Schweitzer Fachinformationen
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Feiner Regen brachte die Blätter der Kastanienbäume zum Glänzen.
Es war schon nach Mittag, als ein Auto die Straße hinauffuhr, die sich den dicht bewaldeten Berghang aus schroffem Schieferfels hinaufwand. Unter den Reifen des vollgepackten Fahrzeugs knirschten Zweige und Steine.
Der Wagen rollte auf den Parkplatz und blieb neben einem Transporter mit offener Hecktür stehen, in dessen Innerem, dem Geschaukel nach zu urteilen, entweder ein paar Leute schweres Gerät umräumten oder gerade eine Orgie feierten.
Eigentlich glich das ankommende Auto mehr einem Ungeheuer aus einer anderen Welt als einem Fahrzeug aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Sein Besitzer hatte die uralte Karre vom Dach bis zu den Felgen mit albernen mittelalterlichen Zeichnungen, sogenannten Drolerien, bemalt: Einhörner, Skelette und Mischwesen - halb Bischof, halb Pferd - tanzten zu Musik, die von Affen erzeugt wurde, indem sie sich Trompeten dorthin steckten, wo sie normalerweise nicht hingehören.
Jedes Mal, wenn der Gang gewechselt wurde, gab das Getriebe des Wagens Geräusche von sich wie ein Drache mit Keuchhusten. Der schweflige Gestank der Abgase verstärkte diese Assoziation. Anstelle einer Kühlerfigur wurde die breite Schnauze des Autos von einem Schwert geziert, das scheinbar bis zur Hälfte der Klinge in der Motorhaube steckte. Darunter prangte in großen, güldenen Lettern der Name »ExcaliBus«.
Die Türen des Wagens öffneten sich. Vier Gaukler stiegen aus.
Kevin ging zur Beifahrertür und half Lena, aus dem Bus zu klettern, wofür sie ihn mit einem regenfeuchten Kuss belohnte.
»Letzte Woche schien noch so schön die Sonne«, murrte sie.
Alex streckte dem grau bewölkten Himmel sein Gesicht entgegen. Als die Tropfen sein langes Haar durchnässten, verwandelte er sich augenblicklich in das Kilt tragende Äquivalent zu Waldläufer Aragorn. Ein Effekt, der schon die Herzen vieler Elbinnen auf Fantasy-Festivals zum Schmelzen gebracht hatte.
»Ist doch gutes schottisches Wetter. Der Regen fällt fast senkrecht und nur leicht zur Seite geneigt«, zitierte er aus Braveheart.
Er ging zu Isa hinüber, die am Heck des Wagens stand und den Bergfried betrachtete, der auf der anderen Seite des Parkplatzes über den Baumwipfeln aufragte. Der Großteil des Turms, der sich hell vom verhangenen Himmel abhob, war schmal und viereckig. Obenauf thronte ein kleineres, rundes Türmchen, das seiner architektonischen Form wegen den Namen »Butterfass« trug. Die Umrandungen sämtlicher Fenster und Zinnen leuchteten in hellem Rot und bildeten einen scharfen Kontrast zu dem cremefarbenen Mörtel, mit dem man den Bau verputzt hatte. Ein Bild, das mittelalterliche Verhältnisse besser widerspiegelte als jede noch so schöne Ruine. Das Gerücht, dass eine echte Burg aus rohen, verwitterten Steinen bestehen muss - am besten noch von Raben umflattert und mit Vollmond im Hintergrund -, hatten einst die Romantiker in die Welt gesetzt, weil der wilde Charme eines solchen Gemäuers besser zu ihren Schauergeschichten über Vampire und sensible Monster aus Leichenteilen gepasst hatte.
Nachdenklich zwirbelte die grüne Fee eine ihrer Dreadlocks zwischen den Fingern.
»Valentin hätte es hier oben gefallen«, sagte sie.
Die beiden Bandkollegen schwiegen.
»War aber auch Pech.« Alex versuchte, sich trotz des Regens eine Zigarette anzuzünden.
»Was? Dass er beim Essen eine Wespe verschluckt hat? Dass er allergisch ist? Oder dass Kevin ihn beim Besuch im Krankenhaus gleich gefragt hat, ob er einen an der Waffel hätte, so was Blödes zu tun?«
Er grinste gequält. »Ja.«
Beim Gedanken an Graf Galgenstrick, der sich im Gras gekrümmt und mit blauen Lippen und verquollenem Gesicht zu atmen versucht hatte, bekam Isa noch immer eine Gänsehaut. Und obwohl keiner aus der Band es bisher offen ausgesprochen hatte, wusste sie auch, dass ihnen allen im ersten Moment der gleiche Gedanke durch den Kopf geschossen war: dass Marek die Waffel, die eigentlich von Isas Stapel stammte, irgendwie vergiftet hatte.
Eine naheliegende, jedoch falsche Theorie. Schuld gewesen war bloß ein kleines, hungriges Insekt.
Aus dem Transporter neben ihnen ertönte ein lautes Scheppern. Als Isa sich umblickte, sah sie, wie ein großer, schmiedeeiserner Topf aus der offenen Hecktür kullerte und schlingernd über den Parkplatz rollte.
»Schnell! Hol ihn zurück, bevor er Rost ansetzt!«, kreischte eine Frauenstimme.
Es polterte erneut. Dann hüpfte ein dürrer Kerl in Jeans und T-Shirt aus dem Wagen und ging dem Kessel gemächlich hinterher, ohne sich darum zu kümmern, dass er und das wertvolle Equipment nass wurden. Regenwasser spritzte, als er den Topf am Bügel aus einem Gebüsch zog. Dann entdeckte er die Gaukler. Unter den grauen, feuchten Locken, die ihm ins Gesicht hingen, breitete sich ein freundliches Lächeln aus.
»Hey, seid ihr die Spielleute?«
Kevin, der im Laderaum des »ExcaliBus« herumfuhrwerkte, winkte zur Antwort mit einer Schalmei.
Der Mann kam zu ihnen herüber und schüttelte ihnen die Hände. »Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Ich bin der Piet, von der Living-History-Gruppe Custodes Historiae.«
Sein Händedruck war fest und herzlich, obwohl sich seine Finger wahnsinnig knöchern anfühlten.
Mal sehen, was er auf der Marksburg darstellen wird, dachte Isa. Wahrscheinlich das von Krähen abgenagte Skelett eines Gefangenen.
»Ich dachte, die Belebung der Burg startet erst morgen?«, fragte sie.
»Wir sind bloß die Vorhut. Bringen schon mal die wichtigsten Sachen nach oben, Equipment, Vorräte und so, und bereiten alles vor, damit morgen nichts schiefgeht. Na ja, jedenfalls nicht mehr als sonst.« Er lachte unbeschwert. Die Regentropfen, die in seinen Kessel fielen, spielten dazu eine heitere Melodie. »Ich find's übrigens prima, dieses Jahr ein paar Musiker dabeizuhaben. Nicht alle von der Truppe waren von der Idee begeistert, aber ich denke, ihr werdet das gut machen. Habt ihr spätmittelalterliche Klamotten dabei? Eigenes Geschirr, Tafelmesser? Wunderbar! Notfalls können wir euch auch mit allem Möglichen aushelfen. Fragt einfach nach Piet oder Johanna.« Mit der freien Hand schirmte er seine Augen vor dem Regen ab und blickte hinüber zum Transporter. »Johanna? Komm mal raus, ich will dir ein paar Leute vorstellen!«
In Manderscheid hatte Alex die Living-History-Fraktion noch als eine Bande von Ambiente-Fanatikern dargestellt, die die kleinste historische Ungenauigkeit mit ewiger Verachtung und Peitschenhieben bestraften. Doch Piet schien ziemlich locker drauf zu sein. Er strahlte noch immer, als eine Frau mittleren Alters mit langem, strohblondem Haar den Kopf aus dem Laderaum streckte.
Und vor Entsetzen den ledernen Trinkschlauch fallen ließ, den sie in der Hand gehalten hatte.
»Nein!«, rief sie zur Verwunderung aller und zog den Kopf wieder zurück.
»Ach, nun komm schon!« Piet warf den Spielleuten einen entschuldigenden Blick zu und formte mit den Lippen lautlos die Worte: »Ein bisschen schwierig, die Gute.«
Vorsichtig lugte die grüne Fee um die Hecktür des Transporters herum ins Innere des Wagens.
Der Laderaum sah aus, als ob darin ein Mittelalterladen explodiert wäre. Krüge, Töpfe und Schüsseln aus gebranntem Ton, allesamt sicher in Luftpolsterfolie verpackt, stapelten sich neben Strohsäcken und Fellen, die vermutlich als Schlaflager dienen sollten. Isa entdeckte zu Ballen zusammengeschnürte Kleider, an der Wand befestigte Pfannen und Töpfe und außerdem Unmengen an Vorräten: Säcke voller Hirse und Mehl, Getränke- und Gemüsekisten, Schachteln mit unbekanntem Inhalt. Es roch nach frischem Holz, Bienenwachs und Tier.
Inmitten des Chaos stand Johanna. Ihre blonde Mähne umwallte ihr Gesicht, als sie mit fliegenden Fingern versuchte, einen Karton aufzuschnüren. Obwohl die Custodes Historiae, die Hüter der Geschichte, erst am nächsten Tag loslegen sollten, trug sie bereits Gewandung: ein schlichtes, graubraunes Leinenkleid, das um die Taille von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde. Das lange, schnallenlose Ende des Gürtels hing, ganz nach mittelalterlicher Sitte, dank einer geschickt platzierten Schlaufe senkrecht nach unten.
Als sie aufblickte und Isa entdeckte, deutete sie mit zitterndem Finger auf deren Kopf. Ihre Stimme klang leicht hysterisch. »Das passt niemals unter eine Haube!«
Unwillkürlich schielte Isa nach oben. Gemeint waren sicherlich ihre nicht ganz authentischen Dreadlocks, die sie zu einem großen, lockeren Dutt hochgebunden hatte.
»Ich ziehe morgen ein Kopftuch drüber, keine Sorge«, versuchte sie...
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