Schweitzer Fachinformationen
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Der erste Tag
»Um Gutes zu tun, braucht es keine Überlegung.« Obwohl er schon lange tot ist, hat der Mann, der diesen Satz geprägt hat, auch heute noch genug Autorität, und kaum jemand wird ihm widersprechen: Goethe. Ich will ihm auch nicht widersprechen, aber ich will feststellen: Um das Falsche zu tun, braucht es auch keine Überlegung.
»Da sind Sie ja, wie schön, kommen Sie rein!«, die junge Mitarbeiterin der Personalabteilung empfängt mich in ihrem Büro, es ist mein erster Arbeitstag. Vor einigen Tagen hatten wir telefoniert und sie hatte mich vorsichtig gefragt, ob ich an meinem ersten Arbeitstag etwas früher kommen könne, so gegen halb neun vielleicht? Es seien noch einige Formalitäten zu erledigen. Halb neun fand ich nicht unbillig und daher hatte ich keine Einwände.
»Möchten Sie einen Kaffee haben?«, richtet sie das Wort wieder an mich, während sie Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammensucht.
»Ja, gerne.«
»Hier ist Ihre Stellenbeschreibung und eine Sicherheitsbelehrung, die müssten Sie bitte durchlesen und unterschreiben, ich hole Ihnen inzwischen einen Kaffee.«
Auf der Doppelseite steht, dass ich als Referent in der Zentralen Controllingabteilung der Berliner Flughafengesellschaft eingestellt werde, und was meine Aufgaben sind. Die Formulierungen sind allgemein gehalten und dürften auf ziemlich alle Mitarbeiter zutreffen, die entfernt in einer Finanzabteilung arbeiten. Meine Aufgaben sind mir aber klar, sie sind in drei Bewerbungsrunden ausführlich besprochen worden: Das Controlling der Baustelle, auf der der neue Hauptstadtflughafen der Stadt Berlin entsteht. Die Baustelle hat den Arbeitstitel BBI, der Flughafen selbst wird nach Fertigstellung BER heißen. Die Aufgabe eines Controllers ist üblicherweise die Erhebung und Aufbereitung von Daten als Grundlage für Entscheidungen der Unternehmensführung. Das ist vielleicht vergleichbar mit den Aufgaben eines Navigators auf einem Schiff. Der Kapitän bestimmt das Ziel und den groben Kurs, der Navigator kümmert sich um Position, Kurs und Geschwindigkeit. Beide zusammen kommen überein, in welcher Zeit das Ziel erreicht werden kann und soll, und wie viel Diesel dabei verbraucht wird.
Vor wenigen Monaten wurde der Termin für die Eröffnung des Flughafens um ein dreiviertel Jahr verschoben, weil ein Planer insolvent wurde und in der Folge wichtige Baupläne fehlten. Es gibt also offensichtlich Probleme mit dem Ziel, dem Kurs und der Zeit.
»Hier ist Ihr Kaffee.«
Die junge Kollegin ist zurück. In der nachfolgenden halben Stunde muss ich weitere Formulare ausfüllen und einige Unterschriften leisten. Die junge Kollegin erzählt derweil, wie schwierig es war, meine Stelle zu besetzen und welcher Aufwand getrieben wurde. Über ein Jahr sei die Stelle unbesetzt gewesen. Das wurde auch im Bewerbungsgespräch erwähnt, aber ich habe nicht nach den Gründen gefragt. Ich bekomme meinen Flughafenausweis und eine Willkommenstüte mit Werbegeschenken und einer Broschüre über den Flughafen und über die Baustelle.
»So, das wäre geschafft.« Die junge Kollegin ist zufrieden. »Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Abteilung.«
Die Ankündigung klingt nach mehr Leistung als nun unmittelbar folgt, denn »meine Abteilung« ist direkt auf der anderen Seite des Flurs. Nach vier Schritten stehen wir im Büro meines Chefs. Er ist leider nicht da. Eine Tür weiter wird uns geholfen.
Eine ältere, aber drahtige Frau mit schulterlangen lockigen Haaren sitzt hinter ihrem Schreibtisch und begrüßt uns: »Ach, da sind Sie ja, ich habe Sie schon erwartet. Ich soll Sie erstmal in Empfang nehmen.« Sie steht auf, läuft um Ihren Schreibtisch herum und reicht mir die Hand. »Ich bin Frau Moori und Sie werden bei mir im Büro sitzen.«
Die Kollegin aus der Personalabteilung verabschiedet sich, sie sei etwas im Stress. Wir bleiben zu zweit zurück und Frau Moori weiß nicht so recht weiter. Der Chef habe noch eben ein wichtiges Gespräch, er sei aber gleich zurück. Wir stehen etwas unentschlossen herum.
»Sind Sie nervös?«, überbrückt sie die Stille.
»Nein, warum sollte ich nervös sein?«, frage ich überrascht. Tatsächlich habe ich keinen Grund, es wirkt doch alles ganz normal.
Meine neue Kollegin schaut ungläubig. Schließlich zeigt sie auf den leeren Schreibtisch, der ihrem gegenüber steht: »Ja, das ist wie gesagt Ihr neuer Arbeitsplatz. Ich glaube, unser Chef hat Ihnen da schon Unterlagen hingelegt . Ja, genau, hier, das Organigramm der Flughafengesellschaft. Das können Sie mal durchsehen. Da sehen Sie hier oben unseren Geschäftsführer und daneben den anderen Geschäftsführer, zuständig für die Baustelle. Der ist aber nur Nummer 2, unser Geschäftsführer ist die Nummer 1.« Sie zeigt in einem Organigramm auf einen umrahmten Namen unterhalb »unseres« Geschäftsführers. »Und den hier kennen Sie, oder? Weil, bei dem müssten Sie eigentlich ein Bewerbungsgespräch gehabt haben, nicht wahr?«
»Ja, das ist richtig, das hatte ich.« Und ich erinnere mich auch noch gut daran. Das war im letzten Winter und ist inzwischen sieben Monate her. »Ist er dann Nummer 3?«, frage ich meine neue Kollegin.
Die überlegt kurz: »Nein, eher so . vielleicht Nummer 7. Die meisten anderen Bereichsleiter sind wichtiger.«
Das finde ich eine interessante Einschätzung und ich frage zurück: »Also haben wir den wichtigsten Geschäftsführer und den unwichtigsten Bereichsleiter?«
Frau Moori lächelt: »Ja, das kann man so sagen.«
Ich schaue wieder auf das Organigramm. Nummer 7 hat einige Abteilungen unter sich, unter anderem das Zentrale Controlling, meine Abteilung. Unterhalb der Bereichsleiter gibt es sehr viele Abteilungen mit jeweils einem Abteilungsleiter, mein Chef ist einer davon. Bei der Anzahl wird er schon Glück haben, wenn er die Nummer 50 in diesem Unternehmen ist. Weiter komme ich mit meinen Gedanken nicht, da betritt Nummer 50, Torsten Baumgard, unser Büro.
»Hallo, da sind Sie ja! Schön, dass Sie da sind, und willkommen beim Flughafen.« Wir reichen uns die Hand. »Kommen Sie, setzen wir uns in mein Büro.«
Es sind vier Monate vergangen, seit ich auch ihn zuletzt gesehen habe, es war Winter, kalt und dunkel. Jetzt ist Hochsommer und einer der heißesten seit langem. Die frühe Sonne scheint ins Büro und es ist schon jetzt warm, angenehm warm. Aber dabei wird es vermutlich nicht bleiben.
»Es ist schön, dass Sie da sind, wir haben unglaublich viel zu tun und die Abteilung ist vollkommen unterbesetzt. Die Kollegen sind alle am Limit.« Herr Baumgard lässt keinen Zweifel daran, welche Erleichterung ein neuer Mitarbeiter für ihn bedeutet. Er hatte mir eine Prämie versprochen für jede Woche, die ich früher beim Flughafen anfangen könne. Aber ich konnte nicht.
Herr Baumgard greift hinter sich und fördert eine großformatige Pappe mit dem Grundriss der Büros seiner Abteilung hervor, die an der Wand lehnte. Auf der Pappe kann ich erkennen, dass die Abteilung meines Chefs sich über sechs Räume erstreckt, die alle aneinandergereiht liegen und durch Türen jeweils miteinander verbunden sind. Er hat das mittlere Büro und ich sitze mit Frau Moori im Büro unmittelbar südlich davon.
»Wir haben ja einige Umbauarbeiten hier vorgenommen, bevor Sie gekommen sind«, erläutert er. »Also konkret haben wir Ihr Büro und mein Büro durch eine neue Tür verbunden. Früher mussten wir hier immer über den Flur laufen, jetzt sind alle Büros der Abteilung auch intern verbunden.«
Ich werfe einen Blick auf die Tür. Tatsächlich, sie sieht frisch aus. Die Handwerker scheinen mit dem Zusammenbau nicht ganz fertig geworden zu sein, am oberen Türrahmen fehlt noch die Verkleidung. Torsten Baumgard fährt fort in seinen Erläuterungen:
»Was jetzt am dringendsten anliegt, ist, dass Sie Aufgaben von Frau Moori übernehmen, also konkret die Betreuung des Bereiches Liegenschaften und der Gesellschaft Flughafen Energie und Wasser, kurz FEW.«
Ich bin überrascht: »Wieso Liegenschaften, was ist mit der Baustelle?«
»Der Bereich B, also die Baustelle selbst, soll weiterhin betreut werden von der Frau Moori, sie will das nicht abgeben.«
»Ich verstehe nicht, wir haben doch in den Bewerbungsgesprächen darüber gesprochen, dass jemand gesucht wird, der die finanzielle Situation der Baustelle betreut. Warum ist das jetzt geändert?«
»Nein, das ist noch so, nur müssen wir das anders einstellen. Zunächst betreuen Sie die FEW und die Liegenschaften, die ja indirekt auch mit der Baustelle zu tun haben. Also konkret: Alles, was fertiggebaut ist, geht in den Bereich Liegenschaften über. Und die FEW stellt den Strom für die Baustelle, der Bezug ist also schon da. Und alles Weitere wird sich finden, keine Sorge.«
Ich bin verwirrt, aber mein Chef bricht das Gespräch ab: »Kommen Sie, ich stelle Ihnen Ihre Kollegen vor.« Die Entwicklung finde ich gar nicht gut, aber Herr Baumgard scheint es nicht bemerkt zu haben. Spätestens bei der Besprechung meiner Aufgaben muss ich das wieder aufbringen.
Zunächst werde ich herumgeführt und den Kollegen vorgestellt. Insgesamt besteht die Abteilung aus acht Mitarbeitern verteilt auf fünf Büros, zwei nördlich vom Chefbüro, drei südlich. In jedem darf ich kurz einige Sätze zu mir sagen, wo ich herkomme und was ich bisher gemacht habe. Anschließend geht es gemeinsam zum Mittagessen in die Kantine. Als wir zurückkommen, ist gerade ein Mitarbeiter der EDV-Abteilung dabei, meinen PC aufzubauen. Ich bekomme einen gebrauchten Mini-Tower mit neuer Maus und aufgearbeiteter Tastatur. In einigen Wochen werde ich die...
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