Schweitzer Fachinformationen
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Im folgenden Kapitel erfährst du, was es mit dem Belohnungssystem deines Körpers auf sich hat und wie du ihm ein Schnippchen schlagen kannst. Wenn du durchschaut hast, wie Abhängigkeit funktioniert und welche ungesunden Lebensmittel dazu beitragen, ist es leichter, dich von gewohnten Mustern zu trennen. Wie dir das am besten gelingt, zeige ich dir hier.
Alle Lebewesen verfügen über ein Belohnungssystem.
Um zu verstehen, wie es überhaupt dazu kommt, dass so viele Menschen übergewichtig sind, müssen wir zunächst einen Blick ins Gehirn werfen, genauer gesagt in unser Belohnungssystem. Das Belohnungssystem ist der Bereich des Gehirns, der dafür verantwortlich ist, dass wir Genuss empfinden, uns wohlfühlen, einen "Kick" erleben oder zufrieden sind. Es ermöglicht uns, Wohlbehagen zu erleben, und tut alles dafür, dass wir unsere Art erhalten, uns selbst erhalten und unsere Spezies als Ganzes in der Evolution nach vorne bringen. Dafür hat die Natur es entwickelt. Und das nicht nur bei uns, sondern bei allen Lebewesen, vom riesigen Elefanten bis hinunter zur kleinsten Amöbe. Sie alle verfügen über ein Belohnungssystem.
Wir werden von unserem Belohnungssystem mit guten Gefühlen belohnt, wenn wir etwas "Arterhaltendes" unternehmen: Wenn wir essen und trinken, bekommen wir gute Gefühle. Aber auch wenn wir Sex haben, genauso wenn wir Spaß daran haben, mit anderen Menschen Gemeinschaft zu pflegen oder etwas Neues zu lernen und anzuwenden - alles, womit wir positive Gefühle generieren können, ist von der Natur eigentlich dazu gedacht, uns selbst und unsere Art zu erhalten.
Bestimmte Substanzen und Produkte können die Wirkung auf unser Belohnungssystem verstärken und zu Übergewicht führen.
Dieser Mechanismus hat uns Jahrmillionen lang einen wunderbaren Dienst erwiesen. Das Belohnungssystem ist also eine gute Erfindung, genau wie unsere Fähigkeit, Fett in unserem Unterhautfettgewebe zu speichern, damit wir in Notzeiten etwas haben, wovon wir zehren können. Problematisch ist die Sache jedoch geworden, seit wir Substanzen und Produkte entwickeln, die dazu in der Lage sind, unser Belohnungssystem künstlich zu aktivieren. Dazu gehören Drogen und Alkohol, leider aber auch veränderte, hochkalorische Nahrungsmittel. Sie verstärken die Wirkung auf unser Belohnungssystem und können dazu führen, dass wir krank und übergewichtig werden. Wie du diesem Mechanismus ein Schnippchen schlägst, lernst du in diesem Buch. Zunächst aber ein wenig Theorie!
Dr. Nora Volkow, Ärztin im Fachbereich Psychiatrie und Direktorin des US-amerikanischen NIDA (National Institute on Drug Abuse), beschäftigt sich unter anderem mit Aussehen und Aktivität unseres Belohnungssystems im Gehirn. Sie untersuchte das Belohnungssystem von Kokainabhängigen und Übergewichtigen im MRT, also mithilfe der Kernspintomografie. Dabei verabreichte sie den Probanden ein Kontrastmittel, das die Dopaminrezeptoren des Belohnungssystems und den Bereich, in dem sie sich befinden und ausgeschüttet werden, sichtbar machte.
Dopamin ist ein Belohnungsbotenstoff, der sowohl Motivation vermittelt als auch das Gefühl eines "Kicks" bei uns auslöst. Wenn wir also z. B. eine Werbung für einen saftigen Burger sehen, wird - je nach unserer vorherigen Konditionierung, also Prägung - im Belohnungssystem Dopamin ausgeschüttet, damit wir motiviert sind, uns möglichst bald einen Burger zu besorgen.
Aber zurück zu Dr. Volkow. 2008 zeigte sie Kokainabhängigen Fotos von Kokain und Übergewichtigen Fotos von hochkalorischer Nahrung, während die Personen im MRT lagen. Ergebnis: Die MRT-Aufnahmen sahen nahezu gleich aus. Die Wirkung an den Dopaminrezeptoren war also gleich. Und sie war weitaus stärker als bei Personen, die weder Kokain konsumierten noch übergewichtig waren.
Das bedeutet, dass die Wirkung von Dopamin bei Suchtkranken wie auch Übergewichtigen kompromittiert ist, das heißt, die Betroffenen erleben bei der Ausschüttung einer "normalen" Menge Dopamin nicht die volle Wirkung. Die Folge: Die Dosis muss gesteigert werden, um denselben Genuss zu erlangen. Der Übergewichtige steigert seine Menge an Nahrung bzw. Die Kaloriendichte seiner Nahrung, der Suchtkranke seine Substanzmenge.
Der Verzehr von Nahrung führt zur Ausschüttung von Endorphinen.
Eine amerikanische Forschergruppe betrachtete das Thema "Essen als Sucht" 1990 von einer anderen Seite und untersuchte, wie Menschen auf Essen reagieren, wenn eine Substanz verabreicht wird, die verhindert, dass Endorphine wirken können. In dieser Studie gab man jeweils zehn jungen Männern den Opiathemmer Nalmefen, während zehn weitere ein Placebo einnahmen. Daraufhin wurde ihnen ein Büffet vorgesetzt. Die Probanden, die Nalmefen bekommen hatten, aßen 22 % weniger als die Placebogruppe. Nach weiteren Forschungen wurde 2017 bestätigt, dass der Verzehr von Nahrung zur Ausschüttung von Endorphinen führt.
Heute wissen wir: Das Belohnungssystem ist bei der Entstehung von Übergewicht beteiligt.
Viele weitere Studien haben sich damit beschäftigt, in welcher Hinsicht das Belohnungssystem und die auf sie wirkenden Botenstoffe zur Entstehung von Übergewicht beitragen. Doch obwohl nicht bestritten wird, dass das Belohnungssystem bei der Regulation von Hunger, Sättigung und Nahrungsaufnahme beteiligt ist, können Wissenschaftler dies nicht als einzige Ursache für die Entstehung von Übergewicht und Fehlernährung identifizieren. So gibt es neben weiteren Stoffen auch noch das Hungerhormon Ghrelin sowie das Sättigungshormon Leptin, die mit dem Belohnungssystem absolut gar nichts zu tun haben und ebenfalls in die Regulation des Appetits eingreifen.
Auch gab und gibt es immer wieder Medikamente, die beim Abnehmen helfen sollten. Diese zeigen meist gute Wirkung, leider aber auch immer wieder fatale Nebenwirkungen. So war in den 1990er Jahren ein Medikament mit dem Spitznamen "Phen-Fen" auf dem Markt, eine Abkürzung für Fenfluramin und Phenteramin. Fenfluramin allein bewirkte in Studien schon eine große Gewichtsabnahme, aber als es in den 1990er Jahren mit Phenteramin kombiniert wurde, schien es Wunder zu wirken. Patienten, die über Jahre oder Jahrzehnte nicht abnehmen konnten, verloren plötzlich Gewicht. Leider führte Phen-Fen in der Folge bei zu vielen Patienten zu Herzklappenerkrankungen und Bluthochdruck im Lungenkreislauf, sodass es 1997 vom Markt genommen werden musste.
Dass das Belohnungssystem eine gravierende Rolle bei Hunger und Sättigung spielt, ist wissenschaftlich unbestritten. Die Medizin tut sich bisher trotzdem schwer, Esssucht als Krankheit zu definieren, denn nicht alle Nahrungsmittel können süchtig machen. Es sind vor allem die hochverarbeiteten und hochkalorischen Nahrungsmittel, die in unserer zivilisierten Welt verzehrt werden. Niemand war je süchtig nach einem Pfirsich oder nach Brokkoli. Es müsste daher eigentlich "Sucht nach stark verarbeiteten und/oder hochkalorischen Nahrungsmitteln" heißen.
Vor allem hochverarbeitete Lebensmittel können süchtig machen.
Essen gilt offiziell nicht als Sucht, ebenso wenig wie viele andere Substanzen, die wir durchaus als suchtartig empfinden, Kaffee zum Beispiel. Darüber hinaus gibt es Substanzen, die süchtig machen können, aber nicht jeden, der sie konsumiert, tatsächlich auch süchtig machen. So sind viele Menschen in der Lage, gelegentlich Alkohol zu trinken, ohne Alkoholiker zu werden.
Alkohol ist genauso wenig wie Rauchen eine alltagstaugliche Methode, um das Leben in den Griff zu bekommen. Dafür gibt es eine andere "Droge", die uns scheinbar hilft, unseren Arbeitsalltag zu meistern, etwas, das alle Unannehmlichkeiten auf der Arbeit wie Mobbing, einen cholerischen Chef, Schichtdienst, Stress oder eine unbefriedigende Tätigkeit emotional aufzulösen vermag: Essen.
Unter "Essen als Krankheit" fallen Magersucht, Bulimie und die Binge-Eating-Disorder.
Binge Eater sind im Gegensatz zu Menschen mit Magersucht und Bulimikern in der Regel übergewichtig. Sie haben ähnliche Anfälle von Kontrollverlust wie Bulimiker, aber sie greifen nicht zu gegensteuernden Maßnahmen. Binge Eater sind zudem häufig auf Diät, um dann von einem großen Verlangen nach Essen überwältigt zu werden. Von Jahr zu Jahr schleichen sich mehr Kilos auf die Hüften, die Insulinresistenz nimmt zu, Arteriosklerose und andere Krankheiten drohen.
Viele können sich aufgrund eines Ungleichgewichts in ihrem Belohnungssystem nicht einfach "zusammenreißen".
Doch auch Übergewichtige, die keine Binge Eater sind, benötigen oft Hilfe. "Reiß dich mal am Riemen" und "Treib mal mehr Sport" ist hier allerdings genauso falsch, wie einem Menschen, der unter Depressionen leidet, zu sagen: "Mach doch einfach was, was dir Spaß macht!" Viele können das aufgrund eines Ungleichgewichts in ihrem...
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