Schweitzer Fachinformationen
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ER HATTE DIE Vasagata verlassen und steckte auf Söderleden auf der Höhe von Slussen im Stau. Es ging auf fünf Uhr zu, er hätte bereits vor einer Stunde in der Vorschule sein müssen.
Piet Hoffmann saß im Auto und versuchte, Stress und Schweiß und Ärger über den Nachmittagsverkehr, auf den er keinen Einfluss hatte, zu verdrängen. Drei Fahrspuren standen still, so weit, wie er überhaupt in den Tunnel schauen konnte. Um nicht mit der Großstadt kämpfen zu müssen, dachte er an Zofias Gesicht, das so weich war, wenn seine Finger es berührten, oder an Hugos Augen, wenn der ganz allein auf dem Rad fuhr, oder an Rasmus' Haare, die sich gelb wie Hagebuttensuppe und verdünnter Apfelsinensaft in alle Richtungen sträubten. Das ging nicht. Mit wem hast du gesessen? Bilder derer, die er liebte, glitten immer wieder in Bilder einer Lieferung über, die in einer Wohnung in der Västmannagata zum Tod eines anderen Menschen geführt hatte. Schonen. Mio. Josef Libanon. Virtanen. Der Graf. Wie viele willst du? Ein anderer Infiltrateur mit demselben Auftrag wie er selbst. Mit wem noch? Ein anderer Infiltrateur, der ihm gegenüber gesessen, aber schlechter gespielt hatte. Mit wem noch! Gerade er wusste doch, wie ein gefälschter Hintergrund aussah, wie der aufgebaut war, welche Fragen gestellt werden mussten, um ihn zu knacken. Sie hatten jeder für sich für die Polizei gearbeitet und waren am selben Ort gelandet, und er hatte keine verdammte Wahl gehabt, sonst wären sie beide ums Leben gekommen, es hatte einer gereicht, und dieser eine war er nicht gewesen.
Er hatte schon früher Menschen sterben sehen. Das war es nicht. Sein Alltag verlangte das, und seine Glaubwürdigkeit verlangte das, und er hatte gelernt, tote Menschen abzuschütteln, die ihm nicht nahestanden. Aber er hatte die Verantwortung für diese Operation getragen, ein Mord, er riskierte lebenslängliches Gefängnis.
Erik hatte von einem Flughafen in der Nähe von Jacksonville angerufen. Neun Jahre auf der inoffiziellen Gehaltsliste der schwedischen Polizeibehörden als geheimer Staatsangestellter hatten Piet Hoffmann klargemacht, dass er wertvoll war, und bisher hatten seine Vorgesetzten kleinere Vergehen, die privat und auch im Dienst geschehen waren, einfach weggezaubert. Erik Wilson würde auch das hier wegzaubern, das war die Stärke der Polizei, einige geheime Berichte auf dem richtigen Cheftisch reichten da meistens.
Es wurde heißer in dem stehenden Auto, und Piet Hoffmann wischte sich den Schweiß ab, der in seinen Kragen lief, während der verdammte Stau sich langsam lockerte. Er fixierte ein Nummernschild, das sich zwei Meter vor ihm langsam bewegte, und zwang die Bilder von Rasmus und Hugo und dem richtigen Leben wieder vor seine Augen und konnte zwanzig Minuten später auf dem Gästeparkplatz mitten im großen Wohngebiet von Enskededalen halten.
Er ging auf die Haustür zu und blieb plötzlich stehen, die Hand noch immer einige Zentimeter über der Türklinke. Er hörte die Stimmen von spielenden, lärmenden, lauten Kindern, und er lächelte, verharrte einige Sekunden im schönsten Augenblick des Tages. Er öffnete die Tür, hielt aber wieder inne, etwas über seinen Schultern schien zu spannen, und er schob hastig eine Hand unter das Sakko, atmete dann erleichtert auf, er hatte natürlich sein Waffenholster umgeschnallt.
Er öffnete die Tür. Es roch nach Frischgebackenem, eine späte Zwischenmahlzeit für die Kinder, die jetzt um einen Tisch im Speiseraum saßen. Der Lärm stammte vom Raum dahinter, dem großen Spielzimmer. Er setzte sich auf einen niedrigen Stuhl im Eingangsbereich, neben kleinen Schuhen und bunten Jacken an Haken, die mit den Namen der Kinder und selbstgemalten Elefanten verziert waren.
Er nickte einer jungen Frau zu, sie war erst seit kurzem hier angestellt.
»Hallo.«
»Der Papa von Hugo und Rasmus?«
»Wie hast du das erraten? Ich habe doch .«
»Es sind nicht mehr sehr viele da.«
Sie verschwand hinter einem Regal mit vielen benutzten Puzzlespielen und viereckigen Holzklötzchen und war gleich darauf mit zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahren wieder da, die sein Herz zum Lachen brachten.
»Hallo, Papa.«
»Hallo, hallo, Papa.«
»Hallo, hallo, hallo, Papa.«
»Hallo, hallo, hallo .«
»Hallo, meine beiden Jungs. Ihr habt beide gewonnen. Wir schaffen heute nicht mehr meiste Hallos. Morgen. Dann holen wir das nach. Okay?«
Er streckte die Hand nach einer roten Jacke aus und streifte sie über Rasmus' erhobene Arme, zog ihn dann an sich, um Hausschuhe durch Straßenschuhe zu ersetzen, an Füßen, die nicht sonderlich still hielten. Er beugte sich vor und sah für einen kurzen Moment seine eigenen Schuhe. Verdammt. Er hatte vergessen, sie ebenfalls in den Kamin zu legen. Die schwarzen glänzenden Schuhe konnten eine Fläche aus toten Hautfragmenten und Blut und Gehirnsubstanz sein, er würde sie zu Hause sofort verbrennen.
Er betastete den Kindersitz, der rückwärts auf dem Beifahrersitz festgeschnallt war. Er saß so fest, wie es sich gehörte, und Rasmus bohrte wie immer schon jetzt kleine Muster aus dem Sitzbezug. Hugos Sitz war eher ein hartes Viereck, um höher zu sitzen, und er überprüfte den Sicherheitsgurt, während er die weiche Wange küsste.
»Papa muss nur noch schnell telefonieren. Seid ihr mal für einen Moment still? Ich bin ganz bestimmt fertig, ehe wir unter dem Nynäsväg durchfahren.«
Amphetamin in Kapseln, die Kindersitze, die festgeschnallt werden mussten, Schuhe, auf denen die Fragmente des Todes glänzten.
Er konnte sich jetzt einfach nicht klarmachen, dass das unterschiedliche Teile eines Alltags waren.
Er schaltete das Telefon genau in dem Moment aus, in dem der Wagen die vielbefahrene Hauptstraße kreuzte. Er hatte zwei kurze Gespräche geführt, das erste mit dem Reisebüro, um den letzten SAS-Flug um 18.55 Uhr nach Warschau zu buchen, das andere mit Henryk, seinem Kontaktmann in der Zentrale, um für drei Stunden später eine Besprechung vor Ort zu verabreden.
»Ich hab's geschafft. Jetzt habe ich alles erledigt. Und jetzt rede ich nur noch mit euch.«
»Mit der Arbeit telefoniert?«
»Ja. Mit der Arbeit.«
Drei Jahre alt. Und schon begriff er die Gangschaltung und das, was Papa damit machte. Er fuhr mit der Hand über Rasmus' Haare und merkte, dass Hugo sich hinter ihm vorbeugte, um etwas zu sagen.
»Ich kann auch Polnisch. Jeden, dwa, try, cztery, piec, szesc, siedem .«
Er verstummte und fügte dann mit etwas dunklerer Stimme hinzu:
»Acht, neun, zehn.«
»Gut. Du kannst ja schon ganz viel.«
»Ich will noch mehr können.«
»Osiem, dziewiec, dziesiec.«
»Osiem, dziewiec . dziesiec?«
»Jetzt kannst du.«
»Jetzt kann ich.«
Der Wagen fuhr am Blumenladen Enskede vorbei, und Piet Hoffmann hielt an, setzte zurück und stieg aus.
»Wartet hier einen Moment. Ich bin gleich wieder da.«
Ein rotes Feuerwehrauto aus Plastik stand zweihundert Meter weiter mitten in einer engen Garageneinfahrt, und er konnte ihm zwar ausweichen, schrammte dabei aber kurz mit der rechten Vorderseite des Autos am Zaun vorbei. Er öffnete Sicherheitsgurte und Kindersitze und blieb stehen und sah zu, wie ihre Füße über die moosgrüne Rasenfläche sprangen. Sie ließen sich beide auf den Boden fallen und krochen durch die niedrige Hecke zum Nachbarhaus mit seinen drei Kindern und zwei Hunden. Piet Hoffmann lachte, und ihm wurde heiß im Bauch und am Hals, ihre Energie und Freude, manchmal war alles einfach.
Er hielt den Blumenstrauß in der Hand und öffnete die Tür des dunklen Hauses, das sie in aller Eile verlassen hatten, es war so ein Morgen gewesen, an dem alles ein wenig länger dauerte. Er würde gleich das Frühstücksgeschirr spülen, das noch immer auf dem Tisch stand, und die Kleider auflesen, die in allen Zimmern des Erdgeschosses herumlagen, aber vorher ging er die Treppe zu Keller und Heizung hinunter.
Es war Mai, und der Zeitschalter der Ölheizung hätte schon längst ausgestellt sein müssen, er startete ihn manuell, drückte auf den roten Knopf, öffnete die Klappe und hörte, wie die Heizung sich zitternd in Gang setzte. Er bückte sich, zog die Schuhe aus und ließ sie ins Feuer fallen.
Die drei roten Rosen sollten mitten auf dem Küchentisch stehen, in der schönen Vase, die sie in einem Sommer in der Glasfabrik Kosta gekauft hatten. Die Teller von Zofia und Hugo und Rasmus sollten dort stehen, wo sie saßen. Ein halbes Kilo aufgetautes Hackfleisch im Fach ganz oben im Kühlschrank, er briet es in der Pfanne an, Salz und Pfeffer, Kochsahne und zwei Dosen Tomatenmark. Es roch jetzt schon gut, einen Finger in die Pfanne, es schmeckte auch gut. Einen Topf zur Hälfte mit Wasser füllen und einen Schuss Olivenöl, um zu verhindern, dass die Nudeln überkochten.
Er ging in den ersten Stock hinauf und ins Schlafzimmer. Das Bett war gemacht, und er bohrte sein Gesicht in das Kissen, das nach ihr roch. Seine stets gepackte Reisetasche stand neben dem Schrank. Zwei Pässe, die Brieftasche mit Euro, Zloty und US-Dollars, ein Hemd, Socken, Unterwäsche und Kulturbeutel. Er nahm die Tasche in die Hand, stellte sie in die Diele, das Wasser kochte schon, eine halbe Tüte harte Spaghettistangen durch feuchten Dampf. Er sah auf die Uhr. Halb...
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