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18. März 1990, Boston
Dorothy saß auf dem Beifahrersitz eines roten Dodge Daytona und trommelte mit den Fingern auf ihr Bein. Roman war gefahren. Jetzt lehnte er gegen die Fahrertür und starrte durch die Windschutzscheibe auf die dunklen Straßen der Stadt.
Der Innenraum des Autos war nicht besonders einladend. Die Luft fühlte sich abgestanden an und roch nach alten Pommes und Benzin. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Heizung hochzudrehen, und die Kälte kroch durch die Fenster, sodass Dorothy eine Gänsehaut bekam.
Oh, und das Radio funktionierte nicht. Wenn sie Musik hören wollten, mussten sie die Kassette abspielen, die im Kassettendeck feststeckte, eine Single von Paula Abduls »Cold Hearted«. Während der letzten Tage hatten sie sie bereits mindestens fünfzig Mal gehört.
»He's a coldhearted snake«, dachte Dorothy und spielte das Lied in ihrem Kopf ab. Sie musste es laut vor sich hin gesummt haben, denn Roman sah sie irritiert an.
Sie warf einen Blick auf das Armaturenbrett, als die roten Zahlen von 1:18 Uhr auf 1:19 Uhr sprangen.
Durch den Rückspiegel beobachtete sie die Straße hinter ihnen. In einem Wohnhaus ein paar Blocks weiter hinten hatte eine Party zum St. Patrick's Day stattgefunden, aber die meisten Gäste waren inzwischen gegangen. In den letzten zwanzig Minuten war die Haustür nicht mehr geöffnet worden. Jetzt war die Straße leer und Regen glänzte auf dem Asphalt.
Ihr Puls beschleunigte sich. Sie atmete tief und langsam ein und rümpfte die Nase wegen des Pommesgeruchs.
»Es ist so weit«, sagte sie und packte den Türgriff.
Roman warf ihr einen Seitenblick zu. »Bring zuerst deinen Schnurrbart in Ordnung.«
Dorothy verdrehte den Spiegel, sodass sie ihr Gesicht sehen konnte. Der falsche Schnurrbart prangte auf ihrer Oberlippe und war Teil ihrer Verkleidung, aber dieses verdammte Ding wollte einfach nicht halten.
Sie drückte ihn fest und schnitt ein paar Grimassen, als der Kleber wieder seinen Dienst tat. Die Haut über ihrer Lippe juckte. »Besser?«
»Du bist zu hübsch, um als Mann durchzugehen«, sagte Roman, während er sie betrachtete.
Ihr Mund verzog sich unter dem Schnurrbart und lockerte ihn erneut. Es war ein Scherz, mehr oder weniger. Sie war einmal hübsch gewesen. Aber dann war sie aus einer Zeitmaschine gefallen und in einem Tunnel durch Zeit und Raum gezogen worden. Ihre Haare hatten sich weiß verfärbt, und ein loses Maschinenteil hatte ihr das Gesicht zerschnitten und ihr eine bleibende gezackte Narbe verpasst, die sich von ihrer Schläfe über ein Auge, an ihrer Nase entlang bis zu ihrem Mund zog. Niemand würde mehr das Wort »hübsch« verwenden, um sie zu beschreiben.
Jetzt war sie .
Interessant.
»Dasselbe könnte ich von dir sagen«, bemerkte sie. Das war kein Scherz. Roman war hübscher, als es einem Mann erlaubt sein sollte. Er hatte eiskalte blaue Augen, dunkle Haut und zerzauste schwarze Haare, die immer aussahen, als wären sie absichtlich so gestylt, selbst wenn der Wind durch sie hindurchgefahren war und lauter Knoten hinterlassen hatte.
»Touché«, sagte Roman. Er hatte sich für heute Abend extra einen echten Schnurrbart stehen lassen und trug eine unechte Brille mit Goldrand, um älter zu wirken. Jetzt setzte er sie wirkungsvoll ein, ließ sie auf seine Nasenspitze hinabrutschen, spähte über ihren Rand hinweg und zog seine Augenbrauen verführerisch hoch.
Er sah eher aus wie die Filmversion eines Professors als wie ein Polizist.
Die Zeiten, in denen Dorothy sich von Romans gutem Aussehen hatte um den Finger wickeln lassen, waren lange vorbei. Sie machte ein Würgegeräusch, sodass er besorgt die Augenbrauen hob und sein Blick zu seinem Spiegelbild an der Autoscheibe wanderte.
»Übertrieben?«, fragte er und schnippte sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Um ein Uhr morgens in einem leeren Museum wirst du keine Bewunderer finden«, sagte Dorothy.
»Ah, aber sie haben bestimmt Überwachungskameras. Und hast du nicht etwas von einem polizeilichen Phantombild gesagt?«
»Du willst auf einem Phantombild gut aussehen?«
»In der Filmversion dieses Diebstahls soll mich Clark Gable spielen.«
Gegen ihren Willen musste Dorothy grinsen. Niemand konnte ihrem Partner falsche Bescheidenheit unterstellen.
»Du hast da was mit den Daten durcheinandergebracht«, sagte sie und öffnete ihre Autotür. »Clark Gable ist 1960 gestorben. Wir befinden uns im Jahr 1990.« Sie zögerte und tat so, als würde sie nachdenken. »Vielleicht Ben Affleck?«
Roman warf ihr einen mörderischen Blick zu.
Sie stiegen aus dem Auto, überquerten die Straße und blieben vor einem schmiedeeisernen Tor stehen. Ein Backsteinhaus ragte knapp über die Bäume hinweg, kaum mehr als ein dunkler Schatten im Schein der schummerigen gelben Straßenlaternen.
Das Isabella Stewart Gardner Museum, dachte Dorothy und sah zu dem Gebäude hinauf. Sie runzelte die Stirn. Auf den Fotos hatte es viel größer gewirkt.
Ein schwarzer Kasten hing draußen an der Backsteinmauer neben dem Tor. Noch vor einem Jahr hätte Dorothy nicht gewusst, dass es sich dabei um eine Sprechanlage handelte, aber jetzt beugte sie sich näher zu dem Gerät und drückte mit ihrem Daumen auf den Knopf.
Statische Geräusche und dann die Stimme eines Mannes. »Ja bitte?«
»Wir sind von der Bostoner Polizei«, sagte Roman. »Wir sind hier, weil uns eine Ruhestörung im Innenhof gemeldet wurde.«
Kurz hielt er eine kleine goldene Dienstmarke in die Kamera, die, so wie Dorothy es vorausgesagt hatte, über dem Zaun hing. Der Wachmann auf der anderen Seite würde genau das sehen, was sie ihn sehen lassen wollten: zwei Bostoner Polizisten in steifen blauen Uniformen.
Der Summer gab ein wütendes Knurren von sich, das ihr sagte, dass das Sicherheitstor entriegelt worden war.
Ein vertrautes kribbelndes Gefühl von Déjà-vu zog sich über Dorothys Schultern. Sie hatte das Phantombild der Diebe an ihren Spiegel im Fairmont geklebt. Es war ein grobes Bild, aber sie war davon überzeugt, dass sie der Kleinere der beiden war, als Mann verkleidet.
Sie hatte jeden verfügbaren Zeitungsartikel über diesen Einbruch gelesen und in allen stand dasselbe: Man hatte die zwei Diebe nie erwischt.
Was Sinn machte. Wenn die Diebe Zeitreisende waren, konnten sie nie erwischt werden.
Schweigend liefen sie über den Gehweg zum Eingang des Museums. Dorothy warf einen Blick auf die steinernen Panther, die die Eingangstür bewachten, und spürte eine freudige Erregung. Sie hatte sie bereits zuvor auf Fotos gesehen, aber jetzt waren sie hier, direkt vor ihr. Der Rausch, den sie verspürte, wenn Dinge, die sie in Zeitungsartikeln gesehen hatte, plötzlich reale Form annahmen, wurde nie langweilig.
Ohne anzuklopfen, schoben sie die Eingangstür auf und traten ein. Ihre Schritte hallten auf dem Marmor wider. Ein älterer Schwarzer Wachmann stand hinter seinem Schreibtisch. Er war groß, breitschultrig und hatte einen weiß gesprenkelten Bart. Aus misstrauisch verengten Augen sah er sie an.
Das war also Aaron Roberts.
»Ich, ähm, darf eigentlich niemanden hier reinlassen«, sagte Roberts blinzelnd. »Aber Sie sagten, Sie sind von der Polizei?«
Roman nickte. »Sie haben das Richtige getan, Sohn. Uns wurde eine Ruhestörung in Ihrem Innenhof gemeldet und wir müssen das überprüfen. Könnten Sie .«
Roman zögerte und legte seinen Kopf schief. »Also, das ist merkwürdig.«
Der Wachmann zuckte zusammen und warf dann einen Blick über seine Schulter, als erwartete er, dass etwas aus den Schatten hinter ihm auftauchte. »Verzeihung. Was ist merkwürdig?«
»Sie sehen einem Mann, nach dem wir suchen, verteufelt ähnlich.« Jetzt rieb sich Roman das Kinn. Er sah zu Dorothy und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mann. »Sieht er nicht aus wie Dean Morris?«
Der Name war erfunden. Niemand hatte den Namen in einer der Reportagen, einem der Artikel oder Bücher erwähnt, also hatten sie ihn sich ausgedacht. Der Wachmann blinzelte.
»Morris?«, murmelte er.
»Würden Sie bitte hinter dem Schreibtisch hervorkommen und sich ausweisen?«, sagte Roman.
Das war wichtig. Unter dem Tisch befand sich ein Knopf, der den Sicherheitsalarm auslöste. Es war der einzige im ganzen Gebäude. Sobald sie den Wachmann von diesem Knopf weggelotst hatten, waren sie in Sicherheit.
Aaron Roberts trat hinter dem Schreibtisch hervor.
»Ich bin nicht dieser Typ, dieser Dean«, sagte er und holte seine Brieftasche hervor. Er zog seinen Führerschein heraus und hielt ihn Roman entgegen. »Sehen Sie?«
Roman würdigte ihn kaum eines Blickes. »Natürlich nicht.« Er nahm ein paar stabile Handschellen von seinem Gürtel und nickte Richtung Wand. »Nur um sicherzugehen. Stellen Sie sich bitte mit dem Gesicht zur Wand, Mr Roberts. Nur bis wir das alles aufgeklärt haben.«
Der Wachmann drehte sich automatisch um. »Aber ich habe nichts getan.«
»Keine Sorge, Sohn. Solange Sie kooperieren, werden Sie keinen Ärger bekommen.« Roman ließ die Handschellen um Roberts' Handgelenke zuschnappen.
Dorothy musste ein Grinsen unterdrücken. Es amüsierte sie, dass Roman einen Mann, der älter war als er selbst, »Sohn« nannte.
»Was zur Hölle?«, murmelte eine Stimme hinter ihnen.
Wachmann Nummer zwei, dachte Dorothy. Es lief genauso ab, wie sie es gelesen hatte, genauso wie sie es geplant hatte. Es fühlte sich ein bisschen an,...
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