Schweitzer Fachinformationen
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Julie feuerte ihre Hunde mit lauten Zurufen an. Beinahe wütend rief sie: »Schneller, Chuck! Verdammt, könnt ihr denn nicht schneller laufen?«, als ginge es um Leben oder Tod. Sie lenkte die Hunde über die Park Road nach Westen, sprang alle paar Schritte mit Tränen in den Augen von den Kufen und schob den Schlitten an, wütend auf sich selbst und unsagbar traurig, den Tag auf diese Weise begonnen zu haben.
Wie fast immer, wenn sie von Schmerz oder Wut übermannt wurde, reagierte sie sich auf ihrem Hundeschlitten ab, fuhr so schnell, dass der Fahrtwind an ihrer Kleidung zerrte, und hoffte darauf, dass die eisige Kälte ihre Tränen vertrieb und sie zur Vernunft brachte. Weder die Dunkelheit, die im Februar bereits am frühen Nachmittag über der Alaska Range hing, noch die Einsamkeit im Denali National Park hinderte sie daran, die Hunde immer schneller anzutreiben und so rasant in die weiten Kurven zu gehen, dass sie von Glück sagen konnte, nicht in den Tiefschnee geschleudert zu werden.
Erst am Savage River, ungefähr zehn Meilen westlich der Park Headquarters, hielt sie an. Sie lehnte sich mit beiden Unterarmen auf die Haltestange und weinte leise, rieb sich aber rasch die Tränen vom Gesicht, als sie einen Ranger zwischen den Bäumen hervortreten sah. Paul Short, besser bekannt als Shorty, obwohl er zu den größten Rangern der Truppe gehörte, war seit einigen Tagen mit Reparaturen auf dem einsamen Campground am Savage River beschäftigt und anscheinend froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
»Hey, Julie«, begrüßte er sie. »Wieder mal auf Patrouille?«
»Hallo, Shorty. Die Hunde brauchen Bewegung.«
»Mit deinen Huskys bist du ein Herz und eine Seele, was?« Es klang mehr wie eine Feststellung als wie eine Frage. »Ich hab noch keinen Ranger gesehen, der so gut mit Hunden kann. Auf so eine Spezialistin kann der Park Service nicht verzichten. Ich bin ziemlich sicher, du bekommst die feste Anstellung.«
Diese Hoffnung hatte Julie auch. Im November hatte sie als Praktikantin im Denali National Park angefangen, mit der Hoffnung, im Frühjahr als Park Ranger übernommen zu werden. Ihre Chancen standen nicht schlecht, wie sie glaubte. Sie hatte mehrmals ein Lob vom Superintendent bekommen und war an einigen Rettungsaktionen beteiligt gewesen. Dagegen standen die roten Zahlen des National Park Service. Die Regierung besaß eigentlich nicht genügend Geld, um neue Planstellen zu schaffen. Es hing alles von der Überzeugungskraft von Superintendent John W. Green ab, dem langjährigen Chef des Nationalparks. Wenn er der Regierung glaubhaft machen konnte, dass sie unentbehrlich für Denali war, würde sie den festen Posten auch bekommen.
»Mal sehen«, sagte sie. Sie hoffte, dass Shorty ihre roten Augen nicht sah. »Wie kommst du auf dem Campground voran? Stehen die neuen Hütten schon?«
»Bis zum Wochenende bin ich fertig.« Er ahnte wohl, dass sie nur gefragt hatte, um irgendetwas zu sagen, und blickte sie nachdenklich an. »Alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so … so nachdenklich. Du hast doch keinen Kummer?«
»Nein, alles okay.« Julie blickte an ihrem Kollegen vorbei. »Ich muss los, Shorty.«
Sie verabschiedete sich von dem Ranger und stieg wieder auf die Kufen. Die Huskys wurden nervös, wenn sie zu lange stehen blieb, und warfen sich schon ungeduldig in ihre Geschirre. Das Laufen lag ihnen im Blut. »Heya! Vorwärts, Chuck! So eine geräumte Piste bekommt ihr nicht alle Tage. Lauft endlich!«
Julie hatte keine Lust, ihr Gefühlsleben vor Shorty auszubreiten, und war froh, aus seinem Blickfeld zu kommen. Sie war mit den Hunden aufgebrochen, um für ein paar Stunden allein zu sein und darüber hinwegzukommen, dass sie Josh wie einen aufdringlichen Highschool-Schüler abserviert hatte.
Bereits um sieben Uhr früh war sie aufgewacht. Der schrille Klingelton ihres Handys hatte sie aus dem Schlaf gerissen und sie war nur widerwillig drangegangen. »Ranger Wilson.« Ihre Stimme klang heiser und verschlafen.
»Hey, Julie«, antwortete die vertraute Stimme ihres Freundes. Josh war bester Stimmung und klang ausgesprochen fröhlich. »Hab ich dich geweckt?«
Sie stützte sich auf einen Ellbogen. »Weißt du, wie spät es ist, Josh?«
»Kurz nach sieben. Ich denke, du stehst immer so früh auf.«
»Nicht an meinem freien Tag«, erwiderte sie missmutig. »Und nicht, wenn ich am Abend vorher beim Volleyball verloren habe und bis kurz vor Mitternacht mit Freunden zusammen war.« Sie seufzte leise. »Ich bin hundemüde, Josh, also ruf gefälligst später wieder an. Am besten kurz vor Mittag, okay?«
Er überhörte ihre Bitte, tat so, als hätte sie nichts gesagt. »Ich hab heute auch frei. Wie wär’s, wenn wir uns treffen? Du könntest doch nach Fairbanks kommen; bei Luigi eine Pizza essen, mal wieder ins Kino gehen, ein bisschen in der Gegend rumfahren. Du weißt schon, mal wieder richtig abschalten.«
Im Grunde hatte er recht. Sie brauchte tatsächlich ein bisschen Abwechslung, und ein Pizzaessen mit anschließendem Kinobesuch klang gar nicht so schlecht. Doch noch viel wichtiger war es ihr, beim Superintendent und den anderen Rangern einen guten Eindruck zu machen. Für eine feste Stelle im Nationalpark wollte sie sich so richtig ins Zeug legen. »Ich muss mich auf meine Arbeit konzentrieren«, erwiderte sie. Es hörte sich wie eine schlechte Ausrede an. »Ich muss mich ranhalten, wenn ich die feste Stelle bekommen will. Einer der Denali-Huskys hat sich den linken Vorderlauf verstaucht, und heute Nachmittag wollte ich eine Runde mit dem Schlitten drehen. Die Huskys brauchen Auslauf, das weißt du doch.«
»Aber an deinem freien Tag darfst du ja wohl auch mal deinen Spaß haben. Du willst mich einfach nicht treffen, gib’s doch zu: Du magst mich nicht mehr.«
»Unsinn!« Sie ahnte, dass sie sich aufs Glatteis begab. »Es gibt gerade nur besonders viel zu tun. Ich melde mich, wenn ich wieder Zeit habe, okay?«
»Du willst mir den Laufpass geben?«
Eigentlich hatte sie gar nicht vorgehabt, mit ihm Schluss zu machen. Es war einfach so passiert. Vielleicht, weil sie sich innerlich schon längst von ihm entfernt hatte. Ein halbes Jahr waren sie zusammen gewesen, doch gesehen hatten sie sich selten. Josh machte sein Praktikum bei den State Troopern und sie arbeitete für den National Park Service, beides Jobs, die vollen Einsatz verlangten. Die Tage, an denen sie mit Josh ausgegangen war, konnte sie an einer Hand abzählen, und so richtig romantisch war es nur ein paarmal gewesen. »Wenn du an den Richtigen kommst, sieht das ganz anders aus«, hatte ihre Freundin Brandy dazu gesagt.
»Nein, ich will nicht mit dir Schluss machen«, erwiderte sie, um gleich darauf zu sagen: »Aber ich weiß nicht, ob …« Sie suchte nach den passenden Worten. »Ob du der Richtige bist«, hatte sie eigentlich antworten wollen. Stattdessen sagte sie: »Wir sollten uns eine Auszeit nehmen, Josh.« Auszeit, eigentlich ein Wort, das auf ihrer privaten schwarzen Liste stand, aber was hätte sie sonst sagen sollen? »Im Augenblick passt es einfach nicht, Josh.«
»Also doch«, sagte er.
»Tut mir leid.«
Ihre Antwort hatte auch Carol Schneider mitbekommen, die erfahrene Rangerin, mit der sie ihr Blockhaus teilte. »Josh?«, fragte sie nur und nickte verständnisvoll, als hätte sie schon lange gewusst, dass es so kommen würde.
»Hab ich wirklich mit ihm Schluss gemacht?«
»Das war doch nur eine Frage der Zeit«, sagte Carol. Sie war sieben Jahre älter als Julie und hatte selbst erfahren, wie schwer es war, in einem anspruchsvollen Job zu arbeiten und gleichzeitig eine Beziehung zu beginnen. »Josh ist ein netter Kerl, aber er war wohl nicht der Richtige für dich, sonst hättest du anders reagiert. Du wirst schon darüber hinwegkommen. Und wer weiß? Vielleicht taucht schon bald dein Mr. Perfect auf.«
»Und warum fühle ich mich dann so mies?«
»Das vergeht wieder«, erwiderte Carol, während sie Kaffee aufsetzte. »Es fühlt sich nie gut an, einen Freund zu verlassen und … na ja, für einen selbstbewussten Typen wie Josh ist es ziemlich schwer, eine Trennung zu akzeptieren.« Sie holte zwei Becher aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. Ein Lächeln zog über ihr Gesicht. »Jetzt klinge ich schon wie deine Mutter, was?«
»Keine Ahnung. Meine Mutter lebt in Kalifornien und wir sprechen nicht so oft über Liebesangelegenheiten.«, hatte sie Carol schulterzuckend geantwortet.
Julie fuhr weiter bis zum Sanctuary River und trieb die Huskys auf den zugefrorenen Fluss. Es hatte über Nacht geschneit, und eine dünne Schneeschicht bedeckte das feste Eis. Wie übergroße Skelette ragten die entlaubten Birken und Espen am Ufer aus dem Schnee. Am östlichen Himmel zog arktisches Zwielicht herauf, die einzige Helligkeit, die man in diesen Breiten an einem Wintertag zu sehen bekam. Die Gipfel der nahen Berge leuchteten in einem zarten Rosa. Wie ein steinerner Riese ragte der Kegel des mächtigen Mount McKinley empor.
An einer windgeschützten Biegung hielt sie den Schlitten an. Sie rammte den Holzpflock, der als Anker diente, zwischen zwei Eisbrocken am Ufer und ließ ihren Blick über das verschneite Land schweifen. Sie mochte den Winter. Auch wenn es manchmal empfindlich kalt wurde und es vor allem am Denali heftige Stürme gab. Wenn die Flüsse und Seen zufroren und eine feste Schneedecke den Boden bedeckte, strahlte das Land selbst in den dichter besiedelten Gegenden eine ungewöhnliche Ruhe aus und schien im düsteren arktischen Dämmerlicht wie ein geheimnisvolles Reich aus einem Märchen oder Fantasyroman. Julie mochte diesen Zauber und genoss...
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