Wie Menschen sich verständigen
Bevor wir uns genauer mit der Körpersprache eines anderen Lebewesens beschäftigen, sollten wir uns zuerst einmal über die der eigenen Spezies im Klaren oder besser bewusst sein. Vielen von uns ist gar nicht klar, wie unmissverständlich wir mit unserem Körper sprechen und wie stark wir ihn auch einsetzen können. Wie soll man auf Anhieb die Körpersprache eines anderen Lebewesens deuten können, wenn man nicht einmal die eigene Körpersprache kennt? Automatisch spielen sich Vermenschlichungen ein, da wir die wahre Bedeutung nicht erkennen können oder wollen. Denn viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, was sie alles mit ihrem Körper ausdrücken, welche Gefühle und Emotionen sie über die Körpersprache transportieren.
Was unser Körper verrät
Wir sprechen mit unserem Körper und reagieren auf die Körpersprache anderer, kommunizieren, ohne dass wir uns dessen eigentlich bewusst sind. Körpersprache bedeutet, dass der Körper mit der Umwelt kommuniziert. Nicht nur Reden ist eine Sprache. Unser Körper kann Verlangen, aber auch Abwehr nonverbal ausdrücken. Möchte der Körper einen Wunsch transportieren, wird der Ausdruck des inneren Bedürfnisses stets diesem entsprechend sein. Reagiert der Körper auf Angebote von außen, kann die Reaktion sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Diese Signale werden als Körpersprache verstanden (Molcho, 2001). Auch hier unterlaufen uns sicher einmal Fehlinterpretationen, gerade bei fremden Menschen, die man noch nicht so recht einzuschätzen weiß. Dennoch sind die körpersprachlichen Signale meist eindeutig, ein Verstellen bzw. Täuschen nur schwer möglich.
Ein Wort hat eine bestimmte Bedeutung, aber das Wort allein bildet noch keinen ganzen Satz. Bei der Körpersprache ist es nicht anders. Der ganze Körper spricht mit, bildet sozusagen Sätze. Jeder Körperteil hat verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten und sagt für sich gesehen noch nicht unbedingt viel aus. Damit wir eine Sprache verstehen, müssen wir ihre Vokabeln erst lernen. Auch die Körpersprache hat ihre eigenen Vokabeln in den Körperteilen. Die Lautsprache kann lügen, widersprüchlich sein, der Körpersprache ist die Wahrheit anzusehen (Molcho, 2001).
© Klaus Grittner/Kosmos
Hunde nutzen hauptsächlich ihren Körper zur Verständigung: Hund links droht dem Junghund.
Aktion und Reaktion
Unterhalten wir uns mit jemandem, so sehen wir ihn automatisch an und beobachten ihn, um Reaktionen ablesen zu können. "Und Reagieren ist eine Form des Agierens. Aktion äußert sich in Bewegung und bedeutet, dass der andere aufgenommen hat, was ich signalisiert habe" (Molcho, 2001). Reagiert das Gegenüber, heißt es aber nicht zugleich, dass die Botschaft auch akzeptiert wurde. Sie wurde vielleicht nur wahrgenommen, aber es wird nicht explizit darauf reagiert. Hat man nun das Gefühl, sein Gegenüber nicht erreicht zu haben, intensiviert man seine verbalen oder nonverbalen Signale, obwohl man zuvor nicht die Absicht hatte, so deutlich zu werden (Molcho, 2001).
Diese Verstärkung gibt es auch beim Hund, oft hört man: "Er hat plötzlich, ohne zu warnen, zugebissen!" In Wirklichkeit wurden die vorhergehenden Signale wie z.B. ein Fixieren oder Steifwerden ignoriert oder einfach nicht gesehen. Denn diese Signale werden oft nur kurz gezeigt, sodass der Mensch geübt sein muss, um sie zu erkennen.
Unsere Körpersprache, so wie auch die sämtlicher anderer Lebewesen auf der Erde, ist angeboren. Man möchte es kaum glauben, aber auch in uns stecken noch biologisch begründete Signale von Territorialverhalten, Imponiergehabe und Dominanz. Vergleicht man die nun folgenden menschlichen Verhaltensweisen mit der Hundewelt, wird man auf verblüffende Parallelen treffen.
© Klaus Grittner/Kosmos
Beim körperlichen Spiel zwischen dem Flat Coated Retriever-Rüden Buck und dem Appenzeller Sennenhund-Rüden Basti werden viele körpersprachliche Signale eingesetzt. Das Spiel ist gekennzeichnet durch Rollenwechsel, mal ist Buck vorn, mal bestimmt Basti das Spiel.
Besitzansprüche
Territorial- und Revierverhalten lassen sich nicht nur in der Tierwelt beobachten. Hiermit werden das eigene Revier, der eigene Lebensraum beschützt und gesichert. Tiere neigen dazu, ihr Territorium auf irgendeine Art zu markieren, sei es durch zurückgelassene Haare, in Form von Duftmarken durch Kot und Urin oder durch reine Anwesenheit. Wir Menschen reagieren nicht anders, zum Beispiel,
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wenn wir einen Gegenstand an Stelle eines Haars zurücklassen: Dieses Verhalten kann man z.B. in Ferienzeiten beobachten, wenn Menschen "ihre" Liege am Pool mit einem Handtuch markieren;
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wenn wir Duftmarken wie Parfüm auftragen und hinterlassen;
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wenn wir unser Revier durch reine Anwesenheit markieren bzw. durch eine ganz spezielle Form von Ordnung und Unordnung: So werden die Gemeinschaftsräume der Familie aufgeräumt gehalten, die anderen, z.B. Kinderzimmer, sind vor lauter Unordnung kaum für andere betretbar.
Ein Beispiel aus meinen Seminaren: Zu Beginn eines Seminars stelle ich die Tische immer in einer U-Form auf. Jeder Teilnehmer sichert sich dann auch sofort einen Platz, der mit etwas Persönlichem gekennzeichnet und nach den Pausen immer wieder aufgesucht wird. Dies ist nichts anderes als territoriales Verhalten, das wir alle kennen. Doch es kommt noch besser: Am zweiten Tag stelle ich die Tische in eine parlamentarische Form um und in 28 von 30 Seminaren fragen mich die Teilnehmer sofort, ob wir die Tische nicht wieder in die U-Form zurückstellen könnten. Die Anordnung und Sicherung eines eigenen Platzes schafft also in allererster Linie Ordnung und verspricht Sicherheit.
Individualdistanz
Der Begriff des Territoriums ist nicht nur räumlich, sondern auch körperlich zu verstehen. Jeder Mensch hat und auch Tiere haben eine ganz eigene Individualdistanz. Wird diese unterschritten, geraten wir in Stress. Es gibt Menschen, die uns unangenehm auf die Pelle rücken, uns im wahrsten Sinne des Wortes zu nahe kommen. Dieses Verhalten kann man z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachten. Betritt man einen Bus oder einen Zug, sucht man sich gern ganz freie Doppelsitze oder Abteile. Kaum jemand wird sich neben eine fremde Person setzen, wenn noch irgendwo eine freie Ecke zu finden ist, dafür durchqueren einige auch ganze Zugwaggons. Nur ungern kommt man Fremden so nah. Bei anderen Menschen, z.B. Sozialpartnern, lassen wir diese Nähe gern zu und suchen sie auch. Individualdistanz ist aber nicht nur abhängig von der Person, sondern auch von der jeweiligen Situation, in der wir und das Gegenüber uns befinden. Bin ich selbst gerade gestresst oder aber gab es vorher eine Meinungsverschiedenheit, möchte ich vielleicht lieber auf Abstand gehen, brauche Zeit für mich, in der ich die Nähe anderer im Moment nicht ertragen kann.
Alles das findet man auch beim Hund, gerade Mehrhundehalter können diese Verhaltensweisen immer wieder beobachten. Hunde, die sich verstehen und mögen, liegen eng aneinandergekuschelt zusammen, gern auch in einem Körbchen, auch wenn der Platz dann eng wird. Doch manchmal braucht jeder Hund einfach sein eigenes Körbchen, will für sich sein, sich der Länge nach ausstrecken und seine Ruhe haben.
© Klaus Grittner/Kosmos
Die Halbgeschwister Lilyen und Jamie kennen sich von Welpe an, sie vertrauen einander. Gern liegen sie eng aneinander gekuschelt zusammen in einem Körbchen.
© Klaus Grittner/Kosmos
Manchmal braucht aber auch jeder seine Ruhe. Daher gibt es zwei gemütliche Liegeplätze für die beiden, sodass jeder lang ausgestreckt und ohne eingeschränkt zu werden entspannen kann.
Jemandem die kalte Schulter zeigen
"Wie komme ich einem anderen vertrauensvoll entgegen? Tatsächlich erweckt derjenige Vertrauen, der dem anderen sozusagen seinen weichen Bauch ausliefert. Wer seitwärts, also mit den Schultern voran zu einem Partner tritt, isoliert ihn und sich. Jedenfalls hält er Distanz. Mit jeder Abwendung werden andere Optionen wahrgenommen, der Sicherheitsabstand zum Partner wächst. Wenden wir dem Partner unseren Mittelkörper zu, so wird diese Zuwendung zu Zuneigung und zu größerer Nähe führen. Je näher mir der andere kommt, umso mehr Vertrauen drückt er damit aus und fordert er auch von mir" (Molcho, 2001).
Der Bauch ist der weiche Teil unseres Mittelkörpers, der nicht überall durch Knochen geschützt ist. Wir schützen ihn instinktiv vor Verletzungen. Auch das Verschränken der Arme vor dem Bauch ist ein Zeichen für "auf Distanz halten". Man schützt sozusagen den weichen Teil mit den Armen und geht damit auf Abstand zu seinem Gegenüber. Je freier und offener jemand seinen Bauch demonstriert, desto selbstbewusster und vertrauensvoller ist er auch (Molcho, 2001).
Über die Schulter schauen
Ebenso unangenehm wie das Unterschreiten der Individualdistanz ist auch das Über-die-Schulter-Schauen. Wir empfangen zwar auch Informationen mit dem Rücken, aber es sind wesentlich weniger als mit den Augen.
Jemanden in unserem Nacken zu spüren, ist allein schon unangenehm, weil wir sehen möchten, was uns erwartet. Ertragen können wir diese Situation nur dann, wenn wir zu der Person hinter uns Vertrauen haben, sie uns Rückendeckung geben kann (Molcho, 2001). Besteht keine Vertrauensbasis, drehen wir uns lieber um oder gehen weg.
Im Fall des Paares auf dem Foto unten links sprechen die Körper eine deutliche Sprache. Der Mann hat die Schultern angehoben, den Kopf nach vorn gerichtet und die Individualdistanz zur Frau dadurch...