Schweitzer Fachinformationen
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11.14 Uhr zeigt die Digitalanzeige meiner Mikrowelle, als Heinrich, mit der Fichte im Schlepptau, davontuckert. Er hat es nicht weit, selbst bei diesem Schneckentempo wird er pünktlich am Mittagstisch sitzen. Als ich meinen Blick von ihm löse, schaue ich in Lux' große Augen. Mit seiner langen Zunge schleckt er sich einmal über die Nase und reißt seine Augen noch ein wenig mehr auf.
»Ach, du armes Tier, ich hab ja ganz vergessen, dich zu füttern!«, entfährt es mir. Schnell greife ich zu einem seiner Edelstahlnäpfe und fülle ihn. Während Lux sein überfälliges Mahl herunterschlingt, gebe ich in seinen zweiten Napf frisches Wasser.
»Ein schönes Rabenfrauchen hast du, also wirklich.«
Dabei fällt mir mein eigenes Magenknurren auf. Auch ich habe ganz vergessen, zu frühstücken, wofür es jetzt auch eigentlich zu spät ist. Ich greife zu meinem Handy, aha, Flora hat noch einmal geschrieben:
Ihr Lieben, heute Mittag habe ich für euch Lauchquiche mit Salat oder Hühnerfrikassee mit Reis .
Mehr Text brauche ich nicht. Was dem Heinrich seine Annegret ist, ist mir meine Flora. Flora betreibt in Arnis, dem nächsten Dorf, ein kleines Deli mit Café. Jeden Tag serviert sie ihrer stetig wachsenden Fangemeinde, die sich in einer WhatsApp-Gruppe vereint, zwei unterschiedliche Mittagessen. Ich für meinen Teil weiß schon, was es heute geben wird: Hühnerfrikassee. Floras Lauchquiche ist zwar köstlich, aber ihr Frikassee der Knaller.
»Komm, Lux, wir fahren Mittag essen«, beschließe ich, und schon sind wir beide aus dem Haus.
Auf dem Weg zu »Floras Deli« genieße ich, eigentlich wie immer, den schönen Ausblick auf all die sanften Hügel, die sich vor mir auftun. Bin ich erst mal aus meinem Wald heraus, dann reißt die Landschaft auf: Ein Bilderbuch aus sattgrünen Rinderweiden, Äckern, beschaulichen Baumgruppen und Schilfgrasfeldern, hinter denen immer wieder das Wasser aufblitzt. Es ist von so einem tiefen, metallischen Blau, dass man fast danach greifen möchte. Die Farben der Natur scheinen mir hier, wieder einmal, etwas kräftiger auszufallen als anderswo.
Arnis liegt an der Schlei, einem malerisch schönen Fjord, mit dem sich die Ostsee weit ins schleswig-holsteinische Land hineinschiebt. Auf den ersten Blick könnte man diesen Meeresarm für einen breiten Fluss halten, so sanft schmiegt er sich an die geschwungenen Ufer. Von der Anhöhe aus, die der Land Rover gerade nimmt, sehe ich die schneeweißen Segelschiffe der Förde aufblitzen. Sie prägen den ländlich maritimen Flair, der stets über Arnis schwebt. In ihn einzutauchen - nach all der Großstadt zuvor -, bedeutet für mich pure Entspannung.
Als ich das Dorf erreiche, stoppe ich kurz bei »Feder & Papier«. Der kleine Schreibwarenladen betreibt auch die Postagentur, die meine Briefe und Pakete lagert. Denn die Schranke hat einen klitzekleinen Haken: Der Postbote kommt nicht durch. Privat ist eben privat - und so hole ich mir meine Post eben selbst.
»Moin, Irmi, hast du etwas für mich?« Ich bleibe im Türrahmen stehen und recke den Kopf in Richtung Verkaufstresen. Hinter dem steht besagte Irmi und packt Ware aus einem riesigen Karton. Wie immer freue ich mich, in ihr breites, warmherziges Gesicht zu blicken. Auch sie gehört zu den hellen Fixsternen in meinem neuen Leben.
»Nein, heute leider nicht«, erwidert sie und lächelt, »es sei denn, du brauchst ein neues Federmäppchen.« Irmi zieht ein pinkfarbenes Etwas aus dem Karton und hält es in die Höhe.
Ich schüttele energisch den Kopf, winke zum Abschied und öffne schon wieder die Wagentür. Beim Einsteigen fällt mein Blick auf mein Handy, das auf dem Beifahrersitz liegt. Sein Display leuchtet, eine neue Nachricht ist eingegangen. Neugierig greife ich danach und bereue es sofort, als ich sehe, wer der Absender ist. Titus. Mein Ex. Oder auch: der Arsch. Sorry für den Ausdruck, aber er ist absolut angemessen. Titus war an meinem Auszug aus der Stadt alles andere als unbeteiligt. Der Mann, der mir, Zitat: »die ganze Erde zu Füßen legen« wollte, hatte von heute auf morgen seine Gefühle für eine andere Frau entdeckt. Zwölf Jahre lang waren wir ein Paar. Und wir hatten es verdammt gut miteinander. Wir hatten Pläne, Träume, ein gemeinsames Leben. Und dann das.
»Ich habe mich verliebt«, gestand er mir mit Dackelblick. Der Depp. Gerade erst, ich erinnere mich noch ganz genau, hatten wir Platz in einem schicken Restaurant genommen und unser Essen bestellt. Flucht unmöglich. Hatte er das extra so eingefädelt? Oder bewies Titus nur wieder einmal sein ausgeprägtes Talent für schlechtes Timing? Als Vorspeise servierte er mir jedenfalls seine Offenbarung. Zu meinem Glück stand schon ein Aperitif vor mir. Hastig griff ich danach und spülte den kalten Crémant hinunter, geradewegs über mein Gemüt. Das ermöglichte mir, erst mal zuzuhören. Zu hören, dass nicht er, sondern sie, also seine Tennispartnerin Nina, den ersten Schritt gemacht hatte. Oh ja, sie war es! Dass man sich nur zwei-, drei-, na, vielleicht viermal gesehen habe. Dass aber nichts passiert sei, nein, eine Affäre habe er nicht, also wirklich! Nina hätte ja auch einen Partner, also genau genommen sei sie verheiratet. Und er, Titus, habe geglaubt, alles im Griff zu haben. Freundschaft halt. Warum also hätte er mir von den gemeinsamen Treffen erzählen sollen? Ja, warum nur? Sie hatten doch wirklich keine Bedeutung. Also, erst mal. Also, ganz am Anfang. Dann aber entdeckte er, oh Schreck, doch Gefühle . in seinem Herzen . also Liebe . für Nina.
Und jetzt all die Verwirrung.
Und dieses schiefe Lächeln unter dem Dackelblick.
Ich sehe mich noch immer dort sitzen, mit dem leeren Glas in der Hand und dem immer gleichen Gedanken im Kopf: Warum, lieber Gott, nicht einfach ein Seitensprung? Der wäre mir lieber gewesen.
Dann denke ich gar nichts mehr. Ich friere nur noch.
Meine Hände liegen auf dem Lenkrad, bewegungslos, ich fühle mich wie in einer Eiskammer. Trotz der sommerlichen Temperaturen spüre ich nur Kälte. Sie sitzt in mir drin, im Mark meiner Knochen. Von da strahlt sie aus. Meine Arme bestehen nur noch aus Gänsehaut. Meine Oberschenkel sind fast taub. Ich fühle diese Eiseskälte, die von damals, von der Trennung. Mein ganzer Körper ist bis zum Zerspringen verletzt. Mein Kopf voller Watte, schneeweißer Watte. Da ist nur noch Kälte, starre .
Etwas gerät in mein Blickfeld, etwas da draußen: Irmi schiebt ihren Kopf durch die offene Tür. Das reißt mich aus meinen Gedanken. Sie hat wohl von innen beobachtet, dass ich in den Wagen eingestiegen, aber nicht losgefahren bin. Jetzt höre ich auch Lux im Kofferraum rumoren, er rutscht nervös hin und her.
»Alles okay?«, kann ich von Irmis Lippen ablesen.
Automatisch recke ich meinen Daumen nach oben, strecke mein Rückgrat und starte direkt den Motor. Es fühlt sich gut an, wie er loswummert. Das bringt mich zurück in die Gegenwart.
»Alles okay! Absolut!«, sage ich laut zu mir.
Das ruft Lux erst recht auf den Plan, er mag es nicht, wenn ich Selbstgespräche führe. Den kleinsten Ansatz davon quittiert er mit Unruhe. Ich beobachte ihn in meinem Rückspiegel. Was für ein lieber Kerl er doch ist. Er hat sich kerzengerade aufgesetzt und starrt in meine Richtung.
»Keine Sorge, mein Süßer, es geht schon wieder«, sage ich beruhigend zu ihm - und gleichsam zu mir. Lux hat für meinen Gefühlshaushalt einen siebten Sinn. Es ist gut, ihn bei mir zu wissen.
Ohne Titus' Nachricht zu lesen, lösche ich sie mit einem Wisch über das Display und werfe das Handy auf den Beifahrersitz. So etwas wie mit ihm will ich nie, nie wieder erleben. Diesen Verrat. Diesen Schmerz. Die ersten Wochen nach der Trennung, sein Auszug aus unserer Wohnung . ein einziger Albtraum. Ich magerte völlig ab, verlor jeden Appetit und meine Kraft noch dazu. Wenn Lux damals nicht gewesen wäre, ach, ich mag es mir gar nicht vorstellen. Eins jedenfalls steht fest: Männliche Wesen, wenn sie nicht zufällig vier Beine haben, können mir gestohlen bleiben. Aber so was von.
Als »Floras Deli« wenig später in mein Blickfeld gerät, fühle ich, wie mein Körper wieder lebendig wird. Es liegt ganz am Ende der Langen Straße, einer Lindenallee, die das Rückgrat von Arnis bildet. Dieses ist gesäumt von gedrungenen Giebelhäusern, die sich wie Wirbel aneinanderschmiegen. Aus den einst bescheidenen Behausungen, in denen Fischer lebten, sind wahre Dorfschönheiten geworden. Ihre farbigen Sprossenfenster schauen freundlich in die Welt, und die duftenden Rosenstöcke, die fast jede Fassade schmücken, haben Tradition.
Auch »Floras Deli« passt in die Reihe. Von Weitem schon erspähe ich einen freien Parkplatz vor der Tür. In einem schwungvollen Zug parke ich rückwärts ein. Die Maße meines Land Rovers habe ich auf den Zentimeter genau im Hinterteil, denn eine Piep-Piep-Einparkhilfe wäre weit unter unser beider Niveau.
Drinnen steht Flora und winkt durch die ebenerdige »Utlucht«, den erkerartigen Vorbau mit hohem Sprossenfenster, heraus. Sie lacht. Sie lacht, so warm und strahlend, wie nur sie es kann. Wie gut das jetzt tut. Wie gut es ist, eine solche Freundin zu haben. Schnell steige ich aus und lasse auch Lux aus dem Wagen springen. Er saust die drei Treppenstufen hinauf, umtanzt einmal, wild wedelnd, Flora und verschwindet dann in dem gemütlichen Hundekorb, der im Eck für alle Gasthunde bereitsteht.
Mich nimmt die Hausherrin fest in den Arm und gibt mir, indem sie sich ein wenig nach oben reckt, einen dicken Schmatz auf die linke Wange. Noch ist kein anderer Gast da, wir...
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