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Schon im Treppenhaus schallte ihr »Dangerous« von Roxette entgegen. Die Vorstellung, dass der Gastgeber bereits ordentlich angetüddelt mit einer Federboa um den Hals über die Tanzfläche mäanderte, ließ Jella zufrieden lächeln. Gut, dass sie sich noch aufgerafft hatte.
Im Flur hing goldenes Lametta von der Decke, und die Gäste standen dicht gedrängt. Einige von Davids Freunden in glitzernden Fummeln tanzten - skeptisch beäugt von einem guten Dutzend Partygästen in Anzügen und Etuikleidern. Davids Kollegen aus der Kanzlei wirkten genauso deplatziert an diesem Ort, wie sie sich vermutlich fühlten. Der Gastgeber selbst war schillernder Mittelpunkt der Feier und hielt beide Welten auf eine bemerkenswerte Weise zusammen. Im Alltag sah er zwar überdurchschnittlich gut, aber ansonsten nicht weiter auffällig aus in seinen auf den Leib geschneiderten Dreiteilern. Doch am Wochenende schmiss er sich in eine ganz andere Art von Outfit. Heute trug er zur Feier des Tages ein pfirsichfarbenes Kleid mit Rüschen, während seine Lippen im leicht funkelnden graublonden Barthaar roséfarben glänzten. Er quiekte bei Jellas Anblick und zog sie sofort zur »Bar«. Ein großes Wort für den einfachen Küchentisch, hinter dem sich Raúl postiert hatte und Longdrinks mixte. Der Kubaner hatte die schwarze Mähne zu einem Dutt auf dem Oberkopf gebunden und trug ein offen stehendes Hawaiihemd, das seine dichte Brustbehaarung in Szene setzte. Immer, wenn Jella und Raúl sich sahen, flirteten sie ausgiebig. Auch wenn nie etwas passiert war, weil natürlich auch er kein ausgeprägtes sexuelles Interesse am weiblichen Geschlecht hatte.
»¡Hola, guapa!«, raunte er ihr zu und zwinkerte.
Sie begrüßte ihn mit Küsschen auf die Wangen und sah dabei zu, wie er ein kleines Cocktailglas aus Davids antiker Sammlung zu drei Vierteln mit Club-Mate befüllte und es anschließend bis zum Rand mit Helbing-Kümmelschnaps aufgoss.
»Was zur Hölle ist das?«, fragte Jella entgeistert.
»Gutes Stichwort«, antwortete Raúl und klimperte mit den Wimpern. »Meine neueste Kreation: Hellmate. ¡Salud!«
Jella stieß mit ihm an und prostete David von weitem zu, der schon wieder weitergeflattert war und am anderen Ende des Raumes an irgendeinem Typen herumbaggerte.
In diesem Moment spürte sie zwei warme Hände, die sich von hinten um ihre Hüften legten. Das konnte nur Fee sein. Jella drehte sich lächelnd um und umarmte ihre Freundin.
»Pass bloß auf, das Zeug macht blind«, stellte Fee mit Blick auf das Glas in Jellas Hand fest. »Deswegen hol ich mir auch noch einen.« Sie grinste, als Raúl ihr den Höllencocktail in die Hand drückte, prostete Jella zu und kippte die Hälfte des Getränks in einem Zug in sich hinein. Danach schüttelte sie sich. »Lecker. Wo warst du so lange?«
»Ich hab mich mit Gitta getroffen. Sie kriegt bald ihr Kind, aber mit den Nerven runter ist sie jetzt schon.«
Fee schüttelte den Kopf. »Wärst du mal besser gleich hergekommen. Dann hätten wir denselben Pegel.« Sie strich sich grinsend eine rote Strähne aus dem Gesicht. Ihre vollen Wangen glühten. Fee war mit ihrem Norwegerpulli noch unpassender angezogen als Jella. Aber Jella kannte keinen Menschen, dem es so absolut gleichgültig war, was andere über ihn dachten. Fee machte aus nichts ein Geheimnis und nie viel Getue. Ihr war ihre Kleidergröße egal. Mode war für sie Zeitverschwendung. Sie war handfest, praktisch und geradeheraus. Eine Frau, die anpackte. Wenn sie einen Mann gut fand, verlor sie keine Zeit, sagte es ihm auf den Kopf zu und fragte anschließend, ob er mit ihr ein Bier trinken wolle. So machte sich Fee das Leben leicht, denn für sie musste mehr stimmen als die Chemie. Sie hatte zwei lange Beziehungen gehabt und wartete nun auf den Mann, mit dem sie ihre vier bis fünf Kinder bekommen konnte. Dieser wollte ordentlich ausgesucht sein - aber nicht auf dieser Party.
»Tanzen?« Fee stellte das mittlerweile geleerte Glas auf der Bar ab und machte eine Kopfbewegung Richtung Wohnzimmer. Dann zog sie sich den Pullover über den Kopf. Ihr Daisy-Duck-T-Shirt war ein bisschen knapp, so dass der Bauchspeck und die kräftigen Oberarme zu sehen waren.
»Später. Ich brauche noch ein paar Hellmates, um dich einzuholen«, erwiderte Jella und prostete Fee zu.
Sie beobachtete ihre Freundin, die sich zwischen die Tanzenden drückte und die Arme begeistert in die Höhe riss. Fee war wirklich einmalig. Und schön. Auf eine so natürliche, unverstellte Art.
Jella lehnte sich in den Türrahmen und scannte die anwesenden Männer. Der schöne Markus mit den sinnlichen Lippen (der sie, nach ein paar Himbeergeist zu viel, mal versehentlich geküsst hatte), der heiße Till aus Davids Trashpopband und Lionel, der irre hübsche Franzose - alle nicht die Bohne an Frauen interessiert. Zumindest nicht sexuell. Daneben stand dieser lustige Typ mit dem Bart und den zotteligen, sehr dunklen Haaren, den Jella von einer anderen Feier bei David kannte - wahrscheinlich hetero, aber, wie sie sich zu erinnern meinte, schon sehr vergeben.
Dann blieben ihre Augen an einem schwarzen Basecap direkt neben dem Bärtigen hängen. Der Typ schaute zu Boden, so dass sein Gesicht nicht zu sehen war. Jellas Blick wanderte automatisch an ihm herunter. Er hatte eine schmale schwarze Hose mit hochgekrempeltem Saum und etwas zu weiße Turnschuhe an. Derart weiße Turnschuhe trugen nur Menschen, die etwa vierundzwanzig Paar im Schrank hatten und jedes höchstens einmal im Quartal zum Spaziergang ausführten. Oder Spießer aus Eppendorf, die jeden Sonntag ihre Schuhe putzten. Sie sah diese aalglatten Typen geradezu vor sich, die ihre Luxustreter mit vier verschiedenen Rosshaarbürstchen, zweistufigen Cremeschwämmchen und dreierlei Schuhcremes im Glastiegel aus dem siebzehnteiligen 499-Euro-Schuhputzset in der Rosenholzoptikbox behandelten. Sie verstand den Sinn einfach nicht. Weiße Turnschuhe schrien danach, vom Leben gezeichnet zu werden. Jella grinste bei der Vorstellung, wie Mister Käppi die Schuhe am nächsten Tag auf Getränkereste und Glitzerpartikel untersuchen würde.
Sie stieß sich vom Türrahmen ab und ließ sich durch die Räume treiben, bis sie beim Tischkicker ankam, den David in seinem »Spielzimmer« aufgestellt hatte. Als Anwalt verdiente er so viel Geld, dass er offenbar nicht wusste, wie er es schnell genug wieder ausgeben sollte. Deswegen wohnte er allein in einer Fünfzimmeraltbauwohnung und verfügte über einen begehbaren Kleiderschrank (bei der Auswahl an schrillen Fetzen und maßgeschneiderten Anzügen nicht nur verständlich, sondern auch schlichtweg notwendig) und einen Raum, in dem er alles unterbrachte, was Spaß und Zerstreuung bot: einen Flipperautomaten in der Ecke, eine riesige Couch mit noch größerem Fernseher an der Wand gegenüber und besagten Tischkicker.
Jella beobachtete das laufende Match bis zum Ende und fand sich kurz darauf selbst an den Stangen wieder. Während ihrer Ausbildung war sie einige Monate nach Feierabend fast täglich in die Kneipe neben der Klinik gegangen und hatte dort bei einem Pflegerkollegen eine erstklassige Kickerlehre absolviert. Bis der Kollege durchgehend verloren und schließlich aufgegeben hatte.
Auch heute Abend zog sie einen Gegner nach dem anderen ab, am Ende sogar zwei der Anzugträger, die es tatsächlich gemeinsam mit ihr hatten aufnehmen wollen. Aber selbst mit doppeltem Einsatz waren sie chancenlos, und Jella freute sich wie ein Kind über ihren Lauf. Als sie schließlich den letzten Ball im Tor der beiden Anwälte versenkte, richtete sie sich auf, stemmte die Hände in die Hüften und fragte über die laute Musik hinweg: »Und? Noch jemand Lust?«
Sie drehte den Kopf - und sah direkt in das Gesicht des Bärtigen von eben.
»Bist du dir sicher, dass du die Niederlage verkraftest?«, fragte er mit einem breiten Grinsen.
Jella legte den Kopf schief. »Ich suche eigentlich Gegner, keine Opfer.«
Der Typ lachte laut und stellte sich auf die gegenüberliegende Seite des Kickers. Er sah ein bisschen aus wie ein südländischer Bjarne Mädel und hatte genauso freche Augen wie der Schauspieler. »Ich bin übrigens Mehmet. Aber mich nennen alle Memo«, sagte er und zeigte dann neben sich auf den Basecap-Träger, der offenbar immer in seiner Nähe blieb. »Das ist Lennard.«
»Jella. Freut mich«, antwortete sie, die Hände bereits fest um die beiden Griffe des Tischkickers gelegt, und nickte dem Schuhfetischisten zu. Interessant, er trug zu den weißen Turnschuhen auch noch eine Hornbrille. Da lebte jemand das Klischee.
Er stellte sich an die Seite des Zählwerks und hielt den Blick starr auf seinen Kumpel gerichtet. Okay, es handelte sich allem Anschein nach um einen Mann der Gattung »Shy Guy«. Er konnte ihr nicht mal in die Augen blicken. Jella warf den Ball aufs Spielfeld.
»Was denkst du eigentlich über das Corona-Virus?«, fragte der Schüchterne seinen Begleiter. Offenbar hatte er beschlossen, Jella einfach zu ignorieren. »Angeblich hat es sich ja von einem Tiermarkt in Wuhan verbreitet. Ich hoffe, das schwappt nicht zu uns rüber.«
»Dafür haben die doch diese Mauer«, mischte sich Jella ungefragt ein und biss sich gleich darauf auf die Lippe. Der Witz war ziemlich flach. O Mann, warum fing sie auch immer an zu reden, bevor sie zu Ende gedacht hatte?
»Was hast du gesagt?« Memo schaute sie fragend an.
Jella winkte ab und guckte in Lennards Richtung, der sie mit einer hochgezogenen Augenbraue skeptisch musterte. Sie lächelte ihm zu. Aber er schaute bereits wieder weg und schüttelte abschätzig den Kopf. Der Typ dachte sicher, sie wäre geistig nicht ganz auf der...
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