Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1. Kapitel
Schon am nächsten Tag wurde Jo ins kalte Wasser geworfen. Sie band sich eine Schürze um die Taille, und als sie Notizblock und Stift in die Tasche schob, öffnete sich prompt die Tür, und der erste Gast des Tages trat ein.
»Du siehst aus wie die geborene Kellnerin«, sagte Molly. »Auf geht's. Das ist Angie. Keine Angst, sie beißt nicht.«
Mit einem Mal fühlte Jo sich wieder wie ein kleines Mädchen, das sich nicht traute, eine Fremde anzusprechen, und ihr Herz begann zu hämmern. Wo war Gramps überhaupt? Wollte er ihr denn nicht an ihrem ersten Tag unter die Arme greifen?
Zögernd bahnte sie sich ihren Weg zu dem Tisch unterhalb der Tafel mit den Tagesangeboten. An der Pinnwand gleich daneben hingen Ansichtskarten aus aller Welt, die Gäste aus dem Urlaub an das Café geschickt hatten. Jo erinnerte sich noch von früher daran; sie hatte es schon immer geliebt, die Karten zu lesen und sich von der aufgekratzten Urlaubsstimmung anstecken zu lassen.
»Guten Morgen.« Jo versuchte, selbstsicherer zu klingen, als sie sich fühlte, doch dann schalt sie sich selbst. So schwer konnte es doch nicht sein. Als Lehrerin hatte sie tagtäglich mit Kindern gesprochen, ihr Geplapper übertönen und sich Gehör verschaffen müssen. Hier musste sie bloß eine Bestellung aufnehmen, das Gewünschte servieren und ein wenig höfliche Konversation machen. Wo war das Problem?
»Hallo. Wen haben wir denn da?« Angie blickte neugierig auf; das neue Gesicht hatte offenbar ihr Interesse geweckt. Als Jo am Morgen noch im Dunkeln zum Café gegangen war, hatte sie sich gegen eine eisige Brise stemmen müssen, doch die grauen Locken dieser Frau lagen so akkurat am Kopf, als sei sie frisch vom Friseur gekommen. Sie zog Handschuhe und Schal aus und legte sie zu ihrem Mantel auf den Stuhl. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon begegnet sind«, sagte sie und streckte Jo ihre Hand entgegen. »Ich bin Angie.«
Jo schüttelte ihre Hand. »Freut mich sehr. Ich bin Jo, Mollys Enkelin.«
Angie neigte sich zur Seite, um an Jo vorbeizusehen. »Sie ist genau so hübsch, wie du gesagt hast«, rief sie Molly zu.
Jo wurde rot. »Was darf ich Ihnen bringen? Möchten Sie hören, was es heute Besonderes gibt?«
Angie machte eine abwehrende Geste. »Nicht nötig. Ich hätte gerne ein Kännchen Kamillentee und ein Rosinenbrötchen.«
Jo machte sich nicht die Mühe, Block und Stift hervorzuholen, und fühlte sich gleich viel zuversichtlicher. »Kommt sofort.«
Molly, die sich in die Küche zurückgezogen hatte, um Jo die Führung zu überlassen, kam wieder heraus. »Gut gemacht. Als hättest du's gelernt.«
»Danke.«
Jo nahm eine kleine Kanne, Tasse und Untertasse, toastete das Brötchen, das am frühen Morgen frisch gebacken worden war, und stellte alles auf ein Tablett.
»Du lernst schnell«, sagte Molly, als die Türglocke erneut ertönte. Sie begrüßte den Mann, der eingetreten war, mit einem Winken. »Das ist Mark, dein nächster Kunde. Komm, ich bringe Angie das Tablett. Sie liebt ihr Schwätzchen am Morgen.«
Jo wusste sehr gut, dass es Molly genauso ging. Ihre Großeltern besaßen eine gute Portion Geschäftssinn, aber sie waren auch ein Teil der hiesigen Gemeinde und gesellige Menschen. Molly war hier eindeutig in ihrem Element, und Jo konnte sich nicht vorstellen, dass sie und Gramps sich in ihren Bungalow zurückziehen und dort ihren Lebensabend verbringen würden. So waren sie einfach nicht gestrickt.
Jo stellte sich Mark vor, merkte sich seine Bestellung, brachte sie ihm und kassierte, und abgesehen von gelegentlichen beiläufigen Blicken und einer kurzen Hilfestellung mit der Kasse, blieb Molly im Hintergrund und überließ Jo den größten Teil der Arbeit im Café. Es war anstrengend, aber auch aufregend und machte Jo mehr Spaß, als sie seit Jahren als Lehrerin gehabt hatte. Kaum bemerkte sie, wie die Stunden verflogen, bis es auch schon Zeit war, das Café zu schließen.
Nachdem Molly das Schild an der Tür zu »Geschlossen« umgedreht hatte, schnappte Jo sich einen Lappen, um die Tische zu wischen, und stellte die Frage, die ihr schon den ganzen Tag im Kopf umherging. »Wo war Gramps heute eigentlich? Ist er denn sonst nicht immer mit dir hier?«
Molly zögerte, wandte sich ab und öffnete die Kasse, um das Geld darin zu zählen. »Wir dachten, es wäre gut, wenn du heute so viel wie möglich alleine machst, um ein Gefühl für die Arbeit zu bekommen.«
Beinahe hätte Jo ihr die Erklärung abgekauft, aber irgendetwas stimmte nicht. Mit dem Lappen in der Hand trat sie an die Theke. »Gran, hör bitte einen Moment auf. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?« Gramps war ganz aus dem Häuschen gewesen, sie nach so langer Zeit wiederzusehen, aber heute Morgen hatte er noch geschlafen, als sie gegangen waren. Jo war davon ausgegangen, dass er spätestens zur Mittagszeit erscheinen würde, um sich selbst davon zu überzeugen, wie schnell sie sich in ihrer neuen Stelle zurechtfand.
Molly notierte sich den Betrag des gezählten Gelds, dann deutete sie auf einen Tisch und zog beide Stühle hervor. »Setzen wir uns. Es war ein langer Tag.«
Jo tat, wie ihr geheißen, und stellte fest, wie müde ihre Großmutter aussah. Und nicht nur von dem Arbeitstag, den sie gerade hinter sich gebracht hatten. Molly hatte gestern ein munteres Gesicht aufgesetzt und heute ebenfalls, doch vielleicht war Jo erst jetzt, da sie selbst in den Knochen spürte, was sie heute geleistet hatte, in der Lage, die grundlegende Erschöpfung ihrer Großmutter wahrzunehmen.
»Gramps geht es gut«, sagte Molly und tätschelte beruhigend ihre Hand. »Aber ehrlich gesagt brauchen wir nicht nur jemanden, der uns im Café ein wenig aushilft. Wir brauchen jemanden, der es ganz übernimmt - lieber früher als später.«
»Irgendwie habe ich mir das schon gedacht, als du mich anriefst.« Und dass sie nicht Sasha, ihre Tochter und Jos Mutter, angerufen hatten, verstand sich von selbst. Soweit Jo wusste, beschränkte sich ihr Kontakt seit Jahren auf eine Karte zu Weihnachten.
Erleichterung zeichnete sich in Mollys Gesicht ab. »Wir wollten dir keine unnötigen Sorgen machen, aber wir werden älter, und obwohl ich mir gar nicht vorstellen kann, nicht jeden Tag hier zu sein, ist es für Arthur und mich besser so. Was uns bisher davon abgehalten hat, uns zur Ruhe zu setzen, war der Gedanke daran, dass unser Café an Fremde gehen könnte, und ich bin mir nicht sicher, ob ich deinen Großvater hätte überreden können, das hier alles aufzugeben, wenn du nicht eingewilligt hättest, nach Hause zu kommen.«
»Das kann ich verstehen. Schließlich habt ihr den Laden zu dem gemacht, was er heute ist. Aber abgesehen von seiner Müdigkeit - geht es Gramps wirklich gut?«
»Er ist vergangene Woche gestürzt.« Jo richtete sich erschrocken auf, doch Molly winkte ab. »Ein kleines Stolpern, nichts weiter, aber die Ärztin sagt, er muss es in Zukunft ruhiger angehen lassen. Aber du kennst ihn ja. Versuch mal einen wilden Stier zu hypnotisieren, der das flatternde rote Tuch gesehen hat. Dein Großvater hat keine Ahnung, was das Wort >ausruhen< bedeutet. Er ist heute nur zu Hause geblieben, weil du jetzt hier bist.«
Jo lächelte. »Dein Vorschlag kam genau zur rechten Zeit. Ich brauchte bloß einen kleinen Schubs in die richtige Richtung.«
»Tja, ich bin jedenfalls froh, dass wir dir diesen Schubs gegeben haben. Und wenn du mich jetzt nach Hause schubsen könntest, wäre ich dir ausgesprochen dankbar.«
Jo kicherte. »Ich fürchte, dafür fehlt mir die Energie. Komm, Gran. Lass uns aufräumen und gehen. Wir werden heute Nacht gut schlafen.«
Doch als sie abschlossen und sich auf den Heimweg machten, konnten weder Kälte noch Dunkelheit Jos Euphorie dämpfen.
Denn sie war hier, am Meer, wo sie immer schon am liebsten gewesen war. Und dieses Mal war sie diejenige, die jemandem zu Hilfe eilen konnte.
Die ersten zwei Wochen in Salthaven-on-Sea vergingen unglaublich schnell. Die Zeit rauschte vorbei, als wollte sie der Brandung Konkurrenz machen, die man vom Pier aus beobachten konnte. Nicht, dass Jo die Muße gehabt hätte, aus dem Fenster zu blicken, um die größte Attraktion des Ortes zu bewundern: die wunderbare Aussicht auf den Ärmelkanal und die malerische Küste, die sich bis zum Horizont zu erstrecken schien. Von dem Moment, in dem sie das Café betrat, bis zum Feierabend verging der Tag wie im Flug, und während sie sich um die Bestellungen kümmerte, versorgte Molly sie mit Wissenswertem zu jedem Neuankömmling. Für viele schien das Café ein Treffpunkt zu sein. Bis vor einiger Zeit hatte es noch zwei andere Cafés im Ort gegeben, doch seit aus dem einem ein Restaurant und aus dem anderen eine Bäckerei geworden war, war es hier voller denn je.
»Bringst du das bitte an Tisch drei?«, fragte Molly und stellte einen Cappuccino auf ein Tablett neben ein Glas mit frisch gepresstem Orangensaft und einem Teller mit Keksen. Etwas leiser fügte sie hinzu: »Der Mann heißt Ben, der Junge Charlie.«
Jo seufzte. »Nie im Leben werde ich mir all diese Namen merken können.«
»Doch, doch, das kommt noch.«
Jo nahm das Tablett, brachte es an den Tisch und stellte sich vor - was sie inzwischen schon so oft getan hatte, dass es einfacher und zeitsparender gewesen wäre, sich ein Schild um den Hals zu hängen, doch andererseits machte es ihr großen Spaß, all die Leute kennenzulernen, die schon seit Jahren regelmäßig hierherkamen.
»Vielen Dank und hoffentlich bis bald«, sagte sie anschließend zu Peter und Vince, zwei Brüdern, die auf einen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.