Schweitzer Fachinformationen
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Hilfe!
Mit pfeifenden Bremsen erreichte der Zug Maries Ziel. Karls Playlist bot mit »Child in Time« ihre Lieblingsnummer von Deep Purple. Sie überquerte die Gleise, passierte das Restaurant L.O. K.S., in dem sie ab und zu sehr gutes Wok-Gemüse aß, und freute sich auf den Abend mit Andreas.
Bis zur Villa, die Frauke mit Fröbe bewohnte, waren es nur ein paar Schritte. Das FRIMO 2, einen der elektrischen Transporter der Geschmacksverstärker:innen, hatte sie in der Auffahrt abgestellt. FRIMO war die Abkürzung für Frischemobil und erinnerte sie immer an ihr gutes altes Ermittlungsmobil, das sie vor einer halben Ewigkeit auf EMO getauft hatte.
Dass Frauke sich ausgerechnet in einen Polizisten verknallt hatte! Mit Fröbe tauschte Marie gern wissende Blicke, wenn es um Mord und Totschlag ging. Frauke fand das wohl eher so mittel, glaubte sie.
Sie klingelte. Die Tür machte keinen Mucks. Marie umrundete den dreigeschossigen Prachtbau. Frauke lag nackt auf der Veranda. »Bist du scharf auf Hautkrebs?«, fragte Marie.
»Schnauze, ich bin von uns beiden die Ärztin, und ich liege hier erst seit fünf Minuten.«
Wenige Menschen durften so mit Marie sprechen. »Wo ist Fröbe?«
»Spätdienst. Polizisten arbeiten auch, wenn es dunkel ist. Schon vergessen?«
Marie legte ihre Umhängetasche neben eine der Liegen und wandte sich dem Haus zu. »Auch Durst?«
»Immer.«
In der Küche öffnete Marie den Kühlschrank in der Hoffnung auf eine Karaffe Kaltgetränk. In der Regel rührte Frauke aus Minzblättern, Ingwer, Honig und Wasser mehr oder weniger gesunde Flüssigkeiten zusammen. Mittelgroß die Überraschung, dass sich außer Bier nichts Trinkbares fand.
Es war nach siebzehn Uhr, und Marie wollte sich mit Frauke ein Astra Arschkalt genehmigen. In Wärmezeiten wie diesen hatten auch Wörter, die Abkühlung suggerierten, Konjunktur. Die Deutsche Gesellschaft für Sprache hatte herausgefunden, dass die durchschnittliche Temperaturzunahme im betrachteten Fünfjahreszeitraum mit der schriftsprachlichen Verwendung solcher Wörter korrelierte, die etymologisch mit Begriffen wie kalt, Eis, Kühle, Schnee und so fort assoziiert wurden. Bisweilen waren Gedanken wie drei Korn auf ex.
Vom Tisch nahm Marie noch Sonnenschutzcreme Faktor fünfzig mit raus, die immerhin achtundneunzig Prozent der UVB-Strahlung blockierte. Als sie einmal eine Creme mit Lichtschutzfaktor hundert nach Hause mitgebracht hatte, war sie von Andreas als Werbeopfer verspottet worden. Er hatte ihr erklärt, dass es unmöglich sei, hundert Prozent der gefährlichen Strahlung abzuhalten.
Frauke bewies Vernunft, zog sich ein weißes T-Shirt über und wechselte in den Schatten der alten Linde. »Ich bin genervt, weil Fröbe genervt ist. Nein, genervt ist falsch, er ist aufgeregt, unruhig, fahrig, zornig.«
Neben Frauke war noch ein Platz auf der schmalen Bank frei. So saßen sie nebeneinander und sagten eine Weile nichts, schauten einem Eichhörnchen zu, wie es nach Nüssen grub. »Und warum ist er so in Wallung, dein Fröbe?«
Ein kleiner Rülpser entwich Fraukes leicht geöffnetem Mund.
»Niemand rülpst so damenhaft wie du«, versuchte Marie ein Kompliment.
»Er ist in Wallung, weil er den Betreiber dieses Eros-Centers kannte. Mehr weiß ich nicht. Er schweigt.«
»Guter Bulle.«
»Apropos. Wir müssen noch entscheiden, wer die Burgerpattys für Fehmarn macht. Wir können da nicht nur Veggie anbieten.«
Frauke zauberte ihr Tablet aus einer Tasche hervor, die über der Armlehne hing. Sie scrollte durch die Liste der Fleischlieferanten, rief aktuelle Preise auf, stöhnte, trank noch einen Schluck Bier. Marie merkte, wie sie wegdöste. Die Schatten von Blättern und Ästen auf dem Rasen, der Gesang eines Vogels, den sie als den einer Amsel identifizierte, die Aufregung des Besuches bei Rike und Karl, die Wärme.
»Marie, du schnarchst. Ich glaube es nicht. Hier, Benno, der ist unser Mann. Auf Fehmarn. Kurze Wege. Der liefert direkt, wir sparen uns den Umweg übers Lager. Büschen teuer, aber wir haben's ja. Wehe, du schläfst noch mal ein. Nehmen wir den?«
»Unbedingt. Auf dem Ferienhof seiner Eltern haben Andreas, Karl und ich mal übernachtet, als der Bulli von Rita und Uwe schlappgemacht hat. Das habe ich bis heute nicht erzählt. Die sind immer noch so was von pingelig mit ihrem Augenstern. Noch ein Bier, die Dame?«
Frauke reichte Marie die leere Flasche und schrieb Benno eine Nachricht. Als Marie mit Bier und einem Glas Wasser zurückkam, war das Thema erledigt. Fraukes Blick auf das Wasser beantwortete Marie mit einem Fingerzeig in Richtung FRIMO 2.
So saßen sie im Garten der Villa am Einfelder See und fühlten, dass sie es gut getroffen hatten. Mitarbeiter meldeten sich online und bestätigten den Einsatz beim Bulli-Festival, der Check notwendiger Genehmigungen fiel positiv aus.
»Dass sich unser Laden so entwickeln würde, hätte ich damals nicht gedacht. Wir haben echt Schwein gehabt«, sprach Frauke aus, was Marie empfand.
»Karl sagt übrigens seit Kurzem: >Da haben wir ja wieder mal Tofu gehabt<.«
»Von wem hat der Junge nur diesen feinen Humor?«, frotzelte Frauke.
Marie schlug nach ihr, verfehlte sie aber knapp.
»Zurück in den Polizeidienst kannst du mit deinen Nahkampf-Skills aber nicht, alte Frau.«
»Lass mich. Ich muss arbeiten.« Marie ging ans Telefon. »Frau Kriminalrätin, was verschafft mir die Ehre?«
Am anderen Ende seufzte Astrid, Maries alte Kollegin beim LKA in Kiel. »Ich schaff das morgen früh nicht. Hier ist gut zu tun, und der Nachfolger an deinem alten Schreibtisch ist auf Fortbildung beim BKA in Wiesbaden.«
»Bernd beim BKA. Soso. Da war ich auch mal. Die Geschichte mit Mayr. Das waren wilde Zeiten.«
»Hast du schon mal erzählt, Marie. Vielleicht auch vier Mal. Können wir uns am Nachmittag treffen?«
»Können wir. Ich habe frei bis zum Bulli-Festival.«
»Frei. Davon kann ich nur träumen. Egal. Fünfzehn Uhr bei mir im Büro?«
»Jo.« Marie legte auf. »Überall fehlen Leute. Seitdem die Boomer in Rente gehen, ist es noch schlimmer geworden.«
»Was du nicht sagst. Ich verstehe nur nicht, dass die Verbrecher so gut nachwachsen. In deren Branche müsste es doch auch Fachkräftemangel geben.«
»Gibt es auch. Aber eben nur bei bestimmten, körperbetonten Gewerken wie Einbruch. Zugenommen hat der gesamte Cyberbereich. Apropos Zukunft. Ich bin schwer gespannt, wie genau diese Katenschinkenstraße funktioniert. So witzig der Name auch ist, den Ballermann mal eben so nach Fehmarn zu exportieren ist ja doch ein ziemlich gewagtes Unterfangen.«
»Finde ich nicht«, war Frauke sich sicher. »Das Konzept funktioniert seit Jahrzehnten. Und wenn es am Mittelmeer funktioniert, dann vermutlich auch an der Ostsee. Ist halt übel heiß auf Malle. Ich hoffe nur, dass die uns nicht zu viele Besucher beim Bulli-Festival abspenstig machen.«
Vom See kamen laute Hilferufe. Marie und Frauke zuckten gleichzeitig, drehten die Köpfe in Richtung Wasser, sprangen auf und liefen los. Das Gartentor war abgeschlossen, Marie fluchte. Die Hecke war dicht und dornig. Wieder rief ein Mensch um Hilfe. Marie tastete ihre Taschen ab. Früher hatte sie meist ein Pickingbesteck bei sich gehabt.
»Hier rum!« Frauke flankte über den seitlichen Begrenzungszaun in den Garten der Nachbarn, Marie folgte. Sie umrundeten einen Fischteich, erreichten das Törchen, das offen stand. Vor ihnen lief der Nachbar, ein Mann jenseits der achtzig. Marie und Frauke überholten ihn, Frauke hob grüßend die Hand, und dann sahen sie über den schmalen Strand hinweg, dass sich zwischen den beiden Landzungen, gute zweihundertfünfzig Meter vom Ufer entfernt, ein Mädchen an ein aufblasbares Einhorn klammerte. Immer wieder versuchte das Kind, ins Innere des Spielzeugs zu gelangen. Beinahe gleichzeitig sprangen Marie und Frauke ins Wasser. Beide waren gute Schwimmerinnen.
Nur wenig später verstummten die Hilferufe. Marie reckte den Kopf so hoch aus dem Wasser, wie sie konnte, sah aber nur die Spitze des Einhorns. Sie wusste, wie schnell Menschen ertranken. Nur drei bis fünf Minuten wäre Zeit, dann stürben die ersten Gehirnzellen. Beim letzten Training im Polizeisportverein hatte Marie für hundert Meter eine Minute vierundzwanzig gebraucht. Gut, dass Frauke da war, sie würde das Kind professionell reanimieren können, falls es gelänge, die Kleine zu finden.
Das Wasser war trüb. Sie wusste, dass der See an manchen Stellen über acht Meter tief war. Wo das war, wusste sie nicht. Das Wasser war warm. Gar nicht gut. Marie hatte mal von ihrem Schwiegervater Uwe gehört, dass der Sauerstoffbedarf mit jedem Grad weniger um sechs Prozent sank. Uwe wusste das. Er verbrachte jede freie Minute bei der DGzRS in Maasholm.
»Hier rüber«, keuchte Frauke, sie hatten die Richtung verloren, waren zu weit nach rechts geschwommen.
Sie würden es nicht rechtzeitig schaffen, dachte Marie, als sie das Brummen eines Außenbordmotors hörte. Die Wellen des Bootes erreichten sie, Marie schluckte Wasser. Als sie wenig später die Stelle erreichten, an der das Angelboot und das aufblasbare Einhorn lagen, hatte Herr Schnabel, Fraukes Nachbar, das Mädchen mit einem Bootshaken am Badeanzug erwischt und an die Wasseroberfläche gezogen. Marie erreichte das Boot vor Frauke, stabilisierte den Körper des Mädchens, dessen Kopf auf der Brust lag.
»Ins Boot?«, keuchte Marie.
Frauke nickte.
Herr Schnabel klemmte den Bootshaken unter einer Klampe fest. Marie griff mit...
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