15Kapitel 1:
Vorbemerkungen
"CEO zu werden ist kein Grund die Persönlichkeit zu ändern."
Christian Klein, CEO von SAP
16Sie haben sich also durch die einleitenden Worte nicht abschrecken lassen? Sehr gut! Dann werden wir uns jetzt im ersten Teil von Mission Leadership den Eigenheiten und Besonderheiten des C-Levels zuwenden, um zu verstehen, wo die Trennungslinie zu "normalen" Fach- und Führungskräften nachgelagerter Managementebenen liegt.
Einer der Pioniere der modernen Managementlehre, Peter Drucker, hat einmal zu der Frage, ob es denn im Hinblick auf das Aufgabenspektrum von Managern überhaupt eine eindeutige Trennungslinie zwischen dem C-Level und anderen Führungsebenen gibt, wie folgt Stellung genommen: Es sei, so Drucker, die ureigene und nicht delegierbare Aufgabe des C-Levels, das Bindeglied zwischen der inneren Welt, also dem Unternehmen, und der äußeren Welt, also der Gesellschaft, der Wirtschaft, den Märkten und den Kunden zu sein, stets interne wie externe Interessen im Blick zu behalten und durch die Kombination von beidem die bestmöglichen Firmenergebnisse zu erzielen.15
Auch ich werde immer wieder darauf angesprochen, was denn das Charakteristische am C-Level-Job ist. Ich gebe zu, Außenstehenden das mit ein paar wenigen Worten zu erklären, ist gar nicht so einfach. Aber die Frage ist gut und berechtigt. Der springende Punkt ist - und zu diesem Resümee bin ich im Verlauf meiner Karriere gelangt -, dass C-Level-Manager im Gegensatz zu anderen Führungskräften nicht im Unternehmen, sondern am Unternehmen arbeiten.
Bevor wir uns als Nächstes dem vielfältigen Spektrum der C-Level-Positionen zuwenden, lassen Sie uns noch kurz der Frage nachgehen, welchen Kriterien die Karrierewege von C-Level-Managern tatsächlich folgen. Und hier liegt die Betonung auf "tatsächlich". Womit ich noch einmal kurz auf das bereits einleitend erwähnte Thema der Management-Mythen und Stereotypen zurückkommen möchte.
Die Stereotypen-Falle. Wenn Märchen und Mythen den Blick verstellen
Wer sich näher über die Berufsbilder der C-Suite informieren möchte und nach "C-Level" oder anderen, damit verwandten Begriffen im Netz sucht, erhält pro Search bis zu zwei Milliarden Links und Empfehlungen! Nicht gerade ein Ausdruck von Einzigartigkeit. Doch im Ernst, ein kurzer Scan zeigt: Fast alle Suchergebnisse bedienen erschreckenderweise mehr oder weniger unrealistische und dennoch allgegenwärtige Stereotypen und Klischees.
Die unterschwellige Botschaft darin ist unmissverständlich: Wer nach oben will, muss sich das Verhalten der klassisch männlichen Alpha-Leader aneignen. Der erfolgreiche C-Level-Manager ist demnach ein charismatischer, 1,90-Meter-Mann mit weißer Hautfarbe und Abschluss von einer Eliteuniversität, der mit übermäßigem Selbstbewusstsein, nicht selten auch mit narzisstischen Zügen ausgestattet, als strategischer Visionär gilt, auf eine steile Bilderbuch-Karriere 17zurückblickt und über die Fähigkeit verfügt, unter hohem Druck allseits einsame und perfekte Entscheidungen zu treffen.
Zu diesem Urteil kam auch die amerikanische Management-Beratung G.H. Smart & Company, nachdem sie die offiziellen Biografien der Fortune-500-Chefs, das sind die Top-Manager der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt, systematisch ausgewertet hatte.16 Das Ergebnis überraschte selbst die Experten, denn sie waren erstaunt, wie wenig diese Profil-Beschreibung den tausenden erfolgreichen C-Level-Managern entsprach, die sie im Rahmen ihrer jahrzehntelangen Beratertätigkeit in Unternehmen unterschiedlichster Größe selbst kennengelernt hatten. Sie stellten fest - und bestimmt ahnen Sie es schon:
Zwischen dem, was nach landläufiger Vorstellung und leider auch allzu oft in den Augen von Aufsichtsgremien, Investoren und Personalverantwortlichen einen idealen Top-Manager auszeichnet, und den tatsächlichen Erfolgstreibern besteht offensichtlich eine tiefe Kluft.
Dadurch entsteht wiederum eine toxische Grundlage für Besetzungsentscheidungen auf Ebene des Top-Managements. Langzeitstudien bestätigen diesen Effekt: Fast ein Viertel der CEOs, die eines der großen US-amerikanischen Unternehmen verlassen, gehen vorzeitig und unfreiwillig.17
Die Konsequenz daraus ist verheerend: Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge werden durch solch erzwungene Personalwechsel weltweit jährlich über einhundert Milliarden US-Dollar an Börsen- bzw. Firmenwert vernichtet.18 Eine erschreckende Bilanz, insbesondere für jeden Manager, der in diese Führungsriege aufrücken will, und natürlich ein Armutszeugnis für die zuständigen Besetzungsgremien.
Take-Aways
Wenn der Chefsessel allzu oft zum Schleudersitz wird, dann ist dies meines Erachtens auch das Resultat eines verstellten Blicks auf die wirklich entscheidenden Merkmale erfolgreicher Karrieren.
Leistung schlägt Charisma. Es geht auch ohne Rampensau-Gen
Nur gut, dass sich das Team von G.H. Smart & Company mit den vordergründigen Ergebnissen nicht zufriedengab und den wissenschaftlichen Beleg dafür finden wollte, was den Erfolg von Top-Managern tatsächlich ausmacht. So geschehen im Rahmen einer auf zehn Jahre angelegten Studie, dem sogenannte "CEO Genome Project", in Zusammenarbeit mit Ökonomen der University of Chicago und der Copenhagen Business School sowie mit Hilfe von Experten 18des Software- und Analyseunternehmens SAS.19 Anhand von Daten tausender Beurteilungen von C-Level-Managern wurde durch die Kombination von Informationen zu Werdegang, Geschäftsergebnissen und Verhaltensweisen systematisch herausgearbeitet, welche Eigenschaften herausragende Top-Führungskräfte wirklich von anderen Managern unterscheiden.
Den Ergebnissen zufolge haben beispielsweise Manager, die ihren vorherrschenden Charakterzug als selbstbewusst, unabhängig und eigenverantwortlich beschrieben, doppelt so oft nur unterdurchschnittliche Unternehmensergebnisse abgeliefert und waren hinter den Erwartungen der Boards und Investoren zurückzublieben als Führungskräfte, bei denen diese Eigenschaften nicht dominant ausgeprägt waren.
CxO-Mindset
Ähnlich verhält es sich mit den Merkmalen Selbstvertrauen, Charisma und Extrovertiertheit: Empirisch betrachtet haben Manager, die diese Eigenschaften vornehmlich auf sich vereinen, bei der Besetzung einer C-Level-Position im Vergleich zu anderen Bewerbern zwar eine mehr als doppelt so hohe Chance zum Zuge zu kommen, im Job allerdings glänzen dann, der Studie zufolge, die tendenziell introvertierten Manager viel öfter mit überdurchschnittlichen Leistungen und außergewöhnlichen Erfolgen als ihre übermäßig selbstbewussten Artgenossen.
Zu gleichlautenden Ergebnis kommen auch Studien, die sich mit Narzissmus in den Führungsetagen beschäftigen. Sie belegen, dass die Wahrscheinlichkeit Führungskraft zu werden, zwar proportional mit dem Narzissmuswert steigt, dieser sich aber im Karriereverlauf sehr schnell als dysfunktional erweist.20 Intrigantes und manipulatives Vorgehen, permanente Selbstdarstellung, soziale Unverträglichkeit und die Unfähigkeit zu Empathie - alles narzisstische Persönlichkeitsmerkmale - kreieren ein toxisches Umfeld und machen der Karriere eher früher als später den Garaus.
Take-Aways
Ergo: Übersteigertes Selbstbewusstsein und narzisstisches Gehabe erhöhen zwar die Auswahl-Wahrscheinlichkeit bei der Besetzung einer Top-Position, sind aber keine entscheidenden Merkmale für eine wirklich erfolgreiche C-Level-Karriere, beides steht guter Führung eindeutig im Weg.
Eine faszinierende Erkenntnis, wie ich meine, die sich im Übrigen auch mit meinen persönlichen Erfahrungen deckt. Dutzende meiner Pendants habe ich kommen und gehen sehen und oft habe ich die Gründe für ihren Erfolg oder Misserfolg auch hautnah miterlebt. An einigen wenigen meiner Artgenossen habe ich mich selbst orientiert. Sie waren mir Vorbild und Inspiration zugleich. Rückblickend betrachtet waren es aber nicht die Typen mit übertriebenem 19Selbstbewusstsein und ebensolchem Auftreten, sondern Menschen, die mir wegen ihrer Individualität, Einzigartigkeit und Leistung imponierten. Zugegebenermaßen war auch ich zu Beginn meiner Karriere für klischeehaftes Managergehabe durchaus empfänglich. Woher soll man als Berufseinsteiger denn auch wissen, wie "die da oben" tatsächlich ticken. Aber:
CxO-Mindset
Je weniger das Ebenbild einer Führungskraft dem Manager-Stereotyp entsprach, umso eher konnte ich mich mit der Person und ihrer Position identifizieren. Und je höher die Position angesiedelt und je normaler und unprätentiöser das Auftreten des Protagonisten war, umso realistischer und attraktiver erschien es mir, selbst einmal ins Top-Management einziehen zu können. Damit war bei mir damals eine wichtige mentale Hürde genommen.
Ähnlich muss es sich auch bei andern Top-Managerinnen und -Managern zugetragen haben. Ansonsten gäbe es ja vermutlich nicht so viele arrivierte C-Level-Führungskräfte, die mit...