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Paige Holden setzte ihren Pick-up verärgert in die letzte freie Parklücke auf dem Gelände. War ja klar, dass diese nicht weiter von ihrer Wohnung entfernt hätte liegen können. War ja klar, dass es regnete.
Wenn du zu Hause wärest, hättest du jetzt gemütlich in deine Garage fahren und im Trockenen aussteigen können. Du hättest Minneapolis niemals verlassen sollen. Was hast du dir bloß dabei gedacht?
Ihre Spottstimme. Sie hasste ihre Spottstimme. Sie schien sich immer dann in ihrem Bewusstsein einzunisten, wenn sie ihr am wenigsten entgegenzusetzen hatte. Zum Beispiel, wenn sie vollkommen erschöpft war. Wie jetzt.
»Zieh bloß Leine«, murrte sie, und der Rottweiler auf dem Beifahrersitz stieß ein tiefes Grollen aus, das Paige als Zustimmung wertete. »Wenn wir zu Hause geblieben wären, dann wäre das kleine Kind jetzt noch immer bei seiner Schlampe von Mutter.« Sie presste die Kiefer zusammen, als die nur wenige Stunden alte Erinnerung in ihr aufstieg. Den entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen würde sie wohl niemals vergessen. Wollte es auch gar nicht.
Heute Nacht hatte sie etwas bewirkt. Sie, Paige Holden, hatte dazu beigetragen, dass ein Mensch vor einem schlimmen Schicksal bewahrt werden konnte. Und genau das musste sie sich vor Augen führen, wenn sich wieder einmal ihre Spottstimme einmischte. Die Gesichter der Opfer, denen sie hatte helfen können, waren die Erinnerungen, die sie heraufbeschwören musste, wenn sie aus ihren Alpträumen hochschreckte. Wenn das Schuldgefühl in ihrer Kehle aufstieg und sie zu ersticken drohte.
Zachary Davis würde sein Leben leben können. Zumindest auf lange Sicht. Weil ich heute Nacht da war.
»Das haben wir gut gemacht, Peabody«, sagte sie mit fester Stimme. »Du und ich, wir beide.«
Der Hund scharrte mit der Vorderpfote an der Tür. Er war stundenlang mit ihr im Wagen eingepfercht gewesen und hatte geduldig gewartet. Seine Pflicht getan. Und auf mich aufgepasst.
In seiner Anwesenheit fühlte sie sich sicherer, auch wenn es sie ärgerte, dass sie immer noch seinen Schutz brauchte, um nachts ruhig schlafen zu können, dass sie trotzdem noch zusammenfuhr, sobald sie in unmittelbarer Umgebung eine plötzliche Bewegung wahrnahm. Aber so war es nun einmal, und nur langsam lernte sie, damit umzugehen. Ihre Freunde zu Hause hatten sie zur Geduld ermahnt: Es sei erst neun Monate her, und sich von einem Überfall zu erholen konnte Jahre dauern.
Jahre! Paige dachte nicht daran, so lange zu warten. Mit einer unwirschen Bewegung zog sie sich die Kapuze über den Kopf und befestigte die Leine an Peabodys Halsband. Sie würde ihn Gassi führen, sich einen Kaffee besorgen und anschließend schnell unter die Dusche springen, bevor sie zu ihrem nächsten Termin aufbrach.
Schlafen konnte sie später. Wenn sie müde genug war, träumte sie nicht. Und ein paar Stunden traumloser Schlaf klangen nahezu himmlisch.
Peabody trabte schnurstracks auf den Laternenmast zu, an den alle Hunde des Viertels am liebsten pinkelten. Während er noch schnupperte, klingelte ihr Telefon. Sie jonglierte einhändig mit Schirm und Leine und blickte aufs Display, bevor sie sich das Handy zwischen Ohr und Schulter klemmte. Es war Clay Maynard, seit drei Monaten ihr Partner und, bis sie selbst eine Ermittlerlizenz in den Händen hatte, ihr Chef und selbsternannter Beschützer.
»Wo bist du?«, bellte der Privatdetektiv in den Hörer. Er hielt sich nur selten mit Grüßen auf, gab sich meistens barsch, manchmal sogar grob, aber er war ein verdammt kluger Mann. Der einen schrecklichen Verlust erlitten hatte und immer noch trauerte. Und weil Paige seine Trauer nur allzu gut nachempfinden konnte, übte sie Nachsicht.
Unter der ruppigen Oberfläche verbarg sich ein guter Mensch, der ihr in den drei Monaten, die sie nun schon in Baltimore wohnte, so etwas wie ein großer Bruder geworden war. Und da sie in den vergangenen fünfzehn Jahren in ihrem ehemaligen Karate-dojo mit unzähligen selbsternannten »großen Brüdern« trainiert hatte, wusste sie inzwischen ganz genau, wie man mit dem lästigen, doch unweigerlich auftretenden männlichen Beschützerinstinkt am besten umging: cool bleiben, mit Humor kontern.
»Ich stehe unter einer Laterne und sehe Peabody beim Pinkeln zu. Soll ich dir ein Foto davon schicken?«, fragte sie trocken. »Peabody nimmt es mit seiner Privatsphäre nicht so genau, wenn es dich also beruhigen würde .«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann glaubte sie ein leises Lachen zu hören. »Tut mir leid. Ich hatte versucht, dich übers Festnetz zu erreichen. Ich war der Meinung, du müsstest eigentlich längst zu Hause sein.«
Paige hätte ihn gerne daran erinnert, dass sie vierunddreißig war, nicht vier, und er nicht ihr Vormund, aber sie ließ es. Seine letzte Partnerin war grausam ermordet worden. Er wollte sich für keinen weiteren Mord schuldig fühlen müssen, und das konnte Paige bestens verstehen, vielleicht sogar mehr, als Clay ahnte.
Theas Gesicht, das stets am Rande ihres Bewusstseins lauerte, zog riesengroß vor ihrem inneren Auge auf. Thea in Todesangst, die Waffe gegen die Schläfe gedrückt. Und dann tot.
Egal, wie viele Zachary Davis' du rettest - du machst Thea damit nicht wieder lebendig.
»Ich musste bei der Polizei noch meine Aussage machen.« Die Erinnerung an ihre Freundin verblasste und wurde ersetzt durch das, was sie vor wenigen Stunden durch ein Fenster beobachtet hatte.
»Hast du so was schon einmal gesehen?«, fragte Clay.
»Eine Koks schnupfende Mutter? Ja.« Das war eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen, doch davon erzählte sie so gut wie nie. »Eine Mutter, die ihrem zugedröhnten Lover erlaubt, ihr Kind zu begrapschen? Nein.«
Der sechsjährige Zachary war Gegenstand eines brutalen Sorgerechtsstreits gewesen. Mom war kokainabhängig geworden, und Dad hatte die Scheidung eingereicht und das alleinige Sorgerecht beantragt. Mom hatte dagegen geklagt und behauptet, sie sei längst wieder clean. Aus Angst, das Gericht würde sich auf die Seite der Mutter schlagen, hatte John Davis Clay engagiert, um zu beweisen, dass seine Ex-Frau immer noch Drogen konsumierte.
Was der Grund dafür gewesen war, dass Paige als neuestes Mitglied von Clays Detektei die ganze Nacht vor Sylvias Wohnung gesessen und Bilder gemacht hatte.
»Er hätte den Jungen vergewaltigt«, sagte Clay. »Du hast das verhindert. Jetzt kriegen sie Sylvia wegen Drogenbesitz und Kinderprostitution dran.«
»Ich hatte Glück, der Streifenwagen kam nur eine Minute nachdem ich den Notruf gewählt hatte. Allerdings wäre ich selbst reingegangen, hätte es länger gedauert - zur Not hätte ich sogar die Tür eingetreten. Unter keinen Umständen hätte ich zugesehen, wie dieser Kerl sich an dem Kind vergreift.«
»Ich wohl auch nicht, aber dieser Kerl hatte dummerweise eine Pistole. Und gegen die kann selbst dein Schwarzer Gürtel nichts ausrichten.«
Paige ertappte sich dabei, wie sie unweigerlich ihre Schulter rieb, wo eine hässliche wulstige Narbe ihre Haut verunzierte. Clay hatte sich nett ausgedrückt, hatte sich verkniffen, hinzuzufügen: Genauso wenig wie im vergangenen Sommer.
Plötzlich waren ihre Handflächen schweißfeucht. Sie wischte sie an ihrer Jeans ab und straffte den Rücken. »Ich hatte meine Waffe dabei.« Damals hatte sie keine gehabt. Diesen Fehler werde ich nie wieder machen.
»Er hätte zuerst geschossen.«
»Dann zeig mir deine Spezialtricks, damit ich einen Raum betreten kann, ohne mir eine Kugel einzufangen.« Ihre Stimme war hart und spröde geworden.
Bevor er Privatermittler geworden war, hatte Clay in Washington als Polizist gearbeitet. Davor hatte er bei den Marines Rekruten ausgebildet, und sie war im Grunde nichts anderes als das: eine Rekrutin, ein Ermittlerneuling. Die vielen Jahre, die sie schon verschiedene Kampfkünste trainierte, hatten ihr jedoch einen tiefen Respekt vor den Meistern eingeimpft, weswegen sie jetzt ihren Tonfall korrigierte. »Bitte«, setzte sie ruhiger hinzu.
»Okay. Morgen. Du hast eine harte Nacht hinter dir, und dazu brauchst du einen klaren Kopf. Nimm dir heute frei.«
»Ja, vielleicht. Oder ich arbeite von zu Hause. An Marias Fall gibt es noch einiges zu tun.«
»Den Fall, den du pro bono übernommen hast«, sagte er mit einem Hauch von Missbilligung.
»Du hättest es nicht anders gemacht, Clay.«
Er seufzte. »Paige, jeder Knastbruder hat eine Mama, die von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt ist.«
»Ich weiß, dass du mich für naiv hältst«, antwortete sie. »Alles hat dafürgesprochen, dass Ramon Muñoz schuldig ist, aber ein paar Einzelheiten passen nicht. Schlimmstenfalls ackere ich mich durch stapelweise Prozessprotokolle und sammle Erfahrung.« Sie dachte an die Tränen in Marias Augen, als sie sie um Hilfe gebeten hatte. »Im besten Fall kann ich Mama Muñoz ein bisschen Frieden verschaffen.«
»Verwende nur nicht zu viel Zeit darauf, okay? Wir müssen auch unsere Stromrechnung bezahlen.«
»Maria will nachher vorbeikommen und mir neue Informationen bringen. Wenn die nichts taugen, lasse ich die Finger davon. Wenn doch, kannst du ja mal einen Blick daraufwerfen. Ich muss jetzt Schluss machen. Ich brauche einen Kaffee.«
Das Quietschen von Reifen ließ sie herumfahren. Beim Anblick des Minivans, der auf sie zuschoss, reagierte sie sofort. Sie sprang zur Seite, riss Peabody an der Leine mit sich und landete hart auf Knien und Händen im Matsch. Hinter...
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