Schweitzer Fachinformationen
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Als Helena Rubinstein sechs Jahre nach der Landung des Postdampfers ein zweites Mal in Melbourne eintrifft, hat sie vieles von dem, was sie für einen eigenen Laden brauchen wird, beisammen: Sie hat genug Englisch gelernt, um Kundinnen zu beraten, wobei sie ihren harten Akzent nie verlieren wird. Sie weiß so manches über die Verfertigung von Cremes, kennt das Geheimnis der Gewinnung von Lanolin, der Herstellung von Emulsionen und führt wertvolle gepresste Kräuter, spezielle Rezepturen sowie noch einige Töpfe der Lykusky-Creme mit sich. Und sie hat eine realistische und optimistische Einschätzung des Marktes gewonnen, den sie erschließen will: den der Kosmetik. Noch zögern Frauen, wenn es darum geht, sich so zu pflegen und zu schminken, wie es bislang nur Schauspielerinnen gestattet war. Aber die Australierinnen sind den viktorianischen Normen - für Frauen hießen die in erster Linie: Bescheidenheit, bloß nicht auffallen - längst nicht so streng unterworfen wie die Engländerinnen, die Frauen im Rest Europas und der Neuen Welt. Hier in Melbourne gibt es mehr Freiheit für die weibliche Bevölkerung, mehr Jobs, mehr Einkommen. Helena weiß sich am rechten Ort für die Umsetzung ihrer Idee, gute Gesichtscreme vom Geheimtipp zum gefragten Produkt zu befördern.
Was ihr noch fehlt, ist Kapital. Für die Anmietung eines Geschäftslokals reichen ihre Ersparnisse aus Toowoomba nicht, sie muss sich als Kellnerin verdingen. Fürs Erste mietet sie sich in einem Wohnheim ein, in der Küche darf sie experimentieren. Sie verteilt ihren restlichen Creme-Vorrat auf eine große Anzahl kleiner Dosen und gibt sie den verschiedensten Läden, meist Apotheken, in Kommission. In der "Maison Dorée" und im "Winter Garden", wo sie Getränke serviert, verdient sie wenig; der Gewinn ist immaterieller Art: Kontakte. Sie lernt einen Maler kennen, einen Weinhändler, einen Kunstdrucker und Mr Thompson, einen Tee-Importeur. Die Herren merken bald, dass die interessante kleine Polin keinen Mann sucht, sondern Rat und Unterstützung. Und es gelingt Helena, ihre Eroberungen in Freundschaften umzuwidmen: Alle vier Männer finden sich bereit, Miss Rubinstein bei der Gründung ihres Geschäfts zur Seite zu stehen. Mr Dillon, der Maler, weiß, dass in der Collins Street ein paar schöne Räume zur Miete angeboten werden, er sucht selbst ein Atelier und kennt sich aus. Besonders interessant wird Mr Thompson für sie. Der macht gerade die Erfahrung, wie wichtig gezielte Werbung für den Umsatz ist. Er rät Helena, in den Melbourner Tageszeitungen zu inserieren. Die ist sofort dazu entschlossen, doch solche Inserate sind teuer.
Einmal mehr blättert Helena in ihrem alten Notizbuch. Da gab es doch noch eine Lady auf dem Schiff, die nach Melbourne reisen wollte, um dort zu heiraten. Ja richtig, das war Helen McDonald, Helena macht sie ausfindig. Das Wiedersehen rührt beide, und als Helena zugibt, dass sie Geld brauche und auch erklärt, wofür, freut sich die alte Bekannte sogar. "Du musst an dich selber glauben, Helena, so wie ich an dich glaube", sagt sie und leiht 250 Pfund her, ein Großteil ihrer Ersparnisse. Es dauert nur einige Monate, dann kann Helena den Betrag - mit Zinsen - zurückzahlen. "Es war die einzige Summe Geldes, die ich je geborgt habe. Aber ich habe es nicht bereut", erinnert sie sich. Sie hasst es, Schulden zu machen und hat es dem eigenen Bekunden zufolge nur dieses einzige Mal getan.
Inzwischen ist Helena klar geworden, dass sie mehr braucht als einen Laden. Sie will ja nicht bloß Cremes verkaufen, sie will den Kundinnen eine Diagnose bezüglich ihres Hauttyps stellen und sie beraten, will ihnen eine Umgebung bieten, in der sie über ihr Aussehen nachdenken können, braucht Räume, Ambiente, Stimmung - und vielleicht bald auch Mitarbeiterinnen. Plato hatte eben nicht nur unrecht. Zwar sollen Frauen bitteschön kosmetische Erzeugnisse benutzen, aber der Gedanke, dass Schönheit von innen komme, ist nicht ganz abwegig. An die Ausstrahlung einer schönen Seele glaubt Helena zwar nicht, aber an Leibesübungen, gesunde Ernährung, Massage und Entspannung unbedingt. Über all das will sie mit den Kundinnen reden, ihnen Freude an ihrem Körper vermitteln. Dazu wäre ein geschmackvoll eingerichteter Salon eine wichtige Bedingung. Und jetzt, das kleine Kapital der englischen Freundin in Händen, kann sie den Schritt gehen. Sie berät sich mit Mr Thompson.
"Helena, du verkaufst nicht nur eine Creme, sondern ein Lebensgefühl. Die Einrichtung muss stimmen, die Raumtemperatur, die Beduftung. Überlass nichts dem Zufall."
"Ich habe noch etwas weißen Musselin. Daraus wollte ich mir eigentlich ein Kleid nähen. Aber jetzt nehme ich den Stoff für die Vorhänge."
"Und du brauchst unbedingt einen Namen für deine Creme! Ich rate zu Französisch. Die Eleganz dieser Sprache macht immer etwas her."
Helena grinst ein wenig verschämt. "Ich habe schon einen."
"Raus damit!"
"Was sagst du zu: Valaze .?"
"Hm. Äh . Valaze. Ist das reine Fantasie oder hat es eine Bedeutung?"
"Es ist ungarisch und bedeutet Geschenk des Himmels. Jakob Lykusky, der die Rezeptur erfunden hat, nannte sein Produkt einmal so. Ich habe es nicht vergessen."
"Dann kommst du um den Namen nicht herum. Versuch es damit."
Und so eröffnet Helena Rubinstein ihren ersten Schönheitssalon unter dem Namen:
Valaze Maison de Beauté.
Der Zuspruch in der weiblichen Bevölkerung der Stadt übertraf alle Erwartungen. "Die Frauen strömten nur so - manche kamen aus bloßer Neugier, denn von einem Schönheitssalon hatten sie noch nie etwas gehört. Die meisten aber blieben, um sich beraten zu lassen, und nur wenige gingen ohne einen Cremetopf mit handgeschriebener Aufschrift: Valaze nach Hause", so Helena in der Rückschau. Tatsächlich bildeten die Kundinnen schon eine Stunde vor der täglichen Öffnung eine Schlange in der Collins Street, und Helena blieb nichts übrig, als im Salon zu übernachten, um anderntags rechtzeitig auf der Schwelle stehen und die Damen einlassen zu können. Sie verkaufte Cremes, Massage-Öle, erfrischendes Tonikum und Wattebäusche wie geschnitten Brot. Was aber die meiste Zeit kostete, waren ausführliche Gespräche mit den Kundinnen über einen Lebenswandel, der die Glätte und Reinheit der Haut beförderte. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von der Wirksamkeit der Behandlung in Stadt und Land; die Ladies reisten aus den Nachbarstädten und sogar aus den Dörfern an, um sich von Miss Rubinstein behandeln zu lassen, und sie zahlten gut dafür. Aus Sydney gar kam eine Journalistin, um über die Melbourner Innovation für den Morning Herald zu recherchieren - und sie veröffentlichte eine Lobeshymne. Selbst Berühmtheiten kamen wegen Helenas Schönheitsinstitut in die Stadt; nach der Schauspielerin Nellie Stewart erschien die große Sängerin Nellie Melba, die nicht nur groß war im Sinne von großartig, sondern auch hoch gewachsen. Da stand die kurze Helena vor der langen Melba und wusste nicht recht, wie sie es anstellen sollte, deren Gesicht zu untersuchen, denn die Sängerin lehnte es ab, sich hinzusetzen. Sie war recht korpulent und fürchtete, der kleine Korbsessel, der für sie bereitstand, könnte unter ihr zusammenbrechen. Helena wusste, was sie ihren Klientinnen schuldig war. Sie holte einen Schemel, stieg darauf und beäugte Stirn, Nase und Wangen der berühmten Kundin.
"Sie haben eine Mischhaut. Ein Tonikum für Nase und Kinn und für die Wangen ein extra Tropfen Öl. Ich habe das Passende für Sie."
Melba war sehr beeindruckt von der Sorgfalt dieser aparten Geschäftsinhaberin und erwarb einen ganzen Beutel voller Cremedosen, um sie an die weiblichen Mitglieder des Opernchors weiterzureichen. Inzwischen hatte sich im bedufteten Warteraum schon eine ganze Schar neuer Kundinnen eingefunden; Helenas erste Helferin, ein Nachbarsmädchen, schenkte Tee aus. Nellie Melba wurde von der Chefin persönlich hinausbegleitet, und nach dem Goodbye wandte sich Helena auf dem Absatz um und der nächsten Klientin zu.
Sie blieb stets ruhig und freundlich. Sie machte keine Pause. Sie arbeitete von früh bis spät im Salon und komponierte nachts noch in ihrem neuen Labor, das sie "Küche" nannte - denn es wurde ja auch in der Küche eingerichtet -, spezielle Lotionen und Badezusätze. Wenn sie sich dann auf einer Liege im Behandlungszimmer ihres Salons zum Schlafen zusammenrollte, war sie so erschöpft, dass sie innerhalb von Minuten in tiefe Träume fiel. Ein Riesenvogel mit weißen Schwingen kam im ersten Traumbild angeflogen und krächzte: "Valaze, Valaze!" Und packte sie mit großem Schnabel, sie umfasste seinen...
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