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"Auf seine Art ist er ein Raumfahrer in einer Rakete mit menschlichem Antrieb."
Jean-Baptiste Baronian, Schriftsteller
Sich in der Startaufstellung eines Buchs wiederzufinden, das dem größten Radsportler aller Zeiten gewidmet ist, bedeutet ein monumentales Abenteuer, das schwindelerregende Gefühl, sich auf eine Weltreise zu begeben, zurück in eine Zeit, als der Radsport den Menschen noch am Herzen lag.
In den Sechziger- und Siebzigerjahren drückte Eddy Merckx praktisch allen Rennen, die er bestritt, seinen Stempel auf. Laut Statistik trat er insgesamt 1.800-mal an, und 525 Siege auf der Straße überstrahlen seine 14-jährige Karriere. Eine Leistung, die noch bemerkenswerter erscheint angesichts der überwältigenden Konkurrenz jener Jahre, die zu den denkwürdigsten Auseinandersetzungen führte. Es überrascht keineswegs, dass Merckx, der größte "Kannibale" der Radsportgeschichte, dieselbe Luft atmete wie Roger de Vlaeminck, Walter Godefroot, Freddy Maertens, Roger Rosiers, André Dierickx, Frans Verbeeck, Patrick Sercu, Jan Janssen, Felice Gimondi, Luis Ocaña, Gianni Motta, Lucien van Impe, Joop Zoetemelk, Bernard Thévenet und Rik van Looy.
Aus den Stationen seiner zahllosen Erfolge ließe sich ohne Weiteres ein schöner Hobby-Radwanderführer zusammenstellen. Von Vilvoorde, wo er am 11. Mai 1965 seinen ersten Sieg feierte, bis Kluisbergen, wo er am 17. September 1977 zum letzten Mal ganz oben stand, könnte der geneigte Radtourist die Weltkulturerbestätten des Radsports entdecken: Poggio, Sormano, Ghisallo, Grammont, Oude Kwaremont, Arenberg, Carrefour de l'Arbre, Stockeu, La Redoute und viele andere mehr. Besonders hervorzuheben wäre dabei Woluwe-Saint-Pierre, der Brüsseler Stadtteil, in dem Merckx aufwuchs und der durch ihn bekannt wurde.
Womöglich lag es daran, dass Belgien verzweifelt auf einen Nachfolger für Sylvère Maes wartete, der 1939 als letzter Belgier die Tour de France gewonnen hatte, dass das Auftauchen von Eddy Merckx das Land mit der Geschwindigkeit eines Waldbrandes in Flammen versetzte. Schnell wurde er zu einer Maschine, die unaufhörlich fuhr und siegte: Tag und Nacht, von einem Land zum anderen, vom 1. Januar des einen bis zum 1. Januar des nächsten Jahres - sein Leben kannte keine Pausen. Ein Start beim morgendlichen Kriterium durch Brüssel, ein Flug nach Lissabon am Mittag und ein Sieg bei einem weiteren Kriterium am Nachmittag, bevor es weiterging nach Mailand, wo am Abend ein Zweier-Mannschaftsfahren auf der Vigorelli-Bahn anstand - das schreckte ihn nicht. Der Journalist Rik Vanwalleghem schrieb einmal, "Merckx, der Entdecker", habe auf dem Höhepunkt seiner Karriere "zwölfmal die Erde umrundet". "Auf seine Art ist er ein Raumfahrer in einer Rakete mit menschlichem Antrieb", so formulierte es Jean-Baptiste Baronian1, und Frans Verbeeck, ein durchaus solider Profi, empfand wohl ähnlich, als er sagte: "Eddy Merckx sorgte für das Spektakel; daneben hatten wir nur eine ganz kleine Rolle zu spielen." Peter Post, der sportliche Leiter des Raleigh-Teams, drückte es am Abend von Merckx' Demonstration beim Rennen von Paris-Roubaix 1973 noch einmal anders aus: "Warum will der belgische Premierminister Vanden Boeynants Mirage- oder F-16-Kampfjets kaufen, wo er doch schon Merckx hat?"2
Nichts kann man weglassen von seinen gigantischen Rennsaisons, die teilweise mehr als 160 Renntage umfasst haben. Man darf sie nicht an einzelnen, wenn auch legendär gewordenen Stationen wie Mourenx-Ville-Nouvelle, Tre Cime di Lavaredo, Mendrisio oder Mexiko festmachen. Im Gegenteil: Man muss sie als Ganzes betrachten, so wie man eine flämische Landschaft von Bruegel oder Rubens betrachtet, mit ihren Bergen, ihrem Schnee, ihren Gewittern, ihren Windböen und ihrem Kopfsteinpflaster.
Wenn Baronian vom "Gott der Götter und der babylonischen Liste seiner Erfolge" spricht, dann bezieht er sich auf Alfred Jarry, der lange vor der Geburt der Kultfigur die Behauptung aufstellte, dass "der Radsport, diese ganz besondere Sportart, zu den Schönen Künsten zählt". Der Künstler Merckx erschuf mithin ein zeitloses Werk, ganz wie seine berühmten Vorgänger Binda, Coppi, Bartali, Bobet und Anquetil oder seine Nachfolger Thévenet, Hinault, Indurain, Froome und Pogacar. Dabei bin ich versucht einzuwerfen, dass der belgische Champion eine Sache hatte, die allen anderen fehlte: Er schaffte es, das Fantastische in die reale Welt zu übertragen. "Weil er über eine unveränderliche Eigenschaft verfügte, nämlich einen außerordentlich starken Willen, der sein Lebensprinzip war", so Radsporthistoriker Pascal Sergent, der zahlreiche Bücher über den belgischen Radsport jenes Jahrzehnts verfasst hat. Dieses Prinzip war bei Merckx so stark, dass sein unfassbarer Wille, sein riesiger Ehrgeiz, ihm geradezu Balzac'sche Züge verlieh. Wie Merckx sind die Helden in Balzacs Werken ehrgeizig, unersättlich und machthungrig. Mal erinnert er dabei an Rastignac, den loyalen und aufrechten Karrieristen und Welteneroberer, mal eher an Vautrin, der von einer unbezwingbaren inneren Kraft angetrieben wird.
Seine Überlegenheit ist dergestalt, dass er in Belgien als gesellschaftliches Phänomen gilt. Robert Janssens, Autor und einst Journalist der Tageszeitung Het Laatste Nieuws, der Merckx' Karriere eng begleitet hat und als ausgemachter Kenner gilt, stellt die These auf, dass "der Name Merckx Einzug in die Schulen gehalten und damit eine pädagogische Dimension erhalten hat", was er so erklärt: "Merckx ist Teil unseres nationalen Erbes. Er ist eine Art Prestigebotschafter Belgiens in all seinen Ausformungen, und seine Legende wird von jeder Generation weitererzählt und damit am Leben gehalten. Sie hat die Herzen eines ganzen Volkes erobert." Wer Merckx' Karriere analysiert, betreibt somit immer auch ein wenig sozialhistorische Forschung. In seinem meisterhaften Werk Die Welt von gestern schreibt Stefan Zweig: "Im normalen Zustande ist der Name, den ein Mensch trägt, nicht mehr als das, was das Deckblatt für die Zigarre ist: eine Erkennungsmarke, ein äußeres, fast belangloses Objekt, das mit dem wirklichen Subjekt, dem eigentlichen Ich, nur lose verbunden ist." Und weiter: "Im Falle eines Erfolges schwillt nun dieser Name gleichsam an. Er löst sich los von dem Menschen, der ihn trägt, und wird selbst eine Macht, eine Kraft, ein Ding an sich, ein Handelsartikel, ein Kapital, und innerlich wiederum im heftigen Rückstoß eine Kraft, die den Menschen, der ihn trägt, zu beeinflussen, zu dominieren, zu verwandeln beginnt." Beispielhaft lässt sich das am Namen Pelés aufzeigen, des ersten Weltstars des Fußballs und größten Spielers aller Zeiten, "der mit seiner bloßen Präsenz einen Krieg stoppen und die US-Amerikaner für den Fußball begeistern konnte", wie Stéphane Cohen in seiner ausgezeichneten Biografie über den Brasilianer schreibt.
Bei Merckx ist es noch nicht ganz so weit, aber es lässt sich mit Gewissheit sagen, dass der Name des belgischen Triumphators schon lange über einen einfachen Namen hinausgeht. Er taucht in Filmen auf (La Course en tête, von Joël Santoni, zu Deutsch: Das Rennen an der Spitze; Die Sieger - American Flyers, von John Badham; Das Rennrad, von Philippe Harel), Liedern (von Jacques Higelin oder der Gruppe Sttellla) und Comics (Die Abenteuer des Kommissars San-Antonio; Asterix bei den Belgiern); Metrostationen (in Brüssel, an der Linie 5), Schulzentren (in Woluwe-Saint-Pierre) und Radrennbahnen (in Gent) sind nach ihm benannt, ihm zu Ehren wurden Statuen und Denkmäler errichtet, Goldmünzen mit seinem Antlitz geprägt. Auch ist der fünffache Tour-de-France-Sieger mit großer Sicherheit der Fahrer, über den am meisten geschrieben wurde: So finden sich in der französischen Nationalbibliothek 82 französische Werke; das Koers, ein sehr schönes Radsportmuseum im westflämischen Roeselare, beherbergt über 100 Publikationen in niederländischer Sprache über Merckx. Ganz zu schweigen von dem nie dagewesenen Medienrummel, der ihn während und nach seiner Karriere umgab. Wie Rik van Puymbroeck im Magazin Bahamontes berichtet, machte sich der Journalist Lucien Berghmans von Het Laatste Nieuws, der Merckx' Karriere über 14 Jahre ununterbrochen, Tag für Tag, journalistisch begleitet hatte, am 18. Mai 1978, dem Abend seines Abschieds, "sehr viel mehr Sorgen, was aus ihm werden würde, als über Merckx' Rückzug".
Das Ziel dieses Buchs ist es nicht, die Karriere einer historischen Persönlichkeit nachzuerzählen. Das wurde bereits erfolgreich getan. Es soll auch keine Reise ins Privatleben des Stars werden - hier bildet die Biografie des belgischen Politikjournalisten Johny Vansevenant das in jederlei Hinsicht bemerkenswerte und unumgängliche Standardwerk. Nein, in seinen 14 Rennsaisons, die bisweilen romanhafte Züge tragen, lebt und atmet eine ganze Generation, eine ganze Epoche, und die Ausreißversuche des "Kannibalen" und seine verrückten Aktionen werden in den Erinnerungen seiner Mitstreiter und seiner Gegner wieder lebendig. Hier einige Auszüge, z. B. von Gianni Motta, der bei Mailand-Sanremo regelmäßig den Kürzeren zog: "Er war alles, was wir träumten zu sein und was wir werden wollten. Das Dumme war nur, dass man manchmal das Gefühl hatte, hinter einem Motorrad...
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