Schweitzer Fachinformationen
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Bruno schaut an sich hinunter. Das, was andere als ihr bestes Stück bezeichnen, hat er schon lange nicht gesehen.
Ein Gebirge von Mann, nennt ihn Angelika gerne. Seit der letzte Arzt das Weite gesucht hat, weiß er nicht mehr, wie viele Kilos er hat. Die meisten Waagen enden bei hundertachtzig. Vor kurzem hat er im Internet eine entdeckt, deren Ergebnisse auf dem Handy ablesbar sind. Anzeigen, die bei den Zehen aufpoppen, sind nutzlos. Siehe bestes Stück. Bei all dem ist sein Bauch vor.
Zeit, sich anzuziehen. Eine mühsame Sache. Üblicherweise wälzt er sich in den Jogginganzug, den ihm seine Frau letzte Weihnachten geschenkt hat. Maßgeschneidert. Jogging: Das bezieht sich nicht auf eine eventuelle Tätigkeit, sondern auf Material und Schnitt: bequem, dehnbar, Gummizüge.
Bruno keucht. Heute muss er in die graue Stoffhose. Sie ist eingegangen. Wie mühsam, sich zu setzen und die Arme so zu strecken, dass er den ersten Fuß ins Hosenbein fädeln kann. Aber erst dann kommt das Kunststück: nicht vom Lehnstuhl zu fallen, während der zweite Fuß das zweite Beinloch sucht. Er mag seinen Anwalts-Kollegen Oskar Kellerfreund. Trotzdem hätte er ihn am liebsten wieder ausgeladen. Schweiß rinnt ihm über die Stirn. Die Hose packen und bis zu den Oberschenkeln ziehen. Oskar will mit ihm über eine Kollegin reden. Bruno war schon lange nicht mehr in seiner Kanzlei, aber alles lässt sich nicht am Laptop im Arbeitszimmer daheim erledigen. Und Alexander Bonnini, sein langjähriger Mitarbeiter, ist ein Idiot. Bruno hustet. Er müsste mehr an die frische Luft. Auch wenn sein letzter Arzt gemeint hat, dass das, was ihn plagt, keine Erkältung ist. Fettgewebe und Wasser drücken nicht nur auf Herz und Leber, sondern auch auf die Lunge. Angelika hat ihn für einen Scharlatan gehalten. Sie kennt ihren Bruno viel besser. Sie war Krankenschwester, als er sie vor fast vierzig Jahren geheiratet hat. So jung waren sie damals. Sie hat gearbeitet, er hat studiert und seine letzten Prüfungen absolviert. Natürlich hat er ihr das, als er ins Verdienen gekommen ist, gedankt: Sie musste sich nicht mehr um die Krankheiten anderer Leute kümmern. Nur Kinder, die sind ihnen leider versagt geblieben. Ein größeres Problem für sie als für ihn, aber so ist das wohl meistens.
Bruno schnuppert. Sie hat eines seiner Lieblingsgerichte vorbereitet: Lachsfilet in einer Oberssauce mit Oliven und Kapern. Damit er sich auf etwas Besonderes freuen kann, heute Abend. Und weil diese Mira, Oskars Frau, lieber Fisch als Fleisch hat. Sie ist Journalistin, keine Schönheit, aber irgendwie ganz apart. Nichts, was ihn noch über Gebühr beschäftigt. Dieses Herumgebalze - eigentlich war es vor allem anstrengend. Bruno lächelt, er gibt sich einen gewaltigen Ruck, er steht, packt die Hose am Gummizug, zerrt und schiebt so lange, bis sie sitzt. Er und Angelika: Sie passen gut zusammen. Er isst so gerne. Sie kocht so gerne.
Er hat um weitere zwanzig Kilo zugelegt, denkt Mira. Sie versucht Oskars Kollegen nicht anzustarren. Bruno hockt auf dem überbreiten verstärkten Sessel wie ein Nilpferd, das ein besonderes Kunststück vorführt. Mira ist eine, die weniger Kalorien als Genussmomente zählt. Aber heute Abend hat sie kaum Appetit. Dabei kocht Angelika wirklich fantastisch. Die mit Trüffelpastete gefüllten Blätterteigtaschen, die es zum Vermouth gegeben hat, konnte sie noch mit Freude essen. Aber dass Oskar gleich zwei davon genommen hat: Er sollte sich seinen Kollegen ansehen.
Dann hat man ein bisschen geschwatzt, eine Flasche Gelben Muskateller getrunken, original apulische Taralli, Prosciutto und Sopressa, diese köstliche venetische Wurst, genascht und Vivaldi gehört. Während Angelika etwas von besonders magenfreundlichem Carnaroli-Reis gemurmelt hat, ganz pur quasi, ohne Fleisch dazu. Der Gesundheit zuliebe. Man glaube es nicht, wenn man sich diesen kräftigen Mann ansehe, aber ihr Bruno sei sehr empfindlich.
Die Küche der De Fontis ist in den Wohnraum integriert. Mehr noch: Sie ist Zentrum, Kraftwerk, Atomkern ihres Lebens. Eigentlich nicht so viel anders als bei ihnen daheim, denkt Mira. Nur dass die Proportionen verschieden sind. Bei ihnen ist die Küchenzeile am Rand. Bei ihnen wird, bei aller Liebe zu gutem Essen, auch Zeit ohne Nahrungsaufnahme oder die Sorge darum verbracht. Bruno sollte ihnen Mahnung sein, Monument für die Folgen eines aus dem Ruder gelaufenen Lebens. Mit gut zweihundert, vielleicht auch dreihundert Kilo. Man muss zugeben, die Kochinsel ist eindrucksvoll. Und hochmodern. Das Beste vom Besten. Rundum Schränke mit Vorräten. Angelika wischt sich eine blond gefärbte Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie ist mollig, aber nicht dick. So viel zu kochen, verbraucht offenbar auch Kalorien.
"Ausreichend und gutes Knochenmark vom Kalb zu bekommen, ist ein Problem in Wien", doziert sie. "Aber ohne Knochenmark kein echtes Risotto Milanese. Riecht ihr, was für ein Duft? Das kriegst du mit Olivenöl nicht hin. Da brauchst du als Geschmacksträger das richtige Fett."
Sie rührt, schöpft kochenden Kalbsfond zum Reis.
Bruno schiebt das nächste Stück Sopressa in den Mund.
"Ich liebe Risotto", sagt Mira. Obwohl das stimmt, fühlt es sich falsch an. Wie witzig Oskars Kollege früher war. Wendig, auch mit Worten. Oskar soll endlich von Daniela erzählen, seiner Kollegin, die sich vorstellen kann, in Bruno De Fontis Kanzlei zu wechseln - mit der Perspektive, sie in absehbarer Zeit zu übernehmen. Aber Oskar scheint sich seinem Kollegen angepasst zu haben. Er isst - zum Glück Prosciutto - und schweigt.
Was bleibt Mira übrig, als die Konversation zu übernehmen? "Für meine Oma war Öl gar kein Fett."
"Ist es auch nicht", murmelt Angelika. "Nicht im klassischen Sinn der Wiener Küche."
"Zu mager?", versucht Oskar zu scherzen. Sieht aus, als würde er sich auch nicht restlos wohlfühlen.
Bruno lacht, es geht in einen Hustenanfall über. Angelika sieht ihn mit gerunzelter Stirn an.
Was will sie? Ihn notschlachten? Ihm Lebertran einflößen? Er fängt sich wieder und Mira fährt rasch fort. "Meine Oma war als junges Mädchen, noch in den letzten Jahren der Monarchie, Köchin bei einer Herrschaftsfamilie in Budapest. Davon hat sie oft erzählt. Sie hat sehr gerne und eher üppig gekocht. Ich habe als Kind ihr Cordon Bleu geliebt. So richtig schwimmend knusprig in der Pfanne herausgebacken. Meine Mutter war damals schon auf dem Gesundheitstrip und hat über das viele Fett geklagt. Und Oma darauf: 'Das ist doch gar kein Fett, das ist bloß Öl!?"
Schweigen.
Oskar versucht ein Lachen.
"Da hat sie recht", sagt Angelika. "Siehst du, Bruno, wir hätten doch Cordon Bleu machen sollen. - Bruno liebt es. Ich habe ein ganz besonderes Rezept. Mit Brie und einem einzigartigen Schinkenspeck aus Bologna. Aber er hat gemeint, das ist nach dem Risotto zu viel. Für euch."
Jetzt hustet Oskar.
"Es geht eine wirklich böse Erkältung um", stellt Angelika fest. "Mein Bruno wird sie nicht und nicht los."
"Der Arzt hat gesagt .", setzt dieser an.
"Der Arzt war ein Trottel, um das freundlich auszudrücken. Keine Ahnung von nichts, abgehobene Typen, diese Internisten und sogenannten Allgemeinmediziner. Ich könnte euch Geschichten erzählen . So. Fertig ist das Risotto. Jetzt noch ein Stückchen Butter und frisch geriebenen Parmesan einrühren . Ganz einfach, ganz klassisch. Und magenfreundlich!"
Es riecht großartig. Es hat eine wunderschöne Safranfarbe. Es schmeckt hinreißend. Trotzdem: Mira wünscht, Angelika hätte ihr weniger in den tiefen Teller gegeben. Auch wenn Bruno gut die doppelte Menge bekommen hat.
Er nimmt eine große Gabel voll, kostet, schluckt, lächelt. "Angelika, du hast dich wieder einmal selbst übertroffen!"
Oskar nickt und nimmt schon die zweite Gabel. Seine Portion ist definitiv zu groß.
Bruno schaufelt, bemerkt Miras Blick, versucht ihr zuzuzwinkern. Selbst sein Augenlid ist fett, stellt Mira fest. "Essen ist der Sex des Alters", versucht er zu scherzen. "Gutes Essen ist der gute Sex des Alters!"
Früher war er wirklich witzig. Jetzt reicht es nur mehr für Gemeinplätze. Sex des Alters? Bruno ist gleich alt wie sie. Alt? Sie fühlt sich nicht alt. Üblicherweise.
"So gesehen feiern wir jeden Tag Orgien. Mehrere!", setzt Bruno noch eins drauf.
Angelika sieht ihn pikiert an. Orgien scheinen nicht so ihr Ding zu sein.
Beim Hauptgang, dem Lachsfilet ("Ich nehme immer den Bauchlappen, die Japaner, die wirklich etwas von Lachs verstehen, bezahlen für gute Bauchlappen enorm viel Geld") in Kapernsauce ("Das Obers ist einfach der ." - klar, was jetzt kommt, hat Mira gedacht - ". Geschmacksträger!"), wird dann doch noch über Geschäftliches geplaudert. Bruno De Fonti hat den Rest der Sauce - sie ist wirklich großartig - mit mehreren Scheiben Weißbrot aufgetunkt. "Da kann man nichts übrig lassen", schmatzt er.
Mira kann. Angelika belässt es nicht bei einem vorwurfsvollen Blick. "Dabei hat Bruno gemeint, du hast lieber Fisch. Wahrscheinlich hat er wieder einmal nicht aufgepasst."
"Du meinst also, diese Daniela Schullian würde es bei mir aushalten?", versucht Bruno das Gespräch auf Unverfänglicheres zu lenken.
Oskar nickt. "Sie war an sich Strafverteidigerin, hat dann aber in meiner Kanzlei ein Wirtschafts-Praktikum gemacht und ist für einige Jahre zurück nach Südtirol. Jetzt will sie wieder...
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