Schweitzer Fachinformationen
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»Da bist du ja«, begrüßte Sandra Mohr den Chefinspektor und schaltete das Autoradio aus.
Wie gewöhnlich ließ sich Bergmann neben ihr auf den Beifahrersitz des zivilen Dienstwagens fallen.
Den Kaffeebecher, den der Koffeinjunkie üblicherweise mithatte, vermisste Sandra an diesem Morgen. Überhaupt schien seine Laune nicht die allerbeste zu sein. Dabei war sie sonst der Morgenmuffel, und nicht er. »Gar kein Kaffee heute? Was ist los mit dir?«, erkundigte sie sich.
»Gar nichts ist los mit mir. Den Kaffeebecher habe ich im Büro stehenlassen, als ich mir meine Jacke geholt habe«, knurrte Bergmann und legte den Gurt an.
Eine Jacke war an diesem Morgen auch bitter nötig. In der Nacht hatte es empfindlich abgekühlt. Momentan nieselte es aus wolkenverhangenem Himmel bei frischen drei Grad Celsius. Dabei versprach die Wettervorhersage, die Sandra gerade im Radio gehört hatte, Sonnenschein und deutlich wärmere Temperaturen spätestens zu Mittag.
»Sauwetter«, schimpfte ihr Beifahrer und klemmte seine Hände unter den Achseln ein.
Seit wann war Bergmann so empfindlich? Normalerweise beschwerte er sich höchstens über das Wetter, wenn es schneite. Sandra startete den Motor, womit auch die Heizung ansprang. »Gleich wird es wärmer«, versprach sie ihm und wandte sich um, um auf dem Parkplatz zurückzusetzen.
Bergmann drehte das Gebläse voll auf.
»Und, wie war's?« Sandra legte den Vorwärtsgang ein. Der Scheibenwischer schaltete sich automatisch ein, als sie losfuhr.
»Was meinst du?«
»Na, das Meeting. Wie ist sie so, unsere neue Chefin?«, wollte Sandra wissen.
Bergmann zuckte beiläufig mit den Schultern, als ginge ihn die Neubesetzung in der Chefetage nichts an. Dabei würde die Mordgruppe mit der Fallanalytikerin, die nunmehr zur Vize-Landespolizeidirektorin für den Geschäftsbereich Strategie und Einsatz aufgestiegen war, häufiger zu tun haben.
Sandra nickte dem Portier am Schranken zu. »Macht Frau Herbst einen kompetenten Eindruck auf dich?«, ließ sie nicht locker.
Der Chefinspektor blickte stur geradeaus.
Sandra bremste den silberfarbenen Skoda hinter dem Schranken ab und setzte den Blinker, um stadtauswärts in die Straßganger Straße abzubiegen, sobald sich zwischen den heranbrausenden Fahrzeugen eine Lücke auftat.
Auf der Gegenfahrbahn wälzten sich die Fahrzeuge höchstens im Schritttempo stadteinwärts. Wie nahezu täglich in den Morgenstunden. Dafür staute es sich von nachmittags bis abends stadtauswärts. Die Straßen der zweitgrößten Stadt Österreichs waren dem Verkehrsaufkommen längst nicht mehr gewachsen. Dabei durfte Sandra mit dem Einsatzfahrzeug auch die Busspuren befahren, während sich der Individualverkehr meist auf einer Spur wie durch ein Nadelöhr zwängen musste. Ein zeitgemäßes oder gar zukunftstaugliches Verkehrskonzept war im Großraum Graz überfällig. Jahrelang hatte man ausgiebig über den Ausbau des Straßenbahn- und S-Bahnnetzes, über die Errichtung einer Gondelbahn entlang der Mur beziehungsweise einer Mini-Metro und andere Maßnahmen diskutiert, um den öffentlichen Verkehr auszubauen und den Pendlerverkehr aus dem Grazer Umland anzubinden. Aber kaum etwas war geschehen. Derweil wuchsen ständig neue Wohnblocks immer dichter aneinandergereiht in die Höhe, die weniger wohnungsbedürftigen Mietern als wohlhabenden Anlegern dienten. Der Bauboom ließ Mieten und Kaufpreise weiter ansteigen und machte sie für viele zunehmend unerschwinglich. Dem Langzeit-Bürgermeister der Murmetropole waren nicht zuletzt diese Entwicklungen zum Verhängnis geworden. Bei der letzten Gemeinderatswahl hatten ihn die Grazerinnen und Grazer abgewählt und der volksnahen Frontfrau der linkslinken Partei, die unter anderem für leistbares Wohnen einstand, das Vertrauen ausgesprochen. In vielen Fällen nicht weil, sondern trotzdem sie Kommunistin war. Auch am Land schossen Wohnhäuser, Gewerbeparks, Einkaufshäuser und Supermärkte samt dazugehörigen Parkplätzen wie die sprichwörtlichen Schwammerl aus ehemals fruchtbaren Ackerböden und Grünflächen. In Sachen Bodenversiegelung war Österreich europaweiter Spitzenreiter. Im Bundesländervergleich wurde nirgendwo mehr Fläche verbraucht als in der Steiermark. Ausgerechnet im »Grünen Herzen Österreichs« war die Bodenversiegelung, die unter anderem zu lokalen Hitzeinseln und Überschwemmungen führte, in den vergangenen Jahren am stärksten angestiegen. Sandra bedankte sich mit einem Handzeichen beim Fahrer des weißen Mercedes, der angehalten hatte, damit sie sich in der Kolonne einreihen konnte. »Fesch ist sie, unsere neue Chefin. Findest du nicht?«, kehrte sie zum eigentlichen Thema zurück.
»Hm«, brummte Bergmann.
Dass Nicole Herbst attraktiv war, wusste Sandra aus der aktuellen Ausgabe des Polizei-Fachmagazins Blaulicht, das der designierten steiermärkischen Vize-Landespolizeidirektorin einen ausführlichen Bericht widmete. In Bergmanns Beuteschema passte die große, schlanke Frau allemal. Ob es der alte Schürzenjäger wagen würde, seine neue Vorgesetzte anzubraten? Zuzutrauen war es ihm. Wenn er seine Niederlage erst einmal verdaut hatte. Was ihm offenbar schwerer fiel, als Sandra angenommen hatte. Ob seine Verstimmung deshalb so heftig ausfiel, weil die neue Chefin eine Frau war? An der roten Ampel bremste sie den Wagen ab. »Du wirst es mit der Zeit schon verschmerzen, dass sie diese Stelle bekommen hat und nicht du. Deine Beförderung kommt ganz bestimmt noch. Mit 48 bist du ja noch relativ jung. Für einen Mann«, schränkte sie ein. Frauen in seinem Alter zählten meist schon zum alten Eisen. Umso erfreulicher war es, dass es die Mittvierzigerin an die Spitze der Landespolizeidirektion geschafft hatte. Ein erster Schritt in die richtige Richtung, fand Sandra. Aber das wollte Bergmann jetzt ganz bestimmt nicht von ihr hören.
Ihr Beifahrer schwieg sich weiterhin aus, gedankenverloren geradeaus blickend, als die Ampel auf Grün sprang.
Sandra stieg aufs Gaspedal. »Als du mir damals vor die Nase gesetzt worden bist, habe ich mich auch damit abfinden müssen«, redete sie weiter auf ihn ein. Ausgerechnet ein bornierter Wiener, dem es das größte Vergnügen bereitete, sie mit seinen sexistischen Sprüchen zur Weißglut zu treiben. Mit den Jahren waren diese zwar moderater und seltener geworden, ganz abzugewöhnen waren sie ihm aber nicht. Dennoch wusste Sandra den Chefinspektor inzwischen zu schätzen. Schließlich kannte sie längst auch seine guten Seiten. Und beruflich waren sie von Anfang an ein erfolgreiches Team gewesen. Gerade, weil sie so unterschiedlich waren und sich entsprechend gut ergänzten.
»Du hast damals keinen Hehl daraus gemacht, dass dir jeder andere Boss lieber gewesen wäre als ich«, konterte Bergmann zerknirscht.
Immerhin reagierte er endlich. »Die Vorgesetzten kann man sich halt nicht aussuchen«, entgegnete Sandra. Ebenso wenig wie die Familie. Wer wusste das besser als sie, die mit einem gewalttätigen Halbbruder und einer lieblosen Mutter aufgewachsen war? An der nächsten Kreuzung musste sie erneut anhalten und blickte zu ihrem Beifahrer hinüber. Beinahe hätte er ihr leidgetan. So niedergeschlagen wie heute hatte sie Bergmann selten erlebt. Wenngleich sein aktueller Zustand nicht mit jenem zu vergleichen war, als er erfahren hatte, dass er gar nicht der leibliche Vater seiner Tochter war. Damals hatte er in Sandras Gegenwart sogar Tränen vergossen und sich schließlich einem Psychotherapeuten anvertraut, um seine unkontrollierten Gefühlsausbrüche in den Griff zu bekommen. War das wirklich schon elf Jahre her? »Falls es dich tröstet, Sascha: Ich bin froh, dass du mir als Partner erhalten bleibst«, versuchte Sandra, ihn aufzumuntern. Seit sie wegen einer Sepsis um sein Leben hatte bangen müssen, schätzte sie ihn umso mehr. Außerdem kam selten etwas Besseres nach.
Mit einer hochgezogenen Augenbraue wandte Bergmann sich ihr zu. »Ist das dein Ernst?«
Sandra nickte lächelnd und blickte wieder zur Ampel.
»Das freut mich aber sehr, Liebling«, bekam sie von ihrem Beifahrer zu hören.
Augenblicklich bereute sie ihre letzte Aussage. Bergmann wusste ganz genau, wie sehr sie diesen Kosenamen verabscheute. Genau deshalb piesackte er sie just immer im falschen Moment damit. Wobei es genau genommen keinen richtigen Zeitpunkt dafür gab. »Du solltest künftig besser auf deine Wortwahl achten, Sascha«, schnauzte sie ihn an. »Wo wir doch jetzt eine Chefin haben.«
Bergmann verging das Grinsen. »Dann erzähl mir mal, was du über den Leichenfund von heute Morgen weißt«, wechselte er das Thema.
Sandra gab Gas, als der schwarze Volvo vor ihr losfuhr. Und wieder setzte der Intervallscheibenwischer ein. »Ich weiß nicht mehr, als ich dir schon am Telefon berichtet habe.« Die letzte Tankstelle vor der Autobahnauffahrt lag unmittelbar vor ihnen. Ein kurzer Blick aufs Armaturenbrett bestätigte ihr, dass der Tank fast voll war. Der Treibstoff würde auf alle Fälle auch für die Rückfahrt reichen.
»Ich war vorhin abgelenkt. Erzähl es mir noch einmal«, sagte Bergmann.
»Na schön: Heute Morgen gegen 7.30 Uhr wurde eine männliche Leiche in Puch bei Weiz aufgefunden«, fuhr sie fort.
»Puch wie das Fahrrad?«, fragte Bergmann nach.
»Und wie alle anderen Fahrzeuge aus den Puch-Werken. Nur dass die mit dem gleichnamigen Ort im oststeirischen Hügelland überhaupt nichts zu tun haben.«
»Ich kenne das Kaff sowieso nicht.«
Das hatte Sandra auch nicht angenommen. Zwar kannte sich der zugereiste Wiener mittlerweile in...
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