Schweitzer Fachinformationen
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Der Morgen dämmerte herauf und tauchte die Dächer der Stadt in blutrotes Licht. Margret Lückner lag in ihrem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Sie gähnte so heftig, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, und warf einen Blick auf den Wecker: Er würde bald klingeln, also konnte sie genauso gut aufstehen. Seufzend warf sie die Decke ab. Seit halb vier hatte sie sich schlaflos im Bett herumgewälzt. Sie riss die Fenster auf, um die dumpfe Wärme aus ihrem Schlafzimmer zu vertreiben. Es schien ein sonniger Sommermorgen wie jeder andere zu werden. Sie ahnte nicht, dass es ihr letzter sein würde.
Ihr Yorkshire-Terrier wackelte zur Tür herein und sprang auf das Bett, um an den zerwühlten Laken zu schnüffeln. Roch er neben Schweiß auch den Gestank fruchtloser Grübeleien? »Runter, Orlando!«, rief Margret.
Der Terrier sprang davon, fegte dabei Wasserglas und Schlaftabletten vom Nachttisch. Sie sammelte die Scherben auf und warf sie samt der halbvollen Tablettenschachtel in den Mülleimer in der Küche. Die Tabletten wirkten sowieso nicht.
Gähnend befüllte sie die Kaffeemaschine, der Kaffee lief röchelnd durch, sein tröstlicher Duft breitete sich in der Küche aus. Nichts half, weder Hörbuch, noch progressive Muskelentspannung. Dabei hatte sie bis vor zehn Tagen noch geschlafen wie ein Baby. Die größte Aufregung in ihrem Leben hatte darin bestanden, dass einmal die Klimaanlage in ihrer Privatbibliothek ausgefallen war. Über Derartiges konnte sie jetzt nur noch müde lächeln. Sie riss die Kaffeekanne aus der Maschine, der Rest Kaffee verdampfte zischend auf der Warmhalteplatte. Gierig trank sie die erste Tasse.
Wieder musste sie an dieses »klärende Gespräch« denken. Wie kannst du mir so etwas unterstellen? Eine Ungeheuerlichkeit, in der Tat. Sie war einen Moment lang unsicher geworden. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr hatte sich ihr Bauchgefühl zur Gewissheit verdichtet. Orlando wackelte zögernd näher, sah mit traurigen Augen zu ihr auf. »Schon in Ordnung, mein Guter.« Sie beugte sich zu ihm, kraulte ihm den Nacken. Was hatte sie von diesem Gespräch erwartet? Sie war zu naiv an die Sache herangegangen. Und . womöglich nicht nur an diese Sache? Ihre Hand verharrte in Orlandos langem Fell. Der Lärm des Berufsverkehrs drang von der Werther Straße durch das geöffnete Fenster.
Margret blinzelte in der grellen Morgensonne, ein Stechen über ihrem Ohr kündigte Kopfschmerzen an. Das gleißende Sonnenlicht fiel auf die Bodenfliesen, die Küche wurde mit einem Mal zum überbelichteten Foto in hellen, künstlichen Farben. Orlando, der Küchentisch, die Kaffeekanne, alles schien sich von ihr zu entfernen, das Bild wurde kleiner, als führe sie rückwärts durch einen Tunnel. Weiße Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie stützte sich auf der Anrichte ab, ließ sich dann auf einen Stuhl fallen. Ruhiger atmen, dachte sie, ruhiger .
Nach einer Weile verschwanden die hellen Punkte. Der Kreislauf. Sie brauchte ein ordentliches Frühstück, dann würde die Welt schon anders aussehen. Und immerhin hatte sie den Brief vor ein paar Tagen auf den Weg gebracht. Sie überlegte, was sie damit auslösen könnte. Schlimmstenfalls . aber nein, es gab keinen anderen Weg. Für alle Fälle hatte sie mehrere Abzüge des Fotos gemacht, Vergrößerungen, die alles deutlich zeigten. Mehr würde sie vorerst nicht tun.
Genau fünfundzwanzig Minuten später trat Margret Lückner aus ihrer Haustür. Die Arbeit in der Unibibliothek wartete auf sie, und sie war trotz der Müdigkeit froh über dieses Stück Normalität. Heute stand unter anderem eine Rezension für Buch und Bibliothek an. Auf dem Weg zur Garage zog sie ihre dünne Strickjacke aus. Auf die tropische Nacht folgte ein heißer Tag. Die Nachbarn hatten alle Fenster geöffnet, kein Lüftchen bewegte die zurückgezogenen Gardinen.
Sie tippte den Code in das Tastenfeld neben dem Garagentor ein und wollte das Tor hochfahren, aber es kam eine Error-Meldung. Sie zog die Brauen zusammen. Das war ihr noch nie passiert. Wohl der Schlafmangel. Ungeduldig tippte sie ein zweites Mal. Wieder Error. Was war heute bloß los mit ihr? Beim dritten Mal durfte sie sich nicht vertippen, sonst blieb das Tor zu! Sie konzentrierte sich bewusst auf die Zahlenkombination und drückte auf Open. Das Tor fuhr summend hoch. Sie seufzte vor Erleichterung.
Der vertraute Geruch nach Staub, Gummi und Benzin drang in ihre Nase. Der graue Mercedes schimmerte matt im Halbdunkel. Sie entriegelte den Wagen, trat zur Fahrerseite, als etwas unter ihren Schuhen knackte. Sie hob eine Scherbe auf. Woher kam die denn? Die Scheiben des Wagens waren intakt. Sie schaute sich um und . ah, die Fensterscheibe an der rückwärtigen Garagenwand war zerbrochen! Wie oft hatte Rudolph ihr schon versprochen, sich um das Vergittern dieses Fensters zu kümmern?! Sie presste die Lippen aufeinander. Aber dann waren wie immer andere Dinge wichtiger für ihren Mann gewesen. Welche, das wusste sie ja inzwischen!
Sie würde sich also selbst darum kümmern. Verrückt, sie hatte sich damit zurückgehalten, um ihm nicht das Gefühl zu geben, dass sie in allem die Macherin war. Großer Gott, worüber sie sich den Kopf zerbrochen hatte. Damit war nun Schluss!
Sie ließ ihren Blick über das Regal schweifen, über den Stapel Winterreifen, die beiden Fahrräder . es schien nichts zu fehlen, nicht einmal der Grill neben dem Fenster. Sie wischte ein paar Scherben von seiner Edelstahlhaube. Vermutlich waren es diese Jugendlichen gewesen, die abends auf dem Parkplatz am Johannisberg herumlungerten und sich wohl aus lauter Langeweile einen Spaß daraus gemacht hatten, die Scheibe einzuwerfen.
Doch eines der Fahrräder lehnte in einem anderen Winkel an der Wand. Der Fahrradständer schwebte einen Zentimeter über dem Boden. Mit einem Mal fühlte sie sich beobachtet. Die feinen Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf. Aber da war niemand, oder? Bestimmt war sie nur übermüdet. Wie konnte sie so sicher sein, dass das Fahrrad gestern noch anders gestanden hatte? Sie schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf ihre Uhr. Schon so spät? »Diese Teenies!«, sagte sie laut und stieg in ihr Auto.
Margret fuhr den Mercedes in die Morgensonne, ließ ihn im zweiten Gang die kurze Einfahrt hinunterrollen, die direkt auf die steile, abschüssige Straße führte. Der neue Nachbar trat mit einem Aktenkoffer aus seiner Haustür und winkte ihr zu. Sie hob grüßend die Hand, legte den dritten Gang ein und gab behutsam Gas. Normalerweise brauchte sie das nicht, weil der Wagen allein durch das Gefälle beschleunigt wurde, aber sie hasste es, unpünktlich zur Arbeit zu kommen. Die junge Frau, die mit ihrem Kinderwagen die Straße überqueren wollte, musste warten, ebenso wie der Radfahrer, der im Begriff gewesen war, vom Bürgersteig auf die Straße zu wechseln, und nun mit einem kläglichen Quietschen anhielt. Der Mercedes wurde rasch schneller.
Zu schnell. Sie trat auf die Bremse. Nichts passierte! Der Schock war wie ein Stromstoß. Sie trat noch einmal mit aller Kraft bis zum Anschlag, versuchte es mit Stotterbremse, riss die Handbremse hoch. Nichts! Der Wagen raste auf die stark befahrene Querstraße zu. Margret schrie, riss das Steuer herum, prallte am Bordstein ab, schoss auf ein Auto zu, das auf der Vorfahrtstraße fuhr. Sie verfehlte es um Haaresbreite. Einen Moment später krachte ein nachfolgendes Auto in den Mercedes, sie wurde nach vorne geschleudert, der Airbag nahm ihr die Luft. Das schrille Hupen des Lieferwagens auf der Gegenfahrbahn der Werther Straße war das Letzte, was Margret Lückner in ihrem Leben hörte.
Irgendwo knatterte ein Rasenmäher, dann herrschte Stille. Kommissar Domeyer holte sich eine Fassbrause aus dem Kühlschrank, öffnete die Flasche und wollte gerade ansetzen, als das Telefon klingelte. Er ging mit der Flasche in den Flur und nahm ab.
»Hier Betty.«
»Betty? Willst du mit Robin sprechen oder .«
»Mit dir!«
Er konnte seine Überraschung nicht verbergen. Seit ihrem Auszug hatten seine Ehefrau und er kaum miteinander geredet. »Aha?«
»Ich wollte nur fragen, ob ihr schon das Flugticket und die anderen Unterlagen bekommen habt.«
»Wir?«
Betty stöhnte. »Unsere Tochter! Du weißt genau, was ich meine. Ihr Ticket müsste längst da sein! Lissa hat mich gestern deswegen angerufen.« Es klang vorwurfsvoll.
Dominik nahm einen langen Zug aus der Flasche.
»Dominik, bist du noch dran?«
»Sicher, ich hab nur gerade was getrunken. Ist ziemlich heiß heute.«
»Ja ja, was ist denn nun mit dem Ticket?«
Er hatte den Umschlag erst vor zehn...
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