Schweitzer Fachinformationen
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Dienstag, 26. März
Müde kaute Nina an ihrem Rosinenbrötchen, verstreute Krümel im Fußraum ihres Toyotas, während sie den Wagen auf den Parkplatz des Fitnessstudios steuerte. Wie zum Teufel brachte man es fertig, frühmorgens noch vor der Arbeit in einem Studio zu trainieren? Nicht einmal das Muskelpaket hinter dem Tresen schien schon richtig wach zu sein. Der junge Mann stellte Eiweißdrinks in ein Regal und nahm keine Notiz von ihr. In die Hip-Hop-Musik aus den Lautsprechern mischte sich das rhythmische Trommeln von Sportschuhen auf dem Laufband. Nina warf ihren Coffee-to-go-Becher in den Abfalleimer unter dem Desinfektionsmittel-Spender.
Ein Dutzend Eifrige rackerten sich auf Crosstrainern und an Kraftgeräten ab. Vogeler hatte am Telefon davon gesprochen, dass er auf dem Laufband zu finden sei. Dort war er tatsächlich der Einzige. Nina trat in sein Gesichtsfeld. Er verringerte das Tempo stufenweise, bis er nur noch ging. Sie schätzte den drahtigen Mann mit dem kurzen, dunklen Vollbart auf Mitte dreißig - ihr eigenes Alter.
»Herr Vogeler, können Sie . könnten Sie nicht .« Sie deutete auf das Laufband.
»Frau Tschöke, richtig? Das ist mein Cool-down.« Es klang vorwurfsvoll. Aber nach ein paar Schritten stoppte er das Band und wischte sich mit einem Handtuch über das Gesicht.
Sie ließen sich auf einer Sitzecke in der Nähe des Tresens nieder.
»Herr Vogeler, ich hatte Ihnen ja schon am Telefon mitgeteilt .«
»Und jetzt möchten Sie von mir wissen, ob ich eine Ahnung habe, wo Richard sein könnte. Aber die habe ich nicht.« Er saugte an einem Trinkhalm im Deckel seiner Wasserflasche.
»Fangen wir mal eine Nummer kleiner an. Wann haben Sie Ihren Freund Richard das letzte Mal getroffen?«
Sein Blick wanderte über eine Fotowand mit schönen, lachenden, jungen Menschen an Sportgeräten. »Letztes Jahr beim Leineweber-Markt - und das auch nur zufällig.«
Also im Mai, nur gut einen Monat, bevor er verschwand, überlegte Nina. »Nur zufällig? Aber Sie hatten doch gelegentlich Kontakt, oder?«
»Selten. Richard hat sich sehr zurückgezogen.«
»Warum glauben Sie, hat er das getan?«
Jens Vogeler senkte den Blick auf seine Wasserflasche. »Er konnte nicht mehr mithalten.«
Nina war verwirrt. »Sie meinen, sportlich .? Haben Sie zusammen mit ihm Sport .«
»Ich meine in finanzieller Hinsicht. Wir haben zusammen gefeiert, geurlaubt und so weiter. Aber als er seine Stelle verlor, lief es wohl nicht mehr so gut. Zuerst tönte er rum, von wegen wie viel besser die Selbstständigkeit wäre.« Vogeler wischte sich mit seinem Handtuch den Nacken. »Er kam mit immer neuen Projekten um die Ecke.« Er schüttelte den Kopf. »Richard war einfach nicht mehr auf der Gewinnerstraße, auch wenn er noch eine Weile versuchte, die Fassade aufrechtzuerhalten.«
»Und deswegen hat er sich nicht mehr bei seinen Freunden gemeldet?«
»Na ja, es wurde allmählich peinlich. Wir haben uns am Wochenende öfter in verschiedenen Clubs getroffen, und jeder aus der Clique war mal dran, eine Runde zu werfen. Richard hatte immer eine andere Ausrede. Eines Tages fuhr er mit einem rostigen Seat vor. Sein Audi wäre in der Werkstatt, und dann folgte eine blumige Geschichte. Das hat ihm keiner mehr abgenommen.« Vogeler zuckte mit den Achseln.
»Hätte er nicht einfach zugeben können, dass es ihm finanziell nicht so gut ging?«
»Richard?« Vogeler lachte auf. »Unser Richie wollte immer und überall der Erste sein. Dagegen ist nichts einzuwenden. Es gibt eben Leute, die was aus sich machen wollen, und Richard gehörte dazu. Die schönste Frau, der dickste Wagen, die meisten Abschlüsse bei Finanzprodukten .«
»Warum musste er dann die Bank verlassen?«
»Weil immer die gehen müssen, die zuletzt gekommen sind, wenn es eng wird. Richard war ein guter Verkäufer. Es war nicht seine Schuld. Es wurden eben Stellen abgebaut im Zuge der Finanzkrise. Uns allen ging damals der Arsch auf Grundeis. Aber es hat ihn getroffen.«
»Wie haben Sie ihn erlebt, als Sie ihn das letzte Mal sahen? Auf dem Leineweberfest«, fügte sie hinzu.
»Es schien ihm gut zu gehen. Ja, wirklich!« Er nickte vor sich hin. »Jens, wir müssen uns mal wieder treffen< und so weiter. Wir haben nur ein paar Sätze gewechselt, wir standen in der Nähe einer Bühne, und die Band war laut. Außerdem war er mit Lara da, und die wollte weiter zu einer anderen Bühne.«
»Mit Lara Kaspari . und wie wirkten die beiden miteinander?«
Vogeler grinste. »Schätze, mit Lara hat er seine Traumfrau gefunden. Die hatten nur Augen füreinander.«
»Anfang des letzten Jahres hat er Ihnen eine Postkarte aus einer Reha-Einrichtung geschickt. Er schreibt da von einer Bekanntschaft, die sich als sehr interessant erweisen könnte oder so ähnlich.«
Vogeler kniff die Augen zusammen. »Ja, ich glaube, ich erinnere mich.«
»Zu der Zeit war er aber schon mit Lara Kaspari zusammen, oder?«
»Sicher, die waren schon länger zusammen. Bei Lara ist er solide geworden.« Er grinste. »Früher hat Richie nichts anbrennen lassen.«
»Er ist ein Frauentyp?«
»Allerdings, das ist er.«
»Was hat er dann wohl mit >Bekanntschaft, die interessant werden könnte< gemeint? Hat er das noch mal erwähnt?«
»Nein.« Vogeler schabte über seinen Bart. »Ich kann mir nur vorstellen . vielleicht ein zukünftiger Geschäftspartner? Seitdem er die Stelle verloren hat, scheint er ständig auf der Suche nach lukrativen Geschäftsmodellen zu sein.« Durch den Trinkhalm schlürfte er lautstark den Rest aus der Flasche. »Wer weiß, womöglich ist ihm endlich das Geschäft seines Lebens über den Weg gelaufen. Und das in der Reha!«
Dominik schob die Küchengardine ein Stück zur Seite. Da parkte schon wieder dieser Leichenwagen vor dem Haus der Nachbarn. Tatsächlich schoss Frau Horstkötter gerade quicklebendig um die Ecke. Einen Augenblick später klingelte es.
Frau Horstkötters Hornbrille war beschlagen. »Morgen, Herr Domeyer. Ihre Frau hat ihren Wagen in der Einfahrt stehen lassen.« Sie schenkte ihm ein reizendes Lächeln.
Anfang des Jahres hatte er für sie eine Privatführung durchs Präsidium organisiert als Dank für eine entscheidende Zeugenaussage. Seitdem hatte er einen Stein bei ihr im Brett.
»Schon verstanden.« Er nahm die Autoschlüssel vom Haken und folgte ihr. Er räusperte sich. »Wie geht's denn Ihrer Mutter?«
»Gut! Danke!« Frau Horstkötter eilte mit schnellen Schrittchen der Garage zu.
Offenbar hatte der Leichenwagen nichts mit den Nachbarn zu tun. Die hochbetagte Oma Horstkötter müsste demnächst ihren Hundertsten feiern, wenn er sich nicht irrte. Er fuhr Bettys Twingo aus der Einfahrt. Frau Horstkötter dankte es ihm mit einem Handzeichen, bevor sie mit ihrem Micra davonbrauste.
Als er zurückkam, bediente sich Robin gähnend an der Kaffeemaschine.
»Robin, dieser Leichenwagen .«
Robin inspizierte den Kühlschrank. »Das ist nur Gevatter Tod.«
»Wer bitte?« Mit dicken Küchenhandschuhen öffnete Dominik die Backofentür, Hitze schlug ihm entgegen.
»Lissas Freund. Ich nenne ihn so, weil er immer mit diesem Wagen fährt. Eigentlich heißt er Erik.«
»Ihr Freund? Sie hat einen . Aha? Macht der eine Ausbildung beim Bestatter?«, fragte Dominik.
»Nö. Das ist mehr so sein Stil. Erik aus Drähsden. Du, dieses Brötchen .«
Dominik ließ das Brötchen, das er in den Handschuhen barg, auf Robins Teller fallen. Durch das Küchenfenster sah er seine Tochter auf den Leichenwagen zulaufen. Die steifen, schwarzen Locken, die sie am Hinterkopf hochgesteckt hatte, wippten. Ein bleicher Jüngling im schwarzen Ledermantel entstieg dem Auto. Eine Art Hahnenkamm aus hellblonden Zacken zierte seinen Kopf, die Seiten waren ausrasiert.
»Dresden, sagt du?«, murmelte Dominik.
»War es nü Leipzsch ödder Drähsden?«
»Das ist doch wohl kein Neonazi?«
»Der ist harmlos«, erklärte Robin. »Nur schüchtern. Der ist auch in der Goth-Szene. Hängen auf Friedhöfen rum und so.«
Lissa umhalste den blassen Herrn vom anderen Stern, und sie küssten sich stürmisch, ohne dass einer seiner Haarzacken ins Wanken geriet. Dann sprintete Lissa um den Wagen herum und stieg ein, bevor das Gefährt mit...
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