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Nach der detaillierten Vorstellung und Erörterung der entdeckten Phänomene und ihrer Ursachen sowie der daraus resultierenden Fragestellungen steht in diesem Kapitel die Erarbeitung von Kriterien zur Interpretation der im dritten Teil vorgestellten empirischen Befunde im Zentrum. Diese Kriterien müssen dem Anspruch gerecht werden, mehrschichtige Unterrichtsprozesse und individuelle Symbolisierungen von Schülern und deren gegenseitiges Verständnis und seine Deutungen zu erfassen.
Friedrich Schleiermacher ist es gelungen, den Vorgang der Symbolisation nicht nur für die Religion, sondern für die gesamte Gesellschaft zu beschreiben. Der Theologie Schleiermachers und seiner christlichen Sittenlehre liegen, ebenso wie seiner Pädagogik, diejenigen ethischen Prinzipien zu Grunde, die er in seiner »Philosophischen Ethik«123 formulierte. Schleiermachers Verständnis von Ethik bzw. Sitte umfasst das Zusammenleben der Menschen in ihrer Gesamtheit und ist daher nach heutigem Verständnis mit dem Ausdruck der »Kulturtheorie« angemessener erfasst. In der Güterlehre von 1816/?17 entwarf Schleiermacher eine Kulturtheorie in Form einer Quadruplizität, die mit ihrem Ansatz, die Bewältigung des Lebens als Zusammenwirken einzelner Individuen zu beschreiben, bis heute in systemischen Gesellschaftsbeschreibungen aktuell ist.124 Unter dieser Voraussetzung lassen sich die im Folgenden benötigten Verständnisse des Symbolisierens einschließlich des zweckorientierten kommunikativen Handelns entwickeln.
»(66) Da nun jedes in einem Menschen lebendige auch in einer Oscillation von Zuständen begriffen ist, so hat auch jeder Mensch der überhaupt ein Ueberzeugungsgefühl anstrebt Momente in denen das Princip des Wissens in ihm mehr hervortritt und sich der Klarheit nähert.«125
Durch die Beschreibung dieser dialektischen Polarisierungen und ihrer ständig oszillierenden Zustände entwickelt Schleiermacher, vor allem wenn er mehrere Oszillationen kombiniert, eine flexible mehrdimensionale Denkfigur, deren Ansätze in den Gegensatzpaaren Einzelnes und Ganzes, Endlichkeit und Unendlichkeit usw. bereits in den »Reden über die Religion« zu finden sind.
»Hier ist also kein Aussprechen und Nachbilden, sondern nur ein Andeuten und Ahnden, keine Verständigung, sondern Offenbarung. Unter diesem Worte soll daher nicht irgendetwas Uebernatürliches gedacht werden, so wenig wie unter Glaube, sondern nur das allgemein Menschliche; worauf auch die übernatürliche Bedeutung der Worte zurückgeht.«131
Der Verständigungsprozess spielt sich zwischen möglichen Missverständnissen ab: die individuelle Symbolisierung des Redenden kann den zu beschreibenden Zustand nicht vollständig erfassen. Der Hörer versteht auf Grund seiner eigenen Prägung schon die Symbolisierung anders, vielmehr noch deren Gehalt. Das so entstehende Verstehen kann auch deshalb nie ein vollständiges sein, weil die Affektion des Gefühls nicht übertragbar ist.
»Es giebt sich nemlich darin zu erkennen das Geheimnißvolle dieses Verhältnisses, daß wir das Gefühl eines anderen durch seinen Ausdruck zwar inne werden, aber ohne es in uns aufnehmen und in das unsrige verwandeln zu können.«132
Schleiermacher wendet sich der Beschreibung des individuellen Symbolisierens in frei gewählten Gemeinschaften sehr viel intensiver zu als den Gebieten des Identischen. In diesen Beschreibungen ist eine Grenzüberschreitung enthalten, die Schleiermacher für unabdingbar hält: die Bewegung von der absoluten Einzigartigkeit und Subjektivität des Gefühls, wie wir sie aus den Begründungen seines Religionsbegriffs kennen, zu einem Übergang in eine Sphäre gemeinschaftlichen Sprachhandelns, in der der Prozess des individuellen Symbolisierens sich erst vollenden kann.
Auf der Grundlage der in der Güterlehre erarbeiteten Systematik entfaltet Schleiermacher sein ethisches Handlungsparadigma des individuellen Symbolisierens bis in seine »Christliche Sittenlehre« hinein, in der er das ethische Handeln im Raum der institutionellen Kirche beschreibt.133 Es ist daher notwendig, kurz auf sein Verständnis von Handlungen einzugehen.
Die Beschreibung von individuellen Sprachhandlungen im Rahmen einer selbst gewählten Geselligkeit ist ungleich schwieriger als innerhalb der beiden identischen Sphären, finden hier doch keine begrifflichen Kommunikationsvorgänge statt. Die Geselligkeit basiert auf einem Grundwiderspruch: Menschen treffen sich freiwillig und aus einem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus - um eines intensiven Austausches willen. Das, worüber sie sich austauschen möchten, ist jedoch nur unter besonderen Bedingungen kommunizierbar, denn es handelt sich um Erfahrungen, die wegen ihrer Verortung in der Kategorie des Gefühls schwer in Worte zu fassen sind - und wenn, dann nur unzureichend. Um den Kommunikations- und Verstehensprozess so verschiedener Teilnehmer in seiner Mehrdimensionalität zu erfassen, bedient sich Schleiermacher der Organismus-Metapher:141 Die Gemeinschaft wird in der Verschiedenheit ihrer Individuen als Gesamtheit eines Organismus gesehen und die verschiedenen Teilnehmer als deren Organe, die miteinander durch die Tätigkeit der Vernunft verbunden sind. Diese Gemeinschaft konstituiert sich durch die Unübertragbarkeit der sie beschäftigenden Themen.142 Der einsetzende Kommunikationsprozess kann nur in gleichzeitiger Gegenseitigkeit zwischen völlig verschiedenen Teilnehmern ablaufen. Das Bestreben, sich verständlich zu machen, bildet sich gleichzeitig mit dem Bestreben, andere zu verstehen; mit dem Bedürfnis sich zu offenbaren ist die Anerkennung der Offenbarung des anderen verbunden.143 Hier werden auch in der Motivation und Zielstellung der Kommunikation Oszillationen deutlich. Diese verschiedenen intersubjektiven Ziele manifestieren sich innerhalb des Symbolisierungsprozesses zu einem inhärenten Zweck: dem des größtmöglichen gemeinsamen Verstehens. Dieser Zweck kann nur im andauernden Gesprächsprozess bestehen, weil er sonst jeglicher Existenzgrundlage entbehrt. Der Prozess geschieht in der Grundstimmung des Vertrauens, besonders, was die Übereinstimmung des Ausgesprochenen mit den Gefühlen betrifft.144 Gäbe es diesen vorsichtigen und vertrauensvollen Kommunikationsprozess nicht, könnte das eigene Unübertragbare nicht existieren: es wäre nie in die Sphäre der gemeinsamen Sprache eingetreten - und somit nicht existent.145 »Denn nur das ist Eigenthum, was Element der Geselligkeit sein kann.«146 Ausgesprochenes manifestiert sich im Ausgesprochenen; Tätig-Sein in Handlungssphären. Die Wahrheit entsteht nicht durch den intersubjektiven Austausch derselben, sondern als Hypostase gemeinsamer Vernunfttätigkeit.147
»Nemlich unter Glauben verstehe ich hier die allem Handeln auf diesem Gebiet zu Grunde liegende Überzeugung, daß das Wort eines jeden und sein Gedanke dasselbe sein, und daß der Gedanke, den jeder mit einem empfangenen Worte verbindet, dasselbe sei, aus dem es in einem anderen hervorgegangen sei. Dies ist aber niemals ein Wissen.«151
Schleiermacher unterscheidet hier, mit Blick auf das identische Symbolisieren, zwischen einem adäquaten verbalen Ausdruck und einer Annäherung der gewählten Symbolisation an das Gefühlte. Er differenziert dazu, ähnlich wie Kant, zwischen Glauben und Wissen.152 In gleicher Weise in die Grundstimmung des Vertrauens einzuordnen ist das Verständnis der »Offenbarung«. »Durch den unmittelbaren Ausdruck des Gefühls wird einer dem Anderen in seinem Zustande, aber als in einem unübertragbaren und unnachbildlichen kund, und nur, sofern dieser sucht und aufmerkt.«153 Damit ist deutlich, dass ein Interesse vorliegen muss, aneinander und in eine gemeinsame Richtung. »So ist die wirkliche Übertragung doch bedingt durch die Gemeinschaftlichkeit des Interesses an den gleichen Gegenständen.«154 Verstehen kann deshalb nicht rezeptiv sein, sondern muss genauso als Tätigkeit aufgefasst werden wie das Symbolisieren. Mit der Begrifflichkeit der »Berührung« versucht Schleiermacher hier einen non- oder paraverbalen Verstehensprozess innerhalb der Gemeinschaft zu erfassen. »Hier ist kein Aussprechen und Nachbilden, sondern nur ein andeuten und Ahnden, keine Verständigung, sondern Offenbarung.«155
»Was wir Denken nennen insgesammt, ist eine solche Thätigkeit, deren sich jeder bewusst ist als einer nicht in ihm besonderen, sondern in allen gleichen [.] Das aber das Denken dieser sittlichen Thätigkeit angehört und keiner anderen, leuchtet ein. [.] Das Sprechen aber in diesem allgemeinen Sinne hängt dem Denken so wesentlich...
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