1 Technik und Design moderner Spiegelreflex- und Systemkameras
Was unterscheidet Spiegelreflex- und Systemkameras?
1.1 Der Weg zur Systemkamera
Die ersten Kameras nutzten eine Mattscheibe, die zunächst montiert wurde, um den Bildausschnitt einzustellen. Danach wurde die Mattscheibe gegen die Fotoplatte ausgetauscht. Diese Arbeitsweise war zwar bei der damals zwingenden Benutzung eines Stativs sehr exakt, da Mattscheibe und Fotomaterial dieselbe Optik nutzten, doch sehr umständlich - einerseits wegen des notwendigen Umbaus zur Aufnahme, andererseits wegen der geringen Lichtstärke der Mattscheibe, wegen der Fotografen dieser Zeit sich zur Einstellung der Kamera ein schwarzes, an der Kamera montiertes Tuch überwarfen.
Daher wurden bald auch einfache Rahmen aus Blech auf die Kameras montiert, mit denen man den zu erwartenden Bildausschnitt anvisieren konnte, ohne etwas umbauen zu müssen. Dies war dafür weniger exakt: Da der Rahmen über der für die Aufnahme benutzten Optik sitzt, zielt er bei Nahaufnahmen daneben - man spricht vom Parallaxenfehler.
Ein optischer Sucher mit einer zweiten, kleineren Optik verringert das Parallaxenproblem - er ist näher an der optischen Achse des Objektivs und man kann nicht schräg hindurchsehen wie beim Rahmen -, beseitigt es aber nicht. Dafür musste man nun Nase und Auge hinter die Kamera klemmen und verlor bei Portraits und Gruppenfotos den direkten Blickkontakt zu den Aufgenommenen.
Die zweiäugigen Spiegelreflexkameras brachten die Mattscheibe zurück, verlangten jedoch nach zwei gleichartigen Optiken übereinander und hatten immer noch einen Parallaxenfehler.
Die einäugige Spiegelreflexkamera verwendet schließlich dieselbe Optik für Sucherbild und Aufnahme. Dies ergibt exakte Bildausschnitte - der Parallaxenfehler ist Vergangenheit und nun sind auch Wechsel- und Zoomobjektive ohne Probleme verwendbar. Zuvor waren hier entsprechende Markierungen im Sucher notwendig, um den verschiedenen Optiken zumindest näherungsweise Rechnung zu tragen. Daher ist "Kamera mit Wechselobjektiven" und "Spiegelreflexkamera" fast zum Synonym geworden, obwohl es auch Sucherkameras mit Wechselobjektiven und Spiegelreflexkameras mit fest angebauter Optik gibt. Und nun eben auch die sogenannten Systemkameras, Spiegelreflexkameras ohne Spiegel.
Live-MOS-Bildsensor der Olympus E-620
Statt einer großen Mattscheibe wie bei den zweiäugigen Spiegelreflexkameras setzten sich bei den einäugigen Spiegelreflexkameras hellere, optische Sucher mit eingebauter Mattscheibe durch. Damit allerdings Sucher und Film versorgt waren, wurden Spiegel notwendig, die halbdurchlässig oder klappbar waren. Zudem ist das Bild im Sucher nun gespiegelt, womit dem Fotografen beim Versuch, den Ausschnitt zu wählen, schnell schwindlig würde. Ein Umkehrprisma dient dazu, das Bild wieder aufzurichten. Es verursacht den typischen "Spiegelreflexbuckel", der nur beim sogenannten Porrosucher fehlt, wie ihn beispielsweise die Olympus Pen F von 1996 und die Olympus E-330 von 2006 hat.
Digitalkameras verzichten oft auf optische Sucher und zeigen das vom Sensor aufgenommene Bild direkt auf einem Monitor. Damit bleibt dem Fotograf erspart, sein Auge hinter den Sucher klemmen zu müssen. Bei Weitwinkel-, Stativ- und Makroaufnah-men ist dies durchaus angenehm, allerdings ist die Bildqualität der Displays bislang wesentlich geringer als die eines optischen Suchers. In starkem Sonnenlicht oder bei Teleaufnahmen ist der optische Spiegelreflexsucher oder ein elektronisches Äquivalent immer noch das Optimum.
Am praktischsten wäre es nun, beides zu haben: Einen optischen Spiegelreflexsucher, und ein Monitorbild. Dann kann man je nach Aufnahmesituation und Geschmack wählen. Doch genau das war lange nicht möglich: Während die einfachen CMOS-Bildsensoren (CMOS: Complementary Metal Oxide Semiconductor) der Kompaktkameras aus der Videotechnik stammten und so dem Monitor Live-Bilder liefern konnten, waren die höherwertigeren, rauschärmeren und höher auflösenden CCD-Sensoren (CCD: Charge Coupled Device) der Spiegelreflexkameras "zu langsam": Sie lieferten nur Bilder im Sekundenabstand und erwärmten sich dabei zu stark. Digitale Spiegelreflexkameras lieferten im Allgemeinen erst nach der Aufnahme ein Monitorbild.
In der Olympus E-330 wurde dann 2006 erstmals ein neuartiger, hochwertiger NMOS-Bildsensor (NMOS: Negative-channel Metal Oxide Semiconductor) verbaut, der einerseits die von einer Spiegelreflexkamera erwartete Bildqualität lieferte und andererseits wie die einfachen Video-Bildsensoren Live-Bilder zum Monitor liefern konnte. Olympus bezeichnete die neue Bauart daher als "Live MOS".
Allerdings war nun der Spiegel plötzlich hinderlich statt nützlich: Es konnte ja nur entweder der Bildsensor oder der Sucher versorgt werden. Bei der E-330 wurde deshalb kurzerhand noch ein zweiter Bildsensor in den Sucher eingebaut - aufwendig und auch keine hundertprozentige Lösung, da er Veränderungen der Belichtungseinstellungen nicht nachbildet.
Bei heutigen Spiegelreflexkameras wird stattdessen der Spiegel je nach Bedarf genutzt: Für Suchernutzung und den schnellen Phasen-Autofokus klappt er herunter und leitet das Licht vom Objektiv nach oben ins Suchersystem und nach unten ins Phasen-Autofokus-System, für die Live-View mit Kontrast-Autofokus wird der Spiegel dagegen ebenso wie zur Aufnahme hochgeklappt.
Live View, gezeigt an der Olympus E-30, Spiegel heruntergeklappt: Das vom Objektiv kommende Licht geht nach oben, das Bild wird im Umkehrprisma wieder aufgestellt und nach hinten zum Sucher geleitet. Gleichzeitig geht ein kleiner Anteil durch den halbdurchlässigen Spiegel nach unten ins Phasen-Autofokussystem
Ohne die Spiegelmechanik fällt das Licht vom Objektiv auf den Bildsensor, wie es zur Live-View und für die eigentliche Aufnahme benötigt wird.
Mit der Live View kann der Fotograf nun also je nach persönlichen Vorlieben und Aufnahmesituation zwischen dem "Zielen über Kimme und Korn" durch den klassischen Spiegelreflexsucher und dem mehr kompositorischen Fotografieren mit Live-Monitorbild wählen.
Tatsächlich ist der Spiegel aber mittlerweile ein Relikt aus der Analog-Zeit, der Fotografie mit Film. Sowohl Bild-Sensoren als auch Monitor-Displays sind mittlerweile gut genug, dass ein optischer Sucher nicht mehr unbedingt erforderlich ist und ein elektronischer Sucher, der sein Signal wie das Display vom Bildsensor erhält, als Alternative zu diesem für entsprechende Aufnahmesituationen (Teleaufnahmen, sonnige Tage im Freien) völlig ausreicht. Ja sogar besser ist, weil er wie das Display die Auswirkung der Einstellungen direkt anzeigen kann, während ein optischer Sucher immer nur ein unbearbeitetes Bild zeigt.
Dies hat nun endlich zu dem meiner Ansicht nach in der Digitaltechnik absolut überfälligen Schritt geführt, den Spiegel wegzulassen. Damit werden die Kameras leichter, kompakter und preiswerter bei gleicher Bildqualität. Diese "Spiegelreflexkameras ohne Spiegel" werden als "Systemkameras" bezeichnet.
Sowohl beim Schritt, ein Monitorbild, "Live View", an einer Spiegelreflexkamera zu bieten als auch beim Wechsel von Spiegelreflex- zu Systemkameras war der Kamerahersteller Olympus wegweisend. Olympus versuchte nicht wie andere, die bestehenden, eingeführten Kamera- und Objektivsysteme auf digital umzustricken, sondern entwickelte mit dem Four-Thirds-Standard komplett neue Objektive für die Digitaltechnik, die mit der Umstellung auf Systemkameras zum Micro-Four-Thirds-Standard weiterentwickelt wurden.
Neben Olympus nutzen auch Panasonic und Leica (mit Panasonic-Technik) diese beiden Systeme sehr aktiv für Kameras, Objektive gibt es außerdem von Sigma. Auch weitere Kamerahersteller nutzen Four Thrirds und Micro-Four-Thirds.
Ich bin ein absoluter Fan dieses Systems. Ich selbst war mit der Olympus ?-330 auf Four-Thirds umgestiegen: Einerseits wegen der Live View, des Monitorbilds, das zuvor nur einfache digitale Kompaktkameras, doch keine digitale Spiegelreflexkamera bot, das ich aber sehr schätze, weil mich "Sucherguckerei" als Brillenträger eher nervt. Andererseits wegen der hier verfügbaren extremen Weitwinkeloptiken und der generell hohen optischen Qualitäten, die zu diesem Preis kein anderes DSRL-System bot.
Olympus ?-510, das erste meiner Olympus-Bücher, wurde über 4000 Mal verkauft und legte den Grundstein zu einer erfolgreichen Reihe von Büchern über Olympus-Kameras. Damals wollte sich kein anderer Autor mit dieser zuvor jahrelang nur noch für Kompaktkameras bekannten Traditionsmarke beschäftigen.
Leider änderte sich dies mit dem Erfolg: Ein Autor, der früher neben allen anderen Systemen auch gelegentlich über Olympus-Kameras geschrieben hatte, wurde nun auf Anregung seines Verlags wieder aktiv und der Lektor meines Verlags ersetzte mich über Nacht durch einen neuen Autor, der nicht wie ich erst nach Feierabend, nach Abwicklung meines Tagesjobs, mit ihm telefonieren konnte.
Der Verlag setze in den Folgejahren nun alles daran, dass ich auch bei anderen Verlagen nicht mehr über Olympus-Kameras schreiben durfte, weil der Markt für nunmehr drei Autoren und Verlage nicht groß genug war und die Qualität der anderen Bücher anscheinend nicht ausreichte, um diese ohne juristische Mittel ausreichend zu verkaufen:
Man verbot mir kurzerhand auf dem Rechtsweg, weiter meine eigenen Fotografien in meinen Büchern zu verwenden. Die Rechte hieran waren unbemerkt mit dem "Kleingedruckten" im Vertrag an den Verlag übergegangen und als dieser bei einem späteren Olympus-Kameramodell (?-620) mit dem neuen Autor zwei "Konkurrenzbücher" zu meinem bereits erschienenen ?-620-Buch herausbringen...