13Einführung
"Sie können auf der Bühne nichts falsch machen!" Das ist der Satz, den ich allen sage, die bei mir Hilfe für Ihre Reden oder Vorträge suchen. Das ist gleichzeitig der Satz, der Ihnen in der Rückschau am meisten geholfen hat. Wir können nichts falsch machen. Wir können langweilig sein oder andere ärgern, wir können verwirrend sein oder unsympathisch, wir können zu leise sein oder furchtbar aussehen, aber beruhigen Sie sich: "Sie können da oben nichts falsch machen!"
Redekunst, Vortragskunst, das sind Begriffe, die in meinen Augen ausgeschriebenen Reden vorbehalten sind. Eine geschriebene Rede kann große Literatur sein, Kunst im besten Sinne. Ob man dann aber von Vortragskunst sprechen sollte, wenn diese Rede vorgelesen wird? Wohl nur, wenn das ein Schauspieler wie Mario Adorf macht oder Senta Berger oder Christiane Hörbiger.
Grosse Reden sind eine Kunst.
Genauso wie Intarsienarbeiten, Steuererklärungen für Großunternehmen, bei denen herauskommt, dass das Unternehmen keine Steuern zahlen muss, oder die Kunst der Meditation. Wenn Sie aber ein Fan von Reden sind, wenn Sie an die Macht des gesprochenen Wortes glauben, wenn Sie den Menschen, die Sie bewegen wollen, in die Augen gucken wollen und ihre Seele oder ihr Herz erreichen wollen, dann ist das Schreiben und anschließende Sprechen von Reden nur die zweitbeste Methode und denen vorbehalten, die gerade mit dem Rednerhandwerk anfangen oder so nervös sind, dass sie keine wirkliche Wahl haben. Aber dann sollten sie reden lernen, indem sie Vorlesen lernen.
Beim freien Reden ist natürlich ein Stichwortzettel erlaubt, genauso wie schriftliche Unterlagen für Sie oder die Teilnehmer und natürlich sind auch PowerPoint Folien erlaubt. Aber die Sätze, die Sie sprechen, entstehen immer in dem Moment, in dem Sie sie sagen, und nicht Tage vorher. Wie Sie das hinbekommen, auch davon handelt dieses Buch.
Eine frei gehaltene Rede ist eigentlich nur eine Edelversion einer guten Unterhaltung. Der oder die da vorne redet auch nicht anders als mein Obsthändler oder meine Mutter, ein bisschen mehr auf den Punkt vielleicht und ein bisschen strukturierter. Es gibt ein konkretes Ziel und möglicherweise einen Spannungsaufbau. Aber ansonsten hört sich das genauso an wie ein alltägliches Gespräch.
Ohne Regeln geht es am Anfang deutlich leichter. Die klassische Rhetorik war gestern (und sie kommt nicht wieder). In meinen Augen ist die Arbeit an rhetorischen Hilfsmitteln und Formeln nur für den sinnvoll, der ein ziemlich gutes Ergebnis noch ein bisschen runder machen möchte. Aber Rhetorik hält den Anfänger zunächst einmal vom Reden ab. Das ist genau wie beim Fußball. 14Vor einen Ball treten ist deutlich einfacher, als lange Pässe zu kicken, Fallrückzieher zu machen oder gar in die Nationalmannschaft zu kommen. Wenn ich Ihnen dauernd sage, dass Sie noch nicht so kicken, wie die vom FC Bayern, ist das keine Hilfe.
Es gibt beim Reden nicht die richtigen Worte, die richtigen Bewegungen, die richtigen Bilder, die richtige Struktur. Es gibt nur Reden, die möglichst gut zum Redner und zum Redeanlass passen. Wenn Ihre Mutter Sie da oben nicht wiedererkennt, wenn Ihre Freunde anschließend sagen: "Du warst mir so fremd während Deiner Rede." Dann haben Sie ganz sicher etwas falsch gemacht.
Ich behaupte, die schlechten Redner sind nicht die Ungeübten, die Unsicheren, die Vorsichtigen, sondern es sind die falsch Trainierten, die vermeintlich Selbstsicheren, die perfekt Glatten, die langweilen uns unendlich.
Wenn Sie sich gut vorbereitet haben, merkt das jeder Zuschauer. Das wird anerkannt, auch wenn Sie kein so guter Redner sind. Wenn Sie gute Folien haben, möglicherweise sehr gute Folien, wenn Sie Zwischenfragen sicher beantworten können und wenn Sie sich genau auf die Zielgruppe einstellen, werden die Menschen im Zuschauerraum das bewundern. Und Ihre gelegentlichen Stotterer oder dass Sie dauernd Stimmt's nicht? sagen, ist deutlich weniger wichtig.
Wie wäre es mit Kommentaren wie: Er hatte viele ähs, aber das war ja echt spannend oder Er ist dreimal rausgekommen und hat den Faden verloren, aber so viel habe ich lange nicht gelernt oder Er ist ein bisschen viel herumgelaufen, aber inhaltlich war das total auf den Punkt. Alle Achtung! Solche Kommentare wünsche ich Ihnen, wenn Sie von der Bühne kommen.
15Ein Test
Werden Sie sich zunächst klar, worauf es bei so einem Vortrag oder einer Rede ankommt. Machen Sie einfach mal spontan Ihr Kreuzchen, welchen Vortrag Sie gerne sehen würden. Wir gehen bei allen Vorträgen davon aus, dass sie von einem Thema handeln, das Sie brennend interessiert.
Für mich wäre das klar. Ich will unbedingt die bahnbrechende Analyse hören. Das interessiert mich am allermeisten. Dass der Professor ein bisschen verwirrt ist, nehme ich in Kauf. Auch die wissenschaftliche Untersuchung interessiert mich brennend, auch wenn der Redner stottert. Dann kommt lange nichts. Der tigernde Sportler könnte noch nett sein. Ich lache gerne. Die Business Lady, die mir ein amerikanisches Buch vorliest, langweilt mich schon durch die Ankündigung. Das Buch kann ich selber lesen. Eine Rede von 20 Minuten habe ich locker in 10 Minuten selbst gelesen. Genauso wie die Folien von der Folienableserin. Dann kann ich nämlich selber entscheiden, wann ich was lese. Auch die Zusammenstellung von dem jungen Mann interessiert mich nicht wirklich. In meinem Fachgebiet kenne ich mich sehr gut aus. Ideen aus den 90igern bleiben Ideen aus den 90igern, auch wenn sie brillant vorgetragen werden. Wenn mich das nicht interessiert, kann er das als Opernarie trällern, es wird trotzdem nicht spannender.
Ob der Mensch da vorne attraktiv ist oder nicht, ist mir nicht wo wichtig. Natürlich sehen wir lieber jemand an, der gut aussieht, aber das ist subjektiv und immer nur eine Zugabe.
Ein Veranstaltungssaal ist normalerweise keine Party, bei der ich einen Partner fürs Leben suche. Damit wollte ich Sie herausfordern. Wenn jemand schlecht redet, muss er schon ziemlich toll aussehen, damit ich das wenigstens für kurze Zeit vergesse.
Attraktive Menschen verdienen mehr, bekommen mehr Hilfe und werden zu geringeren Strafen verurteilt. Wirtschaftswissenschaftler haben in Amerika und Kanada Stichproben genommen und festgestellt, dass das Einkommen von gut aussehenden Beschäftigten 12 bis 14 Prozent über dem ihrer weniger attraktiven Kollegen liegt.7
Möglicherweise ist die Auswertung dieses kleinen Tests bei Ihnen ein bisschen anders. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Inhalt immer vor Form geht. 16Erst wollen wir einen spannenden Inhalt oder zumindest gut unterhalten werden. Dann sehen wir uns die Form an.
Was bedeutet das für Ihre Rednerkarriere? Wenn Sie was zu sagen haben, ist es fast egal, wie Sie das tun. Stecken Sie also am besten Ihre ganze Energie in Ihr Thema und nicht in die Vermeidung tänzelnder Schritte bei Erreichen des Bühnenrandes oder in das Üben großer Handbewegungen. Ich glaube überhaupt nicht daran, dass die Redner mit der brillanten Form uns über einen sehr dürftigen Inhalt hinwegsehen lassen.
Es geht darum, natürlich zu sein in einer unnatürlichen Umgebung. Ideal wäre ein neuer Inhalt, gut erklärt, der mich berührt und unterhaltsam ist und mit ruhigen Bewegungen von einem Menschen lebendig frei vorgetragen, der mir einigermaßen sympathisch ist. Einfach, oder?
Reden ist eine tolle Sache. Keine Gemeinschaft auf der Welt, die hören kann, verständigt sich in Gebärdensprache. Wir reden miteinander, weil es die schnellste Möglichkeit ist, Informationen durch das Ohr in den Kopf einzugeben.8 Niemand braucht Ihnen dieses Reden beizubringen. Das können Sie. Das tun Sie jeden Tag. Manche von uns viel zu oft und zu viel. Sie müssen lernen, das vor der Gruppe zu tun oder zielgerichteter zu tun oder unterhaltsamer, aber der Redevorgang selbst ist nichts, was Sie lernen müssten. Es fängt also damit an, sich bewusst zu machen, dass Sie alles, was Sie für einen guten Redner brauchen, schon mitbringen.
Dr. Fox
Als Trainer und Speaker hat mich von Anfang an die Studie von Dr.Fox interessiert, die sich zum Beispiel in "Das Buch der großen Experimente"9 findet.
Ein gewisser Dr. Fox hielt einen Vortrag unter dem eindrucksvollen Titel "Die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten" vor den Verantwortlichen des Weiterbildungsprogramms der University of Southern California School of Medicine.
Fox war Schauspieler und hielt einen Vortrag, der ausschließlich aus unklarem Gerede, erfundenen Wörtern und widersprüchlichen Feststellungen bestand, die er mit viel Humor und sinnlosen Verweisen auf andere Arbeiten vortrug.
17Auf dem Beurteilungsbogen gaben alle Zuhörer an, der Vortrag habe sie zum Denken angeregt, neun fanden zudem, Fox habe das Material gut geordnet, interessant vermittelt und ausreichend erklärende Beispiele eingebaut.
Das gibt es doch nicht, oder? Kann das wahr sein? Dann habe ich also doch nicht Recht?
Ich habe etwas überlesen. Ich habe überlesen, vor wie vielen Menschen der Versuch stattfand. Scott Berkun10 hat mich dann wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Die Studie des Dr.Fox hatte gerade mal elf Teilnehmer. Damit kann man nun wirklich keine...