Schweitzer Fachinformationen
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Eine Dunstwolke aus warmfeuchter Pflanzenluft begrüßte mich. Genau wie es auch das Quietschen der Scharniere tat, die mit ihrem Geräusch die fehlende Klingel ersetzten. Nachdem ich die Glastür ganz aufgeschoben und ein paar Schritte ins Innere gemacht hatte, wehte mir als Nächstes der Duft von Jasminblüten und Zitronengras entgegen.
»Was machen wir nur mir dir?«, raunte ich unserem Gewächshaus zu und seufzte. Das Ding war schließlich nicht nur uralt und übermäßig historisch, es besaß auch noch die Höhe eines Einfamilienhauses. Wirklich. Unser Gewächshaus ähnelte denen, die man auch in Botanischen Gärten fand. Dabei stand es einfach hinter unserem Haus. Also dort, wo andere ihren Hühnerstall oder das Trampolin aufbauten. Aber bei uns war eben alles ein bisschen anders.
Auch heute brauchte ich einen Moment, um mich an die Luft im Inneren zu gewöhnen. Sie fühlte sich schwer und irgendwie zu dick an. Dabei duftete sie nach so vielen Dingen gleichzeitig. Nach Lavendel zum Beispiel, Kardamom, Salbei, Kakaobohnen und noch viel mehr. Die Glastür quietschte ein weiteres Mal, bevor sie hinter mir ins Schloss klackte. Kurz blieb ich stehen und atmete ein, bevor ich die nächsten Schritte machte. Hinein ins wilde Grün.
Seit Hanne weggezogen war und sich nicht mehr um das Gewächshaus kümmerte, wucherten die Pflanzen über uns hinaus. Sie übernahmen das Glashaus nach ihren eigenen Gesetzen und wir hatten keine Chance, den ganzen Ranken, Sträuchern und kräftig gewachsenen Bäumen Grenzen zu setzen. Im Vorbeigehen strich ich mit meiner Hand über die Blüten des Jasmins. Sofort hüllte mich ihr Honigduft ein und ließ mich ruhiger werden. Einen Moment lang legte ich meinen Kopf in den Nacken und sah zu den beschlagenen Glasscheiben hinauf, die weit über meinem Kopf die Sonnenstrahlen ausbremsten. Seit Ewigkeiten hatte sie niemand mehr geputzt. Ich straffte die Schultern, verscheuchte die Sorge darüber, wie wir das alles nur in den Griff bekommen sollten, und zwängte mich durch das Dickicht.
»Luuuuzie! Warte!« Hinter mir rannte Benno durch die Tür. Es dauerte nur Sekunden, bis ich roch, wen mein kleiner Bruder noch im Schlepptau hatte.
Ich keuchte kurz und hielt mir die Nase zu. »O Mann! Was hast du Mr Murphy heute Morgen zu fressen gegeben?
»Du bist fies!« Benno sah beleidigt zu mir hoch. »Mr Murphy ist noch klein und er hat eine schwierige Verdauung«, versuchte er es so erwachsen auszudrücken, wie er es mit seinen sechs Jahren eben konnte.
»Eine schwierige Verdauung .?« Meine Mundwinkel zuckten. »So was nennt man allgemein einen fahren lassen. Mannomann! Wie kann dein Minihund so rumpupsen, als wäre er ein Mammut mit Monsterblähungen?« Ich zwinkerte ihm zu, aber Benno verschränkte nur die Arme.
»Hör auf, Mr Murphy zu ärgern. Er muss sich doch noch bei uns einleben.« Mein Bruder zog seine Augenbrauen zusammen. »Ich glaub, unser Essen ist anders als das, das er kennt.«
Ich hob die Hände und warf dem Pudelwelpen, der aufgeregt Kreise um Bennos Beine drehte, einen kurzen Blick zu. Mr Murphy sah aus seinen braunen Riesenaugen zu mir herauf, als wäre ich - nach Benno - das zweittollste Wesen, das er je gesehen hatte. Dabei wedelte sein Schwanz im Zickzack durch die Luft. Wenn Mr Murphy nur nicht jedes Mal zur Begrüßung eine seiner Stinkbomben ablassen würde, wäre dieser flauschig gelockte Babyhund tatsächlich supersüß.
Immerhin bellte er eher selten, was ich ihm wirklich hoch anrechnete. Trotzdem glich seine Niedlichkeit die peinlichen Situationen, in die er mich schon gebracht hatte, nur zur Hälfte aus. War man mit Mr Murphy unterwegs und traf jemanden, stieg augenblicklich eine grässliche Duftnote mit halb betäubender Wirkung auf, für die man selbst so lange schweigend beschuldigt wurde, bis man Mr Murphys schwierige Verdauung erklärte. Allerdings war ich mir nie sicher, wie viel das tatsächlich half. Peinlich war es jedes einzelne Mal.
Benno rief den herumspringenden Mr Murphy zu sich zurück und sah mich an. »Was machst du hier?«
»Bin mit Elodie verabredet«, erklärte ich und ging weiter.
Mr Murphys persönliches Odeur war endlich verflogen und wurde von etwas Neuem abgelöst. Der Geruchsmischmasch, den ich nun wahrnahm, verscheuchte sogar den honigsüßen Jasminduft und lenkte mich in die Richtung, in die ich sowieso wollte. Er hatte etwas Unnatürliches und war schwer zuzuordnen. Im Grunde ahnte ich schon, was das war, also schob ich ein paar Äste aus dem Weg und arbeitete mich zusammen mit Benno und Mr Murphy an den Pflanzenbeeten entlang, immer dem neuen Duft entgegen.
»Na endlich!«, hörte ich Elodies Stimme. Sie selbst musste irgendwo hinter dem Dickicht aus Blüten und Blättern stecken. »Wieso kommst du so spät? Ich habe schon überlegt, wieder zu gehen.«
»Zu gehen? Echt jetzt?« Kurz verdrehte ich die Augen. Normalerweise ließ Elodie mich warten. Und das nicht zu knapp. Einmal hatte ich mir eine ganze Stunde an unserem Treffpunkt die Beine in den Bauch gestanden, bis sie endlich aufgetaucht war. Aber wenn es ausnahmsweise mal umgekehrt war und ich mich ein paar Minuten verspätete, war das offensichtlich eine unglaubliche Zumutung.
Ich seufzte, zwängte mich an einem Ginkgobaum vorbei und stolperte direkt in eine undurchsichtige Wolke aus Fliedergeruch und irgendwelchen weiteren Zutaten hinein. Nanu? Was war denn hier los? Mit der Hand wedelte ich durch den violetten Dunst, in dem ich gelandet war, und hörte Mr Murphy hinter mir ausnahmsweise doch bellen. Das, was Elodie im gleichen Moment sagte, hörte ich deshalb nicht. Also wedelte ich stärker durch die Fliederschwaden und machte zwei vorsichtige Schritte geradeaus, damit ich Elodie wenigstens sehen konnte. Doch da war nichts. Nichts, außer blauviolettem Nebel weit und breit. Ich drehte mich nach links, dann nach rechts und verlor die Orientierung.
»Wieso machst du so was?«, meckerte ich, weil ich schon ahnte, woher dieser Geruchsmischmasch und die Nebelwolken kamen. Elodie musste einen unserer Flakons geöffnet haben. Einen von denen, die es in sich hatten und eigentlich fest verschlossen und gut versteckt aufbewahrt werden sollten. Mir wurde allein bei dem Gedanken daran heiß, was alles passieren konnte. Und das aus gutem Grund.
Schon im nächsten Moment spürte ich, wie die Luft um mich herum in Bewegung kam. Der Blütenduft verstärkte sich mit einem Mal so, dass mir davon schwindelig wurde. Konzentrier dich!, versuchte ich mir zuzureden. Knospen schoben sich durch den Nebel. Immer dichter wuchsen sie auf mich zu und umringten mich. Ranken schlängelten sich an mir empor und quetschten mich immer enger in ihrer Mitte ein. Mein Puls wummerte.
»Elodie!«, rief ich, hörte sie aber nicht mehr antworten. Stattdessen packte mich etwas am Bein und schlang sich fester darum. Ich bückte mich und versuchte hektisch, die Ranke abzuschütteln, doch da kringelte sich bereits eine weitere um meinen Arm, zog sich zusammen und wuchs über mich hinaus. »Elodie! Beeennooo!«, brüllte ich und verlor den Boden unter meinen Füßen. Die Dornen eines Rosenstrauchs stachen mir in den anderen Arm und eine Rosenblüte drückte sich mir ins Gesicht. Das, was mein Bein umschlang, wurde kräftiger und hob mich weiter in die Höhe. Langsam verflogen die Fliederwolken und ich konnte zusehen, wie im Schnelldurchlauf immer neue Knospen entstanden. Sie wurden größer, falteten sich auseinander und blühten schließlich auf. Es sah aus, als würde man einen Film im Schnelldurchlauf vorspulen. In allen möglichen Farben und Formen toste ein Blumenmeer um mich herum. Ich steckte in einem Dickicht aus Knospen und Blüten fest, die wie ein Feuerwerk immer weiter aufpoppten. Mit Mühe versuchte ich einen Blick nach unten zu werfen - und augenblicklich drehte sich mir der Magen um. Ich schwebte so hoch in der Luft, dass mir die Glasdecke mittlerweile näher war als der Boden.
Weil klar war, was passieren würde, sobald die Wirkung der künstlichen Fliederwolke nachließ, klammerte ich mich in die Stängel. Zumindest theoretisch war ich vorbereitet. »Benno! Halt dich fest!«, brüllte ich wieder, ohne zu wissen, wo mein kleiner Bruder steckte und ob er mich überhaupt hören konnte. Mein Herz raste und meine Gedanken gleich mit.
Ein Windhauch zog mir über die Arme und ließ die Blätter rascheln, als wären sie vertrocknetes Laub. Und dann geschah es: Die Blüten ließen ihre Blätter fallen und verwelkten genau so schnell, wie sie sich entfaltet hatten. Ein plötzlicher Herbst setzte um mich herum ein und der mächtige Pflanzenstängel, der mich umklammert hatte, hielt auf einmal mein Gewicht nicht mehr und brach. Aus ihm war ein morscher Ast...
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