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Vertrauen erwächst in erster Linie aus der menschlichen Erfahrung einer gewissen dauerhaften Bindung zwischen zwei Personen. So illustrieren Freundschaft und Liebe exemplarisch eine Beziehung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Beteiligten eine dauerhafte Hypothese über das zukünftige Verhalten des anderen aufstellen können: Man weiß, was man von einer Freundin oder einem Geliebten »erwarten kann«. Homer zeigte in der Odyssee auf seine Weise die regulatorische und erzieherische Funktion solcher Beziehungen. Als Kirke sah, dass Odysseus ihre List vereitelt hatte und sie nichts gegen ihn ausrichten konnte, ließ er sie sagen: »Dann wohlan, steck ein dein Schwert und laß uns zusammen auf meinem Lager ruh'n, damit wir beide vereinigt uns der Umarmung erfreun und werden vertraut miteinander.«1 Vertrauen ermöglicht es, Unsicherheit zu reduzieren und eine auf Dauer angelegte ruhige, für beide Seiten positive Beziehung zu führen. In den monotheistischen Religionen beruht der Glaube des Menschen an seinen Gott und Schöpfer auf der Annahme, dass dieser in der Lage ist, permanent wohlwollend über das Leben auf der Erde zu wachen. »Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort«, heißt es beispielsweise in einem Psalm der Bibel.2 Diese beiden Modalitäten des Vertrauens - das »direkte«, interindividuelle Vertrauen und der religiöse Glaube an seine Idealität - umreißen seine Grenzen. Historisch besaß der Begriff jedoch eine umfassendere Bedeutung. In der römischen Welt erwuchs fides, Vertrauen, aus einer bestimmten globalen Sicht der sozialen Ordnung. Später bildete es zudem die Grundlage für eine wirtschaftliche Kategorie wie den Kredit.
Das Wort fides hat im Lateinischen eine ganz spezielle Bedeutung. Es bezieht sich nicht auf den oben erwähnten religiösen Glauben, sondern bezeichnet ein grundlegendes Moralprinzip des sozialen Lebens: die Einhaltung eingegangener Verpflichtungen, besonders der Eide. Fides galt in Rom als Gottheit, und ihr Kult verehrte in ihr den heiligen Charakter des gegebenen Wortes (aus diesem Grund konnte man die Römer als »Volk der Fides« bezeichnen).3 Diesen Respekt symbolisierte die rechte Hand, die zum Eid erhoben oder einem anderen zum Handschlag gereicht wurde. Fides/Vertrauen hatte also in Rom den Charakter einer Verpflichtung. Allerdings handelte es sich nicht um eine reziproke Verpflichtung unter Gleichen wie bei einem Vertrag, sondern um die Verpflichtung eines Höhergestellten gegenüber seinen Untergebenen oder um die Pflichten, die man gegenüber seinen »Klienten« (im römischen Sinne des Wortes also den Abhängigen und Schützlingen eines Patrons) zu erfüllen gedachte. Fides ist hier also etwas, was man einem anderen erweist oder verspricht, und weit von dem heutigen bilateralen Begriff entfernt, »jemandem sein Vertrauen zu schenken« oder »Vertrauen zu jemandem zu haben«.4 In diesem Rahmen setzte sich der römische Begriff fides wie selbstverständlich fort in den des Kredits im Sinne der Glaubwürdigkeit. Jemand, der sich gegenüber einem anderen verpflichtet, hat zugleich bei ihm Kredit, besitzt also Glaubwürdigkeit. Zunehmend verselbstständigte sich der Begriff Kredit, behielt zwar eine gesellschaftliche Dimension, wurde aber spezifischer auf den Wirtschaftsbereich angewendet und verband sich mit dem, was den modernen Vertrauensbegriff ausmacht.5
»Einen gewissen Kredit genießen«: Dieser Ausdruck, der sich zunächst auf das Vertrauen bezog, das eine Person allgemein einflößt, verengte sich mit der Entwicklung des Handels um die Wende zum 16. Jahrhundert auf das Vertrauen eines Gläubigers in die Zahlungsfähigkeit eines Darlehensnehmers.6 In den indoeuropäischen Sprachen bezeichnet kred, aus dem das lateinische credere und dann das creditum (das auf Treu und Glauben Anvertraute) hervorgingen, die Gegenwart einer Kraft, die es erlaubt, jemandem etwas zu überlassen »mit der Gewißheit, die anvertraute Sache zurückzubekommen«.7 Der Akt, einen Kredit zu gewähren, erfordert also ein Vertrauensverhältnis - Vertrauen, das durch diverse Formen von Garantien abgesichert werden kann, in jedem Fall aber eine Art von Kalkül und Zukunftsprojektion voraussetzt.8 »Die unmittelbare Grundlage des Kredits ist die Überzeugung des Darlehensgebers von der Gewissheit der Rückzahlung«, fasst Diderots Enzyklopädie zusammen.9
Eine solche Einbettung des Kredits in das Soziale erklärt, dass er zunächst an nahe Beziehungen gebunden war. Und das umso mehr, als er in seiner Entwicklung einen archaischen Charakter beibehielt, der damit zusammenhing, dass die Verwendung von Geld lange durch eine materielle Gegebenheit begrenzt war: durch den relativ geringen Betrag der in Gold- oder Silbermünzen verfügbaren Zahlungsmittel.10 Dieser Umstand hatte zur Folge, dass Händler von Lebensmitteln, die am häufigsten konsumiert wurden, monatliche beziehungsweise jährliche Zahlungen von Kunden akzeptierten, die meist Nachbarn waren. So wurde in Versailles der Lebensmittelhändler im 18. Jahrhundert im Allgemeinen jährlich bezahlt und der Metzger halbjährlich.11 In England herrschte in allen Bereichen die Praxis der Christmas bills (Weihnachtrechnungen) vor.12 So strukturierte der Kredit im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts die Sozialbeziehungen im nahen Umfeld. Die Wirtschaft war über eine allgemeine wechselseitige Abhängigkeit vollständig in das soziale Leben eingebettet. Die Historikerin Laurence Fontaine beschrieb dies mit dem Bild des »Spinnennetzes«. Das war vor allem auf dem Land gut erkennbar. Die Verschuldung der Bauern bei ihren Gutsherren schrieb lediglich ihre unmittelbare Abhängigkeit in anderer Form fort. Das war weithin in ganz Europa zu beobachten. So ließe sich allein aufgrund ihrer Rechnungsbücher eine Soziologie großer Landgüter erstellen. Und der Schuldenerlass, der zuweilen nach einem Todesfall gewährt wurde, war lediglich Ausdruck einer Herrschaft, in der nichts vom Recht, und alles von der Gnade abhing. Allgemeiner betrachtet, lag den Volkswirtschaften im 18. Jahrhundert noch ein ganzes System wechselseitiger Schulden zwischen Privatpersonen, Fabrikanten und Kaufleuten zugrunde, deren Saldo nur in teils großen Intervallen mit Bargeld beglichen wurde.13 So veranstalteten Kaufleute in einer Stadt wie Lyon alle drei Monate »Zahlungsmessen«, auf denen unter der Leitung eines Konsuls die in Wechseln ausgewiesenen Geldsummen saldiert und beglichen wurden.14
Vertrauen war also die grundlegende Voraussetzung für Austausch und Handel im Gemeinschaftsleben. Daher rührte umgekehrt die Aufmerksamkeit für Zahlungsverzug und dessen letztliche Bestrafung. Schon sehr bald übersetzte sich dies in die Einführung spezifischer Rechtsvorschriften, in denen die Nichteinhaltung von Verpflichtungen als eine Form der Abspaltung von der Gemeinschaft und des Bruchs der sozialen Bindung galt. Die für nicht zurückgezahlte Schulden verhängten Gefängnisstrafen standen seit Beginn der Moderne in Europa im Zentrum der Tätigkeit von Gerichten, die in England in dieser Hinsicht besonders streng vorgingen.15 Man mag sich erinnern, dass Charles Dickens mit zwölf Jahren beklagte, dass sein Vater ins Gefängnis kam, bis er seine Schulden zurückgezahlt hatte. In Frankreich wurden ab dem 16. Jahrhundert spezielle konsularische Gerichte für Konkursfälle geschaffen. In ganz Europa entstand nach und nach eine ähnliche Gerichtsbarkeit. Finanziellen Verpflichtungen nicht nachzukommen gehörte zu einem Verhalten, das als Störung des sozialen Zusammenhalts wahrgenommen wurde.
Der Schuldner, der das Vertrauen seiner Gläubiger missbrauchte, indem er sich für zahlungsunfähig erklärte, galt lange Zeit als Geächteter. In Genf entzog ein Gesetz im 18. Jahrhundert Bürgern, die Konkurs angemeldet hatten oder zahlungsunfähig waren, ihre Bürgerrechte. Sogar ihre Kinder wurden aus der Bürgerschaft ausgeschlossen, wenn sie die Schulden ihres Vaters nicht beglichen.16 Montesquieu lobte diese Regelung,17und Diderots Encyclopédie bezeichnete es in dem Genf gewidmeten Artikel als »ein schönes Gesetz«. Zu Beginn der Französischen Revolution ließ Mirabeau im Herbst 1789 im selben Geist und unter Beifall über einen Gesetzestext abstimmen, der Konkursschuldnern, Bankrotteuren und zahlungsunfähigen Schuldnern ebenfalls ihre politischen Rechte entzog und sie von Wahlämtern ausschloss.18 Er stufte es als »grundlegendes Gesetz« ein und verknüpfte es mit der »Notwendigkeit, vor der wir stehen [.], uns öffentliche Bande zu geben, das Vertrauen wiederherzustellen und die Wirtschaft zu beleben«.19
Jenseits des »unmittelbaren« Vertrauens im nahen Umfeld, das mit den oben behandelten Kreditformen verknüpft ist, entstanden stärker strukturelle Mechanismen, Vertrauen herzustellen, die eine Weiterentwicklung des Handels ermöglichten. Übrigens sollte sich mit der Entwicklung des Fernhandels auch der Vertrauensbegriff präzisieren, da die Wirtschaft sich von unmittelbaren Sozialbeziehungen löste. Er bezog sich zwar immer noch auf »die Hypothese, die man über das zukünftige Verhalten aufstellen kann«, aber deren Grundlage war nicht mehr die räumliche Nähe von Käufern und Verkäufern. Die Bildung kleiner Kaufmannsgruppen mit starker interner Identität wurde zum Vektor der Wirtschaftsentwicklung. Damit entstand eine Vertrautheit auf einer neuen Basis. Wie Fernand...
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