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Samstag, 15. Dezember
Bis zu diesem Moment hatte Robin Domeyer sich für den glücklichsten Menschen in dieser Spießerstadt gehalten. Er hatte nicht mehr davon geträumt, nach seinem 18. Geburtstag aus Bielefeld wegzugehen nach Hamburg oder Berlin, oder wenigstens von zu Hause auszuziehen. Hatte die Fifty-something-Nachbarin mit der Helmfrisur und der Steppbett-Jacke gegrüßt und der irritierten Dame das Gartentor aufgehalten, damit sie ihr Nikolaus-auf-dem-Schlitten-Lichtschlauch-Gedöns in den Garten schleppen konnte. Hatte in seinem Zimmer freiwillig Staub gesaugt, weil Anna ihn heute das erste Mal zu Hause besuchte. Bisher hatten sie sich immer nur bei Freunden mit einer eigenen Wohnung getroffen.
Würde sich Anna bedrängt fühlen, wenn er sie jetzt schon seinen Eltern vorstellte? Übrigens, das ist Anna, meine Freundin. Konnte er das machen? Zwischen ihnen war es ja noch gar nicht ausgesprochen, obwohl es sich so anfühlte.
Beim Schrillen der Klingel um zwanzig nach drei sprang er die Treppenstufen hinunter, damit niemand aus seiner Familie ihm zuvorkam. Er riss die Tür auf und lotste sie nach oben in sein Zimmer. Problem umgangen.
Anna strahlte ihn an, umarmte ihn lange. Alles fühlte sich warm und leicht an - bis zu dem Moment, in dem sie ihm eröffnete, dass sie diesen alten Knacker wiedertreffen werde. Ein letztes Mal. Natürlich wäre es vorbei mit dem. Der wolle nur eine Aussprache. Angeblich.
Jetzt lagen sie eng nebeneinander auf seinem Bett, Robin auf dem Bauch, Anna auf dem Rücken. Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und lächelte ihn an. Der alte Scheißkerl!
»Guck nicht so finster!«, sagte Anna und strich sanft über seine Wange.
Robin wollte ihr nicht zeigen, wie viel Angst er hatte, sie zu verlieren. »Sei nett zu Frau Horstkötter«, sagte er.
»Was?« Anna lachte. »Hör auf zu kitzeln, Robin!« Sie presste die Arme eng an die Rippen, wand sich, rutschte ein Stück von ihm weg. Annas Kopf hing jetzt über der Bettkante, sie legte ihn in den Nacken, ihre langen, goldbraunen Haare fielen auf den Teppich.
»Unsere krasse Nachbarin«, erklärte Robin. »Das sagt meine Mutter immer: Sei nett zu Frau Horstkötter. Die Horstkötter auf ihrem Beobachtungsposten. Die könnte direkt beim BND anfangen. Wenn ihre Beschwerdeliste voll ist, dann muss mein Vater wieder rüber zu der, um sich für seine missratenen Kinder zu entschuldigen.«
»Missraten! Das passt!« Anna lachte.
Sie wehrte seine Hände ab, bis er eine Hand unter ihren Strickpullover schob, seine Finger strichen über die Grube zwischen ihren zarten Hüftknochen und dem flachen Bauch.
»Ist sie das?« Anna starrte das Bild an der Wand an. »Deine Familie?«
»Hm.« Ihr Bauch war warm und weich.
Sie wälzte sich herum. Eine Strähne fiel ihr übers Gesicht. Sie blies sie fort. »Tolles Foto. Wie aus dem TUI-Werbeprospekt.«
»Das war vor einem Jahr an der Ostsee. Betty, meine Mutter, hat die Fotos in unsere Zimmer gehängt. Ich konnte sie nicht davon abhalten.«
Der kitschige Rahmen, auf dem Muscheln und kleine Seesterne auf hellblauem Grund prangten, war ihm peinlich.
»Und das ist dein Vater auf dem Foto?«
»Hm.«
»Sieht gut aus.«
»Stehst du auf alte Knaben, oder was?« Er biss sich auf die Lippen.
»Blödmann!« Sie streckte ihm die Zunge raus, auf der eine kleine Stahlkugel glänzte. Sie sah genauso aus wie Annas Nasenstecker.
»Sorry. Hey, komm doch mal her.« Robin griff in ihr Haar, zog ihren Kopf leicht zu sich heran.
»Ich bin doch da.« Sie schaute ihn mit ihren offenen, blauen Augen an, wobei sie abwechselnd das eine und das andere Auge fixierte.
»Wirklich?« Er spürte sein Herz schlagen. Irgendwo auf dem Weg zum Hals.
Sie lächelte nur. Robin küsste sie ganz zart, dann heftiger. Es fühlte sich beängstigend gut an mit Anna. Er umarmte sie fest, würde sie einfach nicht mehr loslassen. Was wollte dieser Typ denn noch von ihr? Der war doch sowieso viel zu alt für sie!
Nach einer Weile schob sie ihn von sich. »Ich muss los. Wir wollen doch heute den Flyer für die Demo fertigmachen.«
»Jetzt schon?« Seine Stimme klang heiser. Er räusperte sich, tastete nach seiner Brille, fand sie unter einem Kissen und setzte sie auf. »Wenn du es genau wissen willst, mein Vater ist ein Bulle.«
Annas Nase krauste sich. »Wie jetzt? Etwa so einer, der die Castor-Transporte schützt?« Sie nahm das Bild noch einmal in die Hand.
»Nee, der ist bei der Kripo. Comissario Dominik Domeyer. Und er findet unseren Überwachungsstaat ganz toll.«
»Krass! Obwohl - aus deren Sicht vielleicht verständlich. Kannst du mal lüften? Die Luft ist schlecht.«
Robin stand auf und öffnete das Fenster. Er spürte die feuchte Kühle des Dezembertages auf seinem Gesicht und zitterte kurz. In den kahlen Ästen des Pflaumenbaums vor der Dachterrasse schaukelten Bettys Meisenknödel im Wind. Eine Elster setzte sich auf einen Ast und die beiden Kohlmeisen flatterten auf. Ein Stück hinter dem Garten rumpelte eine Straßenbahn vorbei. Das Senne war im Nebel mehr zu erahnen, als zu lesen.
»Und das da ist Lissa?«
Er wandte sich um. Anna hatte sich aufgesetzt, band nachlässig ihr dickes Haar am Hinterkopf zusammen.
Robin setzte sich neben sie. »Lissa, meine Goth-Schwester.«
»Sieht gar nicht so aus.«
»Ist ziemlich neu, ihre schwarze Phase.« Robin grinste. »Bevor meine Eltern das schnallen, ist es wieder vorbei.«
»Betty, Dominik, Lissa und Robin am Meer, wie süß. Und alle in weißen Klamotten wie Mitglieder einer Sekte. Eine Sekte des Frohsinns .«
Anna kreischte, als er sich auf sie warf.
Er wusste nicht, wie lange sein Bruder Nils schon in der Tür gestanden hatte, als er die erhitzte, immer noch lachende Anna losließ. »Kannst du nicht anklopfen?«, blaffte Robin seinen Bruder an.
»Ich habe geklopft.« Nils warf einen Blick auf Anna. »Kühl hier.«
Sie blies sich das Haar aus der Stirn und starrte mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.
»Nils - Anna.« Robin verschränkte die Arme. »Was gibt's?«
Nils lächelte. »Schön, dich kennenzulernen, Anna.«
Robin verdrehte die Augen. Sie lächelte unverbindlich zurück.
Nils stieg übertrieben vorsichtig über die Dinge, die auf dem Teppich lagen: Annas Rucksack, ihre Jacke, Robins Palästinensertuch, zwei Aktenordner und ein Schälchen mit Vanillepudding, auf dem sich eine grünlich-weiße Schicht gebildet hatte.
Behutsam schloss Nils das Fenster. »Nicht, dass sich noch einer den Tod holt.«
»Was willst du?«
»Weißt du, wo mein roter Pullover ist?«
»Welcher rote Pullover?«
»Der von Boss.«
»Keine Ahnung. Ist das wichtig, dass da Boss draufsteht?«
Anna kicherte.
»Du Armer«, machte Robin weiter. »Hast du nur einen Pullover? Nimm dir einen von mir. Du, ich hab mehr als einen. Nimm einfach mit, was du haben willst.«
Anna hielt sich die Hand vor den Mund. Ihr Gesicht rötete sich.
Nils verzog keine Miene. »Du hast ihn dir nicht zufällig ausgeliehen?«
»So ein Pullover ist natürlich total wichtig, aber ich hab ihn nicht, okay?«
»Schon gut, schon gut. Es hätte ja sein können, dass der sich hier irgendwo .« Nils ließ seinen Blick über Robins Bücher-, Papier- und Klamottenstapel gleiten.
»Nee, hier ist er nicht«, sagte Robin. »Und tschüss.«
Nils holte einmal tief Luft und atmete schwer wieder aus. »Sag mir bitte Bescheid, falls doch. Wiedersehen, Anna.«
»Tschau, Nils.«
Leise schloss sich die Tür hinter ihm. Die beiden blickten sich an. Anna prustete los.
»Der von Boss«, äffte Anna Nils mit gezierter Stimme nach.
»Das war Superbruder.« Robin grinste. »Traum aller Schwiegermamas.«
»Hat Superbruder das Super-Foto geschossen?«
»Nee, er war zu der Zeit mit seinen...
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