Schweitzer Fachinformationen
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Persy folgte Mr. Salies Taschenlampe durch die Pfade mit Rindenmulch, die er durch den Fynbos angelegt hatte, bis hinunter zu dem kleinen Holzsteg, den er den ganzen Sommer über am Ufer erbaut hatte. Der feine Regen legte einen nassen Film auf ihre Haut, und ein launenhafter Mond erleuchtete das Wasser gelegentlich, nur um gleich darauf wieder von vorbeiziehenden Wolken verdeckt zu werden.
»Er hat wohl versucht, von Brutus wegzukommen«, sagte ihr Vermieter. »Ich hoffe, er ist nicht verletzt.«
»Ein sechs Tonnen schweres Tier kann nicht einfach so verschwinden. Jemand wird ihn schon sehen.« Sie versuchte, beschwichtigend zu klingen, aber nicht umsonst hieß das junge Nilpferd Houdini.
»Er ist noch immer jung«, sagte Mr. Salie. »Er braucht seine Mutter.«
Brauchen wir die nicht alle?, dachte Persy.
Die Ranger hatten Probleme mit den Nilpferden des Rondevlei-Naturreservats an der Grenze von Zeekoevlei. Houdini stellte eine Bedrohung für den älteren Bullen Brutus dar, der seinen sechsköpfigen Harem beschützte.
Persy und Mr. Salie gingen bis zum Ende des Steges, von wo aus sie über die dunkle Masse des vleis schauten. Der lange Spätsommer ging zu Ende, und eine herbstliche Frische mit dem dazugehörigen Wind und Regen war aufgezogen. Das Wasser kräuselte sich, brach sich zwischen den flüsternden Schilfrohren am Uferrand und klatschte gegen die Holzplanken des Stegs.
»Die Ranger denken, er könnte sich im Schilf an der Mündung des Flusses versteckt haben.« Mr. Salie reichte Persy das Fernglas. Sie nutzte eine Lücke zwischen den Wolken, um die dunkler gewordenen Konturen des waldigen Gebietes auf der gegenüberliegenden Seite des vleis direkt neben dem Pelican Park abzusuchen. Sie stellte es scharf und ließ ihren Blick über das Wasserwerk schweifen. Dann verdeckten die Wolken den Mond wieder. Sie senkte das Fernglas.
»Wie ist er rausgekommen?«, fragte sie.
»Wir haben in der Nähe des Klärwerks ein Loch im Zaun entdeckt - vermutlich von irgendwelchen Vandalen«, sagte Mr. Salie niedergeschlagen. Persy konnte sein Gesicht in der Dunkelheit gerade so ausmachen, sah jedoch nichts von den Gefängnisgang-Tattoos, mit denen es übersät war.
»Die Ranger waren mit dem Motorboot draußen. Keine Spur von ihm.«
Das Reservat, ziemlich mittellos, aber fachmännisch geführt, litt enorm unter Vandalismus und Diebstahl. Manchmal ärgerten Persy diese läppischen Delikte mehr als die schwerwiegenderen Einbrüche, in denen sie ermittelte. Das gesamte Gebiet - Grassy Park, Lotus River, Lavender Hill - brauchte diese grünen Freiflächen, die sich in die zerstörte Landschaft mit den minderwertigen Wohnanlagen und in das verstopfte und verschmutzte Fließgewässersystem hineingruben. Es war auch eine der wenigen Freiflächen, wo Ortsansässige Zugang zur Natur hatten, ohne dass die Anfahrt mit zu großen Schwierigkeiten oder Unkosten verbunden war.
»Hoffentlich steckt er nicht in Schwierigkeiten«, sorgte sich Mr. Salie. »Das ist eine gefährliche Ecke für ein so junges Nilpferd.«
Persy hielt mit der Bemerkung zurück, dass Houdini eine größere Gefahr für die Menschen darstellte, als es anders herum der Fall war. Zeekoevlei war eine Wohnsiedlung am Rand des Naturreservats, und auf dem See wurde gesegelt, Kanu gefahren und geangelt. Als nachtaktive Fresser kamen Nilpferde nachts aus dem See, um entlang des Ufers zu grasen. Da sie ihre Körpertemperatur nicht regulieren konnten, gingen sie bei Sonnenaufgang wieder zurück ins Wasser. Ein Nilpferd auf dem Weg ins Wasser war das gefährlichste Tier in Afrika. Wer oder was auch immer zwischen Houdini und das vlei kam, lief große Gefahr, attackiert zu werden. Das Licht von Persys Handy ging an, dann klingelte es. Misstönende Noten, verstärkt durch die Dunkelheit. »RT« stand in der Anruferkennung. Detective Warrant Officer René Tucker. Persy spürte ein Flackern schuldiger Erregung in ihrer Brust. Sie nahm den Anruf an. »Detective Jonas.«
»Wo bist du?«
»Zeekoevlei. Ich suche nach einem verlorengegangenen Nilpferd. Und du?«
»Constantia Nek Road, das Dieu-Donné-Anwesen, bei Groot Constantia. Vermutlich ein Raubüberfall. Eine Frau und ein Baby werden vermisst. Ich warte hier auf dich.« Tucker war so schroff, dass es fast schon unverschämt war. Ganz sein Stil.
»Schon unterwegs.« Sie beendete den Anruf. Sie hatte gerade keinen Dienst, wie Tucker nur zu gut wusste. Es war ihr erster freier Tag nach zehn Tagen strapaziöser Schichten. Aber davon ließ er sich beim Arbeiten nicht beeinflussen. Er erwartete von seinen Detectives, dass sie parat standen, wenn er anrief, egal, wann oder wo.
Mr. Salie winkte ihre Entschuldigung ab. »Geh nur. Ich bleibe noch ein bisschen.«
Persy ging, drehte sich nur noch einmal um und betrachtete die kleine Gestalt, die im weißen Morgenrock am Ufer stand. Nur Persy wusste, wie viel das vlei mit seiner Flora und Fauna Mr. Salie bedeutete. Wie er einmal gesagt hatte: »Dieser Ort hier hat mich von den Toten zurückgeholt.«
Detective Warrant Officer René Eugene Tucker war Persys Branch Commander und hatte ein ganze Truppe Detectives unter seinem Kommando. Er war ein Perfektionist und einzelgängerischer Kontrollfreak - und mit Abstand der beste Detective von Diep River, wie seine vielen Dienstauszeichnungen bewiesen. Seine Kollegen und Vorgesetzten bewunderten und hassten ihn gleichermaßen. Persy hatte ihn vom ersten Augenblick an unglaublich anziehend gefunden.
Während sie jetzt zu ihrem Cottage zurückeilte, um in ein paar Turnschuhe zu schlüpfen und sich eine Art Kampfjacke über das T-Shirt zu ziehen, dachte Persy, dass mit Tucker zu schlafen vermutlich das Dümmste war, worauf sie sich hatte einlassen können - in Anbetracht dessen, dass er ein Weißer, zudem Leiter von vier Teams von Detectives in ihrem Revier war und gerade mitten in einer unschönen Trennung von seiner Frau - Persys direkter Vorgesetzer - Captain Dina Martinez steckte, mit der er drei Kinder hatte.
Persy schloss ihr Cottage ab, stieg in den Dienstwagen und fuhr aus Grassy Park heraus. Sie bog nach Süden ab, Richtung Rondevlei-Reservat, dieses kleine Wunder eines geschützten Biotops, mit Inseln, Schilfrohr und Riedgras, in dem der flüchtige Houdini und die restliche Nilpferdherde beheimatet waren, zusammen mit vielen kleineren Tieren. Ein Ort, der Poppa sehr gefallen hätte.
Heute kreisten ihre Gedanken immer wieder um ihren Großvater, der Wechsel der Jahreszeiten brachte Erinnerungen an sein langes, langsames Sterben zurück. Sein Todestag rückte näher. Persy hatte in der Regel mit so vielen gewalttätigen und häufig unmittelbaren Todesfällen zu tun, dass sie vergessen hatte, wie lange es bei den meisten Menschen dauerte, bis sie starben: Organe arbeiteten immer schlechter, Nervenzentren gaben nach und nach ihre Aufgabe auf, hier und da funktionierte etwas nicht mehr, verkümmerte oder schwand. Gab den Geist auf. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Sie bog geradewegs von Fisherman's Walk in die Victoria Road ein, vorbei am Hotel Grassy Park, dessen Grandslots-Emblem noch leuchtete, die Hoteltüren hingegen waren geschlossen und die Fenster dunkel. Sie kam an einem verlassenen Taxistand gegenüber der Shell-Werkstatt vorbei, wo der grelle rotgelbe McDonald's ziemlich unpassend auf Tuchfühlung mit den verzierten Säulen und Minaretten der vor kurzem erbauten Moschee ging. Grassy Park, eine Ecke für Farbige, einst mit dem Ruf, die Hauptstadt des Mordes in Südafrika zu sein, lag momentan recht ruhig da. Es war ein Ort mit einer langen Geschichte. Die Leute kannten einander hier schon seit Generationen. Sie waren freundlich, aber distanziert, nachdem sie herausgefunden hatten, dass Persy ein Cop war und nicht von hier stammte. Obwohl Ocean View, die farbige Township, in der sie aufgewachsen war, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt lag, hätte es genauso gut ein anderes Land sein können.
Typisch für Kapstadt, dachte sie. Wir alle in unseren jeweiligen kleinen Enklaven, immer unsere eigenen Wunden leckend.
Sie fuhr nach Southfield, ein sandfarbener Gitterblock mit Häusern aus den Sechzigern und Siebzigern, der sich an Grassy Park, Retreat und dem aufstrebenden Plumstead entlangzog, als Teil einer Pufferzone, die die traditionell begrünten Vororte der Weißen von den windgepeitschten Flats der Farbigen trennte.
Bescheidene Backsteinhäuser auf vierhundertfünfzig Quadratmeter großen Parzellen abgetrennt von Asbestwänden, mit zubetonierten Auffahrten, in denen gebrauchte japanische Mittelklassewagen mit deutlichen Gebrauchsspuren standen. Eine trostlose Atmosphäre von Untere-Mittelschicht-Ehrbarkeit herrschte hier vor. Einigen Bewohnern waren die Mittel ausgegangen, Renovierungen wurden nicht zu Ende gebracht, Rasen nicht mehr gemäht, Autos nicht mehr gewartet. Nachdem sie sich aus den Flats herausgekämpft hatten, trennten sie nur wenige nicht bezahlte Raten davon, wieder dorthin zurückzukehren.
Ein plötzlicher Windstoß gepaart mit einem heftigen Regenschauer verschleierte ihr die Sicht. Sie schaltete den Scheibenwischer ein. So viele aufeinanderfolgende Regentage Ende März waren ungewöhnlich. Wenn diese sonderbaren Güsse am Ende des Sommers kamen, dann reichten sie kaum für mehr, als den Staub von den vertrockneten Blättern der Bäume zu waschen. Laut einer Binsenweisheit von Kapstadt setzte der Winter nach Ostern ein. Ostern, die heiligste Jahreszeit für Katholiken.
Poppa hatte Persy nie gedrängt, religiös zu sein, und sie war so weit vom Glauben abgefallen, wie man nur abfallen konnte. Nie ging sie zum Gottesdienst oder zum Beichten, auch betete sie niemals...
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