Schweitzer Fachinformationen
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Nein, es war wahrlich keine angenehme Nacht für den Pokorny. Und daher auch nicht für die Toni. Die schmerzenden Bänder und das ständige Seufzen, auch weil dem Freizeitpolizisten seine Begeisterung für private Ermittlungen jetzt doch etwas vorschnell erscheint. Der Sprengnagl hat schon recht, sein täglicher Rhythmus würde gehörig durcheinanderkommen. Nicht auszudenken, wenn er aufgrund einer Zeugenbefragung auf ein Mittagessen oder einen Nachmittagskaffee verzichten müsste. Und ob es in den Gesprächen mit dem Kriegsgott Fetzer und der ddr-Zwatzl bei einer geselligen Plauderei bleibt, ist auch noch nicht gesichert. Schweißgebadet hat er sich im Bett hin und her gewälzt, nach dem vierten Toilettenbesuch hat ihn die Toni um drei Uhr morgens dann freundlich, aber bestimmt zu einer Übersiedlung ins Wohnzimmer motiviert. Um sich abzulenken, hat er sich bis fünf Uhr durch sämtliche tv-Sender gezappt.
***
Knapp vor sechs Uhr humpelt er mit der Maxime ins Café Annamühle und trifft dort auf die ewig grantige, schweigsame Dagmar, die heute Frühschicht hat. Zumeist deutet sie nur mit dem Kopf zu den dunklen Semmeln hin, von der Toni heiß begehrt, und zu den flaumigen Pariser Kipferln. An guten Tagen zeigt sie mit den Händen darauf und steckt, auf sein Nicken hin, mit einem unverständlichen Grunzen das Gebäck ins Sackerl. Mehr an Konversation ist nicht drinnen. Nach den letzten Stunden würden heute ein paar nette Worte guttun. Leider bleibt die Dagmar ihrer redseligen Linie treu und zieht lediglich den rechten Mundwinkel nach unten. Ihr verzerrtes Gesicht ist weit entfernt von einem Lächeln für ihren Stammkunden und erinnert ihn mehr an einen Schlaganfallpatienten. Enttäuscht nimmt er das Frühstücksgebäck, vergisst sogar seinen Espresso und schlurft nach Hause.
Die Toni ist schon auf und unter Zeitdruck. Montag heißt es in der Stadtbücherei Bad Vöslau, früh anzutreten. Schließlich öffnet diese schon um acht Uhr morgens, und auch als Halbtagskraft lässt sie ihre Chefin und frühere Schulfreundin Tatjana nicht hängen. Pünktlichkeit ist eine Tugend.
»Und, bleibst du bei deiner Entscheidung? Geht sich bei deinen stressigen Tagen noch ein wenig Plaudern mit Fremden aus?« Sie schmunzelt und boxt ihm in sein kleines Bäuchlein.
»Du . Ehrlich, ich bin da hin- und hergerissen .«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?« Die Toni runzelt die Stirn. »Gestern hast du den Sprengi mega unter Druck gesetzt, und jetzt machst du einen Rückzieher?«
»Ernst, mein Ernst . Du bist gut . So einfach ist das auch wieder nicht«, stöhnt er und lässt sich schnaufend auf die Wohnzimmercouch fallen. Gedanklich sieht er im Schnelldurchlauf gebündelt die letzten Tatort-Folgen und die Probleme mit privaten Wichtigtuern ablaufen.
»Willi . Bärli . Wir schaffen das«, säuselt sie, setzt sich frivol grinsend auf seinen Schoß und küsst ihn zärtlich. »Komm . Sag einfach ja, und ich verwöhne dich am Abend . oben«, sie deutet mit dem Kinn die Stufen hinauf, ». bei dir, na?«
Zur Erklärung: Mit »bei dir oben« meint die Toni dem Pokorny seinen Hobbyraum. Jeder Mann braucht einen Hobbyraum. Mangels Keller wurde der vom Pokorny in den ersten Stock verlegt, unweit des Schlafzimmers. In Verbindung mit ihrem lasziven Augenaufschlag wird aus dem Hobbyraum allerdings das Spaßzimmer, eine erotische Bastelstube ersten Ranges, die, seltsam genug, einem beruflichen Absturz des Pokorny zu verdanken ist.
Nachdem er von seinem früheren Dienstgeber, einer Firma für Sicherheitsdienstleistungen, gekündigt wurde, kam das Pokorny'sche Liebesleben depressionsbedingt zum Erliegen. Erst eine Werbung bei Google - neben Wikipedia die einzige Website, die der hartnäckige Technikverweigerer Pokorny benutzt - für die Website von (en)joy-toy brachte wieder Schwung in ihr Eheleben. (En)joy-toy ist eine Homepage, auf der frivole Handwerker allerlei Sexspielsachen in Form von Werkzeug kaufen können. Beide Pokornys sind zwar absolut untalentierte Handwerker; mit einem echten Hammer würde der Pokorny bei dem Versuch, einen Nagel einzuschlagen, den Verlust mehrerer Finger riskieren. Aber mit dem Schaumstoffhammer und den abgeflachten weichen Gumminägeln von (en)joy-toy werden die zwei zu echten Heimwerkerprofis, und aus dem Hobbyraum wird ein Spaßzimmer mit einschlagendem Erfolg.
»Hm .«
»Bärli, danach mach ich dir noch ein gutes Steak mit Pommes.« Jetzt wirft die Toni alles in die Waagschale, weil mehr geht nicht.
Er gibt sich einen Ruck. »Na gut, Zuckerschnecke. Wo fangen wir an?«
»Heute bin ich um zwölf Uhr fertig. Hol mich von der Bücherei ab, wir dehnen die Mittagsrunde mit der Maxime bis zur Waldandacht aus und schauen einen Sprung beim Schöberl vorbei. Bis später, Bussi.«
Um dreizehn Uhr läuten sie, und der Schöberl öffnet prompt die Tür.
»Hallo, Frau Pokorny, schön, die bessere Hälfte vom Pokorny kennenzulernen.«
»Hallo, Herr Schöberl, ich bin die Toni. Der Willi hat mir schon viel von den gemeinsamen Waldspaziergängen mit Ihrer Romy erzählt.« Wie aufs Wort begrüßt die alte Dackeldame bellend die Maxime und lässt sich von der Toni den Rücken kraulen. »Das magst du, ja, ja. Brave Romy.«
Der Pokorny ist bezüglich der Abkürzung seines Vornamens nicht so flexibel wie die Toni, die laut Taufschein eigentlich Antonia heißt. Der Grund ist einfach erklärt: Seine Eltern haben ihn auf den Namen Willibald getauft, und weil er schon als Kind immer ein paar Kilo zu viel herumschleppte, wurde er oft Williblad oder der faule Willi genannt. Deshalb hat er halt grundsätzlich was gegen seinen Vornamen und lässt sich auch von seinen besten Freunden nur als Pokorny anreden. Lediglich von der Toni ist Willi natürlich in Ordnung.
»Ja, Ihre Maxime und meine Romy sind gute Freundinnen geworden. Ich bin übrigens der Franz«, sagt er und lächelt freundlich.
»Was war denn da gestern los?«, will jetzt der Pokorny wissen. »Ich habe dich ein paar Minuten vorher noch mit dem Lieblich reden sehen, und dann war er plötzlich tot.«
»Ich weiß es selber nicht. Es war für ihn einer seiner guten Tage, trotzdem hat es mich gewundert, dass ihn die Sissy zum Lauf mitgenommen hat. Wieso er aus dem Rollstuhl gefallen ist, weiß ich nicht, einer von den Randalierern muss ihn umgestoßen haben. Ich war mit dem Holler beschäftigt und habe den Waldemar erst während des Polizeieinsatzes bewusstlos am Boden liegen sehen. Die Wiederbelebungsmaßnahmen waren leider umsonst.« Er schüttelt den Kopf und lässt die Schultern hängen. »Hätte ich mich nicht mit dem Holler geprügelt, sondern stattdessen die Sissy und den Waldemar in Sicherheit gebracht .«
»Wer ist die Sissy?«, fragt die Toni.
»Die Frau vom Waldemar. Eigentlich heißt sie Elisabeth, mir gefällt >Sissy< besser. Kommt mit in den Garten, ich stell sie euch vor.«
Auf der Terrasse sitzt die vollschlanke Frau, die der Pokorny gestern beim Kurstadtlauf neben dem Schöberl gesehen hat. Vor vielen Jahren sicherlich eine begehrenswerte Frau, haben sich mittlerweile die Kilos und damit auch die Proportionen altersbedingt ein wenig in Richtung Gesäß verschoben. Ihr schwarzer Faltenrock klafft bei den übergeschlagenen Beinen auseinander, eine rote Netzstrumpfhose blitzt hervor. Die langen schwarzen Haare hat sie am Hinterkopf zu einer strengen Schnecke zusammengebunden. Die dunklen, scheinbar pupillenlosen Augen und die schmalen hellrot geschminkten Lippen lassen das Thermometer gleich um ein paar Grad absinken.
Die Lieblich nickt, stellt ihr halb volles Sektglas auf den großen ovalen Teakholztisch, der mittig unter einer rosengeschmückten Pergola steht, und erhebt sich. »Franz, ich muss jetzt weg! Kümmere dich um deine Gäste.« Ein Winken und fort ist sie. Jetzt weiß der Pokorny, was die Katzinger gemeint hat. Bei der Verteilung der Empathie hat die Lieblich nicht gerade aufgezeigt.
In dieser peinlichen Situation bittet der Schöberl die Pokornys, auf den gemütlich aussehenden Rattansesseln Platz zu nehmen, und entschuldigt sich, um frische Getränke zu holen.
Zurück mit einem Tablett mit Wein, Sekt und Vöslauer Mineralwasser, meint er: »Tut mir leid. Sie meint das nicht so, aber der plötzliche Tod vom Waldemar hat sie schwer getroffen.« Während er der Toni ein Glas Frizzantino, dem Pokorny und sich je ein Achterl Veltliner einschenkt, erzählt er mit leiser und melancholischer Stimme, wie er seine verstorbene Frau, die Helene, kennengelernt und vor dreißig Jahren durch einen tragischen Verkehrsunfall verloren hat. Er berichtet auch von ihrer Schwester Elisabeth und wie erfolgreich die beiden als Lieblich-Zwillinge waren, wie die Sissy ihren Waldemar, den bekannten Opernsänger, kennengelernt hat und von dem stressbedingten Lebenswandel und Waldemars erstem Herzinfarkt bei einer Aufführung an der Wiener Staatsoper.
Eine Pause sei dringend notwendig gewesen. Trotzdem habe er weitergemacht, habe geglaubt, unersetzlich zu sein, und nicht auf seinen Arzt gehört. Nach dem zweiten Herzinfarkt bekam er einen Schrittmacher implantiert, und mit der Karriere war es vorbei. In letzter Zeit habe der Schöberl der Sissy oft ausgeholfen. Der Waldemar saß nur mehr im Rollstuhl, sich waschen und die Dinge des täglichen Lebens habe er allein nicht mehr geschafft. Er, der Schöberl, sei es als Pfleger ja gewohnt, anderen Menschen zu helfen. Ohne Frage werde er immer für die Sissy da sein.
»Sie hat immer wieder gesagt, wenn sie den Waldemar nicht kennengelernt hätte und ich nicht die Helene .«, flüstert er. »Aber es ist, wie es ist. Wer weiß, was die Zukunft bringt?«
Die Toni kostet einen Schluck von dem herrlich spritzigen Frizzantino vom Weingut...
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