Schweitzer Fachinformationen
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Jene von uns, die die Wahrheit fürchten und
sich der Realität verschließen,
haben den Sinn des Lebens nicht begriffen.
Rob Thistleton, Lass los und lebe
Ruby, April 2013
»Hoppla, was ist denn das?«
Eine Sekunde stockte mir das Herz, als ich in meinem unaufgeräumten Schlafzimmer neben dem Fenster stand. Das erste Morgenlicht erhellte den Himmel. In einer Hand hielt ich das maßgeschneiderte graue Armani-Jackett, das mein Freund getragen hatte, als er gestern Nacht gekommen war.
In der anderen hatte ich ein Wäschestück aus schwarzer Spitze, einen winzigen, sexy BH mit Spaghettiträgern und einem kleinen goldenen Hufeisen als Verzierung zwischen den Körbchen. Er hatte in Robs Jacketttasche gesteckt. Nicht dass ich herumgeschnüffelt hätte. Er hatte das Jackett neben dem offenen Fenster aufgehängt, vermutlich, um es zu lüften, während er unter der Dusche stand. Ein Hauch von Rauch war mir aufgefallen. Zigarettenrauch, dachte ich verwundert, denn normalerweise war das Rauchen in Robs Praxisräumen nicht gestattet.
Seine Stimme drang durch die Badezimmertür. Er sang Rhinestone Cowboy, das fand ich merkwürdig. Ich kannte Rob seit etwa drei Jahren, und in all der Zeit war mir nie aufgefallen, dass er ein Fan von Glen Campbell war. Vielleicht hatte das meine Neugier geweckt. Rob hörte ausschließlich klassische Musik. Brahms, Mozart, Liszt. In entsprechender Stimmung kramte er auch schon mal eine Aufnahme von Schostakowitsch hervor. Ich hingegen schwärmte für Folk aus den Siebzigerjahren, eigentlich alles, was aus den Siebzigern stammte, und wusste, dass er das für schrecklich primitiv hielt. Ich hatte ihn schon lange gedrängt, nach etwas zu suchen, das uns beiden gefiel, sodass wir Kompromisse machen und uns in der Mitte treffen konnten - aber Glen Campbell? Zu jeder anderen Zeit wäre ich beeindruckt gewesen.
Ich sah den BH an und runzelte die Stirn.
Rob könnte ihn für mich gekauft haben. Doch das wäre absurd gewesen - ich hatte Kurven, und nicht zu knapp. Niemand mit einem Funken Verstand hätte gedacht, dass mir ein so winziges Teil passte.
Mein Herz zog sich zusammen. Wem machte ich da was vor? Als mich die schmerzhafte Erkenntnis durchfuhr, versuchte ich, sie zu unterdrücken, indem ich ganz still stand. Ich hielt den Atem an. Ich durchforstete mein Hirn nach einer anderen, weniger grausamen Erklärung, fand aber keine.
Das Prasseln in der Dusche brach ab. Rob polterte pfeifend im Badezimmer herum und trocknete sich ab. Ich malte mir aus, wie ich hineinging und fragte, was er gestern Abend wirklich gemacht hatte, aber dann lähmte mich die Angst. Was, wenn er zugab, dass er eine andere Frau kennengelernt hatte; was, wenn er mit mir Schluss machte?
Der hauchdünne BH baumelte von meinen Fingern wie ein totes Kätzchen.
Ich schnüffelte. Definitiv Zigarettenrauch. Und Parfüm - Poison von Christian Dior. Ich kannte es gut. Auf meiner Frisierkommode stand eine große violette Flasche davon. Ich hatte es nur ein oder zwei Mal benutzt, Rob zuliebe. Er hatte es mir geschenkt, kurz nachdem wir uns über den Weg gelaufen waren. Hübsch verpackt, mit einem glitzernden Kärtchen, auf dem stand: Danke für die glücklichsten drei Monate meines Lebens.
Unsere ersten Monate waren tatsächlich wunderbar gewesen. Ich war im siebten Himmel. Die meiste Zeit meines erwachsenen Lebens hatte ich als Single verbracht und mich insgeheim dafür geschämt. Ich war dreißig, und während meine Freundinnen heirateten und Kinder in die Welt setzten, hatte ich meinen Traum wahr gemacht. Jedenfalls war das meine Rechtfertigung gewesen. Die Leute fragten ständig, wann ich endlich zur Vernunft käme, einen netten jungen Mann kennenlernen und eine Familie gründen würde. Ich hatte nie den Mut aufgebracht, ihnen zu sagen, dass ich mir aus Kindern und Ehemännern nichts machte, also schwafelte ich irgendetwas über Karriere, die Wunder der modernen Medizin und dass Frauen heutzutage noch mit vierzig Mütter werden könnten.
Ich starrte auf den BH, dann auf die Tür. Dahinter pfiff der Mann, den ich liebte, immer noch vor sich hin, und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde einsamer.
Bis ich Rob kennenlernte, war mein kleiner Buchladen mein ganzes Leben gewesen. Ich hatte hart gearbeitet, um ihn aus dem Nichts aufzubauen. Hatte wie verrückt gespart und mit der Präzision eines Militärstrategen einen Plan ausgeheckt. Es war das, was mir am meisten lag, und irgendwie hatte sich alles von selbst ergeben. Natürlich bestellte ich die neuesten Bestseller, aber die meisten Bücher im Laden waren gebraucht, und ich hatte auch Musik-CDs und Audiobücher, um das Sortiment etwas aufzupeppen. Mit einer Handvoll Stammkunden hatte ich mich im Lauf der Jahre angefreundet. Auf diese Weise kannte ich viele Leute, allesamt Bücherwürmer, die genau wie ich nichts schöner fanden, als nach einem guten Essen am Tisch zu sitzen, Rotwein zu trinken und stundenlang über Bücher zu reden.
Damals hatten diese Abendessen mit Bücherfreunden meine Einsamkeit auf Abstand gehalten. Auch der Laden war dabei behilflich gewesen. Und trotzdem hatte es Tage gegeben, an denen ich aus dem Schaufenster auf den sonnenüberfluteten Fußweg blickte und prüfend die Passanten musterte. Viele gut aussehende Männer waren darunter, aber sie sahen alle so aus, als wären sie in festen Händen oder schwul und als hätten sie es zu eilig, um einen Blick in meinen Buchladen zu werfen. Nur selten ging ich aus; hin und wieder gab es eine Verabredung, doch daraus hatte sich nichts ergeben, was länger als die üblichen drei Wochen dauerte.
Bis ich Rob begegnete.
Das Foto auf dem Cover seines ersten Bestsellers Lass los und lebe hatte mir auf Anhieb gefallen. Sein Lächeln war breit und freundlich, und er selbst strahlte etwas Robustes und Jungenhaftes aus. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen und wollte ihn kennenlernen, also kam ich auf die Idee, eine Signierstunde in meinem Buchladen zu organisieren.
Zu meiner Überraschung sagte er zu.
Die Signierstunde war ein voller Erfolg, und anschließend war Rob auf ein Glas Wein geblieben. Leibhaftig sah er noch besser aus als auf dem Bild, er war groß, schlank und tadellos gekleidet. Natürlich war er nicht vollkommen, links neben der Nase hatte er eine Narbe, und das dünne Haar war ganz kurz geschnitten. Doch seine Art zu sprechen und seine geradezu hypnotisierende Aufmerksamkeit entwaffneten mich.
Wenig später verabredete er sich mit mir.
»Ruby?«
Ich zuckte zusammen, stopfte den BH in die Tasche des Morgenmantels und sprang zurück ins Bett.
Als die Badezimmertür aufging, quollen Dampfwolken ins Schlafzimmer. Mittendrin stand Rob mit feucht glänzendem Körper, auf seinen Brusthaaren glitzerten Wassertropfen. Er sah aus wie das perfekte Model für Herrenunterwäsche, allerdings trug er keine.
»Bist du immer noch nicht angezogen?« Seine Stimme klang sanft, hatte aber einen leicht irritierten Unterton. »Denk dran, wir wollen pünktlich los.« Er griff nach hinten, um die Tür herum, nach einem frischen Handtuch und rubbelte sich den Kopf trocken. »Ich finde mein Aftershave nicht, hast du es vielleicht verlegt?«
»Ich . äh, ich habe geputzt. Es ist im .«
Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter. Der BH wollte mir partout nicht aus dem Kopf. Frag ihn jetzt. Verlang eine Erklärung. Mein Mund öffnete sich, und die Frage nahm in meinem Geist Gestalt an, doch ich brachte die Worte nicht über die Lippen.
Hast du eine Affäre?
»Schon gut«, sagte Rob, und ich glaubte, dass ich ihn seufzen hörte. »Wirklich, Schatz, ich wünschte, ich dürfte dir endlich eine Haushaltshilfe besorgen. Oder zumindest einen dieser Organisationsexperten. In deinem Chaos könnte man glatt verloren gehen und nie wieder auftauchen.«
Er zwinkerte mir zu, es war nur Spaß, und ich quälte mir ein Lächeln ab. Doch meine Finger verhedderten sich in den Spaghettiträgern; das Gummiband wurde immer straffer und schnürte mir das Blut ab.
»Rob«, sagte ich, verlor jedoch erneut den Mut. Jetzt war nicht der richtige Augenblick. Ich lag im Morgenmantel im Bett, mein Gesicht war ungeschminkt, das Haar zerzaust, und lange Strähnen klebten an meinem feuchten Hals. Schlimmer noch, meine Brüste, Schenkel, Bauch und Hintern kamen mir plötzlich geradezu überdimensional vor. Mir wurde schwer ums Herz. Plötzlich erschien mir die Vorstellung einer Konfrontation beängstigend - vor allem, wenn es um eine puppenartige Rivalin ging. Ich musste warten. Warten, bis mein Herz zu hämmern aufhörte und ich vernünftig reden konnte. Warten, bis ich mich zurechtgemacht hatte. Bis ich Rob aus einer sicheren Position heraus damit konfrontieren konnte.
»Was ist denn los, Liebling?« Rob band sich die Krawatte vor meinem großen Spiegel und konzentrierte sich auf seine äußere Erscheinung.
»Glaubst du .« Ich räusperte mich und versuchte es erneut. »Glaubst du, dass sie sich freuen wird, mich zu sehen? Ich meine, Mum.«
Rob sah mich im Spiegel an. »Sie hat dir eine Einladung geschickt, oder etwa nicht?«
»Ja, schon.«
Ich vergrub mich tiefer in den Kissen, als wollte ich darin verschwinden. Es hatte mich gewundert, dass meine Mutter mir eine Einladung zu ihrer neuen Ausstellung in Armidale geschickt hatte. Mum und ich hatten uns nie nahegestanden, nicht einmal, als meine Schwester Jamie noch lebte. Nach Jamies Tod hatte ich die erstbeste...
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