Schweitzer Fachinformationen
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Der Schrei kam aus dem dichten Fichtenwald, der sich zu beiden Seiten des Trails ausbreitete, und erschreckte ihre Huskys so sehr, dass sie stehen blieben. Gleich darauf zerriss ein wütender Fluch die Stille, gefolgt von einem lauten »Bleibt stehen! Verdammt, bleibt doch stehen!«
Julie stieg vom Schlitten und lauschte angestrengt. Ein vertrautes Geräusch durchbrach die plötzliche Stille, das Bellen von Hunden und das Scharren von Schlittenkufen auf dem verharschten Schnee. Von Panik getrieben, erschienen verängstigte Huskys mit einem leeren Schlitten zwischen den Bäumen und hetzten in dem fahlen Licht, das vom Tag übrig geblieben war, auf sie zu.
Sie wusste, was das bedeutete, rammte hastig den Anker ihres Schlittens in den Schnee und trat den Huskys mit ausgebreiteten Armen entgegen. Doch die Hunde waren viel zu aufgebracht, um stehen zu bleiben. Sie wichen ihr aus und versuchten durch den aufgeworfenen Schnee am Wegesrand an ihr vorbeizuziehen. Der tiefe Schnee zwang sie langsamer zu laufen und ermöglichte es ihr, die Haltestange zu ergreifen und den Schlitten zu bremsen. »Whoaa! Whoaa!«, half sie mit dem bekannten Kommando nach. »Immer mit der Ruhe, ihr Lieben!« Sie verankerte den Schlitten und beruhigte die Huskys. »Kein Grund, die Nerven zu verlieren. Ich sehe mal nach, was passiert ist, okay?«
Chuck, ihr Leithund, war gar nicht damit einverstanden, dass sie den fremden Hunden solche Aufmerksamkeit schenkte. Er beruhigte sich erst, als sie ihm liebevoll den Nacken kraulte. »Schon gut, Chuck. Du bist mein Bester, das weißt du doch. Ich bin gleich zurück! Rührt euch nicht von der Stelle!«
Sie folgte den frischen Spuren des anderen Schlittens in den Wald und lief geduckt unter den tief hängenden Zweigen hindurch. Eisiger Schnee rieselte auf sie herab. Unter den Bäumen war die Sicht noch schlechter als auf dem Trail, und sie konnte von Glück sagen, dass der Schnee auf dem hart gefrorenen Boden ein bisschen Helligkeit reflektierte. Im November waren die Tage in Alaska besonders kurz, und die Sonne zeigte sich nur für ein paar Stunden am Horizont. Eisige Kälte lag in der Luft, vor ihrer Abfahrt hatte das Thermometer minus 25 Grad Celsius angezeigt. Kein Problem für Julie, die in Fairbanks aufgewachsen und es nicht anders gewohnt war. Nach einem zweiwöchigen Urlaub, den sie mit ihren Eltern vor einigen Jahren auf Hawaii verbracht hatte, war sie sogar froh gewesen, zurück in die Kälte zu kommen.
Wieder hallte ein Schrei durch den Wald, diesmal lauter und verzweifelter. Er klang eher wie ein Hilferuf, obwohl sie die Worte nicht verstand. Sie beschleunigte ihre Schritte, konnte von Glück sagen, dass ihr der Schnee unter den Bäumen nur bis zu den Knöcheln reichte. Als langjährige Musherin, die schon als Vierzehnjährige einen Hundeschlitten gesteuert hatte, wusste sie natürlich, was ein leerer Schlitten bedeutete. Wenn ein Musher vom Schlitten stürzte, rannten die Huskys meist weiter, es sei denn, das Gefährt kippte um und blieb im Tiefschnee hängen oder verkantete sich zwischen den Bäumen.
»Halten Sie durch!«, rief sie in den Wald.
Die Antwort bestand wieder nur aus einem Schrei. Ein Hilferuf oder ein Fluch oder beides zugleich und höchstens eine Viertelmeile von ihr entfernt. Die Schlittenspuren waren deutlich im Schnee auf dem Jagdtrail zu erkennen. Der Trail führte einen steilen Hang hinauf und verlor sich zwischen einigen Felsen. Dort war der Schnee wieder tiefer, und sie kam ohne ihre Schneeschuhe nur noch langsam voran. »Ich bin gleich bei Ihnen«, rief sie dem unbekannten Musher zu, der auf der anderen Seite der Felsen gestürzt sein musste. Sie war die Strecke schon öfter gefahren und erinnerte sich an den felsigen Hang, der südlich des Trails steil abfiel und auch erfahrenen Mushern gefährlich werden konnte, wenn die Sicht schlecht war und man nicht aufpasste.
Als vielfaches Echo hallte ein erneuter Schrei durch die Nacht, als sie die Felsen erreichte. »Ich bin schon da!«, rief sie, folgte den Spuren bis zum Abgrund und sah eine dunkle Gestalt unterhalb der Böschung auf dem vereisten Hang liegen. Ein junger Mann, so viel konnte sie selbst in dem düsteren Licht erkennen, bekleidet mit einer dunklen Skihose und einem hellen Parka, dessen Kapuze zurückgerutscht war und den Blick auf sein verängstigtes Gesicht freigab. Er hielt sich mit beiden Händen an einem vorstehenden Felsen fest.
Julie beugte sich zu dem Musher hinunter und streckte ihren rechten Arm aus. »Gib mir deine Hand«, rief sie ihm zu, »ich ziehe dich hoch! Wenn du deine Stiefel fest in den Schnee rammst, kann gar nichts passieren!«
»Das … das haut nicht hin! Du bist … bist ein Mädchen!«
»Red nicht so ’n Quatsch und hilf mir! Hab keine Angst … es sind nur zwei, drei Schritte. Der Schnee ist fest genug! Das schaffst du doch locker!«
Der junge Mann war anscheinend immer noch geschockt und brauchte eine ganze Weile, bis er seine linke Hand von dem Felsen nahm und sie ihr entgegenstreckte. Sie griff danach und zog ihn nach oben, konnte ihn kaum noch halten, als er endlich seine Beine bewegte und ihr half, ihn über die Böschung zu ziehen. Sie landeten beide im Schnee und blieben erschöpft liegen.
»War nicht meine Schuld«, rechtfertigte er sich, »mir passiert so was nicht. Muss wohl ein Elch in der Nähe gewesen sein, der die Hunde beunruhigt hat. Bandit hat eine Heidenangst vor Elchen. Bandit ist mein Leithund. Er rannte plötzlich nach rechts, und wenn ich den Schlitten kurz vor dem Sturz nicht angeschoben hätte, wären die Hunde wohl auch über die Böschung gegangen.« Er drehte sich zu ihr um und lächelte etwas gequält. »Ich bin Josh Alexander. Danke, dass du mir geholfen hast.«
»Julie Wilson«, antwortete sie. »Den Hunden und dem Schlitten ist nichts passiert. Sie warten unten auf dem Trail.« Sie stemmte sich vom Boden hoch und klopfte sich den Schnee vom Parka, anschließend half sie ihm auf die Beine. Sie blickte an ihm vorbei auf die Spuren im Schnee. »Den Trail kenne ich. Die Kurve ist besonders gefährlich, da wäre ich auch beinahe mal über Bord gegangen.« Sie blickte ihn fragend an. »Du bist doch nicht verletzt?«
Er lächelte. »Nur ein paar blaue Flecken … nicht der Rede wert.«
»Na, dann …«
Sie betrachtete Josh genauer. Er war ziemlich attraktiv, das musste sie zugeben. Ungefähr ihr Alter, sportliche Figur, die auch sein Parka nicht verdecken konnte, ein etwas zu kantiges Gesicht mit energischem Kinn, und warme Augen, ob braun oder blau ließ sich in dem Halbdunkel nicht erkennen. Der helle Parka passte nicht zu ihm, an seiner Stelle hätte sie sich einen dunkelroten oder blauen zugelegt, aber was ging sie das an? Sie würde ihn vermutlich sowieso nicht wiedersehen. Außerdem erinnerte er Julie zu sehr an den Captain des Eishockeyteams an ihrem College, mit dem sie zum Abschlussball gegangen war. Der war wahnsinnig von sich selbst überzeugt und hielt sich auch für etwas Besseres, nur weil er ein paar Tore mehr als die anderen schoss. Sie zweifelte nämlich an Joshs Geschichte, dass er von einem Elch aus der Spur gebracht worden war. Elche blieben lieber in den Tälern und an den Flussufern. Wahrscheinlicher war, dass er die Kurve zu schnell angegangen und deshalb vom Schlitten gestürzt war. Aber das hätten wohl die wenigsten Männer zugegeben, schon gar nicht gegenüber einer Frau. Schlimm genug, dass Frauen das Iditarod gewannen, das legendäre Hundeschlittenrennen über tausend Meilen von Anchorage nach Nome.
Sie kehrten zu ihren Schlitten zurück. Inzwischen war die letzte Helligkeit verschwunden, und ein samtschwarzer Himmel wölbte sich über dem Trail. Nur wenige Wolken waren zu sehen, ein sicheres Zeichen dafür, dass eine kalte Nacht bevorstand. Der Wind rauschte leise in den Baumkronen. Der Trail verlief in einiger Entfernung parallel zur asphaltierten Straße nach Chena Hot Springs, doch um diese Jahreszeit gab es kaum Touristen, und es waren nur wenige Autos unterwegs. Die Stille war fast zu greifen und wurde erst durch das laute Jaulen der Huskys gestört, die sich über ihr Kommen freuten.
Julie begrüßte ihre Hunde mit ein paar freundlichen Worten und sah Josh zu, der sich ebenfalls zu seinem Leithund hinabbeugte und ihn ausgiebig zwischen den Ohren kraulte. Er mochte ein wenig eingebildet sein und sie vielleicht sogar beschwindelt haben, aber was machte das schon, wenn man so ausdrucksvolle Augen wie er besaß. Sie waren braun, glaubte sie inzwischen. »Treue Hundeaugen«, hätte ihre Freundin Brandy wohl gesagt. Brandy hielt sich für eine Expertin, was Männer betraf, obwohl sie keinen Freund länger als ein paar Wochen halten konnte und ständig Ärger mit ihren Lovern hatte.
Josh drehte sich zu ihr um. Jetzt war wieder dieser leicht überhebliche Ausdruck in seinen Augen, und ihr Herz klopfte wesentlich langsamer. Er deutete auf ihre Hunde. »Ein gutes Gespann. Trainierst du für ein Rennen?«
Sie schüttelte lachend den Kopf. »Dafür sind wir zu langsam. Chuck ist der beste Leithund, den man sich vorstellen kann, und er hat mehr Ausdauer als ein Rennpferd, aber mit Wettkämpfen hat er’s nicht so. Ich hab den Verdacht, er findet sie albern.« Sie tätschelte Chuck den Rücken, als wollte sie sich für ihre kritischen Worte entschuldigen. »Und du? Du fährst doch nicht zum Spaß über diesen anspruchsvollen Trail. Willst du beim Iditarod mitmachen?«
»Nicht nur das«, erwiderte er mit jenem selbstsicheren Lächeln, das sie von dem Eishockey-Captain kannte. »Ich will das Iditarod gewinnen! Dann wäre ich der jüngste Gewinner aller Zeiten, und es gäbe einen riesigen Rummel! Ein Interview auf CNN, das...
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