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Reese
Endlich.
Nach fast einem Jahr der Planung fügt sich endlich alles zusammen, als ich in einer rustikal-schicken Kirche außerhalb von Mendocino durch den Mittelgang auf meinen Bräutigam zuschreite. Eric lächelt nervös, und mein Dad schenkt mir einen zärtlichen Blick und reicht ihm meine Hand.
Erics blondes Haar ist ordentlich zurückgekämmt, und wenn ich ihn anschaue, sehe ich noch immer den Zwanzigjährigen vor mir, den ich vor fast neun Jahren in einem Chemiekurs auf dem College kennengelernt habe. Er hat lange gebraucht, bis er den Sprung zu Verlobung und Hochzeit gewagt hat, aber da sind wir nun endlich.
»Meine lieben Freunde«, beginnt der Pastor mit Blick auf die Gäste in den Bankreihen - auf alle zweihundertsechsundachtzig Personen.
Mehr sollten es hoffentlich nicht sein, denn von genau so vielen habe ich Zusagen bekommen. Aber es ist durchaus schon vorgekommen, dass einige von Erics Burschenschaftsbrüdern mehrere Dates zugleich zu einer Hochzeit mitgebracht haben. Feiner Haufen, diese Jungs.
Durch die geöffneten Fenster der Kirche weht eine salzig frische Meeresbrise herein. Das Rauschen der Brandung ist bis hier drin zu hören, leise nur, aber es beruhigt mich. Die Nähe zum Wasser hat mir schon immer gutgetan. Ich bin durch und durch Kalifornierin.
Eric drückt mir die Hände und schenkt mir ein weiteres angespanntes Lächeln. Das überrascht mich, denn eigentlich war in den letzten Wochen ich das Nervenbündel. Eric ist normalerweise bei solchen Dingen derart gleichmütig, dass es mich manchmal sogar ärgert. Für ihn ist nichts eine große Sache. Ich schätze, wir sind in dieser Hinsicht Yin und Yang, denn ich bin eindeutig eine begeisterte Planerin.
Ich hole tief Luft und sehe ihn mit einem ermutigenden Lächeln an, teile ihm stumm mit, dass der Spaß erst richtig beginnt, wenn wir die Zeremonie hinter uns haben. Nur wenige Hundert Schritte entfernt ist ein riesiges Zelt aufgebaut, in dem unser Empfang stattfinden wird, mit einem atemberaubenden Blick auf das Meer und den Sonnenuntergang.
Mrs Eric Darnell. Ich habe geübt, den Namen zu sagen und ihn zu schreiben, aber er fühlt sich noch nicht real an. Irgendein Teil von mir hat immer noch Angst, aber es ist das Richtige. Worauf sollte unsere Beziehung nach neun gemeinsamen Jahren schließlich sonst hinauslaufen?
Als ich ein Schnüffeln höre, drehe ich mich zu einer meiner Brautjungfern um, meiner besten Freundin Mandy, die bereits weint, obwohl die Zeremonie genau genommen noch gar nicht begonnen hat. Ich wusste gar nicht, dass sie so zartbesaitet ist. Sie löst ein Papiertaschentuch, das unten um ihren Blumenstrauß gewickelt ist, und tupft sich damit die Augen.
»Bevor wir mit der Zeremonie beginnen, lassen Sie uns beten«, sagt der Pastor.
»Halt mal eben«, platzt Eric heraus.
Hat er gerade Halt mal eben gesagt, als unsere Trauung beginnen sollte? Mein Herz setzt mehrere Schläge aus, als ich mich umschaue, um herauszufinden, was hier los ist. Gibt es einen medizinischen Notfall? Warum sollte Eric sonst vom Skript abweichen?
Der Pastor und ich starren ihn an, und er schließt die Augen und verzieht das Gesicht.
»Es tut mir leid«, seufzt er, öffnet die Augen und lässt meine Hände los.
Als sie herabfallen, läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Er hat losgelassen. Ich habe ihn nur um eine einzige Sache gebeten, als wir heute Morgen miteinander telefoniert haben, ganz im Sinne der Tradition, uns an unserem Hochzeitstag nicht zu sehen. Halte die ganze Zeit meine Hände.
In der Kirche ist es still, und alle warten mit angehaltenem Atem darauf, dass Eric etwas sagt. Mein Herz rast, und meine Hände zittern, als mir klar wird, dass irgendetwas nicht stimmt.
»Reese.« Erics Ton ist zugleich entschuldigend und flehend. »Ich muss dir etwas sagen. Ich will mit einem reinen Gewissen in diese Ehe gehen.«
Ich schlucke die Galle herunter, die mir in der Kehle aufsteigt. Das kann doch nicht wahr sein. So etwas habe ich mir nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen von dem, was an meinem Hochzeitstag alles schiefgehen könnte, vorgestellt.
Ich habe mir Sorgen gemacht, dass ich heute eine starke Periode haben könnte. Dass ich auf dem Weg zum Altar stolpern und vor aller Augen platt auf der Nase landen könnte. Oder dass das stressbedingte Essen in der vergangenen Woche mich einholen würde und ich den Reißverschluss meines Kleides nicht zubekäme.
Aber dies? Nie im Leben.
Eric stößt einen bebenden Atemzug aus und sagt: »Bitte, verzeih mir. Ich habe etwas ganz Dummes getan.«
Mandy heult immer heftiger, und tief im Herzen weiß ich bereits, was er beichten wird.
»Ähm .« Der Pastor schaut zwischen Eric und mir hin und her. »Wollen Sie beide kurz nach draußen gehen?«
»Was hast du getan?«, frage ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Das Meeresrauschen und die wohlriechende Brise sind verschwunden, und in mir steigt nur ein schleichendes Grauen auf.
»Jetzt war es also dumm?«, meldet sich Mandy laut. »Acht Monate zusammen, und du behauptest, es war ein Fehler?«
Die Gäste schnappen kollektiv nach Luft.
Als mir die Wahrheit dämmert, bin ich zu benommen, um auch nur zu atmen. Eric. Hat. Mandy. Gevögelt. Nicht nur einmal, sondern dauernd.
Mein Griff um den Brautstrauß lockert sich, und er fällt raschelnd zu Boden.
»Ihr .?« Ich sehe zwischen Eric und Mandy hin und her und blinzele Tränen weg. »Acht Monate lang?«
»Es tut mir so leid.« Erics Stimme bricht. »Es war ein Riesenfehler.«
»Du hast eine meiner Brautjungfern gevögelt«, sage ich unglücklich und frage mich, was er sich wohl gedacht hat, wie die Sache hier ausgehen würde.
»Nicht nur eine«, erklingt eine Frauenstimme in der Nähe.
Ich reiße den Kopf herum zu der Reihe meiner Brautjungfern, um festzustellen, dass es meine Freundin Kelsey war, die gerade gesprochen hat. Sie wirft mir einen zerknirschten Blick zu. In letzter Zeit hatte ich mir über dieses Miststück tatsächlich schon Gedanken gemacht.
»Das war vor zwei Jahren«, kontert Eric zornig. »Und es war nur ein einziges Mal.« Ach, als wäre das in Ordnung? Ich glaube, ich muss mich vielleicht gleich übergeben.
Mein Bruder Drew springt von seinem Platz auf und versetzt Eric einen Schlag, bevor ich auch nur mitbekomme, was passiert. Eric knallt viel lauter zu Boden als mein Brautstrauß.
»Nein!«, ruft Mandy und stürzt sich auf meinen Bruder.
Ich beobachte das Chaos um mich herum und habe dabei das Gefühl, nicht in meinem eigenen Körper zu stecken, aber dann steht mein Dad plötzlich neben mir. Er legt mir einen Arm um die Schultern und führt mich durch den Gang zurück nach draußen, beschirmt mich mit seinem Körper. Ich schmiege mich in seine vertraute Wärme, weil ich nicht will, dass irgendjemand sieht, wie ich innerlich still und leise zusammenbreche.
Es ist ein absoluter Albtraum. Meine Hochzeit hat sich in kaum dreißig Sekunden in eine Folge der Jerry-Springer-Show verwandelt.
Die schicken Jimmy-Choo-Brautschuhe, die ich mir für den heutigen Tag geleistet habe, machen es mir schwer, den Gang entlangzueilen, aber ich versuche es. Und jedes Mal, wenn ich ausrutsche und zur Seite kippe, ist mein Dad da, um mich festzuhalten.
Wir schaffen es zu der Vorhalle mit dem Steinfußboden, und mein Dad drängt mich in den Raum, in dem wir vor fünf Minuten noch gewartet haben.
»Was zum Teufel ist hier los?«, rufe ich und setze mich auf einen Holzstuhl, eins der wenigen Möbelstücke in dem kleinen Raum. »Ich kann gar nicht . ich weiß nicht .«
Die Tür wird erneut geöffnet, und Julie, eine weitere meiner fünf Brautjungfern, schaut herein.
»Gott, Reese, es tut mir so leid. Kann ich irgendwie helfen?«
Ich werfe ihr einen hilflosen Blick zu, und Tränen treten mir in die Augen.
»Bitte, sag mir, dass du nicht auch mit ihm geschlafen hast«, flüstere ich zittrig.
»Oh, Himmel, nein. Das würde ich niemals tun!«
»Ich weiß, es ist nur . ich weiß im Moment nicht, was ich noch glauben oder wem ich vertrauen soll.«
»Julie«, sagt mein Dad, »bitten Sie die Saaldiener, die Türen zur Vorhalle während der nächsten zehn Minuten zu schließen. Niemand verlässt diese Kirche, bis ich Reese von hier weggebracht habe.«
»Okay.«
Sie zieht die Tür hinter sich zu, und mein Dad schaut mich an.
»Bist du bereit zu gehen?«
Ich nicke, stehe auf und wische mir die Tränen unter den Augen weg. »Ich will so weit wie möglich von hier fort.«
Als mein Dad die Tür öffnet, steht Eric da und wirft mir einen jämmerlichen Blick zu. Eines seiner Augen ist purpurn und zugeschwollen, und seine Nase blutet. Ich werde meinem Bruder später dafür danken müssen.
»Reese, würdest du bitte einfach zuhören?«, fleht Eric. Oh mein Gott, will der mich verdammt noch mal auf den Arm nehmen?
Zum Glück würgt mein Dad ihn mit nur einem Blick ab. »Lass sie gefälligst in Ruhe, sonst gibt es ein weiteres blaues Auge, passend zum ersten.«
Mein idiotischer Ex redet weiter, als würde uns an diesem Punkt überhaupt noch interessieren, was er zu sagen hat. »Ich weiß, es klingt schlimm .«
Mein Dad stößt Eric beiseite und führt mich durch die Vorhalle der Kirche. Ich weiß nicht, wo ich jetzt ohne ihn wäre....