Schweitzer Fachinformationen
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Nach dem Sturm fegte der Wind aus fremden Gefilden über die Halbinsel Izu. Frisch, salzig und tosend wehte er von Westen heran und peitschte die weißen Wellenkämme der Brecher auf, die gegen die felsige Küste Japans krachten.
Ein einfacher, kräftig gebauter Fischer leckte sich mit zusammengekniffenen Augen das Salz von den Lippen, hielt seinen kegelförmigen Strohhut fest und stemmte sich gegen die immer noch steife Brise unten am Meer. Er war nicht der Erste am Strand. Der schmale Sandstreifen war gesprenkelt mit gebückten Gestalten, die für ihn winzig aussahen und die schroffen Felsen der Bucht absuchten. Der Fischer verspannte sich kurz, blieb dann aber gelassen. Kein Eindringling durfte den Küstenstreifen absuchen, der traditionell der seine war.
Er lief zu seiner schäbigen, windschiefen Hütte, um ein paar geflochtene, runde Körbe zu holen - für die eventuellen Fundstücke, die der Taifun hinterlassen hatte. Trotz der Sturmschäden an seiner Bleibe und an den Fischernetzen pfiff der Mann vergnügt durch die Lücke seiner Vorderzähne, sammelte die Körbe zusammen und trottete hinunter zu der Stelle, wo das Wasser am höchsten stand. Nach einem Sturm wie dem gestrigen musste doch einfach etwas Gutes in den Haufen von Treibgut zu finden sein, die sich jetzt entlang des Meeressaumes auftürmten.
Es war noch früh am Tag, aber die Wintersonne schien bei der Arbeit heiß auf seinen Rücken. Systematisch und voller Staunen, wie hoch der Sturm das Wasser an den Strand getrieben hatte, suchte er die schmutzigen Trümmer ab. Zunächst legte er das nasse, silbrig glänzende Treibholz zur Seite, das er später einsammeln würde, um es als Feuerholz zu verwenden. Dann sammelte er den verknoteten, leicht vergänglichen Seetang ein, dessen grüne, salzige Bänder er auf mehrere Haufen sortierte. Die besten Stücke würde er auf dem Markt verkaufen, den Rest zu Hause selbst essen.
Als der Fischer eine glänzende, rosafarbene Muschelschale entdeckte, wurde seine Aufmerksamkeit einen Moment lang von dem Seetang abgelenkt. Er drehte das Fundstück in seinen knochigen Händen hin und her und untersuchte die fleischigen, komplizierten Windungen. Diese Muschel war ein besonders schönes Exemplar. Vielleicht konnte er sie ja verkaufen.
Er hatte sich gerade wieder aufgerichtet und wollte die Schale beiseite legen, da erblickte er einen unheimlichen Umriss in dem Durcheinander der Trümmer. Er war starr vor Schrecken. Die Sonne brannte auf seinen Kopf, und die Brandung dröhnte in seinen Ohren. Seine Augen suchten den Haufen ab. Er hatte die Form eines menschlichen Körpers.
Er schloss die Augen, musste schwer schlucken und sah erneut hin. Es gab keinen Zweifel. Die Gestalt war zwar unter einem Haufen Seetang und Treibgut verborgen, aber eindeutig als menschlicher Körper auszumachen - als großer, nackter Körper. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er trat einen Schritt zurück. Innerlich verfluchte er sein Pech. Eine Leiche am Strand könnte die Aufmerksamkeit des schrecklichen Herren der Provinz, des Daimyo, erregen. Die Knie des Fischers wurden weich wie Butter, als er an Lord Nakano und seine scharfen, glänzenden Schwerter dachte. Er stöhnte leise und sah sich vorsichtig um. Bisher hatte niemand seinen Fund bemerkt. Vielleicht konnte er ihn ja verschweigen und es der See überlassen, ihn bei der nächsten Flut wieder mit sich zu nehmen.
Sein Mund war trocken und sein Puls raste. Die Beine des Fischers zitterten noch immer, als er sich auf dem feuchten Sand niederließ, um zu beten, wie er noch nie zuvor gebetet hatte. Die anderen schwarzen Umrisse bearbeiteten unter dem klaren blauen Himmel immer noch ihre jeweiligen Stellen. Der Fischer verstärkte sein Gebet. Er wollte doch nichts weiter als ein ruhiges Leben! Je höher die Sonne stieg, desto mehr dampfte der Seetang vor ihm. Der aromatische Fischgeruch, der seine Nase kitzelte, schien den Kopf klarer zu machen und half ihm beim Nachdenken.
Zögernd betrachtete er den Körper. Gut erkennbar war nur ein ausgestreckter Arm, die milchweißen Finger der Hand waren fast flehentlich in den Sand gekrallt. Er musste den Arm bedecken, damit niemand ihn sah. Der Mann griff nach dem Korb voller Seetang und breitete die leuchtend grünen Bänder, ungeachtet ihres Marktwertes, über die helle Haut. Doch plötzlich hielt er inne. Wieder musste er schwer schlucken. Konnte es nicht jemand sein, den er kannte? Für die Menschen, denen das Meer Lebensunterhalt bot, war es ein ernstes Vergehen, die Leiche eines Seemannes den Fischen zu überlassen.
Seine zitternden, sonnengegerbten Finger wanderten zu der Stelle, wo der Kopf sein musste. Sachte wischte er einen verdrehten Seetangballen beiseite und legte das Gesicht frei. Daraufhin machte sein Herz einen erneuten Satz, und leise, klagende Laute der Angst drangen aus seinem Mund. Der Körper gehörte zu einer Frau - einer Frau, die er noch nie gesehen hatte.
Der Fischer schloss die Augen und betete in die Dunkelheit und die roten Sprenkel, die darin umherschwirrten. Am liebsten hätte er nie wieder auf diesen Fund geblickt. Der Körper glich in keiner Weise den schlanken, dunkelhaarigen, mandeläugigen Menschen, an die er sein ganzes Leben lang gewöhnt war. Vor ihm lag ein blasser, milchiger Körper, dessen Haut in der Sonne glitzerte und der so fremd und so durch und durch bizarr in seiner Form war, dass es sich nur um eine Art übernatürliche Kreatur handeln konnte.
Sein Atem zischte durch die Zähne, und er jammerte leise. Nur das schreckliche Zittern seiner Knie hielt ihn davon ab, aufzuspringen und zur Heimeligkeit seiner Hütte und seiner Frau zurückzurennen. In diesem Moment gab es keinen Ort, an dem er nicht lieber gewesen wäre. Selbst das Gefängnis des Provinzherren hätte er jetzt vorgezogen. Überall, nur nicht hier an diesem Strand und in so greifbarer Nähe des nackten Körpers einer toten Seejungfrau.
Die Zeit verstrich, und die Sonne stieg immer höher, während der Fischer mit sich kämpfte. Die schwarzen Silhouetten der Dorfbewohner blieben gnädig in der Ferne. Die Brise zerrte an seinem Kimono und an dem langsam trocknenden Seetang, der die Gestrandete bedeckte. Nach und nach legte sich die Panik des Fischers. Der nackte Körper bewegte sich nicht - ein kleiner Trost.
Der Wind ließ jetzt langsam nach, war aber immer noch kräftig genug, um die Stränge des Seetangs nach und nach fortzuwehen und immer mehr von dem nackten Körper freizulegen. Trotz seiner Angst fielen dem Mann mittlerweile Einzelheiten auf. Die Haut der Seegöttin leuchtete in einem überirdischen Perlweiß. Dunkelrosa schimmernd glich sie beinahe dem Farbton der Muschel, die er vorhin bewundert hatte. Er dachte an die hinreißenden Frauen auf den Gemälden, die den kaiserlichen Hof wie Blumen schmückten und über denen er als junger Mann masturbiert hatte. Die Haut der Meereshexe war noch feiner und blasser als die der Gemahlinnen des Kaisers.
Als der Wind ein weiteres Knäuel des smaragdgrünen Tangs wegfegte und in einer aufreizenden Entblößung noch mehr von der nackten Schönheit freilegte, spürte er Lust in sich aufsteigen. Brustwarzen - in einer Farbe, wie er sie zuvor noch nie gesehen hatte. Sie hatten nicht den Braunton von Kastanien, sondern waren hell und rosa - wie die doppelblütigen Anemonen, die in Obstgärten tanzten. Der Fischer leckte sich die Lippen. Ob ihre Schamlippen von derselben, begehrenswerten Farbe waren? Und ihr Mund? Wie es wohl wäre, die rosa Lippen einer Frau aus der Unterwelt zu küssen .
Über seinem Kopf kreischten die Möwen in der Luft. Die Brise des Windes wehte immer mehr Grün von ihrem Körper. Da beugte der Fischer sich wie im Traum nach vorn und begann vorsichtig, an den ledernen, dunklen Halmen zu zupfen, um die Geheimnisse des kurvigen weißen Körpers, der vor ihm lag, zu lüften. Er war wie in Trance - eine schreckliche Faszination, die dafür sorgte, dass er die Augen nicht mehr von der Frau abwenden konnte. Dabei kannte er die Gefahren. Alle Seemänner zitterten vor den sexuellen Kräften der Meerjungfrauen und Dämonen, die in den kobaltfarbenen Tiefen der See lebten. Schon oft genug hatte er von den tödlichen Verlockungen gehört, die von diesen Wesen ausgingen - aber nichts von ihrer Schönheit. Doch diese Frau war so reizvoll, dass sie ihn leichtsinnig machte. Ja, sogar so schön, dass er sein Leben für sie riskierte.
Er griff hinab und schob mit seiner gebräunten Hand die Seetangbüschel weiter an die Seite. Wie hypnotisiert streichelte er über feine Strähnen glänzender Seide. Die Schönheit der Frau ließ ihm das Herz aufgehen. Haare wie goldene Spinnenweben! Sollte er diese Begegnung überleben, könnte er den Rest seines Lebens damit verbringen, Gedichte über dieses Wesen zu schreiben. Er hob die leuchtenden Strähnen an und ließ sie wieder fallen. Die glitzernden Goldfäden vor dem strahlend blauen Himmel nahmen ihn geradezu gefangen. So verging eine Ewigkeit, bis er seine Aufmerksamkeit ihrem Gesicht zuwandte.
Auch ihr Antlitz schimmerte in perligem Weiß - eine ovale, elfenbeinfarbene Blüte, die auf ihrem schwanenhaften Hals thronte. Ihre Gesichtszüge waren sehr ausgeprägt. Starke, hohe Wangenknochen, ein geschwungener, entschlossener Mund, eine fein gemeißelte Nase und dunkle Brauen über großen, tief liegenden Augen. Die langen, seidigen Wimpern bildeten einen wunderschönen Bogen unterhalb ihrer geschlossenen Lider. Mit zitternden, rauen Fingern berührte der Fischer zunächst die Wimpern, um dann ehrfürchtig über die feine, hauchdünne Haut des Augenlides zu gleiten. Wie schwarz sich die sonnenverbrannte Haut seiner Hände doch gegen das elfenbeinhafte Weiß ihrer Haut abhob. Und wie merkwürdig die Augen der...
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