wenigen Frauen, die sie kannte, die das »Mrs.« dem »Dr.« vorzogen, vielleicht weil ihre Ehe schwieriger zu erreichen und zu erhalten gewesen war als ihr...
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