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Zusammen ist man weniger allein - egal, wie alt man ist!
Helen ist 55, als Jürgen ihr eröffnet, dass sie ausziehen soll. Und das nach zwanzig Jahren wilder Ehe! Helen fällt aus allen Wolken. Allein kann sie sich in Warnemünde höchstens ein WG-Zimmer leisten. Ihre jungen Mitbewohner finden es cool, eine "Omi" in der WG zu haben, dabei fühlt sich Helen überhaupt nicht so alt, höchstens ein bisschen erfahrener. Als ihre WG versucht, sie mit Henning zu verkuppeln, sich Helen aber in dessen Sohn verliebt, spielt ihr Alter plötzlich doch eine Rolle. Wie schafft man es nur, endlich wieder Rückenwind zu spüren?
Manchmal bedarf es der Hilfe guter Freunde, um ein neues Leben anzufangen - und die Liebe zu finden.
So fühlt sich also das Ende an, dachte Helen, während sie zwei Möwen zusah, wie sie über das Haus in den blauen Himmel flogen.
»Sag doch was«, bat Jürgen. Er lehnte im Türrahmen. Seine Arme hingen hilflos an ihm herunter.
Helen drehte sich wieder zum Fenster und sprach mit dem Rücken zu ihm. »Ich fasse mal eben zusammen: Wir haben gerade gefrühstückt. Du hast die Zeitung gelesen, und als ich mein Ei köpfte, hast du mir in einem Satz eröffnet, dass du seit zwei Jahren eine Affäre hast und sie bei dir einziehen wird. Und dann«, Helen fuhr herum und sah ihn jetzt an, »hast du mich gefragt, ob ich es schaffen könnte, Ende des Monats auszuziehen.«
Jürgen nickte, dann schüttelte er leidend den Kopf. »So, wie du das zusammenfasst, klingt das schrecklich.«
Helen machte eine bestätigende Handbewegung. Es fühlte sich so unecht an. Als wären sie nur Schauspieler mit einem miserablen Drehbuch. »Vielleicht klingt es schrecklich, weil es schrecklich ist.«
Jürgen presste seine Fäuste unter sein Kinn. Er rang nach Worten. »Ich hätte es dir früher sagen müssen. Ich versuche seit Wochen, es dir zu sagen, aber es war nie der richtige Moment.«
»Ach, wirklich? Und heute Morgen, als ich mein Ei geköpft habe, dachtest du, jetzt, jetzt ist der Moment, um ihr zu sagen, dass unsere Beziehung am Ende ist. Ach nein, ich überspringe diesen Teil und komme gleich zu dem Punkt, dass sie ausziehen soll. Kürzen wir es doch ab.«
»Steffie hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Sie wartet schon über ein Jahr darauf, dass ich es dir sage.«
Steffie, wie albern dieser Name klang. Steffie hieß man mit zwölf, aber doch nicht als erwachsene Frau!
»Wie alt ist sie?«, Helen konnte sich nicht überwinden, den albernen Namen auszusprechen.
Jürgen drehte den Kopf gequält zum Türrahmen. »Was tut das zur Sache?«
»Du hast nicht wirklich gedacht, du könntest nach zwanzig Jahren Beziehung mit drei Sätzen Schluss machen, ohne mir ein paar Fragen zu beantworten?«
»Natürlich nicht. Aber dann lass uns vernünftig reden.« Er machte eine Geste zum Frühstückstisch hin.
Helen konnte es nicht fassen. Dachte Jürgen tatsächlich, sie könnte jetzt ihr Ei weiteressen, sich ein Honigbrötchen schmieren und nebenbei erfahren, wie das denn so gelaufen war, in den letzten zwei Jahren mit Steffie und ihm?
Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Die vielen Seminare in Hotels, das Abo im Fitnessstudio. Nach all den Jahren hatte er plötzlich trainiert. Er hatte sich ein Haarwuchsmittel gekauft, um sein dünner werdendes Haar zu retten. Jürgen war siebenundfünfzig. Sie hatte gedacht, das gehört eben dazu, wenn ein Mann älter wird. So wie sie eben Selleriesaft trank und sich die grauen Ansätze färbte. Der ganz normale Kampf gegen das Alter.
Nichts davon hatte er für sie getan, sondern für Steffie.
Mit zwei schnellen Schritten war sie am Tisch, nahm seine halb volle Kaffeetasse und warf sie in die Küche. Sie zersprang in tausend Scherben. Der Kaffee ergoss sich über den Boden.
»Wie alt ist sie?«, sagte sie bedrohlich leise zu Jürgen, der vor Schreck einen Satz zur Seite gemacht hatte.
»Siebenunddreißig«, sagte er ergeben.
Die nächste Tasse zersprang auf dem Küchenboden. Sie blickten einen Moment gemeinsam auf die Scherben.
»Das ist so ein Klischee, dass es schon beinahe lustig ist.«
Jürgen legte sich eine Hand auf den Kopf, als wollte er prüfen, dass seine Haare noch da waren. »Ich weiß, wie sich das anhören muss. Aber es ist anders, als du denkst. Steffie und ich sind Seelenverwandte.«
»Das hast du gerade nicht wirklich gesagt.« Helen musste lachen. Ein Teil von ihr hoffte, dass er mit einstimmen und sich die ganze Sache als makabrer Scherz herausstellen würde. Etwas, was Paare machen, wenn sie zu lange nebeneinanderher gelebt hatten. Jürgen aber sah sie nur traurig an.
Seine grauen Schläfen, die Falten um die Augen, der Bauchansatz, all das hatte sie über die Jahre jeden Tag beobachten können. Seite an Seite waren sie älter geworden, und sie hatte geglaubt, das sei so in Ordnung. Seine Falten auf der Stirn, ihre um den Mund - es war wie ein gegenseitiges Einverständnis gewesen, sich auch im Älterwerden zu lieben.
»Und was ist mit uns?«
Er zuckte mit den Schultern und stützte sich auf der Stuhllehne ab. »Was ist mit uns?«, fragte er zurück.
In den letzten Jahren hatte jeder von ihnen sein eigenes Leben gelebt. Aber war das nicht normal nach so langer Zeit? Sie hatten keine Kinder, hatten deshalb auch nie geheiratet, aber es war doch klar gewesen, dass sie zusammenblieben. Jedenfalls für Helen.
»Seit wann?«, fragte sie leise und setzte sich auf den Stuhl, der sich fremd anfühlte. Das geköpfte Ei lag vor ihr wie ein Objekt aus einer fremden Welt.
»Seit wann das mit Steffie geht?« Jürgen blieb hinter dem Stuhl stehen.
»Seit wann du mich nicht mehr liebst.«
»Seit dem 7. April 2020. Helen, ich meine, was soll ich darauf antworten?«
»Du liebst mich nicht mehr.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
Jürgen nickte trotzdem leidend, und Helen hasste ihn dafür. War es das, was jetzt kam? Würde sich ihre Liebe in Hass verwandeln und ein peinlicher, entwürdigender Rosenkrieg folgen? So wie bei einigen Freunden von ihnen?
»Ich dachte immer, wir sind besser.« Helen nahm das Messer und legte sich die kühle Klinge an die Wange.
»Es tut mir leid.« Jürgen umklammerte die Stuhllehne.
»Was genau, Jürgen? Dass ich mein Ei nicht aufessen konnte? Dass du ein peinlicher älterer Mann in einer verspäteten Midlife-Crisis bist und mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau durchbrennst? Oder dass du so ein unfassbares Arschloch bist und mich Ende des Monats vor die Tür setzt? Was davon genau?«
Er sah sie schmerzerfüllt an. »Das ist nicht fair. Es ist mein Haus, mein Elternhaus. Das hast du immer gewusst.«
»Ja, nur die Tatsache, dass du so ein Oberarsch bist, die hast du mir verschwiegen.«
Das Haus war immer ihr gemeinsames Haus gewesen. Nicht auf dem Papier, aber im Herzen. Helen hatte den großen Garten gepflegt, gemeinsam hatten sie die vielen Obstbäume beschnitten und vor vier Jahren das Bad renoviert. Nicht mehr hier zu wohnen war unvorstellbar.
»Meine Therapeutin hat mir gesagt, dass du so reagieren würdest. Du projizierst deinen Frust -«
»Deine Therapeutin?« Das wurde ja immer besser. Helen stach das Messer in das halbe Brötchen auf ihrem Teller und biss davon ab. Vielleicht würde es gegen den dumpfen Schmerz in ihrem Bauch helfen.
»Ich gehe seit zwei Jahren zur Therapie. Das tut mir gut.«
»Aha.« Helen kaute. Ihre Zähne taten weh. »Gibt es noch etwas, das du vor zwei Jahren angefangen hast, von dem ich wissen müsste? Bist du der Mafia beigetreten oder hast vielleicht einen Sohn gezeugt?«
Der letzte Satz verfehlte seine Wirkung nicht. Jürgen war unfruchtbar. Sie hatten es vor vielen Jahren herausgefunden, als alle Versuche, schwanger zu werden, gescheitert waren. Seine Spermienqualität konnte nicht beurteilt werden, weil überhaupt keine Spermien vorhanden waren. Null Prozent. Azoospermie nennt man das im Fachjargon. Helen wusste, wie sehr Jürgen darunter litt, und hatte es in all den Jahren nie zur Sprache gebracht. Bis heute.
Jürgen sah aus, als hätte jemand die Luft aus ihm herausgelassen. Schweigend verließ er den Raum, und kurze Zeit später hörte sie die Haustür zufallen.
Steffie würde sich freuen. Er hatte es endlich getan.
Helen starrte auf die Scherben. Vielleicht zertrümmerte man Dinge nur, um dem inneren Chaos ein Bild zu geben. Was gerade passiert war, war so ungeheuerlich, und trotzdem gab es eine kleine Stimme in ihr, die flüsterte: »Ich habe es gewusst.«
Sie wartete auf die Tränen. Sie blieben aus.
Nachdem sie die Scherben und den Kaffee auf dem Boden ausgiebig betrachtet hatte und zu keinem eindeutigen Gefühl finden konnte, nahm sie ihre Jacke, setzte sich ins Auto und fuhr los.
Alles war auf den Kopf gestellt. Es war seltsam, dass es die Straßen noch gab und die Ampeln. Menschen liefen herum, als sei nichts passiert. Helen parkte im vertrauten Wohngebiet. Sie stellte ihr Auto wie immer unter den Kastanienbaum, unter dem keiner der Anwohner parkte. Offenbar hatte alle Angst vor herunterfallenden Kastanien, das ganze Jahr über. Helens kleines rotes Auto fürchtete sich nicht vor ein paar Dellen, schon gar nicht im April. Sie schloss die Tür und ging auf das Haus gegenüber der Kastanie zu. Die Klingel zu drücken war so vertraut. Sie hörte Michaels Schritte und wusste, er würde ihr öffnen, lächeln und sagen, Gitta sei im Garten. Ulla würde an ihr hochspringen, und alles wäre wie immer.
Michael öffnete, lächelte und sagte: »Gitta ist im Garten.« Er zeigte mit einer Handbewegung Richtung Tür, was unnötig war, denn Helen kannte sich gut aus in Michaels und Gittas Haus. War es eigentlich auch auf dem Papier auch Gittas Haus - oder nur seins? Die Frage war albern, denn er war ein Michael und kein Jürgen. Gitta hatte sich einen großartigen, liebevollen und geduldigen Mann geangelt, der sie nie im Leben rauswerfen würde. Schon gar nicht wegen einer anderen Frau. Ulla kam auf sie zugeschossen und sprang freudig an ihr hoch. Helen streichelte ihr seidiges weißes Fell. Nichts war wie immer.
Sie fand Gitta zwischen den Gräsern. Mit einer Gartenschere schnitt die Freundin energisch die vertrockneten alten Stiele ab. Ihr türkisfarbener...
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