Schweitzer Fachinformationen
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Die frühe Sonne beleuchtet abenteuerliche Felsgestalten, mystisch umspielt von Nebelschleiern. Rauschend stürzen Bäche zwischen Klüften hinab in dunkle Täler. An senkrechte, von Flechten bunt gefärbte Felsen klammern sich Moose und Farne, weben einen grünen Pelz. Bizarre Felsnadeln ragen hinauf in den Himmel. Es ist eine Märchenlandschaft, wie nicht von dieser Welt.
Erinnerungen steigen aus dem Dunkel der Vergangenheit in mir auf, und eine Ahnung von Glück erfasst mich. Jahrzehnte sind vergangen, seit ich in diesem zerklüfteten Felsengebirge meine jugendlichen Kletterabenteuer erlebte. So jung war ich, mit der Sehnsucht nach fernen Ländern im Herzen. Ein Kind noch, dennoch bereits mit glühendem Verlangen erfüllt. Über den Horizont hinaus wollte ich wandern, die einschnürenden Grenzen überwinden, ein Leben in Freiheit führen.
Das Klettern im Elbsandsteingebirge gab mir Kraft, meine Träume nicht aufzugeben. In der Natur gewann ich inneren Halt, die schmerzhafte Sehnsucht zu zügeln, mein verzehrendes Begehren zu ertragen, nach der Ferne, nach den Bergen der Welt. Während des Kletterns konnte ich mich ganz dem gewagten Spiel am senkrechten Fels, der artistischen Balance am rauen Gestein hingeben, mit den Füßen Vertiefungen ertasten, Vorsprünge mit den Händen greifen, mich immer höher und höher hangeln und dann - oben am Gipfel angekommen - mich auf den sonnenwarmen Fels setzen, die Beine über dem Abgrund baumelnd, schweigend über die Baumwipfel blicken und weit hinaussehen zu den in der Ferne bläulich schimmernden Höhenzügen des Erzgebirges und den Bergen der Lausitz. In diesen Augenblicken war meine innere Unruhe gestillt, und zugleich fühlte ich mich lebendig wie sonst nie. Das gemeinsame Schweigen mit den Kletterkameraden verband uns, wir mussten nicht über unsere Gefühle reden, hätten wohl auch nicht die Worte dafür gefunden.
Meine Erinnerungen an das Elbsandsteingebirge reichen aber noch weiter zurück, in meine früheste Kindheit, deren Farben jedoch verschwommen sind. Die Konturen sind von Unschärfe verzerrt, die Formen kaum noch sichtbar. Darum kann ich nicht beurteilen, ob ich mich wirklich erinnere oder ob mein Rückblick erst durch die Schwarz-Weiß-Fotos im Familienalbum genährt worden ist. Die Aufnahmen zeigen Wanderungen mit den Eltern. Ich war noch zu klein, um mithalten zu können. Mein Vater hatte einen Tragekorb gebastelt, geflochten aus Weidenzweigen, und ihn sich mit Gurten auf den Rücken gebunden. Darin saß ich, etwa zwei Jahre alt, fröhlich lachend, und streckte meine Hände nach den Felsgipfeln aus.
Andere Bilder zeigen mich, als ich fünf Jahre zählte, mit Alma und Bruno, den Eltern meiner Mutter, bei einem Ausflug auf der Bastei. Schon damals war die Bastei mit ihrer bereits im Jahr 1850 erbauten 76 Meter langen Brücke, die sich mit sieben gemauerten Bögen über zerklüftete Felsen spannt, ein beliebtes Ausflugsziel. Berühmt für ihren grandiosen Blick ins weite Tal der Elbe, auf der Dampfer zu sehen waren, winzig klein wie Spielzeuge.
Als fünfjähriges Kind war ich wohl weniger an diesen Aus- und Fernblicken interessiert, jedenfalls habe ich keine Erinnerungen daran. Ich erinnere mich dagegen lebhaft an Langeweile und Enttäuschung, denn diese Spritztour war ganz und gar nicht nach meinem Geschmack. Die Großeltern hatten ihre Sonntagskleider an, und auch ich war herausgeputzt worden. Mit Opas Auto, einem alten Opel, einem der wenigen, die es in der DDR gab, fuhren wir bis zum Parkplatz an der Bastei, liefen eine breite Fahrstraße entlang, spazierten über die Brücke, schauten ringsum, und dann ging es hinein in die Gaststätte, wo ich einen Kuchen essen musste. Schon damals mochte ich nichts Süßes. Viel lieber wäre ich in der Felsenwelt herumgestromert, die greifbar vor mir lag und mir dennoch verschlossen blieb. Ich sah Leute dort wandern, das wollte ich auch. Zwischen die Felsen und in die tiefen Täler wollte ich hinein, nicht sie von oben betrachten. Ich vermute, die Großeltern haben mich nicht allzu oft auf ihre Autofahrten mitgenommen. Sicherlich habe ich meinen Ärger heftig kundgetan. Von Anfang an hatte ich einen eigensinnigen Charakter und war kein fügsames Kind.
Bis ich 14 Jahre alt wurde, lebte ich dann mit meinen Eltern und Geschwistern weit entfernt in Freyburg im Unstruttal. Nachdem wir in die Lausitz zurückgekehrt waren, erblickte ich die bizarren Felsen erstmals wieder bei einem Klassenausflug im neunten Schuljahr. Wir hatten die Strecke von Bischofswerda bis zur Bastei mit Fahrrädern zurückgelegt. Es war ein sonniger Tag mit klarer Fernsicht. 200 Meter fiel der Basteifelsen senkrecht in die Tiefe ab. Unten vollführte die Elbe eine schwungvolle Doppelschleife und glitzerte silbern im Sonnenlicht. Die Tafelberge Lilienstein und Königstein erhoben sich majestätisch aus der Ebene. Links vom Königstein war der Pfaffenstein sichtbar mit seinen bewaldeten Hängen. In der Ferne konnte man die Kammlinie des Erzgebirges erahnen. Westlich ragte das Felslabyrinth der Schrammsteine auf und im Süden der Große Winterberg. Im Norden erstreckte sich das Lausitzer Bergland mit seiner höchsten Erhebung, dem 586 Meter hohen Valtenberg. Dort in der Lausitz waren wir mit unseren Rädern gestartet.
In den zerklüfteten Felsen nahm ich eine Bewegung wahr. Ich sah genauer hin. Das konnte doch nicht sein - es waren Menschen. Sie hingen an senkrechten Wänden.
»Was machen die dort?«, fragte ich unseren Klassenlehrer.
»Ach so, das sind Kletterer«, antwortete er lakonisch.
»Was? Warum? Wieso? Was wollen sie in den Felsen?«
»Das ist Sport!«
Zwar wusste ich, dass Menschen auf hohe Berge steigen, aber noch nie zuvor hatte ich gehört, dass man sich an senkrechten Felsen emporarbeiten kann. Obwohl die Lausitz an das Elbsandsteingebirge grenzt, wusste ich nicht, dass es den Klettersport gibt. Wahrscheinlich lag es daran, dass wir erst seit wenigen Wochen wieder hier wohnten.
»Ich möchte das auch machen!«, rief ich spontan aus. Denn blitzschnell hatte ich begriffen, was das für eine Lust sein musste, sich zwischen Himmel und Erde zu bewegen.
Mein Lehrer aber meinte: »Das ist eine ganz besondere Kunst. Die kann man nur lernen, wenn man sehr früh damit anfängt. Das ist so wie im Zirkus, die Artisten müssen von klein auf üben.«
Nanu, dachte ich, meint er denn, mit 14 sei ich zu alt?
Egal ob ich nun zu alt war oder nicht, ich wusste, ich wollte es unbedingt probieren. Mir war jedoch klar: Allein konnte ich es nicht schaffen, ich brauche jemanden, der es mir zeigte. Nicht ich, sondern meine Schwester entdeckte die »Pilztürmer«, die sich nach einem der Felsen so genannt hatten. Meine Schwester wandte sich bald wieder anderen Interessen zu, ich aber lernte klettern, und es wurde zu einer meiner Leidenschaften.
Jahre später konnte ich tatsächlich meine Träume von damals verwirklichen und die Berge der Welt sehen: den Himalaja in Nepal, in Afrika den Kilimandscharo. Am Kraterrand übernachtete ich in einem Zelt und stieg erst nach drei Tagen wieder hinunter in die heiße afrikanische Steppe. Der Mount Kenya, ebenfalls in Afrika, hat senkrechte Felswände. Mit Bergsteigerfreunden umrundete ich den Berg, war fasziniert von der eindrucksvollen Vulkanlandschaft, bestaunte die pittoresken, baumhohen Senecien, und schließlich kletterte ich mit den Kameraden mit Seil und Haken auf diesen fast 5000 Meter hohen Gipfel.
Nur im Elbsandsteingebirge, meiner ursprünglichen Heimat, bin ich nicht mehr geklettert. Weil ich versucht hatte, über die Ostsee nach Dänemark zu schwimmen, bekam ich nach Haft und Ausweisung keine Einreise mehr in die DDR, war als »unerwünschte Person« diskreditiert. Nachdem Ost und West endlich wieder ein Deutschland waren, galten meine Reisen in den Osten stets dem Besuch von meiner Mutter und meinen Geschwistern. Bei diesen Familientreffen stand mir nicht der Sinn nach Klettertouren, zudem hatte ich nach all den Jahren keinen Kontakt mehr zu den ehemaligen Kameraden.
Warum aber jetzt ein Buch über das Elbsandsteingebirge? Dieser Felslandschaft muss ein Zauber innewohnen. Als seien unsichtbare Fäden gesponnen worden, tauchen vergessen geglaubte Erinnerungen in meinem Gedächtnis auf, vernehme ich wieder geheimnisvolle Töne, werde vom murmelnden Geräusch eines Gebirgsbachs berührt, höre das Rauschen der Bäume in tiefen Felsschluchten, als sei es erst gestern gewesen.
Jedoch: Dass ich mich...
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