Schweitzer Fachinformationen
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Wir alle tragen ein Erbe in uns
"Sie saß in einem nur schwach beleuchteten Abteil und dachte, die Welt müsse nun endgültig einstürzen - zumindest ihre Welt. Sie hätte gern geweint, doch es kamen einfach keine Tränen."
Ibiza, Herbst 1980: In einer kleinen, heruntergekommenen Finca trifft ein Telegramm ein, das das Leben von Karl Tröger durcheinanderwirbeln soll. Karl, der mit dem Leben auf Schloss Allsberg abgeschlossen hat, wird von seinem Vater Georg aufgefordert, unverzüglich ins Schloss in Unterfranken zurückzukehren. Das Wort, das Karl jedoch wirklich alarmiert, lautet "bitte".
Karl reist übereilt gemeinsam mit seiner Freundin Giovanna nach Allsberg. Sein Vater, der schon früh die Erbnachfolge regeln wollte, hatte Karls Bruder Anton alles überschrieben, ehe Georg und Anton im Streit auseinandergingen. Aus Rache will Anton nun alles tun, um Schloss Allsberg zu zerstören und das Vermögen in alle Winde zu verstreuen. Die Familie muss ihn aufhalten.
Als die Trögers von mehreren Schicksalsschlägen erschüttert werden, ist es die kluge Ziehtochter Katja, die sich um die zahlreichen Aufgaben auf Schloss Allsberg kümmern muss. Sie stellt sich den Schatten der Vergangenheit und bringt eine längst vergessene Schuld ans Licht. Findet sie hierbei auch ihr eigenes Glück?
Ein Generationenroman um eine starke Frau, über die Rollen, die einem das Leben oft überraschend zuweist, Glück, dem man eine Chance geben muss und Kraft, die Wiedergutmachung in sich trägt.
Allsberg, 15. Juni 1979
Der Baron saß auf dem Hochsitz und ärgerte sich. Obwohl er ein passionierter Jäger war, hatte er heute keinen Blick für das Wild, das zur Abendstunde aus dem Wald trat. Er ärgerte sich über seinen Sohn Anton, er ärgerte sich sogar maßlos über ihn. Mehr noch aber ärgerte er sich über sich selbst. Ja, er musste sich eingestehen, dass er es diesmal wirklich ganz allein verbockt hatte. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte ihn der Notar Dr. Baumann aus Schweinfurt gewarnt: "Herr Tröger, tun Sie das nicht! Die Steuerersparnis wiegt den möglichen Ärger nicht auf." Jung war der Notar und nannte ihn Herr Tröger. Sicher ein Sozialist.
Er ließ dann die Urkunden beim Notar Dr. Nüsslein in Würzburg vorbereiten, dort widersprach man ihm nicht und nannte ihn "Herr Baron". Und so übertrug er fast seinen gesamten Besitz auf seinen zweitgeborenen Sohn Anton. Die Nutzung, den Nießbrauch, behielt er sich bis zu seinem Lebensende vor, so vorsichtig war er denn doch. Und sollte Anton ohne Erben vor dem Vater sterben, würde das Eigentum wieder an ihn zurückfallen.
Georg Freiherr von Tröger war sechsundfünfzig Jahre alt. Seine roten Haare waren etwas schütter geworden, aber graue Strähnen gab es noch nicht. Darauf war der Baron stolz. Er legte äußersten Wert auf seine Erscheinung. Es war ihm sogar gelungen, die Wampe wieder loszuwerden, die er sich angefressen hatte, nachdem Agnes, seine Frau, gestorben war. Kummerspeck war das gewesen. Ebenso sehr wie auf seine Figur achtete er auf ländlich-schicke Kleidung. Seine Standesgenossen und Nachbarn gingen zu Waffen Frankonia in Würzburg oder zu Lodenfrey in München: Loden, Hirschhornknöpfe, Haferlschuhe - das kam dabei heraus. Er hasste das. Englischer Tweed war schon sehr viel mehr sein Stil.
Hätte Agnes, seine verstorbene Frau, ihm zugeraten, alles an Anton zu übergeben? Hätte sie tatenlos zugesehen, wie er Karl, den älteren Sohn, enterbte? Anton hatte damit begonnen, Landwirtschaft und Weinbau zu studieren, und zeigte reges Interesse an den Betrieben der Familie. Dabei ging es um mehrere tausend Hektar Wald in der Rhön und um landwirtschaftliche Flächen rund um den Ort Allsberg. Und nicht zu vergessen: die Weinberge rund um Volkach und Fahr - das Herzblut des Barons. Die Immobilien in Würzburg, die Ziegelei und den Weingroßhandel hatte er noch nicht übergeben, das war wieder ein ganz anderer Fall. Viel Geld kam da herein, dennoch behandelte er diesen Teil seines Eigentums mit einer gewissen Reserviertheit. Er fühlte sich da nicht wohl als Eigentümer. Das war nicht das echte Geschäft der Familie. Er kam sich vor wie ein Pfeffersack, wenn er sah, wie sein Direktor wegen der Mieten feilschte und Wein per Hektoliter in alle Welt verkaufte.
"Der Betrieb" - das war das, was er an den Sohn übergeben hatte. Und der brachte unterdessen wieder Gewinn. Forst, Landwirtschaft und Weinbau hatte er von seinem Vater geerbt. Damals, nach dem Krieg, war das eine altmodische Angelegenheit gewesen, viel Vieh, viel Handarbeit, wenig Mechanisierung. Das war teuer, zumal es auch noch einige betriebliche Renten gab, die ausbezahlt wurden. Das war alles nicht mehr zeitgemäß gewesen.
Es hatte mehrerer Jahre bedurft, bis "der Betrieb" durchrationalisiert war. Die Alten gingen in Rente, und die Jungen wanderten zu den besser bezahlten Stellen nach Schweinfurt ab. Niemand wurde entlassen, niemand wurde arbeitslos, darauf war der Baron stolz. Anton würde nur das gesetzliche Erbe, den Pflichtteil, an seinen Bruder Karl auszahlen müssen, sonst war alles unbelastet. Wenn man davon absah, dass der Unterhalt des riesigen Barockschlosses in Allsberg Unsummen verschlang.
Warum hatte Karl, der Ältere, ihn damals so enttäuscht? Weil er nach seinem Onkel Magnus kam? Er selbst, Georg, den alle Schorsch nannten, war als Kind ein Draufgänger gewesen und auf einem selbst gebauten Floß auf dem Karpfenteich herumgepaddelt. Das war natürlich streng verboten, und dafür hatte er auch die angedrohte Tracht Prügel eingesteckt. Aber was wog schon Senge gegen Abenteuer? Sein Bruder Magnus hatte dabei nie mitmachen wollen. "Schisser", dachte der ältere Bruder und verachtete den Bücherwurm, der zu allem Überfluss auch noch malte und im Schulchor sang. Eine Generation später wiederholte sich das alles: Karl war wie Magnus, zumal er von seiner Mutter verhätschelt worden war. Zugegeben, auch Anton hatte sie zu weich erzogen, immer hielt sie ihre schützende Hand über die Buben, wenn er, der Vater, Mutproben oder sportliche Leistungen einforderte.
"Ihr müsst den inneren Schweinehund überwinden, sonst wird nie etwas aus euch."
Leicht süffisant hatte Agnes dann gefragt: "Könnte es sein, dass du so was hast? Normale Menschen kommen auch ohne Schweinehund aus."
Er gestand es sich nur ungern ein, aber wenn sie nicht gestorben wäre, hätte er sich irgendwann von ihr scheiden lassen. Daher kam es für ihn vollkommen unerwartet, dass er nach dem Tod seiner Frau in ein tiefes depressives Loch fiel. Hatte er sie doch mehr geliebt, als er sich eingestehen wollte? Jetzt, neun Jahre nach ihrem Tod, vermisste er sie sehr. Er versuchte nun, sich nur an harmonische Momente ihrer Ehe zu erinnern.
Mit der Zeit hatte er es sich angewöhnt, den Grund für all seine Probleme mit den beiden Söhnen darin zu sehen, dass Agnes sie eben viel zu lasch erzogen hatte. Das war zwar praktisch, änderte allerdings auch nichts an der ganzen Misere.
Vor den Abenden, den Sonntagen und den Zeiten, wenn er nicht auf die Jagd gehen konnte, war ihm bange. Allein zu sein, das waren trübe Aussichten. Es kam ihm oft so vor, als lebte er allein im Schloss. Sollte er zur Abwechslung wöchentlich einen anderen Salon nutzen? Zehn Gästezimmer! Was sollte er damit, wenn ihn nie jemand besuchte? Gut, es gab ja noch Katja. Manchmal dachte er, seine Nichte sei wie eine zugelaufene Katze, die sind ja besonders anhänglich. Katja Riedmüller war die nicht-eheliche Tochter seines Bruders Magnus mit der Schauspielerin Therese Riedmüller, einer vielbewunderten Schönheit. Katja war mit siebzehn Jahren nach Allsberg gekommen, nachdem ihre beiden Eltern kurz nacheinander gestorben waren. Das Mädchen hatte die familientypischen roten Haare und wusste ganz genau, was es wollte. Der Baron liebte sie sehr. Sie leistete ihm Gesellschaft, was er genoss, selbst wenn sie von langweiligen Kunstausstellungen in Zürich oder München schwatzte. Aber Katja hörte ihm auch zu, und das gefiel ihm über alle Maßen, wie er sich lächelnd eingestand, wenn sie ihn veräppelte und seine Ansichten nicht ernst nahm. Sobald sie abends neben ihm saß, fühlte er sich jung und geliebt. Das war schön. Daher sah er es ihr auch nach, dass die Freunde und Kommilitonen, die sie manchmal in Allsberg anschleppte, alles andere als standesgemäß waren.
"Reg dich nicht auf, schließlich bin ich ein Bankert", hatte sie lachend gekontert, als er dieses Thema einmal angesprochen hatte.
"Sie ist halt ein rechter Handfeger", urteilte die Soffi, die Schlossköchin, immer wieder.
Im Schloss wohnten außerdem noch seine drei Schwestern Donata, Huberta und Philippa.
Donata war mit einem französischen Prinzen verheiratet gewesen. Ein aufgeblähter Nichtsnutz, fand der Baron. Dass die Ehe nicht gehalten hatte, wunderte niemanden, Schorsch am allerwenigsten. Sie hatte einen Sohn und eine Tochter, die nach dem Vater geraten waren. Je mehr Abstand er zu diesen Leuten hielt, desto lieber war es ihm.
Huberta hatte Herbert Graf von Braunsfeld geheiratet. Ein Sesselfurzer in einem Ministerium in Hannover. Der Schwager war so langweilig, dass allein der Gedanke an ihn Schorsch schläfrig machte. Auch Huberta hatte zwei Kinder, die es nur selten nach Allsberg verschlug. Gut so.
Nur die jüngste seiner Schwestern mochte der Bruder gern. Philippa hatte als Einzige bürgerlich geheiratet, und zwar den Diplomaten Dr. Peer Brunnmeister. Schorsch bedauerte es zutiefst, dass auch diese Ehe gescheitert war. Er schätzte den Schwager sehr, aber er verstand, dass der Unfalltod des gemeinsamen Sohnes Sven die beiden Eheleute auseinandergetrieben hatte.
Sven war sein Patensohn gewesen. Bei einer Motorradtour durch Südamerika war er mit seinem Motorrad unter einen Autobus geraten und seinen Verletzungen erlegen. Philippa wusste, dass ihr Bruder Georg diese Reise gegen den Willen des Vaters ermöglicht hatte, indem er dem abenteuerlustigen Patensohn einen stattlichen Geldbetrag hatte zukommen lassen. Nun machte er sich schwere Vorwürfe und war seiner Schwester unendlich dankbar, dass sie es ihm nie nachgetragen hatte. Mit ihr verstand er sich am besten. Doch wenn es nicht unbedingt sein musste, vermied er den Kontakt zu seinen Schwestern generell, sie waren einfach zu neugierig.
Anders lag der Fall mit seiner Mutter, die von den Enkeln Groma genannt wurde. Seinen Vater, Wendt Tröger, eigentlich Carl-Wendt Tröger, hatte sie blutjung geheiratet. Da war sie gerade mal achtzehn und eine Schönheit gewesen. Heute, mit ihren fünfundsiebzig Jahren, sah man ihr die Schönheit ihrer Jugend immer noch an. Sie war eine beeindruckende Erscheinung, hager und aufrecht, eine Respektsperson. Die gebürtige Baroness von Zott aus Oberfranken hatte ihren Sohn stets darin unterstützt, wenn es um den Erhalt und die Mehrung des Besitzes gegangen war, selbst dann, wenn das, was er unternahm, gelegentlich ihren Moral- und Wertvorstellungen zuwiderlief. Der Glaubenssatz aller fränkischen Adelsfamilien war ihr in Fleisch und Blut übergegangen: "Das Zeug muss zusammengehalten werden." Schorsch vermied es vorerst, mit...
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