Schweitzer Fachinformationen
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Natürlich war die lokale Eisdiele um diese Jahreszeit geschlossen. Deshalb gingen wir in die Dicke Berta, eine schummrige Kaschemme, die direkt neben der Eisdiele lag und in die sich Leute in unserem Alter wahrscheinlich selten verirrten. Die Bedienung, die mit ihrem Körperumfang dem Namen der Kneipe alle Ehre machte, zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen, als Milad und ich zur Tür hereinkamen. Wir nahmen an einem der Holztische Platz und warteten. Vor den Fenstern hingen vergilbte Gardinen, es roch nach kaltem Zigarettenrauch und Bier. Ein Plakat von einem Schlagersänger dekorierte die Wand, auf dem Sims des Kamins in der Ecke versammelte sich eine beachtliche Mannschaft von Porzellanhunden. Im Fernseher über der Theke lief in brüllender Lautstärke ein Rosamunde-Pilcher-Film. Wir waren die einzigen Gäste. Widerwillig drehte die Dicke nach einer Weile die Lautstärke des Fernsehers runter und machte ein Geräusch in unsere Richtung, das man mit ein bisschen gutem Willen als »Ja?« deuten konnte.
»Haben Sie Eis?«, fragte ich.
»Nee, hab ich nich«, brummte die Bedienung. »Is ja kein Restaurant hier.«
»Cola?«
Die Dicke guckte uns ausdruckslos an. In Porzellan hätte sie sich gut in die Sammlung auf dem Kaminsims eingefügt.
»Meinetwegen«, sagte sie nach einer Weile, erhob sich ächzend von ihrem Stuhl und beugte sich unter die Theke.
»Wir feiern nämlich heute unseren Jahrestag«, sagte Milad, als die Bedienung uns die Gläser auf den Tisch stellte. Er ignorierte meinen irritierten Blick und legte lächelnd seine Hand auf meinen Arm. »Wir haben uns bei einer Freizeit der Katholischen Landjugend kennengelernt.«
»Na, dann Prost auf die junge Liebe. Geht aufs Haus«, sagte die Dicke und schlurfte zurück hinter ihren Tresen.
»Spinnst du?«, flüsterte ich Milad zu.
»Wieso? Ist doch lustig«, flüsterte er zurück. »Außerdem hab ich kein Geld dabei.«
Er hob grinsend sein Glas und prostete mir zu. Ich schüttelte den Kopf und tippte mir an die Stirn. »Katholische Landjugend. Du hast doch einen Knall.«
Milad lachte, und die Bedienung drehte die Lautstärke des Fernsehers wieder so hoch, dass es beinahe unmöglich war, ein Gespräch zu führen. Aber seltsamerweise machte das nichts. Es war schön, einfach so dazusitzen. Der Staub flimmerte in den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster schienen, und im Fernseher verkündete ein Arzt einem jungen Mann, dass seine Verlobte leider unheilbar krank sei, woraufhin der junge Mann noch am Krankhausbett mit seiner Verlobten Schluss machte und der Arzt sie trösten musste. Was er mit ziemlich professionellen Arztmanieren machte. Er hatte sogar noch einen Kugelschreiber in der Hand, als er die junge Frau umarmte.
Ich nehme an, dass ich mich irgendwie hätte unwohl fühlen müssen. Immerhin, ich saß einem Jungen gegenüber, den ich eben erst und unter ziemlich seltsamen Umständen kennengelernt hatte. Ich hatte noch nie ein Date gehabt. Ich wusste nicht, wie man so etwas machte. Aber die Wahrheit ist, dass ich erst später darüber nachdachte. Hinterher wurde ich nervös und überlegte stundenlang, ob ich mich total bescheuert verhalten hatte, und was ich wann gesagt hatte, und was für einen Eindruck Milad wohl von mir hatte. Als wir dort saßen und an unserer Cola nippten und zusammen mit der dicken Berta auf die Mattscheibe guckten, da war das alles einfach gut. Im Fernseher stellte der Arzt fest, dass die Krankenschwester (sie hieß Mary und hatte ein Alkoholproblem) die falschen Werte in die Patientenakte eingetragen hatte und die junge Frau gar nicht so krank war, wie er vermutet hatte. Es gab einen Riesenkrach mit Schwester Mary, aber immerhin gute Neuigkeiten für die junge Frau - und das alles in ungefähr 120 Dezibel.
Milad guckte mich an und sagte irgendetwas. Ich wedelte mit den Armen, um ihm zu verstehen zu geben, dass es viel zu laut war, um etwas zu verstehen, und er lachte.
Dann beugte er sich zu mir. »Du bist nicht von hier, stimmt's?«, sagte er.
Sein Gesicht war ganz nah an meinem Gesicht, und obwohl ja klar war, dass das eine verständigungstechnische Maßnahme war und er sich sicher nichts dabei dachte, schlug mein Herz ein bisschen schneller.
»Wieso weißt du das?«
»Ich weiß alles.«
»Haha. Okay. Wo endet das Universum?«
»Das ist einfach. Wenn man ungefähr 200 Milliarden Lichtjahre von hier aus nach unten fliegt, dann merkt man, dass das Universum plötzlich immer enger wird, bis irgendwann nur noch knapp ein Arm durchpasst, und ganz unten, da ist dann ein Stöpsel, und das ist das Ende unseres Universums.«
»Ein Stöpsel?«
»Genau, ja. Ein ganz normaler Badewannenstöpsel. Nur bisschen größer.«
»Alles klar.«
»Das ist wissenschaftlich bewiesen. Aber es ist absolut geheim. Stell dir vor, was die ganzen Terroristen machen würden, wenn sie das wüssten. Mit einem Schlag dem ganzen Universum den Stöpsel ziehen. Das ultimative Selbstmordattentat.«
»Nee, klar, das wäre fatal.«
»Deswegen darfst du das auch auf keinen Fall weitererzählen.«
»Mach ich nicht.«
»Ich habe gewusst, dass ich dir vertrauen kann. Siehst du. Auch das hab ich gewusst. Ich weiß alles.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Ich weiß.«
Ich lachte und guckte zum Fernseher, wo sich der Arzt und die junge Frau mittlerweile in den Armen lagen.
»Weißt du, was ich glaube, Milad? Ich glaube, du bist selber ein Stöpsel.«
»Ja, aber glauben ist nicht wissen. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, kleine Mats.«
Ich zeigte ihm den Mittelfinger und er lachte. Keine Ahnung, vielleicht hatte uns die dicke Berta irgendwelche Drogen in die Cola gemischt, ich hatte jedenfalls das Gefühl, als würde ich auf einer Wolke sitzen und runterspucken, so leicht war alles. Der Arzt kniete inzwischen an einem Sandstrand vor der jungen Frau und klappte ein Ringkästchen auf, das er aus seinem Jackett gezogen hatte. Zufälligerweise joggte in genau diesem Augenblick der erste Verlobte am Strand entlang, und natürlich fiel ihm alles aus dem Gesicht.
»Das hastu jetzt davon«, schrie die dicke Berta. Und mit einem Seitenblick zu uns: »Ist doch wahr. Eine Frau verlassen, die im Sterben liegt. Das machtma doch nich. Ich hab meinem Winfried bissuletzt die Hand gehalten.«
Sie goss sich einen Schnaps ein und prostete uns zu.
»Komm, wir gehen«, sagte ich und stand auf. Ich bin in Berlin aufgewachsen, daher wusste ich, was jetzt kommen würde. Wenn so eine Frau dich einmal in ein Gespräch verwickelt, kommst du nicht mehr so schnell da raus.
Die Sonne war viel greller, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Ich kniff die Augen zusammen und sah Milad an: »Und jetzt?«
Er guckte auf sein Handy und sagte: »Ich sollte langsam mal wieder zurück zur Arbeit. Ich hab gesagt, ich geh nur kurz eine Runde um den Block. Das war vor zwei Stunden.«
»Wo arbeitest du?«
»Kfz. In der Ackerstraße. Die Werkstatt gehört meinen Eltern.«
Ich nickte und guckte in die Auslage des benachbarten Optikers, als gäbe es da wahnsinnig interessante Sachen zu sehen. Ein riesiger Pappfuchs mit Brille stand in dem Schaufenster. An seinem Kopf klebte eine Sprechblase: Sparfüchse kommen zu uns!
Mir fiel dieser bescheuerte Witz ein, den Sven Hofer letztens in der Schule erzählt hatte, irgendwas mit einem Typen, der einen Eisenbahntunnel mit einem Fuchsbau verwechselt. Über Sven Hofers Witze lachte niemand. Ich glaube, er lernte sie aus einem Witzebuch auswendig, das ich mal in seinem Rucksack gesehen hatte: 999 Super-Kracher: Das große Witzebuch.
»Füchse sind coole Tiere«, sagte Milad. Was er nicht sagte, war: Kann ich deine Nummer haben?
»Absolut«, sagte ich, und was ich nicht sagte, war: Sehen wir uns mal wieder?
Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. In der vierten Sekunde beginnt die Vergangenheit. Komm schon, frag mich nach meiner Nummer. Vierundzwanzig, fünfundzwanzig. Oder ich frag ihn, ich frag ihn einfach, mehr als nein sagen kann er nicht. Sechsundzwanzig, sieben .
Und dann sah ich plötzlich in der Schaufensterscheibe, wie Alex und ihre Freundinnen auf uns zukamen. Der Vormittagsunterricht war vorbei, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Die Leute aus unserer Schule gingen über den...
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